Die moderne Kommunikations- und Informationstechnik bietet uns viele neue Möglichkeiten zum digitalen Lehren und Lernen. Doch beim Gestalten solcher Lernumgebungen sollte man einen Faktor nie vergessen: den Menschen. Sonst erliegt man rasch der Faszination der interaktiven Tools und modernen Lernplattformen und vergisst: Diese technischen Hilfsmittel entfalten ihre Wirkung nur, wenn die Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, die sie nutzen.
Die menschlichen Bedürfnisse
Deshalb ist es gerade beim E-Learning wichtig, sich immer wieder darauf zu besinnen, wem das digitale Lehren und Lernen dienen soll: dem Menschen. Ausserdem sollte man darauf achten, dass dessen Grundbedürfnisse beim Gestalten der digitalen oder virtuellen Lernwelten berücksichtigt werden.
Über die Grundbedürfnisse von Menschen nicht nur beim Online-Lernen gibt es umfassende Erkenntnisse der Kognitionsforschung. Insbesondere ihre Erkenntnisse über die neurologische Verarbeitung von Informationen in unserem Gehirn geben uns viele Hinweise, wie man ein nachhaltiges Lernen auch im digitalen Raum gewährleisten kann.
Menschen möchten sich verbunden fühlen
Das Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit ist in uns Menschen so stark verankert, dass unser Gehirn einen Mangel hieran wie einen körperlichen Schmerz empfindet. Ausserdem sinkt, wenn es nicht befriedigt wird, unsere kognitive Fähigkeit. So erscheinen uns Aufgaben, die wir alleine lösen sollen, zum Beispiel meist weniger interessant. Deshalb verringert sich unsere Aufmerksamkeitsspanne.
Priyanka Carr und Gregory Walton von der Stanford University untersuchten dieses Phänomen 2012 in zahlreichen Experimenten. Dabei zeigte sich: Menschen, die das Gefühl haben «Ich bin Teil eines Teams», erzielen bessere (Arbeits-)Ergebnisse als Personen, bei denen dies nicht der Fall ist. Deshalb sollten in digitale Lernarrangements Möglichkeiten zur Kommunikation wie Chats und Foren integriert werden; ausserdem sollten die Lerner von Online-Trainern oder Tutoren individuell betreut werden.
Ermöglicht werden sollte auch ein persönliches Kennenlernen – zum Beispiel über Videobotschaften, Persönlichkeitsprofile in der Lernplattform oder Vorstellungsrunden in Live-Online-Seminaren. Als Trainer oder Personalentwickler sollten Sie zudem, soweit möglich, ein gemeinsames Arbeiten fördern.
Wichtig ist auch ein Gefühl der Sicherheit, denn Angst verringert die kognitive Leistungsfähigkeit. Im Umkehrschluss gilt: Die Lernergebnisse sind besser, wenn die Lerner sich sicher und geborgen fühlen. Fragen, die Ihnen helfen, auf dieses menschliche Grundbedürfnis in Ihren digitalen Lernarrangements zu achten, sind:
- Gibt es Möglichkeiten, mehr über die anderen Lerner zu erfahren?
- Werden die Lerner persönlich begrüsst?
- Besteht die Möglichkeit, mit anderen Lernern in Kontakt zu treten?
- Ist ein kooperatives Lernen möglich?
- Begleitet ein Tutor oder Online-Trainer den Lernprozess?
- Gibt es (Rück-)Fragemöglichkeiten?
- Ist für ausreichend Informationsmaterial als Hilfestellung vor dem Start gesorgt (Benutzerhandbuch, Erklärvideos und so weiter)?
- Existieren Regeln für den Umgang miteinander im virtuellen Raum und sieht das Design Zeiten für deren Klärung vor?
Menschen möchten sich einbringen und wachsen
Der Neurowissenschaftler Gerald Hüther bezeichnet das «Über-sich-Hinauswachsen» und «Sich-entfalten-Können» als ein neurobiologisches Grundbedürfnis. Das bedeutet für das Thema Lernen unter anderem: Die Aufgaben sollten so konzipiert sein, dass sie mit etwas Einsatz gut zu bewältigen sind. Es erfordert Fingerspitzengefühl, den Lernprozess so zu gestalten, dass er zwar fordert, aber nicht über- oder unterfordert.
Das setzt auch ein gewisses Know-how über die Funktionsweise unseres Gehirns voraus. Man sollte zum Beispiel wissen, dass unser präfrontaler Cortex seriell arbeitet: Ihn überfordern also zu viele Aufgaben auf einmal. Diese Tatsache gilt es unter anderem zu beachten, wenn es um die Frage geht: Soll der Lernstoff auf einmal oder sequenziell auf der Lernplattform freigeschaltet werden?
Dem Wunsch, sich entfalten zu können, kann man gerecht werden, indem man den Lernern die Möglichkeit zur Mitgestaltung ihres Lernprozesses bietet. Durch die Integration asynchroner Elemente wie Learning Nuggets in die Lernarrangements bieten Sie den Lernern die Chance hierzu. Denn jeder Lerner kann selbst entscheiden, wann, wo und wie oft er diese nutzt.
Man kann in den Lernarrangements auch nur die Rahmenbedingungen vorgeben. Ansonsten können die Lerner den Weg zum Ziel selbst gestalten. Sie sollen sozusagen eigene Erfahrungen mit ihrem Lernen sammeln und diese reflektieren, um so die idealen Lernwege für sich zu entdecken. Das setzt in den Lernarrangements Reflexions- und Feedback-Schleifen voraus. Diese Selbst-Erfahrung sollte aber nicht unter Zwang erfolgen, denn im Stress-Modus erfolgt nur ein geringes Lernen.
Fragen, die Ihnen helfen, dieses menschliche Grundbedürfnis in Ihren digitalen Lernarrangements zu beachten, sind:
- Sind die Lerninhalte in gehirngerechte Portionen aufgeteilt?
- Werden verschiedene Kanäle genutzt: Bilder, Texte, Audio, Video?
- Wird gezielt das Interesse der Lerner geweckt?
- Sind die Aufgaben für die Lerner lösbar?
- Werden die Lerner motiviert, selbst Probleme und Fragen zu formulieren?
- Können sie einen Teil des Contents selbst generieren?
- Sind Reminder im Alltag geplant?
- Sind Reflexionseinheiten eingebaut?
- Gibt es Feedbackmöglichkeiten?