Mensch & Arbeit

Planungs- und Baubranche

Das persönliche Energie­management von Führungskräften

Während in der Baubranche die Unternehmensumsätze in den letzten 15 Jahren um 50 Prozent zugenommen haben, hat sich die Zahl der beschäftigten Bauarbeiter seit den 1990er-Jahren halbiert. Dies hat zu einer starken Belastung auch der Führungskräfte geführt, die mit den eigenen Ressourcen oft nicht mehr zu bewältigen ist.
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Bauten werden heute in einem immer kürzeren Zeitraum realisiert, das Tem­po ist spürbar gestiegen. Die in allen Branchen feststellbare höhere Dynamik kommt in dem Akronym Vuka zum Ausdruck, das die Megatrends Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambi­valenz beschreibt. In der Baubranche hat das zur Folge, dass Termin-, Kosten- und Margendruck in den letzten Jahren weiter gestiegen und zur Belastung für die Führungskräfte geworden sind: Sie bewegen sich ständig im Belastungs­zyklus zwischen Kosten, Terminrealisation und Personalführung. 

Zunehmende Belastungen

Den steigenden Termindruck bestätigen vier von fünf Bauarbeitern in der Unia-Bauarbeiterumfrage im Februar 2020. Und 83 Prozent der Bauleiter sind der Meinung, dass Bauherren zunehmend unrealistische Termine verlangen.

Bezüglich Personalführung führen da­rüber hinaus Generationenkonflikte zu einer Belastung, da sich die Generation Y (Jahrgänge 1985 bis 2000, die inzwischen ein Drittel der berufstätigen Be­völkerung ausmachen) nicht mehr ausschliesslich durch Ansagen und Befehle führen lässt. Sie fordert vielmehr Antworten auf das Warum und sucht eine Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit, was die Führungsaufgabe zeitintensiver macht. Trotz dieser genannten und spürbaren Veränderungen werden Projekte in der Planungs- und Baubranche immer noch nach dem Wasserfallmodell aus den 1960er-Jahren bearbeitet. Dieses be­-steht aus einzelnen Bearbeitungskaskaden mit definiertem Start- und Endpunkt, die aufeinander folgen. Diese starre Arbeitsweise lässt weder Flexibilität noch Agi­lität zu, die in der Arbeitswelt aufgrund der zunehmenden Unsicherheit nötig sind, da nicht mehr akkurat geplant werden kann. 

Während in der Baubranche die Unternehmensumsätze in den letzten 15 Jahren um 50 Prozent zugenommen haben, hat sich die Zahl der beschäftigten Bauarbeiter seit den 1990er-Jahren halbiert. Dies ist gemäss der Unia-Baustellenumfrage nicht auf die Automatisierung oder Digitalisierung zurückzuführen, sondern auf Stress und Belastung. 

Wenig Schlaf und Zwölf-Stunden-Arbeitstage sind keine Seltenheit, um die grosse Anzahl an täglichen Aufgaben bewerkstelligen zu können. Ein grosser Margen-/Kostendruck ist spürbar und fördert zusätzlichen Stress. In der Unia-Umfrage gaben 55 Prozent der Befragten an, dass die höhere Belastung einen Einfluss auf die Gesundheit hat. 52 Prozent sehen die Arbeitsqualität leiden und 51 Prozent stellen eine Gefahr in Bezug auf vernachlässigte Arbeitssicherheit fest.

Stress und die Folgen

Als Stress bezeichnet man eine körperliche und psychische Reaktion eines Menschen auf Situationen beziehungsweise Anforderungen, die mit den eigenen Ressourcen nicht als bewältigbar interpretiert werden, wie zum Beispiel Zeitmangel, Termindruck, ständige Erreichbarkeit, Leistungsdruck und schlechte Führung. Es herrscht also ein Ungleichgewicht zwischen Anforderung und Ressourcen. 

Stress «wirkt nicht von aussen auf ein Individuum ein, sondern entsteht immer nur in der gestressten Person selbst» (Becker, K. Erfolg ohne Stress, S. 23, München: Verlag Peter Erd, 1990). Gefährlich wird Stress, wenn er chronisch wird. Es ist nachgewiesen, dass eine lang anhaltende Belastung einen Einfluss auf das Immunsystem hat, die Wundheilung verlangsamt und Depressionen und Magen-Darm-Erkrankungen hervorruft. Auch die Erhöhung von Schlaganfall- und Herzinfarkt-Risiko sind dem chronischen Stress zuzuordnen.

Beschäftigte generell fehlen immer häufiger wegen Stress. So war im Oktober 2019 in der «Zeit Online» zu lesen, dass in den vergangenen zehn Jahren die Fehltage wegen psychischer Belastungen um 144 Prozent zugenommen haben. Auch die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» stellte Anfang des Jahres 2020 fest, dass es «mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen» gibt. Psychische Erkrankungen sind für rund 19 Prozent aller Fehlzeiten am Arbeitsplatz verantwortlich, das ist der höchste Wert im Vergleich zu anderen Diagnosen – noch vor Rüc­kenbeschwer­den und Erkältungskrankheiten, unter Berufung auf eine Krankenkassenstudie. 

Burn-out 

Oft kann Stress in einem Burn-out enden. Gemäss dem Hernstein Management Report sehen sich 31 Prozent der befragten Führungskräfte selbst als stark Burn-out-gefährdet. Je jünger Mitarbeitende in einer Führungsrolle auf mittlerer Führungsebene sind, umso stärker sehen sie sich als potenziell gefährdet an.

Diese Wahrnehmung zeigt sich oft auch in der Jobwechselbereitschaft, was neben dem Fach­kräftemangel ein grosses Problem in der Planungs- und Baubranche ist. Für 41 Prozent der Befragten wird ein Burn-out als Schwäche ausgelegt und steht für nicht genug Leistungsfähigkeit. 62 Prozent der befragten Teilnehmer kennen zumindest einen Fall in ihrem Unternehmen.

Einflussmöglichkeiten

Wenn die Anforderungen höher werden, müssen eigene Ressourcen aufgebaut werden. Eine direkte Einflussmöglichkeit besteht durch unser Ernährungs-, Be­wegungs- und Schlafverhalten: Eat – Move – Sleep.  

Ernährung 

Wir beziehen unsere Energie aus der Nahrung. Rund 50 Nährstoffe muss der Mensch über die Nahrung zu sich nehmen, um gesund zu bleiben. Kohlen­hydrate sind der Energielieferant für Muskeln, Nerven und das Gehirn. Auch gesunde Fette wie zum Beispiel Olivenöl und Avocados sind wichtig für den Körper. Eiweiss wird vom Körper für Zellen, Organe, Muskeln oder die Blutherstellung benötigt. 

Oft wird am Arbeitsplatz aber aus Zeitmangel nur schnell ein Sandwich ge­gessen oder die Nahrungsaufnahme gänzlich gestrichen. Das Hungergefühl wird mit reichlich Kaffee und einem schnellen Griff in die Keksschale im Aufenthaltsraum im Zaum gehalten. Verständlich, denn unter Stress will der Körper sich mit Energie wappnen. Er benötigt Fett und Zucker, wie zum Beispiel Schokolade. Der Zucker schiesst schnell ins Blut und treibt den Blutzuckerspiegel in die Höhe. Man fühlt sich zwar kurz­zeitig aktiviert, der Energiepegel sackt jedoch rasch wieder ab.

Wirkungsvoller in Stressphasen helfen hingegen Lebensmittel mit komplexen Kohlenhydraten wie Vollkornbrot oder Vollkornpasta. Das dadurch aufgenommene Magnesium hilft, die Anspannung und Nervosität zu verringern. Gegen Stress wirkt auch das Glückshormon Serotonin, das für Gelassenheit, Harmonie, Zufriedenheit sorgt sowie Angst, Kummer, Sorgen und Aggressionen dämpft. Die Bildung von Serotonin wird durch das Vitamin B6 unterstützt und dieses
findet sich in Lebensmitteln wie Avocados, Kohl, grünen Bohnen und Linsen, Geflügel, Leber und Fisch. 

Auch Kalium gilt als Antistress-Mineralstoff, da es hilft, Unruhe, Kopfschmerzen und Bluthochdruck in den Griff zu bekommen. Empfehlungen für eine kaliumreiche Ernährung sind viel frisches Obst und Gemüse. Als Snacks werden Nüsse, Äpfel, Bananen und ungesüsste Trockenfrüchte empfohlen. 

Bewegung 

Es gibt gute Gründe, die sportlichen Ak­tivitäten zu steigern. Bewegung hilft Stress abzubauen und hat positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf- und  das Immun-System. Neben der Aktivierung des Stoffwechsels wird auch die geistige Leistungsfähigkeit gefördert. 

Universitäts-Professor Dr. med. Martin Halle ist täglich mit den Folgen von Be­wegungsmangel und Stress konfrontiert. Er ist Vorreiter von «Sport als Medizin» und dosiert körperliches Training wie ein Medikament («Sport auf Rezept»).

Schlaf 

Es wurde lange Zeit unterschätzt, wie wichtig Schlaf für die Gesundheit und das Wohlbefinden ist. Das Problem ist we­niger der Stress, sondern vielmehr die mangelnde Erholung nach dem Stress. Der Körper regeneriert von der körperlichen und geistigen Belastung im Schlaf am besten. Hochleistungssportler wie Roger Federer haben das verinnerlicht und schlafen zehn bis elf Stunden pro Tag. 

Schlafmangel hat hingegen nicht nur fatale Auswirkungen für das Gehirn, er wird auch mit zahlreichen neurologischen und psychiatrischen Leiden in Verbindung gebracht, zum Beispiel Alzheimer, Angstzuständen, Depressionen, bipolaren Störungen, Schlaganfall und chronischen Schmerzen. Schlafmangel fördert auch Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Herzinfarkte, Unfruchtbarkeit, Gewichtszunahme, Fettleibigkeit und Immunstörungen, beschreibt der be­deutende Schlafforscher Prof. Dr. med. Matthew Walker in seinem aktuellen Buch. 

Seine wissenschaftlichen Studien belegen, dass man nicht merkt, wenn der Schlaf fehlt. Die Teilnehmer stuften das Ausmass ihrer Leistungsminderung regelmässig zu gering ein. Sie merkten nicht, wie schlecht ihre Leistung tatsächlich und objektiv war. 

Genauso schwierig ist es, die Zeit ein­zuschätzen, die für eine vollständige Er­holung nötig ist. Dauert der chronische Schlafentzug schon lange an, gewöhnt sich der Mensch an die beeinträchtigte Leistung, die geringe Aufmerksamkeit und fehlende Vitalität. Es ist nicht mehr klar, wie sehr die geistigen Fähigkeiten und die Energie beeinträchtigt sind und sich die Gesundheit Schritt für Schritt verschlechtert. Eine Verbindung zwischen Schlaf­entzug und körperlicher Gesundheit wird allerdings noch selten hergestellt. Mit wenig Schlaf auszukommen, wird oft im beruflichen Kontext mit einer gewissen Stärke gleichgesetzt. Den Körper so disziplinieren zu können, dass er mit ungenügendem Schlaf trotz allem konzentrierte Hochleistung erbringen kann, ist ein Trugschluss. 

Der Work Health Circle soll aufzeigen, dass die nötigen physischen Ressourcen auf dem unterstützenden Prinzip der ausgewählten Ernährung, guter Rege­neration und regelmässiger Bewegung beruhen. Alle Punkte greifen ineinander und beeinflussen sich gegenseitig.

Sich selbst führen

Das Thema Energiemanagement von Führungskräften ist ein umfassendes Thema, welches in erster Linie bei der jeweiligen Person selbst beginnt. Hierbei erfordert es  Verantwortungsbe­wusst­sein im respektvollen Umgang mit seiner eigenen körperlichen und geistigen Belastbarkeit. Stress ist zwar gut und mo­tiviert für eine gewisse Zeit zu Hoch­leistung. Eine darauffolgende Ruhe­phase ist jedoch unabdingbar für die Regeneration.

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