Mensch & Arbeit

Mitarbeiterintegration

Auf die ersten 100 Tage kommt es an

Ob ein neuer Mitarbeiter aus dem Ausland kommt, aus einer anderen Branche oder ob er bisher einfach nur in einer anderen Unternehmensform gearbeitet hat: Jeder neue Mitarbeiter bringt eine eigene Kultur mit. Für eine reibungslose und effiziente Zusammenarbeit ist deshalb eine systematische und dennoch immer wieder individuelle Integration und Einarbeitung unerlässlich.
PDF Kaufen

Während sich die Unternehmensleitung ein möglichst buntes, multikulturelles Team auf die Zielfahne schreibt, sind die Mitarbeiter oft noch damit beschäftigt, «den Neuen» kennenzulernen, Aufgaben abzugrenzen und zu übertragen. Dabei kommt es leicht zu Irritationen – sowohl bei den bestehenden Mitarbeitern als auch bei den neuen Angestellten. Für diese stehen neben der inhaltlichen und fachlichen Herausforderung einer möglichst schnellen und effizienten Einarbeitung auch die Unternehmenskultur, die Führungsphilosophie und der Aufbau eines internen Netzwerks auf dem Einarbeitungsplan.

Noch deutlicher wird diese Mehrfachbelastung, wenn es sich beim «Neuen» um eine Führungskraft handelt: Selbstverständlich bringt er die fachliche Expertise, Führungskompetenzen und die grundsätzlich passenden persönlichen Eigenschaften mit, ist aber gleichzeitig zunächst lediglich «Titelträger». Ob als Geschäftsführer, Werkleiter oder neuer Personalchef, eine Reputation und eine respektierte Position im Unternehmen muss er sich erst verdienen. Zugleich gilt es, den persönlichen Kontakt zu den neuen Kollegen und Mitarbeitern aufzubauen, um so eine vertrauensvolle Beziehung zu schaffen.

Drei Beispiele zeigen, welche Herausforderungen und Schwierigkeiten auf neue Mitarbeiter und Unternehmen zukommen und wie diese gelöst werden können:

Beispiel 1

In einem mittelständischen Unternehmen wird ein Kaufmännischer Leiter gesucht; aus den eigenen Reihen ist jedoch keine angehende Führungskraft qualifiziert genug. Um die vakante Stelle adäquat besetzen zu können, wird extern nach geeigneten Kandidaten gesucht – und ein passender Bewerber gefunden, der die fachlichen Voraussetzungen erfüllt und menschlich ins Unternehmen passt. Das Problem: Er kommt aus einem Konzernumfeld mit klaren Organisationsstrukturen, vorgegebenen Abläufen und eindeutigen Zuständigkeiten – wohingegen Strukturen im Mittelstand von kurzen Entscheidungswegen und mehr Improvisation im Alltag geprägt sind. Ausserdem sind in Konzernen die Aufgaben arbeitsteiliger, das Zuständigkeitsgebiet des Einzelnen ist also wesentlich enger gefasst. Oft wird zwischen strategischen und operativen Aufgaben getrennt, im Mittelstand übernimmt das dagegen meist eine Person. Die Methodenkompetenz der Mitarbeiter, insbesondere der Führungskräfte, hat in Konzernen einen höheren Stellenwert – wollen und müssen Konzerne doch eine Vorreiterrolle am Markt einnehmen. Dennoch kann es, wie im oben geschilderten Fall, für mittelständische Unternehmen von Vorteil sein, eine qualifizierte Führungskraft aus einem Konzern einzustellen: Nämlich dann, wenn Mittelständler so gewachsen sind, dass klare Strukturen unerlässlich sind. Diese können durch den betreffenden Mitarbeiter aus dem Konzernumfeld eingeführt werden.

Auch Mitarbeiter aus mittelständischen Unternehmen können ihre Stärken in Konzerne einbringen. Wenn dort beispielsweise durch Ausgründungen mittelständische Einheiten geschaffen werden, ist ihre fachliche Breite und der Mut zu schnellen Entscheidungen gefragt.

Wichtiger als die Gesellschaftsform, aus der die Führungskraft kommt, ist allerdings ihre Persönlichkeit. Bringt sie ein grosses Mass an Flexibilität, Offenheit, Kommunikationsfähigkeit und Selbstständigkeit mit oder fühlt sie sich in autoritären Strukturen wohler? Ist er/sie ein Veränderer oder jemand, der gerne vorgegebene Wege weiter beschreitet? Welche Führungsphilosophie vertritt er? Hier ist es für das Unternehmen wichtig, sich zunächst selbst Klarheit über die eigene Ausrichtung und Wünsche für die Zukunft zu verschaffen. Was soll durch die Neubesetzung einer Position erreicht werden? Sowohl im Bewerbungsgespräch als auch nach der Einstellung sollte immer wieder abgeglichen werden, ob beide Parteien dasselbe Verständnis hinsichtlich des Ziels und des Wegs dorthin haben.

Beispiel 2

Ein Automobilzulieferer sucht einen neuen Leiter für den Bereich Werkstoffentwicklung. Da die Führungsspanne lediglich aus zwei Mitarbeitern besteht, kann man sich für diese Aufgabe gut jemanden vorstellen, der noch nicht über Führungserfahrung verfügt. Der Kandidat soll zwar grundsätzlich Führungskompetenzen aufweisen, praktische Erfahrungen in der Personalverantwortung sind aber kein Muss. Bei den Wettbewerbsunternehmen findet sich nun ein entsprechender Kandidat, der fachlich hervorragend qualifiziert scheint und sich darüber hinaus in eine Führungsaufgabe hineinentwickeln möchte.

Ein kleines Hindernis ist allerdings, dass der Kandidat insgesamt sehr introvertiert auftritt und in der Kommunikation recht ungeübt wirkt. Aufgrund seiner fachlichen Expertise entscheidet sich das Industrieunternehmen aber dennoch, dem Führungsneuling eine Chance zu geben.

Grundsätzlich gibt es nun mehrere Möglichkeiten: Das Unternehmen stellt der neuen Führungskraft entweder einen externen Coach zur Verfügung oder einen erfahrenen Kollegen, der ihn als Mentor unterstützt. Nicht jeder Kollege ist dafür allerdings geeignet, vor allem nicht der direkte disziplinarische Vorgesetzte, da er in Zielkonflikte geraten könnte.

Ein Mentor sollte sich durch soziale Kompetenz auszeichnen, gut erklären und zuhören können, in allen Belangen Vorbild sein und gute Kontakte im Unternehmen haben. So gelingt die Integration der neuen Führungskraft schneller. Um in die Führungsrolle hineinzuwachsen und seine eigene Führungspersönlichkeit zu entwickeln, ist ein externer Coach ratsam. Anders als beim Mentoring geht es beim Coaching nicht um die Weitergabe von beruflichem Erfahrungswissen. Der Coach verfügt über die höhere Methodenvielfalt und ist erfahrener Prozessberater – kann also gezielter die Leistungsfähigkeit und speziellen Kompetenzen des Mitarbeiters fördern. Besonders wichtig ist auch seine Neutralität. Denn sie stellt sicher, dass der Klient seinen eigenen Weg im Unternehmen finden kann.

Darüber hinaus helfen in der Anfangsphase Feedbackgespräche zu Dingen, die gut laufen oder optimiert werden sollten. Wichtig ist, dass sowohl die neue Führungskraft als auch der Vorgesetzte offen über die Situation und ihre Einschätzung der Lage sprechen. So können Kleinigkeiten beseitigt werden, bevor sie zu grossen Problemen heranwachsen. Entsprechende Checklisten ergänzen solche Gespräche sinnvoll und erleichtern die Bestandsaufnahme zum Ende der Probezeit.

Beispiel 3

Ein mittelständischer Maschinenbauer sucht einen Projektleiter, der Outsourcing-Projekte nach Osteuropa vornehmen soll. Kenntnisse über den osteuropäischen Maschinenbaumarkt und die technisch komplexen Produkte sind bei der Auswahl wesentliche Kriterien. Als Projektleiter hat derjenige die Verantwortung für fünf Mitarbeiter und zudem interne Schnittstellen (z.B. zum Einkauf, zur Produktion oder zur Qualitätssicherung). Das Unternehmen entscheidet sich für einen Projektleiter aus Osteuropa, der allerdings bisher weder in der Schweiz noch für ein schweizerisches Unternehmen gearbeitet hat.

Bereits in der Einarbeitungsphase werden eklatante Kulturunterschiede deutlich: eine andere Arbeitsweise, unterschiedliche Wertvorstellungen und immer wieder (auch sprachlich bedingte) Missverständnisse. Für den neuen Projektleiter sind bestimmte Anforderungen und Gegebenheiten längst nicht so selbstverständlich wie für die deutschen Kollegen. Dabei geht es oft um fachfremde Themen wie angemessene Kleidung, Pünktlichkeit oder den Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen.

In solch einem Fall ist es wichtig, dass der neue Projektleiter auch privat Fuss in der Schweiz fasst. Wenn man internationale Mitarbeiter rekrutiert, sollte man sie über das Berufliche hinaus unterstützen, etwa bei der Wohnungssuche oder bei der Auswahl der Schule für die Kinder. Oder aber den neuen Kollegen bei Amtsbesuchen begleiten, Sprachkurse buchen und als Ansprechpartner immer zur Verfügung stehen. Ein solcher Ansprechpartner könnte zum Beispiel ein Mitarbeiter aus dem Personalwesen sein. Oder aber das Unternehmen zieht einen Coach hinzu, der den Stelleninhaber unterstützt, sich im neuen Kulturkreis zu etablieren. Unabhängig davon sollte man sich aber immer vor Augen halten, dass in anderen Kulturkreisen andere Werte und Tugenden wichtig sind; nicht überall sind Pünktlichkeit und Genauigkeit selbstverständlich. Wichtig ist es, die «Missverständnisse» und Probleme direkt anzusprechen und dem neuen Mitarbeiter zu erklären, worin die Unterschiede liegen.

Teams, die international zusammengesetzt sind, sind in vielen Unternehmen aber nicht nur eine Notwendigkeit, sondern bringen diverse Vorteile mit sich: Ausländische Mitarbeiter helfen, die Anforderungen und die Mentalität der internationalen Kundenklientel besser zu verstehen – vor allem in Bereichen wie Vertrieb, Marketing, Logistik und Einkauf. Aus­serdem bereichern unterschiedliche Sichtweisen die Kreativität und sichern verbesserte Problemlösungen und Entscheidungen. Ist das Team erst einmal eingespielt, wird das Unternehmen als Ganzes innovativer und produktiver. Denn letztlich gilt in Unternehmen wie in der Biologie: Vielfalt ist die Grundlage allen Lebens und Variantenreichtum der Schlüssel zum Erfolg.