Marketing & Vertrieb

Lean Customer Experience

Wie Kundenpotenziale noch besser auszuschöpfen sind

Lean Customer Experience – die kontinuierliche Veränderung zum Besseren mit Fokus auf den Kunden – erlebt grossen Aufschwung. Drei Ansätze liefern wichtige Impulse zur Ausschöpfung der Kundenpotenziale: Unternehmen müssen auf Kundenbedürfnisse eingehen, Informationen zur Verfügung stellen und Kunden begeistern.
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Die meisten Unternehmen haben den Kundenfokus in ihre Unternehmens­strategie integriert. Der Verkaufsprozess wird zur Perfektion gebracht. Weitere Kundenprozesse wie etwa die Bearbeitung von später auftauchenden Kunden­bedürf­nissen werden hingegen oft vernachlässigt. Der Kunde macht hingegen keinen Unterschied. Für ihn zählt jede einzelne Erfahrung mit dem Unternehmen. Er wünscht ein konsistentes Erlebnis über sämtliche Berührungspunkte hinweg. Gemäss einer Studie von SAS/Experience 2030 (2020) würde jeder dritte Kunde eine Marke nach einem schlechten Erlebnis nicht mehr berücksichtigen.


Den Kunden begleiten

Das Verhalten und die Erwartungen seiner Kunden zu kennen, ist anspruchsvoll. Dem Unternehmen müssen die Erlebnisse sämtlicher Berührungspunkte, die ein Kunde mit dem Unternehmen hat, bekannt sein. Gespräche reichen oft nicht aus, eine schriftliche Befragung ebenfalls nicht. Eine Kombination von Methoden ermöglicht ein umfassendes Bild der Bedürfnisse der Kunden, auch solcher, die von ihnen nie explizit genannt werden. Die Begleitung des Kunden ist dabei eines der geeignetsten Instrumente, um mehr über die Bedürfnisse und Herausfor­derungen der Kunden zu erfahren. Im Idealfall sind es Fachleute (User Researcher), die in sogenannten Walkthroughs einige Kunden begleiten. Sie weisen den Kunden an, zu erzählen, was er erlebt, beobachten ihn und stellen je nach Si­tuation passende Fragen. 

Kundenkontaktstellen liefern ebenfalls wertvolle Informationen über den Kunden. Mitarbeiter im Verkauf kennen die Fragen und Bemerkungen der Kunden, Mitarbeiter im Kundendienst die Problemfälle und Beschwerden. Ob der Kunde eine Frage stellt, eine Anmerkung macht oder ob er sich beschwert – alle Angaben müssen gesammelt werden und in den Optimierungsprozess einfliessen. Wenn beispielsweise immer wieder Kunden nach einem Termin ausserhalb der Öffnungszeiten fragen, sollte auf dieses Kundenbedürfnis eingegangen und die Öffnungszeiten angepasst werden. Es könnte einen Wettbewerbsvorteil verschaffen oder zumindest einen -nachteil mindern. Ein kontinuierliches Hinterfragen und Anpassen der Abläufe und Produkte an diejenigen der Kunden ist somit zentral. Unternehmen müssen ständig danach streben, die Vorreiterrolle einzunehmen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Spätestens wenn ein Unternehmen das Kundenerlebnis verbessert, müssen die Wettbewerber nachziehen. 

Im Sinne eines Exkurses ist zu erwähnen, dass viele Kunden Einfachheit wünschen. Eigentlich möchten sie sämtliche Einkäufe unterwegs am Handy oder am Abend auf dem Sofa erledigen. Deshalb hat die Digitalisierung auch bei Kunden eine Akzeptanz. Durch die Einschränkungen seit Ausbruch der Pandemie wurde dieses Bedürfnis zusätzlich gesteigert. 


Informationen bereitstellen

Der Kunde hat ein Interesse an Informationen. Die Informationen müssen passend sein und dem Kunden über die gewünschten Kanäle zur Verfügung gestellt werden. Der Fokus muss auf einfacher Sprache liegen. Formulierungen sämtlicher Botschaften müssen auf die Zielgruppe abgestimmt werden. Selten versteht der Kunde Fachsprache. Unpräzise Formulierungen und ungeschickt gewählte Wörter können zu Verwirrung führen. Dabei muss ein Unternehmen sich immer die Frage stellen, was den Kunden interessieren könnte. Kurz nach dem ersten Lockdown, als die Frage nach der Relevanz von Aerosolen für die Pandemie in den Medien breit diskutiert wurde, warb beispielsweise ein Gastronomiebetrieb damit, wie oft in seinen Räumlichkeiten die Luft ausgetauscht werde. Gewisse Kunden konnten mit dieser Information bestimmt gewonnen werden. 

Hat der Kunde kein Verständnis für einen Sachverhalt, wünscht er Erklärungen. Ein Kunde hat beispielsweise seine negative Bewertung auf Google zu einem Unternehmen deutlich verbessert, nachdem der Besitzer des Unternehmens ihm den Sachverhalt erklärt hat. Erfordert eine negative Bewertung eine Erklärung des Unternehmens, muss dieses seine Kommunikation kritisch hinterfragen und gegebenenfalls anpassen. Eine Erklärung muss idealerweise dort verfügbar sein, wo ein Kunde sie erwartet, zum Beispiel auf der Homepage. Auch hier liefern Mitarbeitende wertvolle Ideen für die kontinuierliche Informationsverbesserung: aus Gesprächen mit Kunden, die Erklärungsbedarf haben.

Trotz vieler wichtiger Informationen muss sich ein Kunde in kurzer Zeit einen Überblick verschaffen können. So soll beispielsweise die Homepage eines Unternehmens auf einen Blick verständlich machen, was das Unternehmen anbietet. Sie darf also auch nicht überladen sein. Information soll deshalb nicht nur aus Text bestehen. Visualisierungen mit Symbolen oder Fotos dienen der Vereinfachung und wirken auflockernd. Kurze Videos sind ebenfalls beliebt. Zur Sicherstellung des Verständnisses sollen Infor­mationen vorgängig getestet werden, entweder von Usability-Spezialisten oder von einer Auswahl von nicht beteiligten Personen. Zudem müssen relevante Kanäle aktiv bewirtschaftet werden. Änderungen wie etwa die Öffnungszeiten müssen tagesaktuell sein. Öffentlich publizierte Anfragen oder negative Rezensionen müssen unbedingt beantwortet werden. Die Antworten müssen kurz und knapp ausfallen und individuell auf die negative Bewertung eingehen. Nach wie vor verwenden Unternehmen auf Bewertungsplattformen häufig standardisierte Antworten. Sowohl unbeantwortete Bewertungen als auch Standardantworten machen einen schlechten Eindruck. 

Ein «Wow» erzeugen

Der Kunde muss begeistert werden. Egal ob es ein Spass-, ein Design- oder ein Überraschungselement ist, das Produkt oder die Dienstleistung muss beim Kunden ein «Wow» erzeugen. Die Möglichkeit, an einem Online-Spiel teilzunehmen und je nach Punkten bessere Chancen für einen Gewinn zu haben, löst beispielsweise Spass aus. Eine hochwertige Verpackung vermittelt ein attraktives Erscheinungsbild. Bringt ein Unternehmen einen Snack als Dankeschön für den Auftrag zum Kunden, ist dies eine Überraschung für den Kunden. Dazu kommt, dass gemäss einer Untersuchung von Gallup (2018) drei von vier Personen ein begeisterndes Erlebnis weitererzählen. Die Erzeugung eines Wows beim Kunden ist also ein wichtiges Marketing-Instrument. 

Es ist aber auch zu beachten, dass begeisternde Elemente nicht nachhaltig sind. Alles, was ursprünglich begeistert, wird zur Gewohnheit. Zudem übernehmen die Wettbewerber die Ideen. Als die erste Krankenversicherung ihren Kunden ermöglichte, die Belege per Handy ein­zuscannen und einzureichen, war dies bahnbrechend und begeisterungswürdig. Bald sind die übrigen Versicherungen nachgezogen. Heute hat eine Versicherung einen Wettbewerbsnachteil, wenn sie diese Möglichkeit nicht anbietet. Für die Kunden ist diese Leistung inzwischen ein Standard geworden. Sie haben sich an die einfache Handhabung gewöhnt und erwarten sie von einer Versicherung.

Dasselbe gilt für Hotels, die am Nachmittag Kaffee und Kuchen bereitstellen. Dies wird mittlerweile vom Kunden erwartet. Noch nicht etabliert ist hingegen, wenn ein Hotel den Check-out-Prozess nach Verfügbarkeit verlängert. Das Reinigungspersonal kann eh nicht alle Zimmer gleichzeitig reinigen. Wenn der nachfolgende Gast später anreist, warum nicht eine Verlängerung ermöglichen?

Wichtig ist, dass ein Unternehmen sich bei begeisternden Elementen auch an anderen Branchen orientiert. Ein Detailhandelsbetrieb muss etwa seinen Online-Shop an anderen Online-Shops ausrichten. Mitarbeitende sollen unbedingt in die Ideensuche einbezogen werden. Jeder von ihnen ist selbst als Kunde unterwegs und macht Erfahrungen mit Unternehmen. Sie ermöglichen eine Multiplikation von Ideen.


Mitarbeitende einbinden

Allen Ansätzen gemeinsam ist die kontinuierliche Weiterentwicklung aus der Lean-Welt. Die Bedürfnisse der Kunden ändern sich, ob gesellschaftlich bedingt oder wegen attraktiveren Angeboten der Wettbewerber. Entsprechend müssen Prozesse und Produkte stetig hinterfragt und weiterentwickelt werden. Auch die Informationen zum Unternehmen – oftmals Begriffe und Erklärungen – müssen kontinuierlich angepasst werden. Ebenso begeisternde Elemente: Sie müssen stetig neu kreiert werden. 

Der Gedanke, die Mitarbeitenden in den Optimierungsprozess einzubinden, ist ebenfalls in allen Ansätzen verankert. Auch er gehört zu den Lean-Prinzipien. Die Mitarbeitenden an der Front sind täglich in Kontakt mit den Kunden. Niemand anderer kennt die Kundenbedürfnisse besser, auch nicht die Vorgesetzten. Die Mitarbeitenden wissen, welche Informationen die Kunden wünschen. Diese Kenntnis ermöglicht es dem Unternehmen, sicherzustellen, dass die gewünschten Informationen auf geeigneten Kanälen bereitgestellt werden. Auch für die Ideensuche nach begeisternden Elementen können die Mitarbeitenden einen wichtigen Beitrag leisten. Es ist also zentral, das Personal auf kontinuierlicher Basis in die operative und strategische Weiterentwicklung einzubeziehen. 


Schlussbemerkung

Die drei Ansätze liefern wichtige Impulse zur besseren Ausschöpfung des Kundenpotenzials. In der permanenten Anstrengung eines Unternehmens zum Bestehen auf dem Markt können sie den Ausschlag geben. Um Kunden zu gewinnen, reichen sie jedoch nicht aus. Ein attraktives Kunden­erlebnis ist zwar ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Es braucht jedoch weitere Verkaufs- und Marketinginstrumente. Auch die Eigenschaften des Produktes sind bedeutend. 

Viele Unternehmer sind der Meinung, dass sie ihr Angebot auf den Kunden ausrichten. Entscheidend ist jedoch die Meinung der Kunden. Sie sind diejenigen, die bestimmen, ob sie die Leistung eines Unternehmens künftig wieder in Anspruch nehmen. 

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