Marketing & Vertrieb

Markenführung

Was Unternehmen von Vertical Brands lernen können

«Digital Native Vertical Brands» managen und kontrollieren ihren eigenen Vertrieb, ohne sich dem Handel auszuliefern. Der Weg dieser Unternehmen führt direkt zum (End-)Kunden: Direct to Consumer (D2C) ist ein Trend in Verkauf und Vertrieb. Was zeichnet Vertical Brands aus, was lässt sich von ihnen lernen?
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Casper ist ein Beispiel für ein Unternehmen, dem es gelungen ist, als Digital Native Vertical Brand am Handel vorbei den direkten Weg zum Kunden zu finden und den Markt aufzumischen. Und zwar den mit Matratzen. Casper hat es geschafft, sich grosse Anteile am hart umkämpften Markt der Schlafunterlagen zu sichern. Und das, ohne sich in das «gemachte Bett» des Handels zu legen. Der Erfolgsweg des Unternehmens zeigt, dass Business heute (oft) anders geht.

Direkt zum Verbraucher

Welche Eigenschaften zeichnen Vertical Brands und den Direct-to-Consumer-Ansatz aus? Entscheidend ist: Sie werden digital geboren. Denn sie verbreiten ihre Produktinfos zunächst einmal «nur» über zielgruppenspezifische Kanäle, oft über Social Media, und bauen dort eine massive Followerschaft auf, die die Marke und die Produkte liebt. So entsteht eine enge Bindung zwischen Produkt und Zielgruppe – und schliesslich ein Sog, der via App oder Social Media direkt in Käufe umgesetzt werden kann. Dies gelingt oft massenhaft, indem jener Sog durch Coupons, Bonusaktionen, Gewinnspiele und Wettbewerbe verstärkt wird. Vertical Brands kontrollieren die Verkaufsstrecke zum Kunden und halten sie kurz. Marketing erfolgt lediglich durch die kundenzentrierte Kommunikation über die Abverkaufskanäle. Zwischenhandel gibt es nicht. Dass die Produkte nur über bestimmte Kanäle gekauft werden können, erhöht die Sogwirkung erneut. Die Unternehmen veredeln ihre Produkte durch die Verknappung der Kaufmöglichkeiten. Nur die eingeweihten Follower ­wissen, wie und wo sie sie kaufen können. Firmen wie Casper haben es sich auf die Fahnen geschrieben, die Kundenbindung mithilfe bewegender emotionaler Erlebnisse zu vertiefen. So bildet sich nach und nach eine eingeschworene Gemeinschaft, deren Mitglieder sich mit dem Produkt und dem Unternehmen identifizieren.

Wertegemeinschaft bilden

Nicht jedes Unternehmen verfügt über die Möglichkeit, sich zum Digital Native Vertical Brand zu entwickeln und am Handel vorbei zu agieren. Trotzdem lässt sich von den Vertical Brands einiges lernen, weil diese konsequent darauf setzen, eine identitätsstiftende Wertegemeinschaft zu bilden, die nicht dadurch zusammengehalten wird, dass eine gelungene Geschäftsbeziehung entsteht, sondern vielmehr eine wertegetriebene Gemeinschaft, die denselben Lifestyle pflegt. «Business geht heute anders» bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Werteorientierung wichtiger ist als Wertschätzung und Wertschöpfung. So können sich Unternehmen und Kunden durch den Wert der Nachhaltigkeit verbunden fühlen. Sie sind vereint in dem Willen und der Überzeugung, dass sie Produkte herstellen und verkaufen beziehungsweise kaufen, die der Welt nutzen, weil so zum Beispiel Ressourcen erhalten und geschont werden. Natürlich agieren auch Vertical Brands gewinn­orientiert. Gewinn heisst jedoch in ihrer Wertewelt nicht, auf dem Rücken anderer Ressourcenraubbau zu betreiben.

Zum Lifestyle-Anbieter werden

Vertical Brands legen grossen Wert auf die authentische und direkte Kommunikation mit dem Kunden, nachdem er gekauft hat. Der Kunde ist eben nicht nur ein Käufer, sondern Mitglied derselben Wertegemeinschaft. Darum bieten sie einen ausgesprochen persönlichen und individualisierten Service, entwickeln die Kunden zu Fans und Followern und ziehen viral neue Interessenten an, die sich denselben Werten verpflichtet fühlen. So entstehen massive digitale Verkaufserfolge – danach aber diversifizieren Vertical Brands oft in den stationären Handel, so wie etwa Casper mit den Dreamerys. Das Unternehmen bietet seinen Kunden an, eine Auszeit vom Alltag zu nehmen. Die prototypische Dreamery ist kein Matratzenoutlet oder Showroom, sondern eine stylische Location in New York mit kleinen, schön designten «Schlafkammern», in die der Kunde sich via Internet mit «Schlafzeiten» oder einem Powernap einbuchen kann. Nachdem sich das Unternehmen also zunächst als «Experte für das richtige Schlafen» einen Namen gemacht hat, hat es sich im nächsten Schritt als «Experte für das richtige, moderne Leben» etabliert. Vertical Brands gelingt es mit dem kundennahen Konzept oft, sich vom Anbieter einer überschaubaren Produktpalette zum Lifestyle-Anbieter zu entwickeln. Gerade in Zeiten von Plattformökonomie und Vertical Brands kommt es auf den persönlichen Kontakt an. H2H meint Human to Human, vor allem im Vertrieb hochpreisiger und erklärungsbedürftiger Güter und Leistungen gewinnt derjenige, dem es gelingt, eine persönliche Beziehung zum Kunden «von Mensch zu Mensch» aufzubauen.

Emotionale Kundenbindung

Während der Omnichannel-Optiker Mister Spex mit einer wachsenden Zahl an innerstädtischen Ladenlokalen begeistert, überzeugt der Schuhhersteller Allbirds mit designstarken Stores etwa in New York und Berlin, die eher an eine Galerie als an einen Sneakershop erinnern. In den stationären «Ladenlokalen» geht es vor allem darum, dass die Kunden die Produkte als cool, persönlich, liebevoll und ungewöhnlich erleben können. Wiederum zeigt sich: Vertical Brands leben Kundenorientierung und emotionale Kundenbindung wahrhaftig und können so Vorbilder für Unternehmen sein, die sich ebenfalls direkt an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden orientieren wollen – und dann «nur noch» lernen müssen, die Verkäufe viral anzu­kurbeln. Aus ihrer Gründungsgeschichte heraus sind Digital Native Vertical Brands, die Direct to Consumer verkaufen, Digitalgründungen, Digitalshops oder Digitalmarken. Von üblichen E-Commerce-An­bietern unterscheidet sie, dass sie keine Drittprodukte, sondern eigene Angebote vertreiben, die nicht selten aus einem im Dialog mit potenziellen Kunden, etwa via Youtube oder Instagram, heraus erkannten Bedürfnis entstanden sind. Häufig starten solche Gründungen mit einem einzigen, intelligent kalkulierten «Knaller-Produkt».

Die Prinzipien adaptieren

Etablierte Unternehmen müssen und können nicht denselben Weg gehen; dies ist aufgrund ihrer Struktur kaum möglich. Allerdings: Zumindest können sie lernen, die Prinzipien der Vertical Brands zu adaptieren: «Wie gelingt es uns, insbesondere in der virtuellen Welt, uns durch den direkten Zugang und Kontakt zum Kunden an dessen Werten, Wünschen und Bedürfnissen zu orientieren?» Interessant ist, dass auch traditionelle Unternehmen unter neuen, coolen Marken auf den Direct-to-Consumer-Zug aufgesprungen sind. Bonobos etwa ist der Digital-Native-Vertical-Brand-Ableger des US-Konzerns Walmart – wobei Walmart selbst die Produkte gar nicht in seinen Läden verkauft, sondern (nur) in den USA online über jet.com und stationär in smart aufgemachten sogenannten Guide Shops. Und Amazon, bekanntlich ein Onlineversandhändler und Software-Riese, führt selbst rund 80 solcher durchaus erfolgreichen Marken, darunter Arabella Lingerie (Damenwäsche) und Beauty Bar (Kosmetik). Dies sollte Ansporn genug sein, von den Digital-Native-Vertical-Brands zu lernen.

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