Marketing & Vertrieb

E-Commerce

Warum Facebook nicht der einzige Verkaufskanal werden sollte

Chatbots auf Facebook führen zukünftig Verkaufsgespräche und machen Webshops Konkurrenz. Wird das Einkaufen via Facebook-Messenger zukünftig E-Commerce bestimmen? Ein Blick in die Welt der Verleger zeigt, warum Webshop-Betreiber vielmehr auf einen Vertriebsmix setzen sollten.

Geht es nach Facebook, spielt sich E-Commerce zukünftig in ihrem Messenger ab. Neu sollen Nutzer von Anzeigen im Newsfeed in den Facebook-Messenger gelangen und dort in eine Interaktion mit einem Roboter verwickelt werden, wie das Unternehmen jüngst am Web Summit in Lissabon verlauten liess. Möglich machen soll es die immer besser werdende Technologie der Chatbots. Eine neue Verkaufsoberfläche ist im Begriff zu entstehen. Doch wird sie Webshops, wie wir sie heute kennen, auch ablösen?

Abhängigkeit steigt

Webshop-Betreiber tun gut daran, auf Diversifizierung zu setzen und genau zu prüfen, wie der neue Verkaufskanal zur Vertriebsstrategie passt. Ein Blick in die Welt der Verleger zeigt, warum. Welche Artikel Nutzer zu Gesicht bekommen, respektive im Newsfeed auftauchen, entscheidet die Plattform, nicht die Leserschaft. Die Abhängigkeit der Verlage von Facebook wurde durch die Einführung von «Instant Articles» noch grösser. Verlage können ihre Artikel seit 2015 direkt auf Facebook veröffentlichen.

Damit geben sie ihre Inhalte komplett aus der Hand und überlassen das Schicksal ihrer Artikel den Algorithmen. Gründer Mark Zuckerberg kam dadurch seinem Ziel, «die beste personalisierte Zeitung der Welt» zu machen, ein grosses Stück näher. Paradoxer könnte die Situation nicht sein: Die Plattform half Zeitungen, ihre Leserschaft zu vergrössern. Gleichzeitig degradierte sie ihre Partner – im Falle von «Instant Articles» – zu reinen Zulieferern.

Die Abhängigkeit von Dritten im Vertrieb wird durch Facebooks Pläne unweigerlich grösser. So beurteilt auch Sascha Lobo, Journalist und Social-Media-Aktivist der ersten Stunde, diese Entwicklung kritisch. «Sprache als Interface verschiebt die ökonomische Macht dramatisch in Richtung der Plattformen», so Lobo in seiner Kolumne auf «Spiegel Online».

Aufhorchen lassen sollte insbesondere, dass gemäss Jürgen Seitz, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart, Facebook und Google bis ins Jahr 2020 rund 85 Prozent des Programmatic Advertising-Markts beherrschen könnten. Wird der vollautomatische Einkauf von Werbeflächen in Echtzeit von zwei «Programmatic-Supermächten» dominiert, hätte dies unmittelbare Auswirkungen auf E-Shops, die mit dem Ökosystem-Facebook zusammenhängen.

Der richtige Mix zählt

Ausschliesslich auf den Messenger aus dem Menlo Park zu setzen, kann in die «Vertriebskanal-Falle» führen, aus der man später nur wieder schwer herauskommt. Verlage haben spät – viele zu spät – bemerkt, dass die Gratis-Abgabe von Inhalten ihre Position langfristig schwächt. Leserbindung funktioniert besser auf der hauseigenen App. Verlassen Kunden die Umgebung des Social-Media-Riesen nicht mehr, wähnen sie sich eben im «besten personalisierten Laden der Welt» zu sein – und nicht im entsprechenden Unternehmen.

Noch grösser wäre der Einfluss der Plattformen bei (Sprach-)Assistenten, egal, ob sie Siri (Apple), Alexa (Amazon) oder «M» bei Facebook heissen. Fragt man den Messenger etwa nach einem neuen Paar Skischuhe, schlägt der Assistent natürlich nur die Anbieter vor, welche den entsprechenden Werbeplatz vorgängig in Echtzeit ersteigert haben. Aber das kennt man schon heute von Google.

Zusatzangebote sowie Alleinstellungsmerkmale können so nicht wiedergegeben werden. Um Detailhandelsriesen erfolgreich die Stirn bieten zu können, koppeln Fachhändler vermehrt hauseigene Dienste mit den Produkten – vom Wartungsdienst bis hin zur Express-Lieferung ist alles dabei. Dadurch können sie sich in der digitalen Welt von der Konkurrenz abgrenzen.

Eine Differenzierung über den Preis ist aufgrund von Vergleichsportalen seit Längerem schwierig. Wo sonst als in einem Webshop liessen sich solche Zusatzangebote oder andere Alleinstellungsmerkmale optimal anpreisen? Und selbst wenn Chatbots mehrere Faktoren wie Preis, Service, etc. berücksichtigen könnten, würden sie nur auf gestellte Fragen antworten. Aber wie soll man nach etwas fragen, das man noch gar nicht kennt?

Anders verläuft die Customer Journey bei Einzelstücken. Kunden lassen sich Zeit, weil entsprechende Substitutionsgüter fehlen. Kauft man statt Designerlampe A lieber Designerlampe B, will dies gut überlegt sein. Natürlich gibt es auch in diesem Segment Spontankäufe. Bei allen anderen Journeys kommen webseiten­basierte E-Shops ins Spiel. Zudem hört die Customer Journey mit der Lieferung nicht auf.

Fehlt ein Webshop, müssen auch Aftersales-Prozesse über die Plattform laufen. Vielmehr müssen die Shopbetreiber darüber nachdenken, wie sie den neuen Verkaufskanal in ihre Strategie einfügen. Welche Produkte will man über den Messenger anbieten, welche nicht? Wo legt man das Schwergewicht? Vertriebsfachleuten sollten die Fragen vertraut sein. Nicht umsonst ist der Ort, resp. «Place», eines der grundlegenden «Ps» des Marketing-Mix (Product, Price, Place, Promotion). Was für den stationären Handel gilt, gilt in der digitalen Welt umso mehr.

Vertriebskanäle abstimmen

Chatbots haben im E-Commerce durchaus Potenzial. Sie ersparen Kunden das aufwendige Stöbern in FAQs, liefern spezifische Produktinformationen und können sogar Beschwerden entgegennehmen. All dies muss aber nicht zwingend in einer Messengerumgebung der grossen Plattformen stattfinden. Die neue Technologie lässt sich auch in Homepages, respektive Webshops oder als Service in hauseigenen Apps einbinden.

Kunden können durch den Webshop oder App geführt werden und dadurch auf eine neue Art emotional an die Marke gebunden werden, zumindest solange das Erlebnis noch neu ist. Eine andere Möglichkeit ist die Integration eines eigenen Chatbots in Facebook, wie bei «Mildred» von Lufthansa. Der virtuelle Nutzer mit dem Namen «@lh.bestprice» ist auf Facebook zu jeder Tageszeit bereit für einen Schwatz, kommt als freundliche Dame daher und schlägt Leuten die besten Lufthansaverbindungen vor.

Die zunehmende Zahl an digitalen Vertriebsmöglichkeiten müssen aufeinander abgestimmt werden und sind bestenfalls in ein darüber liegendes Kommunikationskonzept eingebettet. Der Facebook-Messenger kann zusätzlicher Touchpoint sein – auch wenn der Lead via Webshop generiert wird. Ist man auf der Suche nach einer neuen Inneneinrichtung, ist es nicht falsch, potenziellen Kunden Designerlampen zu zeigen. Im Grunde genommen geschieht dies schon heute mit den Facebook-Ads.

Webshops werden daher ihrer Rolle als zentrale, digitale Verkaufshubs auch zukünftig gerecht. Chatbots haben grosses Potenzial und können auch abseits von Facebook und Co vielfältig eingesetzt werden. Auf den richtigen Mix der Verkaufskanäle kommt es an. Dadurch gewinnt die Beratung an Bedeutung. Agenturen, die sowohl über Expertise im Marketing/Vertrieb als auch in der Entwicklung von digitalen Lösungen verfügen, sind hier klar im Vorteil.

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