Marketing & Vertrieb

Beziehungsmanagement

Selbstbewusst und mutig zurück zum Kunden

Immer mehr Berater, Verkäufer und Vermittler scheuen die direkte Konfrontation mit dem Kunden. Mit fatalen Folgen – der Kunde kündigt die Gefolgschaft auf. Wie lässt sich die unheilvolle Einstellung verändern, die zur Kundenflucht führt? Eine besondere Rolle dabei spielen die Führungskräfte.
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In unserer Beratungspraxis begegnen wir immer öfter dem Phänomen, dass Unternehmen Filialen und Niederlassungen schliessen – und sich damit die Möglichkeit nehmen, dem Kunden von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. «Der ist ja sowieso nur noch im Internet unterwegs», so die fadenscheinige Begründung. Und tatsächlich: Kunden recherchieren und kaufen zunehmend online. Nun sähe die konsequente unternehmerische Reaktion so aus: Die Firmen installieren an allen Kundenkontaktpunkten – neudeutsch: entlang der Customer Journey – ein effektives Multi-Kanal-Touchpoint-Management. Die Berührungspunkte mit dem Kunden werden rundumoptimiert und dem neuen Kundenverhalten angepasst. Doch was geschieht in vielen Branchen und Bereichen stattdessen? Die Unternehmen ziehen sich zurück. O-Ton eines Bank-Vorstands bei uns im Coaching: «Die Kunden kommen nicht mehr zu uns. Also schliessen wir Filialen, aber erst mal nur in der Fläche.»

Direkte Beratung geht zurück

Die modernen Kommunikationsmedien fördern und unterstützen den Hang vieler Berater, Verkäufer und Vermittler zur Bequemlichkeit. Aussendienstler scheuen sich, raus zum Kunden zu fahren. Denn in der direkten Begegnung mit Kunden, die nicht sofort abschliessen, sondern komplexe Fragen stellen und bei der Preisverhandlung kämpfen und tricksen, könnte es ja so richtig wehtun. Die Anzahl der Schmerzvermeider nimmt in erschreckendem Umfang zu.

Die Aussendienstler kommunizieren so oft wie möglich per Facebook, Twitter und Co., schreiben eine E-Mail und skypen und chatten lieber, statt in die unmittelbare Kundenbegegnung zu gehen.

Unser Befund: Viele Aussendienstler sind lieber virtuell unterwegs und auf der Flucht – vor dem Kunden. Bis dieser für immer und ewig flieht, weil er den Mehrwert der direkten Beratung durch Menschen aus Fleisch und Blut nicht mehr erkennen kann. Mangels Gelegenheit. Und wenn es tatsächlich einmal zur unheimlichen Begegnung der «dritten Art », also zum direkten Kundenkontakt kommt, trauen es sich die Aussendienstler nicht mehr zu, harte Verhandlungen zu führen und den Wert und den Preis ihres Produkts zu verteidigen.

Lieber überschütten sie das Verkaufsgespräch mit der Harmonie-Sosse, um eine Win-win-Situation herzustellen, bei der alles darauf hinausläuft, dem Kunden schnellstmöglich nachzugeben.

Flucht vor dem Kunden

Parallel dazu konstatieren wir eine ähnliche Entwicklung bei den Führungskräften: Diese scheuen das Mitarbeitergespräch wie der Teufel das Weihwasser. Lieber bereiten sie höchst effizient die nächste virtuelle Videokonferenz vor. Natürlich, das ist notwendig. Aber darunter darf nicht die direkte Kommunikation mit den Mitarbeitern leiden.

Früher war nicht alles besser. Aber früher waren im Aussendienst vor allem Menschen tätig, die Menschen mögen, die den direkten Kontakt und das unmittelbare Gespräch mit dem anderen suchen. Verkaufen – das ist eigentlich ein Verhaltensberuf von hoch kommunikativen Menschen. Mittlerweile, so unser Eindruck, streben immer Menschen in den Aussendienst, die lieber mit dem Smartphone kommunizieren als mit dem realen Kunden. Und die Ersteres auch viel besser können. Wir nennen das die Online-Bequemlichkeits-Haltung: «Der Kunde ist ja auch virtuell und online erreichbar, warum noch zu ihm rausfahren und sich mit ihm in den realen Clinch begeben?»

Auf jeden Fall wird durch diese Einstellung der Kunde zum unbekannten Wesen. Und vor dem Unbekannten hat man meist Angst. Das verstärkt die fatale Tendenz zur Flucht vor dem Kunden. Statt nun (wieder) näher an den Kunden heranzurücken, werden etwa von Energiekonzernen und Banken «Mehrwertpakete» geschnürt. Es gibt Finanzdienstleister, die im angehängten Shoppingportal online Reisen vermitteln. Wer jedoch sein Hauptprodukt nur noch verkaufen kann, indem er sachfremde Produkte ins Angebots­portfolio übernimmt und mit kräftigen Rabatten arbeitet, hat kapituliert und beweist lediglich, dass er dem eigenen Produkt nicht mehr vertraut. Und den Fähigkeiten seiner Führungskräfte und Mitarbeiter. Wo scheint eine Lösung auf?

Respekt ja, Angst nein

Berater, Verkäufer und Vermittler müssen wieder zum Kunden eilen und dort ihrer Hauptbeschäftigung nachgehen, nämlich qualifizierte Beratungen und kompetente Verkaufsgespräche durchführen. Eine respektvolle Haltung ist dabei durchaus angebracht, aber keine ängstliche. Der Ausdruck «Eier haben» als brachialer Hinweis darauf, grosse Herausforderungen mit Selbstbewusstsein, Überzeugungskraft, Mut und Gestaltungsenergie anzugehen, ist nicht erst seit dem deutschen Torwart-Titan Oliver Kahn salonfähig: Der ägyptische Pharao Ramses II. hat angeblich gemeint, er sei bereits im Mutterleib, vor der Geburt, sehr mächtig gewesen. Er umschrieb dies – so Benedict Wells in seinem Roman «Vom Ende der Einsamkeit» – mit dem Ausdruck «stark im Ei».

Soll heissen: Berater, Verkäufer und Vermittler und Sie selbst – im Prinzip das gesamte Unternehmen – müssen wieder die starke und unumstössliche Überzeugung und Gewissheit zurückerlangen, in der Begegnung und auch Auseinandersetzung mit dem Kunden überzeugen und gewinnen zu wollen und können.

Damit die Aussendienstler sich wieder zutrauen, schwierige Kunden zu überzeugen und komplexe Verkaufssituationen zu bewältigen, sollten ihre Führungskräfte sie in ein Box-Trainingslager schicken. Dort bauen sie im sprichwörtlichen und buchstäblichen Sinn die Angst ab, auch mal Schmerzen erleiden und Niederlagen einstecken zu müssen. Konfliktäre Verkaufsgespräche führen – das gehört dazu.

Dazu gehört ausserdem die «Stark-im-Ei»-Einstellung, alles für den Sieg zu tun: Kunden mit guten Argumenten überzeugen, Menschen emotional begeistern und sich durchboxen sowie felsenfest daran glauben, mit dem besseren Argument gewinnen zu können. Verkäufern, die sich mit ihren Produkten identifizieren und wissen, dass sie einen unschlagbaren Nutzen zu bieten haben, gelingt dies eher als Aussendienstlern, die von der eigenen Sache nicht 100 Prozent überzeugt sind.

Lernprozesse anstossen

Wer (wieder) gelernt hat, den Social-Media-Elfenbeinturm zu verlassen und in den harten Kundenclinch zu gehen, besinnt sich auf die ureigenen Tugenden eines motivierten Aussendienstlers zurück: in die Welt des Kunden eintauchen, seine Perspektive einnehmen, genau zuhören, präzise fragen, Bedarf und Erwartungen ermitteln, die eigene Problemlösung für das Engpassproblem des Kunden selbstbewusst mit Überzeugung darstellen und verteidigen.

Unternehmer und Führungskräfte sollten sich dabei wieder darauf besinnen, dass die Verkaufsmannschaft aus Individuen besteht, welche sich auf höchst unterschiedlichen Leistungslevels befinden: Die durchschnittlichen Verkäufer können im Box-Trainingslager von den Topperformern lernen.

Das Prinzip lautet: Mithilfe der Koordination des Lernprozesses durch die Führungskräfte werden die Verhaltensweisen der Besten auf andere, auch zukünftige Vertriebsmitarbeiter übertragen. Auf der Grundlage der Verhaltensweisen mit nachgewiesen hoher Performance entsteht ein Handbuch mit Best-Practice-Erfolgskonzepten, in dem bewährte Formulierungen zu erfolgreichen Gesprächseinstiegen, überzeugenden Argumentationsketten und kundennutzenorientierten Abschlüssen versammelt sind.

Die durchschnittlichen Verkäufer adaptieren diese Erfolgskonzepte, transferieren diese auf ihr Vorgehen in den Verkaufsgesprächen und wenden sie auch an. Die Folge daraus: Im Feedbackaustausch mit der Führungskraft setzt sich ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess in Gang.

Mit Mut und Klarheit führen

Entscheidend ist die Fähigkeit der Führungskraft, die mentalen Hürden im Kopf des Mitarbeiters zu erkennen und ihm zu helfen, sie zu überwinden.

Oft muss der Verkäufer oder Berater lernen, sich aus der Komfortzone heraus­zubewegen, sich gegen seinen inneren «Schweinehund» durchzuboxen und den Mut zu finden, die herausfordernde Kundenbegegnung zu bewältigen. Dazu sollte die Führungskraft mit dem Mitarbeiter zum Beispiel trainieren,

  • dass er das Preisverhandlungsgespräch gewinnen darf. Er muss die «Friede-Freude-Eierkuchen»-Mentalität ablegen und in der Auseinandersetzung mit unfairen Kunden über die Alternative verfügen, mit härteren Bandagen zu kämpfen;
  • alle Möglichkeiten zu nutzen, vor dem Verkaufsgespräch die eigene Position zu stärken;
  • die Situation detailliert zu analysieren und auf dieser Basis die eigenen Zielsetzungen auszuformulieren. Dann legt er fest, ob und wann er zurückweichen, offensiv zum Angriff übergehen, die Deckung verlassen und dem Kunden Zugeständnisse machen oder ihm entgegenkommen sollte. So eröffnet er sich einen viel breiteren Handlungsspielraum;
  • in den ihm besonders wichtigen Punkten unnachgiebig und konsequent zu bleiben;
  • das Widerspiel zwischen dem Interesse an der Beziehung zum Kunden und dem Interesse am Sachergebnis auszuloten. Dazu ein Beispiel: Wenn das Interesse am Sachergebnis und der Qualität der Kundenbeziehung aus welchen Gründen auch immer schwach ausgeprägt ist, kann der Mitarbeiter anders agieren als im umgekehrten Fall, wenn er also ein hohes Interesse an einem guten Ergebnis und einer stabilen Beziehung hat.

 

Fazit

Berater, Verkäufer und Vermittler müssen mit der Unterstützung der Führungskräfte und den Best-Practice-Verhaltensweisen der Topperformer wieder lernen, die Bequemlichkeitszone zu verlassen, die Angst vor dem Kundenclinch abzubauen und die offensive Begegnung mit dem Kunden zu suchen, selbst wenn diese schmerzhaft verläuft.

Porträt