Marketing & Vertrieb

Relationship-Commerce

R-Commerce und die Bedeutung der Kundenpsychologie

Das Prinzip des Relationship-Commerce bedeutet eine signifikante Verschiebung in der Art und Weise, wie digitale Kundenbeziehungen und Kundenbindung gehandhabt werden. Im Unterschied zum herkömmlichen E-Commerce fokussiert sich R-Commerce tatsächlich auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Menschen anstatt auf reine Verkaufszahlen.
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Relationship-Commerce (R-Commerce) priorisiert nicht zuerst reine Verkaufszahlen, sondern die individuellen Kundenbedürfnisse. Dieser Ansatz, der auf den ersten Blick selbstlos erscheint, offenbart sich bei genauerer Betrachtung als eine hochwirksame Geschäftsstra­tegie. Er verlangt jedoch eine intensive ­Beschäftigung mit Kundendaten und ­deren dahinterstehenden Bedürfnissen. 

Zudem erfordern strengere rechtliche Vorgaben und eine zunehmende Zu­rückhaltung der Kunden beim Teilen ihrer Daten eine grundlegende Neuausrichtung der Denkweise. Wie kann unter diesen Bedingungen eine personalisier­te, bedürfnisorientierte Kundenansprache realisiert werden? 

Die Evolution des R-Commerce

Der Kern des R-Commerce liegt im Aufbau nachhaltiger, tiefergehender Beziehungen zu Kunden. Es geht darum, die Wünsche und Anliegen der Kunden nicht nur zu erkennen, sondern sie als zentralen Bestandteil der unternehmensweiten Strategie zu begreifen. Indem Firmen ­unmittelbar und in Echtzeit auf Kun­denwünsche reagieren, entsteht eine ­engere Verbindung zwischen Marke und Käufer, die auf gegenseitigem Vertrauen und Verständnis basiert. 

R-Commerce erweitert den Fokus über reine Daten und Technologien hinaus und bezieht psychologische Faktoren mit ein, um die Kundenbedürfnisse tiefer­gehend zu verstehen und wirksame, nichtmanipulative Aktivierungsstrategien zu entwickeln. Dabei ist es essenziell zu erkennen, dass Kunden indivi­duell, sind und eine persönliche An­sprache ­erfordern.

Von Daten zu Beziehungen

R-Commerce baut auf den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie auf, welche die Entscheidungsfindung der Kunden beleuchtet. Viele Entscheidungen erfolgen unbewusst, basierend auf wiederkeh­renden Verhaltensmustern, sogenannten Behavior Patterns. Diese Muster sind stark kontextabhängig. So unterscheiden sich die Bedürfnisse einer Person, die von einem Schnäppchenblog kommt, von denen eines Menschen, der gerade einen bewegenden Film gesehen hat. 

Kontextabhängige Werbung, die die aktuelle Situation und Umgebung der Nutzer berücksichtigt, ist oft effektiver als rein verhaltensbasierte Personalisierungsstrategien. Denn Bedürfnisse und Ver­haltensweisen sind dynamisch und lassen sich nicht als feste Attribute an Kundenprofile anhängen.

Die Dynamik des Kunden­verhaltens: Zwischen Intuition und Kontextabhängigkeit

Die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse unterstreichen, dass der Aufbau von langfristigen, auf Vertrauen basie­renden Beziehungen wesentlich effektiver ist. Vertrauen verringert das Emp­finden, verkauft zu werden, und senkt Stress, was wiederum zu intuitiveren ­Entscheidungen und einer grösseren Offenheit für Beziehungen führt. 

Täglich treffen Menschen rund 20 000 Entscheidungen, von denen sie sich nur an wenige erinnern. Viele dieser Entscheidungen werden intuitiv getroffen, basierend auf tief verwurzelten Verhaltensmustern, was die Annahme der reinen Rationalität in menschlichen Entscheidungen infrage stellt.

Menschen tendieren überraschenderweise zu intuitiveren Entscheidungen bei geringerem Wissen und Entscheidungskompetenz. Diese scheinbare Unlogik erklärt, warum Personen in solchen Situationen komplexe Entscheidungsprozesse vereinfachen, sich auf soziale Signale wie «Kaufen andere das auch?» stützen, statt auf die eigentliche Notwendigkeit des Produkts zu fokussieren. 

Zurück zum Kern des Relationship-Commerce: Kunden werden hier nicht als passive Empfänger von Marketingbotschaften, sondern als aktive Teilnehmer behandelt, deren Vertrauen und Loyalität es zu gewinnen gilt. Dies erfordert nicht nur Aufmerksamkeit für die Situation und die Umgebung der Angesprochenen, sondern auch ein tiefgehendes Verständnis für die psychologischen Faktoren, die Kaufentscheidungen beeinflussen, wie Emotionen und persönliche Überzeugungen. Unternehmen, die eine positive emotionale Verbindung aufbauen und Empathie zeigen, können dadurch nicht nur Kunden besser verstehen, sondern auch lang ­anhaltende, vertrauensvolle Beziehungen schaffen, die über blossen Produkt- und Geldtausch hinausgehen.

Intuitive Entscheidungen und die Rolle der Marke im ­Kundenvertrauen

Um Vertrauen zu etablieren, ist die Stärke einer Marke von grosser Bedeutung. Eine überzeugende Marke beeinflusst positiv das Vertrauensverhältnis und zeigt sich in verschiedenen Interaktionen, wie etwa höheren Zustimmungsraten zur Eröffnung eines Kundenkontos oder der In­teraktion mit Werbemitteln. Eine starke Marke fördert ausserdem die Kundenloyalität. Im Gegensatz dazu erschwert eine schwache Marke den Aufbau von Vertrauen und mindert die Kundenbindung. 

Markenstärke als Fundament 

Angesichts der zunehmenden Skepsis ­gegenüber Marken, wie aktuelle Studien der Havas Group und von Serviceplan aufzeigen, ist es für Unternehmen un­erlässlich, ihr Markenvertrauen wieder­herzustellen. Dies erfordert eine Positio­nierung der Marke als vertrauenswürdigen, sinnstiftenden Orientierungspunkt. Authentizität, Empathie und ein bedürfnisorientierter Ansatz spielen hier eine entscheidende Rolle. In unsicheren Zeiten wird die Bedeutung von Marken, die Sicherheit und Sinn bieten, grösser. Marken, die ihren Kunden echten Mehrwert bieten und sich als sinnstiftend positionieren, können in solchen Zeiten erfolgreich sein.

Heutzutage erwarten Menschen, dass Marken aktiv an der Bewältigung globaler Probleme teilnehmen. Eine ausgeprägte Markenidentität, die die Bedürfnisse der Käufer versteht und in den Vordergrund stellt, wird immer essenzieller. Marken, die ihren Kunden echten Nutzen bieten und sich als wertstiftend erweisen, können auch in unsicheren Zeiten triumphieren und das Vertrauen ihrer Kunden festigen.

Werbung neu ausrichten

Die Entwicklung der Werbebranche in den letzten Jahren, insbesondere durch verhaltensbasierte Werbung, hat zwar die Kundengewinnung und Conversionraten verbessert. Jedoch stellt sich in der Ära der «Cookiekalypse» die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Methoden. Werbeindustrie und werbetreibende Firmen sind gefordert, ihre Strategien zu überdenken und von rein datenbasierten Methoden zu einem ganzheitlichen Ansatz überzugehen. 

Dieser Ansatz sollte Einsichten aus der Verhaltensökonomie integrieren, moderne Datenstrategien nutzen, die gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen­bedingungen berücksichtigen und eine authentische Verbindung zu den Kunden aufbauen. Ein integratives Modell, das alle Aspekte berücksichtigt und auf die Bedürfnisse der Bestandskunden fokussiert, ist notwendig.

Ein Praxisbeispiel

Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung des R-Commerce zeigt sich in einem Use Case aus der Telekommunikationsbranche. Durch die Kombination von datengetriebenem Marketing, Verhaltensdesign und geeigneter technischer In­frastruktur erzielte das Unternehmen signifikante Steigerungen der Conversionraten im Cross-Selling-Bereich. Dies wurde ermöglicht durch ein ganzheit­liches Customer-Journey-Design, das
von der initialen Ansprache der Bestands­kunden bis hin zum Abbruch im Warenkorb reichte. 

Hierbei wurde besonderer Wert darauf gelegt, Marketingaktivitäten nicht isoliert, sondern synchronisiert und kun­den­­individuell zu gestalten. Mithilfe ­eines ­datenbasierten Scoringmodells wurden Kunden mit hoher Affinität für spezifische Produkte identifiziert und eine zielgerichtete, personalisierte Kundenansprache über verschiedene Kaufphasen hinweg gestaltet. Dieser Ansatz führte zu ­hohen einstelligen Conversionraten und einer signifikanten Steigerung des Cus­tomer Lifetime Values der betroffenen Kundengruppe.

Die Kundenpflege

Das höchste Lob für Marketer ist die bewusste und überzeugte Entscheidung der Kunden für ihre Marke, auch in Anbetracht anderer Möglichkeiten. Diese Art von Treue und Vertrauen muss stetig gepflegt werden, da Kundenbeziehungen empfindlich sind und sowohl Zeit als auch Sorgfalt im Aufbau benötigen.

Für den Erfolg solcher Beziehungen sind drei Hauptelemente massgeblich: Vertrauen, Markenstärke und Fairness. Vertrauen muss langfristig aufgebaut und durch Kommunikation gestärkt werden. Marken dienen als Beschleuniger im Beziehungsaufbau, indem sie den Kunden die Risikobewertung erleichtern. Fairness erfordert eine ausgewogene Balance zwischen Geben und Nehmen.

Ein frischer Blick auf die Kunden hilft ­Unternehmen, überzeugende Argumente für eine dauerhafte Beziehung zu ent­wickeln. Dies beinhaltet die frühzeitige Identifikation der Kunden, um ihre Verhaltensweisen und Vorlieben zu ver­stehen und so ein Markenerlebnis zu schaffen, das die Beziehung langfristig vertieft.

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