Marketing & Vertrieb

Kolumne: Brand Leadership

Mehr Wachstum im Sortiment

Ein in Marketing und Vertrieb verbreiteter Irrglaube ist die Annahme, dass eine Marke wächst, wenn viele neue Produkte in den Markt eingeführt werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wachstum entsteht, wenn einzelne Produkte im Markt durchgesetzt werden. Es geht um Durchsetzung. Nicht Einführung.
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Damit aus einem neuen Produkt ein wirtschaftlich erfolgreiches Produkt wird, muss es im Verkauf erst auf Geschwindigkeit gebracht werden. Es muss sich in den dynamischen «Verkehrsfluss» des bestehenden Markensortiments einklinken – in Bezug auf seinen Distributionsgrad im Handel und seine Abverkaufsquote am POS. 

Achtung Staugefahr

Wenn das nicht gelingt, wenn das neue Produkt nicht auf Augenhöhe mit den erfolgreichen Produkten gebracht werden kann, dann steht es am POS den schnelleren Produkten im Weg. Nimmt ihnen jeden Tag die Möglichkeit, von ihren Kunden gesehen und gekauft zu werden – und seiner Marke die Möglichkeit, das Geschäft zu machen. Je mehr schwache Produkte den Weg verstopfen, desto seltener finden die im Abverkauf starken, drehfreudigen Produkte ihren Weg in den Markt. Im Strassenverkehr würde man das «zähflüssigen Verkehr auf der Autobahn» nennen. Im Geschäft lässt sich dieser anhand von Distributionsgrad und Abverkaufsquote messen. Die Sortimentsführung sollte das genau im Blick haben; es ist entscheidend für Wertschöpfungskraft und Wachstum. Insbesondere die Einführung neuer Produkte muss gut vorbereitet und begleitet werden. Passiert das nicht, werden zum Beispiel in zu kurzer Zeit zu viele neue Produkte mit zu geringem In­novationsgrad lanciert, kann sich der lähmende Effekt verstärken – und aus dem zähflüssigen Verkehr schnell ein veritabler Stau werden. Denn bei zu hoher Schlagzahl geraten sich zusätzlich auch die neuen Produkte in die Quere. Entziehen sich gegenseitig die zur Marktdurchsetzung er­forderlichen Ressourcen in Vertrieb, werblicher Unterstützung und Produktoptimierung. Selbst inno­vationsstarke Potenzialträger haben es dann schwer, im Abverkauf «hochfahren», sich in der Kundschaft etablieren und ihre Marke weiter­bringen zu können. So sollte das nicht sein. Mehr Fokus und mehr Laufruhe sind wünschenswert.

Normativ-dynamische Sortimentsführung ist gefragt

In Zeiten schneller technologischer Entwicklungen und kurzer Produktlebenszyklen kommt es auf professionelle Sortimentsführung an. Vor allem der Ansatz «Wachstum durch opportunistische Sortimentserweiterung» führt in die Irre. Auf das Chaos im Markt darf man nicht mit Chaos im eigenen System antworten. Im Gegenteil: Es braucht eine selbstbewusste Sortimentsgestaltung, die Orientierung schafft. Sie sollte normativ sein, im Sinne der Markenpositionierung. Und sie sollte dynamisch sein, im Sinne von bewussten Innovationsschritten, die ihren Namen auch verdienen. In der normativ-dynamischen Sor­timentsführung werden die Ressourcen des Unternehmens bewusst aufgeteilt, auf

  • die Reproduktion der Stärken im aktuellen Geschäft,
  • die Agilisierung der Organisation und ihrer Zusammenarbeit mit ihren Absatz- und Geschäftspartnern und 
  • die Innovation der Markenzukunft mit neuen Leistungen. 

In allen drei Bereichen braucht es heute Akti­vitäten, um erfolgreich zu sein. Die Kunst liegt darin, die begrenzten Ressourcen eines Unternehmens je nach Geschäftssituation, Strategie und Ambition im richtigen Verhältnis auf das Reproduzieren, Agilisieren und Innovieren aufzuteilen und maximal wirksam zu machen. Folgende zehn Gebote einer normativ-dynamischen Sortimentsführung helfen bei der Realisierung in der Praxis:

Reproduktion der Stärken

1. Stelle sicher, dass deine umsatzstarken Produkte freie Fahrt geniessen; in allen Bereichen deines Unternehmens – von der Produktion über das Marketing bis zum Vertrieb – und auch bei deinen Absatzpartnern. 

2. Entwickle deine umsatzstarken Produkte substanziell weiter; nah am Bedürfnis und im engen Austausch mit deinen Kunden, in kleinen Optimierungen und in grösseren Generationsschritten – schütze dich davor, deine Produkte selber «für tot zu erklären».

3. Identifiziere und fördere die wenigen wirk­­lichen Potenzialträger in deinem Sortiment – manchmal erkennst du sie erst, wenn du ihnen die werbliche und vertriebliche Unterstützung entziehst und sie sich am Markt trotzdem weiterhin positiv entwickeln.

Agilisierung der Organisation

4. Reduziere deine Komplexitätskosten und tren­ne dich konsequent von Produkten, die sich im Markt nicht durchsetzen, die keine angemessene Drehzahl entwickeln und weder in Menge noch in Marge überzeugen – es ist jedes Mal eine Befreiung, die Kräfte für Besseres mobilisiert.

5. Verbessere die übergreifende Zusammenarbeit und Wandlungsfähigkeit deiner gesamten Wertschöpfungskette, um die Veränderungen im Markt flexibel mitgehen und zu Wachstums­chancen machen zu können. 

6. Nutze dabei die Möglichkeiten neuer Technologien und einer besseren Datenbasis, um prä­ziser wissen, sicherer entscheiden und effektiver kollaborieren zu können.

Innovation der Markenzukunft

7. Arbeite fokussiert und mutig an einem komplett neuen Sortiments-Standbein; denke dabei radikal «von der Zukunft her», geh mutig aus deiner Komfortzone raus und nutze diesen Schritt konsequent dazu, um dich, deine Mitarbeiter und deine Marke weiterzubringen.

8. Strebe danach, ein neues Produkt zu finden, das in Zukunft ein grosses Kundenbedürfnis erfüllt – und bei dem du deutliche Differenzierungsmerkmale aufbauen und auf Dauer halten kannst.

9. Führe das neue Produkt mit Fokus, Willen und Durchhaltevermögen in den Markt ein. Sorge dabei in deinem Unternehmen dafür, dass es trotz noch fehlender Umsatzbedeutung, initialer Rückschläge und eventueller Kannibalisierungseffekte höchste Wertschätzung geniesst und von allen gefördert wird.

10. Führe niemals ein neues Produkt in den Markt ein, an das du nicht zu 100 % glaubst oder das von Anfang an kein Standbein-Potenzial hat – egal wie hoch deine Investitionen in die Produktentwicklung auch gewesen sein mögen. 

Fazit

Ein wirtschaftlich starkes Markensortiment besteht aus starken Einzelprodukten: im Sinne ihres «Fits» mit der Markenpositionierung. Im Sinne ihrer Relevanz für die Menschen, die sie kaufen. Und im Sinne ihrer Durchsetzung im Markt. Normativ-dynamische Sortimentsführung hilft Unternehmen dabei, das Sortiment in diesem Sinne wirtschaftlich zu sanieren und für dauerhaftes Wachstum zukunftsorientiert aufzustellen. In der Sortimentsführung ist weniger mehr –  solange das Wenige maximal Marke ist.

Porträt