Krisenzeiten sind für Marken «Tiebreak»-Zeiten. Also Zeiten, in denen alles schneller, direkter und heftiger geht – und die Auswirkungen schon kleiner Entscheidungen gross sein können. Denn die Wachsamkeit der Kunden ist hoch in der Krise. Ihr Sinn für «richtig» oder «falsch» ist geschärft. Ihre Reaktion kann unmittelbar, emotional und extrem sein. Kurz: In der Krise können Marken schnell Punkte machen – aber auch sehr schnell Punkte verlieren. Mit den richtigen Entscheidungen lässt sich gerade «Markenkarriere» machen – gröbere «Markenblackouts» können sich dagegen fatal auf Reputation und Geschäft auswirken.
Krisen rücken Marken stärker in den Kundenfokus
Die Marke Adidas hat uns das in Deutschland mit ihrem übereilten Vorstoss zur Aussetzung der Mieten für die Ladenlokale gleich zu Beginn des «Shutdowns» – und der darauf prompt folgenden, massiv-negativen Reaktion in der Öffentlichkeit – eindrücklich vor Augen geführt. Von einem weltweit operierenden Konzern mit finanziellem Rekordergebnis im letzten Jahr und attestierten Teamplayer-Werten in den Genen hat man da deutlich mehr erwartet. Die hektische Zurücknahme der Entscheidung schon ein paar Tage später sowie die öffentliche Entschuldigung des Managements lassen zudem vermuten, dass dieser «Markenblackout» auch eingesehen wurde. Der Schaden für die Marke und für das Geschäft ist jetzt dennoch erstmal da.
Das Beispiel kann allen Unternehmen – Konzernen wie KMU – eine Lehre sein: Krisenzeiten reissen gnadenlos den Weichzeichner weg, der unsere Marken in normalen Zeiten zu einem gewissen Grad vor den eigenen Fehlern schützt. In den normalen Zeiten, in denen Menschen im vollen und hektischen Alltag oft nicht ganz so genau hinschauen. Manche auch ein wenig «schlafwandlerisch» ihrem Konsum nachgehen. Und viele Menschen ihren Marken – die sie lieben – gutmütig die ein oder andere kleinere «Off brand»-Aktion durchgehen lassen. So aber nicht länger in Krisenzeiten. In unserem «New Normal», in dem wir alle – zumindest gefühlt – ein Stück weit in den existenziellen Überlebensmodus gewechselt haben und unsere Umwelt um uns herum mit mehr Zeit, aber weniger guten Nerven deutlich wacher, kritischer und schärfer beobachten.
Die Markenführung einen Gang hochschalten
Diesem Umstand sollte die Markenführung jetzt Rechnung tragen. In jedem KMU. Egal ob B2C oder B2B. Sie sollte sich anpassen und den gestiegenen Anforderungen im Marktumfeld des «New Normal» gerecht werden. Sie sollte deutlich bewusster und schärfer entscheiden und handeln, als sie das bisher gewohnt ist. Sie kann dies realisieren, indem sie sich im ersten Schritt sehr deutlich macht:
- wofür die eigene Marke wirklich steht (und wofür nicht)
- was konkret und im Detail ihre Beziehungen zur Kundschaft prägt (und was nicht)
- welche Massnahmen im aktuellen Marktumfeld noch einen positiven ROI erzielen (und welche nicht mehr)
Und indem sie im zweiten Schritt dann auf dieser geschärften Grundlage täglich die Transferleistung erbringt und die unzähligen Einzelfall-Entscheidungen zielsicher im Sinne der Marke trifft: Zahlen wir noch die Mieten für unsere Ladenlokale? Erstatten wir unseren Kunden ihre bezahlten, aber nicht genutzten Flugtickets in bar oder in Form von Gutscheinen? Öffnen wir uns jetzt aus der Not heraus neuen – weniger werthaltigen – Absatzkanälen oder halten wir unsere Wertposition weiterhin aufrecht? Springen wir in PR und Werbung auf den Trend mit auf und gestalten die Elemente unseres Logos auf distanzierte Art und Weise? Starten auch wir jetzt eine Kampagne mit vermeintlichen Sonderhilfsangeboten zu vermeintlichen Sonderpreisen?
Und wenn ja: Machen wir dies aus innerer Überzeugung heraus, weil es unserem «Markenprogramm» voll und ganz entspricht und unseren Kunden substanziellen Wert stiften kann – oder weil wir opportunistisch auf der Ebene der Markenoberfläche ein paar Sympathiepünktchen und «Likes» einsammeln wollen? …
Unternehmerische Entscheidungen für das Geschäft und für die Marke zugleich treffen
Jede Entscheidung kann aktuell der Beginn einer neuen Begeisterungswelle oder eines neuen «Shitstorms» sein. Die Markenverantwortlichen sollten bei sich im Hause deshalb gerade jetzt die Markenorientierung in diesem Sinne genauso engagiert und kompromisslos hochfahren, wie unser Gesundheitssystem dies mit den Kapazitäten auf den Intensivstationen getan hat. Jede unternehmerische Entscheidung ist eine Markenentscheidung. Sie kann sich wie bei Adidas zu einem Markengau hochschaukeln – der über Jahre aufgebautes Vertrauenskapital zerschmettert, Kundenbeziehungen beschädigt und einen beträchtlichen Teil des Geschäfts vernichtet.
Sie kann aber auch zu einer noch vor Kurzem unvorstellbaren Belebung der Marke führen und eine regelrechte «Markenkarriere» starten – wie in der Krise das «bodenständige» KMU Trigema aus Burladingen in Deutschland durch tatkräftiges, entschiedenes Handeln den Markenstrategen der Weltkonzerne eindrücklich vor Augen führte. Schneller als bei allen anderen wurde hier die Textilproduktion auf die Herstellung der dringend benötigten Schutzmasken umgestellt und der Vertrieb organisiert. Der Umstand, dass man als fast einziger Produzent noch in Deutschland ansässig ist, hat dabei sicherlich geholfen. «Anders sein» zahlt sich halt aus; manchmal auch völlig unvermittelt. Und die Fähigkeit, situationsgerecht die für das eigene Geschäft und die eigene Marke richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin mir recht sicher: Herrn Grupp, Inhaber und Geschäftsführer von Trigema sowie leidenschaftlicher Unternehmer mit Ecken und Kanten, ging es dabei eher nicht um die Verbesserung seiner Image- oder Sympathiewerte.
Das Fazit
«Markenkarriere» oder «Markenblackout» – was soll es sein? In der aktuellen Marktsituation ist für jedes Unternehmen wirklich alles möglich. Als KMU erhöht man seine unternehmerischen Chancen, wenn der kritische Zusammenhang zwischen unseren täglichen Managemententscheidungen, unserem ökonomischen Erfolg im Geschäft und der Vitalität unserer Marken von möglichst vielen Mitarbeitenden aus möglichst vielen Abteilungen und Hierarchiestufen gesehen wird – und sie das zukünftige Wohl ihrer Marke bei allen Entscheidungen als Inspirationsquelle und als leitende Norm einfliessen lassen.