Marketing & Vertrieb

Studie: Kundenbeziehungsmanagement

Kundenverständnis oder Datenschutz – ein zunehmend unversöhnlicher Konflikt?

Wie die Swiss CRM-Studie 2012 zeigt, investieren Schweizer Unternehmen vermehrt in ihr Kundenbeziehungsmanagement. Dabei werden allerdings vielerorts elementare Datenschutzvorgaben missachtet. Gefordert sind Strategien, die Datenschutz, Transparenz über Datenverwendung, Schutz vor Missbrauch und kundenorientierte Leistungen vereinen.
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Kundenbeziehungsmanagement (CRM) gewinnt bei Schweizer Unternehmen immer mehr an Bedeutung, wie die jährliche Swiss CRM-Studie 2012 zeigt. Bereits zum sechsten Mal befragte das Zentrum für Marketing Management der ZHAW School of Management and Law nach dem Zufallsprinzip über 500 CRM-Entscheidungsträger in Schweizer Unternehmen.

Die CRM-Trendstudie bietet einen umfassenden, präzisen und realistischen Überblick zum Status quo von CRM in der Schweiz und identifiziert die bedeutendsten Trends. Dieses Jahr wurden zudem die aktuellen Themen Schutz von Kundendaten und Customer Experience Management (CEM) beleuchtet.

CRM: Steigende Bedeutung

Der Vergleich der Ergebnisse der Swiss CRM-Studien seit 2007 zeigt, dass die Bedeutung von CRM in Schweizer Unternehmen nie höher war als heute. 89,3 Prozent der Verantwortlichen geben an, dass es für ihr Unternehmen «eher wichtig» oder «sehr wichtig» ist. Unterschiede bestehen zwischen den Branchen. So sehen ausnahmslos alle CRM-affinen Dienstleister wie Finanz-, Telekommunikations- oder Versandunternehmen eine «eher hohe» bzw. «sehr hohe» Bedeutung, während es bei Bauunternehmen und -zulieferern noch 82,9 Prozent sind. Es zeigt sich also, dass CRM alle Branchen durchdrungen hat. Die Mehrheit (52,3%) der Unternehmen plant für das nächste Jahr mit steigenden CRM-Budgets, während diese bei nur 5,7 Prozent sinken dürften. Dies entspricht dem höchsten Stand seit 2009. Die sehr hohe Bedeutung des CRM in der gesamten Schweizer Privatwirtschaft zeigt, dass es umfassenden CRM-Anstrengungen bedarf, um die gegenwärtige Marktposition zu halten, geschweige denn auszubauen.

Individuelle Kundenbetreuung

Die individualisierte Betreuung im Hinblick auf unterschiedliche Kundenwerte entwickelt sich zum Top-Thema im Schweizer CRM. Bereits 2011 war dies einer der meistgenannten Trends (45% der befragten Unternehmen). Inzwischen beschäftigt sich mehr als die Hälfte der grossen und mittleren Unternehmen damit (50,3%). Um individuelle Betreuung zu ermöglichen, müssen die Kundeninformationen den zuständigen Unternehmensbereichen zur Verfügung stehen. Dies ist auch ein Treiber für den am zweithäufigsten genannten Trend, die Integration von CRM und ERP-Systemen. Damit beschäftigen sich aktuell 46,2 Prozent der Unternehmen. In der Folge steigt die Relevanz von Personalisierung und Individualisierung von 31,4 auf 36,8 Prozent.

Zusammenfassend gehen die Trends im Kundenbeziehungsmanagement der Schweizer Unternehmen klar in Richtung Individualisierung, um das Potenzial bestehender Beziehungen besser auszuschöpfen. Dazu benötigen die Unternehmen mehr und bessere Informationen über ihre Kunden.

Emotionale Bindung

Die meisten Unternehmen haben die Bedeutung der Kundenorientierung erkannt und stellen diese ins Zentrum. Dies alleine ermöglicht heute kaum noch eine Differenzierung. Kundenorientierung zu propagieren, ist zu einem Muss geworden. Mit der fortschreitenden Homogenisierung der Märkte und der zunehmenden Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen ist die Differenzierung über traditionelle Faktoren wie Qualität, Effizienz oder Technologie in vielen Branchen schwierig geworden. Wie die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, wird es von entscheidender Bedeutung sein, seine Kunden wirklich zu verstehen, um eine emotionale Bindung zwischen ihnen und dem Unternehmen bzw. seinen Produkten oder Dienstleistungen aufbauen zu können. Dieser Ansatz wird von Customer Experience Management (CEM) verfolgt. Die anlässlich der CRM-Studie befragten Entscheidungsträger messen diesem Thema in Zukunft eine stark steigende Bedeutung bei.

Diese Entwicklungen und Investitionspläne der Schweizer Firmen erfordern ein möglichst gutes Verständnis von der Situation, den Bedürfnissen und der Persönlichkeit ihrer Kunden. Um eine individuelle und optimale Kundenbetreuung möglich zu machen, ist das gezielte Sammeln und Speichern von Kunden­informationen nötig. Nur noch wenige Unternehmen können dem Vorbild von «Tante Emma» folgen, bei dem das Wissen alleine in den Köpfen des Verkaufspersonals gespeichert ist. Oft wird das in KMU noch so gehandhabt, wobei die Gefahr gross ist, dass wichtiges Wissen verloren geht, wenn Wissensträger ausfallen oder kündigen.

Blindflug beim Datenschutz

Durch die steigende Bedeutung von Kundenbindungsprogrammen und analytischem CRM rückt das Thema Datenschutz vermehrt in den Fokus. Die aktuelle IT-Entwicklung erlaubt es, immer effizienter und umfangreicher Daten zu sammeln, zu verarbeiten und weiterzugeben. Um den Kunden die Kontrolle über ihre persönlichen Daten zu sichern und ihnen eine Überprüfung der jeweiligen Verwendung zu ermöglichen, wurde 1992 das Bundesgesetz über den Datenschutz erlassen.

Die Umfrageresultate der Swiss CRM-Studie belegen, dass das Thema Datenschutz in den meisten Unternehmen zumindest gedanklich angekommen ist. 81,8 Prozent der befragten Unternehmen beurteilen die Thematik als «eher wichtig» oder «sehr wichtig». Die umfassende Kenntnis der Rechtslage ist eine besondere Herausforderung und es besteht eine gewisse Unsicherheit, ob alle Gesetze eingehalten werden. Ausserdem kann eine schwerwiegende Verletzung der Datenschutzbe­stimmungen gravierende Folgen haben. So musste der amerikanische Video-on-Demand-Anbieter Netflix seinen Kunden wegen jahrelang fälschlich gespeicherten und weiterverwendeten Nutzungsdaten eine aussergerichtliche Abfindung in Höhe von neun Millionen US-Dollar bezahlen. Solche Zahlen verunsichern genauso wie der massive Vertrauensverlust, den einige Unternehmen durch Datenschutzskandale hinnehmen mussten (z.B. Sony, Facebook, Google, Apple). Dass die Unternehmen sich intensiv über ihre Rolle als vertrauenswürdiger Marktpartner nachdenken, stellt auch Peter Tüscher, der Group Head CRM bei Detecon (Schweiz) AG ist, fest. Er betont, dass die Forderung der Kunden nach Privacy ernst zu nehmen ist.

Oft fehlen klare Konzepte

Obwohl sich die meisten der Wichtigkeit des Schutzes der Kundendaten bewusst sind, haben nur gut drei Viertel (77,8%) der befragten Unternehmen die Verantwortung für den Datenschutz geregelt. Auch bei den Massnahmen zur Umsetzung wird deutlich, dass Op­timierungspotenzial besteht. 36 Prozent der Unternehmen haben weder Datenschutz-Richtlinien noch eine entsprechende Strategie. Zusätzlich verfügen 37,2 Prozent über kein Datensicherheitskonzept. Es ist also oft keine strukturierte Regelung des Datenschutzes vorhanden. Das dürfte sich auch in naher Zukunft nicht ändern, denn nur wenige haben vor, diesen Mangel demnächst zu beheben.

Bezüglich der Information über die Verwendung von Kundendaten besteht ebenfalls Nachholbedarf. Einzelne Unternehmen verstos­­-sen hier unwissentlich gegen das Datenschutzgesetz. Denn die zentrale Frage lautet, ob die Kunden wissen, wie ihre Daten verwendet werden. Die Befragung zeigt, wie fahrlässig Schweizer Unternehmen mit diesem Thema teilweise umgehen und wie gross die vorherrschende Unkenntnis ist. Lediglich 16,7 Prozent der Unternehmen informieren ihre Kunden über die Bearbeitung ihrer Daten und den Bearbeitungszweck. Bei nur 7,4 Prozent davon haben die Kunden der Bearbeitung ausdrücklich zugestimmt. Weitere 52,8 Prozent bewegen sich auf der sicheren Seite, sofern die Aussage korrekt ist, dass der Verwendungszweck der Kundendaten deutlich aus den Umständen ersichtlich ist. Die Informationspflicht entfällt dann. Allerdings sind in diesem Fall die Möglichkeiten der Datenerhebung und -bearbeitung stark eingeschränkt: lediglich minimale Daten zur Erfüllung der Leistung dürfen gespeichert werden.

Konfliktpotenzial

Mit Sicherheit baut sich bei Fragen des Datenschutzes in vielen Schweizer Firmen ein Spannungsfeld auf. Mit der dramatisch steigenden Bedeutung von Informationen als Wettbewerbsfaktor auf der einen Seite sowie Sorglosigkeit und Unwissenheit bezüglich Datenschutz auf der anderen wird sich der Konflikt weiter verschärfen. Die wenigsten Schweizer Firmen scheinen auf Auskunftsbegehren von Kunden über ihre gespeicherten Daten und deren Verwendung vorbereitet. Zusätzlich zur Befragung wurde dies durch eine Reihe von Testanfragen bei Schweizer Firmen bestätigt. Einige konnten nicht zeitnah und kompetent Auskunft geben. Die betroffenen Firmen haben Glück, dass viele Kunden ihre Rechte (noch) nicht kennen.

Die Datenschutzbestimmungen sind nicht darauf ausgelegt, Informationssammlung für kundenorientierte Leistungen grundsätzlich zu unterbinden. Sie fordern lediglich Transparenz bezüglich Speicherung und Verwendung der Daten. Eine Professionalisierung ist also auf beiden Ebenen notwendig: Bei Kundenorientierung und Individualisierung sowie beim Schutz vor Missbrauch und bei der Transparenz. Hier sind auch die Hochschulen in den Bereichen Forschung und Weiterbildung gefordert, Lösungen anzubieten und Aufklärungsarbeit zu leisten.

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