Marketing & Vertrieb

Kolumne: Brand Leadership

Innovation beginnt bei der Marke

Für die erfolgreiche Zukunft eines Unternehmens sind Produkt- oder Serviceinnovationen entscheidend. Sie sind aber alles andere als eine Selbst­verständlichkeit. Anstatt direkt auf sie abzuzielen, ist es empfehlenswert, in seinem Unternehmen zuerst die Rahmenbedingungen zu schaffen, die sie ermöglichen. Die Unternehmensmarke ist dafür das ideale Werkzeug.
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Produktinnovation alleine macht noch keinen Erfolg aus. Ein bekanntes Beispiel aus der Vergangenheit führt dies schön vor Augen: Steven Sasson wurde 1973 von Eastman Kodak im Bereich Forschung und Entwicklung eingestellt. Bereits zwei Jahre später gelang ihm der grosse Coup: Er erfand die weltweit erste digitale Kamera. Als er seine Erfindung der Geschäftsleitung von Eastman Kodak präsentierte, stiess er auf vollkommenes Unverständnis. Zur damaligen Zeit war Kodak der unangefochtene Marktführer im Bereich Fotografie. Die Firma kontrollierte den amerikanischen Markt. 90 Prozent der Filme und 85 Prozent der verkauften Kameras wurden von ihr her­gestellt. Verständlicherweise sah die Geschäftsleitung deshalb in Sassons Erfindung eine Bedrohung für das aktuelle, erfolgreiche Geschäft. Denn die digitale Kamera war weder auf Film angewiesen noch war das Aufnahme- und Speicherverfahren dasselbe wie bei herkömmlichen Kameras. Die Geschäftsleitung entschloss sich, nicht auf die Karte Digitalisierung zu setzen, sondern das bestehende Geschäft weiter auszubauen. Die Konsequenz dieser Entscheidung ist Geschichte.

Der Fall Kodak zeigt eindrücklich, dass Produkt­innovation alleine nicht ausreicht. Entscheidend ist, wie sich ein Unternehmen zur Zukunft verhält. Natürlich können wir uns fragen, wie wir 1975 auf Sassons Erfindung reagiert hätten. War es absehbar, dass digitale Fotografie diejenige Entwicklung war, die sich durchsetzen würde? Hätten wir den richtigen Riecher gehabt?

Chancen gibt es nicht, sie müssen geschaffen werden

Diesen Riecher kann und muss ein Unternehmen entwickeln, um Innovationen und Veränderungen richtig einzuordnen und ihnen zum Durchbruch verhelfen zu können. Denn das Schwierige an der Zukunft ist, dass sie niemals klar ist. Sie lässt sich zwar in Prognosen und Szenarien fassbar machen, aber vorhersehen kann man sie nicht. Das ist aber auch eine Chance, denn was offen ist, kann gestaltet werden. 

Ein extremes Beispiel für ein Unternehmen, das die Zukunft von innen heraus gestaltet, ist die 2010 gegründete Google X Company – oder «X – The Moonshot Factory», wie sie heute heisst. Im Namen ist schon vieles angelegt: Kreativität, Wagnis, Verspieltheit, Vision – es ist klar, dass hier Zukunft gemacht wird. Googles Moonshots sind durch und durch waghalsige Projekte mit dem nicht ganz bescheidenen Anspruch, die hartnäckigsten Probleme dieser Welt zu lösen, um dadurch das Leben von Milliarden von Menschen zu verbessern. Entsprechend ausgefallen und am­bitiös sind dann auch die Ideen: Minicomputer, durch die man die Welt sieht (Google Glass), hunderte von Ballons, die den Globus umspannen und alle Menschen mit Internet versorgen sollen (Loon), oder Flugdrachen, die in der Luft Energie generieren und so das Versorgungsproblem auf nachhaltige Art und Weise zu lösen versprechen (Makani). 

Das Charakteristische an der Moonshot Factory sind jedoch nicht nur die originellen Projekte, sondern auch die Konsequenz, mit der die Gestaltung der Zukunft im Unternehmen gelebt wird. Ein Beispiel dafür sind die Stellenbezeichnungen. Der Chef der Factory hat den klingenden Namen Astro Teller, er ist der sogenannte «Captain of Moonshots». Aber noch viel mehr zeigt sich das im Projektmanagement. Jedes Projekt durchläuft einen Prozess, der sich kreatives Prognostizieren nennt. Der Verantwortliche für einen Moonshot muss vor einer Art Jury Rede und Antwort stehen. Die Jury versucht zu belegen, weshalb ein Projekt faktisch nicht machbar ist. Beurteilt werden nicht die Idee, das Ziel oder die Risiken, sondern es braucht handfeste Beweise, dass etwas unmöglich ist. Solange dies nicht gelingt, wird am Projekt festgehalten.

Die Marke ist die beste Entscheidungsgrundlage

Wie ein Unternehmen wie die Moonshot Factory auf Sassons digitale Kamera reagiert hätte, darüber lässt sich nur spekulieren. Sicher wäre das digitale Produkt jedoch zunächst als Chance empfunden und nicht sogleich als Bedrohung abgetan worden. Diese Haltung ist entscheidend. Um eine solche zu entwickeln, muss man keine Innovationsfabrik mit Milliardenbudget aus dem Silicon Valley sein. Das geht auch im Kleinen. Konkret dadurch, dass man den Willen zur Zukunft und Gestaltung derselben im Verständnis des eigenen Unternehmens verankert. 

Eine Chance für die Öffnung dieses Gestaltungsraums bietet die Unternehmensmarke. Etwa indem sie an das ursprüngliche Nutzenversprechen eines Unternehmens erinnert: Weshalb gibt es uns eigentlich und wofür stehen wir? Welchen Wert bieten wir unseren Kunden? Gerade in einer sich immer schneller drehenden Welt ist eine solche Rückbesinnung eine gute Ausgangslage, um die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Denn dadurch richtet sich der Blick auf das Unternehmen, aber auch auf die bestehende Beziehung zu den Kunden, ihre Erwartungen und die Versprechen, die man ihnen gegenüber gemacht hat. Bei Kodak hätte das beispielsweise heissen können: Wir ermöglichen es den Menschen, Momente und Erinnerungen dauerhaft festzuhalten. Aus diesem Nutzenversprechen heraus ändert sich die Haltung gegenüber neuen Entwicklungen. Ob man Momente auf einem gedruckten Foto oder einem Bildschirm festhält, erscheint so sekundär. Somit wird die Digitalisierung nicht als Gefährdung des aktuellen Geschäftes, sondern möglicherweise als Erweiterung desselben verstanden. Man hätte sich auf Sassons Erfindung einlassen und, als Pionier der digitalen Fotografie, die Zukunft aktiv gestalten können.

Die Zukunft von innen heraus erfinden

Das heisst aber auch, dass das eigene Selbstverständnis immer wieder auf seine Nachhaltigkeit und Aktualität überprüft werden muss. Genauso wie die ganze Marke. So bleibt man am Puls der technologischen Möglichkeiten sowie an den Bedürfnissen der Kunden, kann die Beziehung zu ihnen nachhaltig spannend gestalten und ist grundsätzlich offen gegenüber Entwicklungen und Innovationen. Dabei hilft ein Mindset, das Veränderung als die neue Norm akzeptiert. Die Marke und die fortlaufende Arbeit an ihr sind die ideale Ausgangslage, um die Zukunft zu erfinden. Gute Innovationen werden die Folge sein. 

Konkret bedeutet dies, Markenmanagement aus dem Kontext des reinen Marketings herauszunehmen und auf der Führungsebene einzubinden. Es muss Hand in Hand mit Produktinnovation, Strategiear­beit, Organisationsentwicklung gehen – das Beispiel Kodak ist der beste Beweis dafür. Eine so verstandene und im Unternehmen gelebte Marke kann der Kompass in eine erfolgreiche Zukunft und Nährboden für kraftvolle Innovationsgestaltung sein. Die Marke synchronisiert Unternehmen und Identität mit dem Markt und dem Kundenbedürfnis. Gelingt dies, wird man seine Kunden immer wieder überraschen können.

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