Marketing & Vertrieb

After-Sales-Services

Das Servicegeschäft im Industriegüter-Vertrieb puschen

Viele Maschinen- und Anlagenbauer schöpfen das Servicepotenzial ihrer Produkte nicht aus, obwohl mit ihm hohe Umsätze und Erträge zu erzielen wären. Doch dies ändert sich allmählich, denn viele Hersteller erkennen die strategische Bedeutung des After-Sales-Services für die Kundenbindung und die Neukundengewinnung.
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In der Vergangenheit zählte der «Kundendienst» nicht zum Kerngeschäft der meisten Maschinen- und Anlagenbauer. Selbst wenn sie durch Ersatzteilversorgung und Technikereinsätze bereits ansehnliche Margen erzielten, erreichte der Anteil des Geschäfts mit Service-Leistungen oft weniger als fünfzehn Prozent ihres Gesamtumsatzes – unter anderem weil es vorwiegend reaktiv betrieben wurde. Das verändert sich allmählich, denn

  • Veränderungen im internationalen Wettbewerbsumfeld,
  • zunehmende Volatilität der Marktbedingungen sowie
  • abnehmende technische und kommerzielle Differenzierung über das eigentliche Produkt

führen zu einem steigenden Umsatz- und Margendruck bei den Maschinen- und Anlagenbauern.

Service als Erfolgsfaktor

Die Gründe für diese Entwicklung sind zum Beispiel die steigende Marktpräsenz der asiatischen Hersteller, die Einfuhrbeschränkungen durch politische Entscheidungen sowie eine höhere Angebots- und Preistransparenz, welche das Internet mit sich bringt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind innovative Dienstleistungen als Teil der Gesamtlösung gefordert, die den Kunden neben Funktionalität und Verfügbarkeit der Maschine einen erkennbaren Zusatznutzen bieten. Dieser wird durch Massnahmen zur Produktivitäts- und Effizienzsteigerung der Kunden-Wertschöpfungskette erreicht (Abb. 1). Das bedeutet für die künftige Ausrichtung des After-Sales-Services, dass das Servicegeschäft neu strukturiert und an die Anforderungen der Kunden angepasst werden muss – also eine strategische und organisatorische Neuausrichtung des Servicegeschäfts.

Strategieentwicklung

Der Service wird zu einem der Schlüsselfaktoren des Erfolgs. Das Management muss involviert sein, wenn die neue Service-Strategie festgelegt wird, damit sie

  • mit der Gesamtstrategie harmoniert,
  • die Regeln zur Verzahnung mit allen Bereichen festgelegt sind und
  • der erforderliche Management-Support für dieses Change-Projekt sichergestellt ist.

Dabei sind bei der Entwicklung sowie bei der Umsetzung der Service-Strategie die drei Aspekte «Kunden- und Marktsicht», «Leistungsportfolio» sowie «Aufbau- und Ablauf-Organisation» wichtig (siehe Abbildung 2).

Kunden- und Marktsicht

Typische Fragestellungen für die Kunden- und Marktsicht sind:

  • Sind alle Service-Anforderungen der Kunden über den Lebenszyklus der Maschine bekannt?
  • Durch welche Faktoren wird der Service-Bedarf einer Maschine beeinflusst?
  • Welche Wettbewerber sind in den unterschiedlichen Lebenszyklus-Phasen aktiv?
  • Welches Potenzial lässt sich ableiten und wie viel ist bereits erschlossen?

Die betriebliche Praxis zeigt, dass die Endanwender über die Lebensdauer einer Maschine oder Anlage ein Mehrfaches des Anschaffungspreises für Service-Leistungen ausgeben, um deren Verfügbarkeit, Produktivität und Lebensdauer sicherzustellen. Deshalb ist ein auf die unterschiedlichen Phasen im Lebenszyklus einer Maschine und Anlage abgestimmtes Konzept an einzelnen Service-Leistungen erfolgversprechend (Abb. 3).

Unterschiedliche Faktoren wie zum Beispiel Anwendung und Auslastung sowie Umgebungsbedingungen der Maschinen und Anlagen haben einen erheblichen Einfluss auf den Verschleiss sowie die Lebensdauer einer Maschine oder Anlage, die meist zehn bis dreissig Jahre beträgt.Während der Anlaufphase und bis zum Ablauf der Gewährleistungsfrist ist in der Regel der Maschinenhersteller in der Pflicht, bei einem Ausfall für Ersatz und Störungsbeseitigung zu sorgen. Danach übernimmt der Endanwender diese Verantwortung und bindet je nach seiner eigenen Service-Fähigkeit und Service-Strategie weitere Service-Erbringer ein (siehe Abbildung 4).

Für das Service-Potenzial gilt folgende Faustregel: Je höher der finanzielle Verlust, der bei einem Ausfall droht, umso mehr ist das Unternehmen bereit, in den Service zu investieren. Diese Erkenntnis ist für den Hersteller bei der Auswahl der Zielkunden und -branchen sehr wichtig. Viele Hersteller von Maschinen und Anlagen schöpfen mit ihrem gewachsenen, reaktiven Service-Angebot nur einen Teil des Service-Potenzials aus und überlassen den Rest dem Wettbewerb. Deshalb müssen Hersteller die Anforderungen ihrer Zielkunden über den gesamten Lebenszyklus der Maschinen und Anlagen verstehen und erkennen, wer ihre Wettbewerber sind. Nur so können sie einen grösseren Anteil des Service-Potenzials adressieren.

Leistungsportfolio

Typische Fragestellungen zum Leistungsportfolio sind:

  • Sind die Service-Anforderungen und -Potenziale der Ziel-Gruppen dokumentiert und validiert?
  • Welche der bestehenden Leistungen müssen angepasst werden?
  • Welche neuen (digitalen) Services und Geschäftsmodelle erhöhen den Kundennutzen?
  • Welche Anforderungen gibt es an die Leistungserbringung und deren Ressourcen?
  • Welche Preismodelle können für Service-Produkte und Dienstleistungen eingesetzt werden?

Für die Definition und die Umsetzung des künftigen Serviceportfolios ist es erforderlich, die Anforderungen des Marktes und der Kunden zu aggregieren, diese kritisch zu bewerten und dafür die Potenziale der Zielkunden sowie Branchen abzuschätzen. Unter der Berücksichtigung der bestehenden Service-Leistungen ist daraus das Portfolio und Potenzial systematisch abzuleiten. Durch die zunehmende Vernetzung der Produktionsanlagen, Verfügbarkeit von Daten über intelligente Sensoren und Analyse von (Cloud-basierten) Massendaten sollten auch digitale Services sowie Smart Services bei der Portfolioentwicklung berücksichtigt werden (siehe Abbildung 5).

Die Preisgestaltung der Service-Leistungen muss individuell betrachtet und vom Nutzen des Kunden abgeleitet werden. Die Bündelung einzelner Service-Leistungen in individuellen und zeitlich fixierten Service-Verträgen ermöglicht ei-
ne längere Kundenbindung und somit eine grössere Abschöpfung des Service-Potenzials. Den grössten Anteil am Service-Potenzial sichern sich Hersteller, die Produktivitätsmodelle anbieten. Durch die Anpassung des Service-Portfolios an die Anforderungen der Betreiber entsteht eine höhere Kundenzufriedenheit und -bindung. Und digitale Services sowie datenbasierte Geschäftsmodelle bieten zusätzliche Möglichkeiten, dem Kunden Mehrwert zu schaffen.

Unterstützende Organisation

Die typische Fragestellungen zur Organisation sind:

  • Was ist die richtige Aufbau- und Ablauforganisation?
  • Welche Verantwortungsbereiche hat der Service im Unternehmen?
  • Welche Schlüssel-Kennzahlen (Key Performance Indicators, kurz: KPIs) sind zur Steuerung der Service-Strategie und Erreichung der Ziele erforderlich?
  • Welche Anforderungen gibt es an das Produktmanagement und die Leistungserbringung?
  • Welches Vertriebsmodell ist erforderlich, um die Service-Leistungen optimal zu positionieren?

Die Organisationsform der neuen Service-Einheit ist stark von der Organisation des Gesamtunternehmens abhängig und muss individuell festgelegt werden. Wichtig ist jedoch ausreichende Kompetenz und Entscheidungspower, um die
erforderlichen Prozesse für die Veränderung sowie die Innovation umzusetzen. Klare Verantwortungsbereiche der Service-Organisation im Gesamtunternehmen sind festzulegen, um eine nahtlose Zusammenarbeit sicherzustellen. Hierzu zählen unter anderem:

  • die Entwicklung der Serviceleistungen,
  • die Preisgestaltung der Serviceleistungen,
  • die Verantwortung für die installierte Basis von Maschinen und Anlagen.

Die Erfolgs-Messung und -Steuerung der Service-Organisation erfolgt über wenige, aber schlagkräftige KPIs, die mit Tools wie zum Beispiel der Balanced Scorecard oder dem Selling-Plan unterstützt werden. Ein übersichtliches Service-Cockpit stellt die KPIs inklusive deren Abweichungen zu den vereinbarten Zielen zeitnah dar. Bei Bedarf wird mit entsprechenden Massnahmen gegengesteuert.

Die Verantwortlichen für die Leistungserbringung müssen zusätzliche Ressourcen aufbauen und qualifizieren, welche die neuen Services wie zum Beispiel Beratung, Remote Support oder Modernisierung/Retrofit erbringen. Dies erfolgt in enger Abstimmung mit dem Produktmanagement, welches für die Festlegung des Leistungsportfolios verantwortlich ist. Die Leistungserbringung kann auch unter Einbezug von externen Partnern (lokale Service-Partner, System-Integratoren, Komponenten-Hersteller) erfolgen.

Da der Service-Vertrieb anderen Mechanismen als der Neumaschinen-Vertrieb unterliegt, ist eine getrennte, jedoch eng aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit dieser beiden Vertriebseinheiten erforderlich. Konflikt-Potenziale müssen unter der Prämisse «die Kundenzufriedenheit hat erste Priorität» intern geregelt werden. Eine optimale Anpassung an die Erwartungen der Kunden wird durch einen Mix aus Service Telefonvertrieb und Service Account Management sichergestellt (siehe Abbildung 6).

Durch die konsequente sowie proaktive Ausrichtung der Service-Organisation auf die Anforderungen der Endkunden wird eine dauerhafte und für beide Seiten nützliche Kundenbindung sichergestellt.

Fazit

Unternehmen, die den beschriebenen Weg konsequent verfolgt und umgesetzt haben, konnten ihren Service-Umsatz auf ein Drittel und mehr des Gesamtumsatzes steigern – und das bei einem Ertrag, welcher weit über dem des Neugeschäfts liegt. Zudem lassen sich konjunkturelle Schwankungen im Neugeschäft besser ausgleichen (siehe Abbildung 7). Der Erfolg einer optimierten Service-Strategie stellt sich meistens schnell ein, wenn die Aspekte einer Kunden- und Marktausrichtung (Anforderungen der Kunden verstehen), des Leistungsportfolios (Service-Leistungen für den gesamten Lebenszyklus der Maschinen erbringen) und der Organisation (Produktmanagement, Leistungserbringung und Vertrieb auf die Anforderung der Endkunden ausrichten) konsequent berücksichtigt und umgesetzt werden.

Um die meist operativ ausgerichtete, bestehende Service-Organisation bei methodischen, analytischen und konzeptionellen Aufgaben zu unterstützen, ist oft ein interner oder externer Management-Support mit branchenübergreifender Erfahrung aus Kapazitäts- und Know-how-Gründen wertvoll.

Porträt