Marketing & Vertrieb

Neuromarketing

Auf kundenorientierte Kommunikation umschalten

Die meisten Kaufentscheidungen werden unbewusst getroffen. Das unterstreicht die Wirksamkeit von Werbung. Grund genug, um die Erkenntnisse aus Neurowissenschaft und Psychologie für die eigene Kommunikation zu nutzen.
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Viele Unternehmen schreiben es in ihren Leitbildern: «Der Kunde steht im Mittelpunkt.» Doch analysiert man Websites, erkennt man schnell, dass das in sehr vielen Fällen nicht stimmt. Zu sehr wird aus Unternehmenssicht geschrieben. Wie einzigartig oder innovativ das Unternehmen sei. Der Kunde lässt sich von solchen Marketing-Dunstwolken aber nicht mehr einlullen – und klickt in weniger als drei Sekunden weg. Höchste Zeit, den Kunden wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. Mithilfe von Psychologie, Neurowissenschaft, Empathie und Sinn. Die Erkenntnisse können Unternehmen direkt umsetzen.

Unbewusste Entscheidungen

Wie genau funktioniert der Mensch eigentlich? Vor allem, wie und warum entscheidet er sich für oder gegen ein Produkt oder eine Dienstleistung? Neurowissenschaftler sind sich einig: Der Mensch entscheidet zu 70 bis 95 Prozent unbewusst und gibt sich dann innerhalb von Sekundenbruchteilen eine «logische Erklärung» für seine Entscheidung. Wenn wir danach fragen, erhalten wir deshalb sehr oft falsche Erklärungen. Weil der Mensch gar nicht weiss, warum er sich für oder gegen das neue Produkt entschieden hat. Oft war es nur so ein «Gefühl» und er kann es gar nicht rational erklären. Dies erklärt vielleicht auch, warum es über 80 Prozent der neuen Produkte – trotz Marktanalyse – nicht langfristig beim Kunden schaffen. 

Wir wissen heute schon ziemlich gut, wie «der Mensch» tickt. Welche Trigger (Auslöser) bei ihm funktionieren. Und keine Angst: Das muss nicht nach der «Home-Shopping»-Holzhammer-Methode geschehen. Subtil und fast unbemerkt können wir «beeinflussen». Aber ist das überhaupt erlaubt?

Die Manipulation

Wenn jemand von einem Produkt oder einer Dienstleistung begeistert ist und das der besten Freundin erzählt, manipuliert das. Das Wort «Manipulation» ist bei uns meist negativ besetzt. Wenn die schöne Patientin gerade lächelnd in einen Apfel beisst und der Zahnarztdarsteller uns in der Zahnpasta-Werbung anlächelt, manipuliert das unser Denken ebenfalls. 

Auch wenn man gemeinhin davon überzeugt ist, dass diese Werbungen bei uns keine Wirkung haben – sie haben es. Die meisten Menschen hatten im Supermarkt nicht geplant, an der Kasse noch einen Schokoriegel zu kaufen. Trotzdem tun es sehr viele. Ich bin mir auch nicht sicher, wie viele Ikea-Kunden es tatsächlich schaffen, ohne Servietten oder Kerzen den Laden zu verlassen. Zu geschickt sind die Waren präsentiert, der Preis gehirngerecht geschmiedet und die Platzierung überlegt gewählt. Servietten kann man ja immer brauchen. Die Manipulation ist also nicht so schlimm.

Und um ehrlich zu sein: Wenn man vollumfänglich von seinem Produkt oder seiner Dienstleistung überzeugt ist, dann sollte man auch dafür sorgen, dass die potenziellen Kunden davon erfahren und zugreifen. Denn sonst wird sich der Kunde für das Produkt des «Bewunderers» (= Konkurrenten) entscheiden – was ja bestimmt nur die zweitbeste Wahl wäre.

Websites als Kundenblocker

Farben, Bilder und Texte sollen Emotionen erzeugen sowie Verwirrung und Irritationen vermeiden. Das beginnt bei der Gestaltung der Website und zieht sich durch die gesamte Kommunikation. Meine Behauptung, dass rund 70 Prozent der Websites eigentliche Kundenblocker sind, sorgt immer wieder für Erstaunen. Zu sehr ist man mit sich und dem eigenen Unternehmen beschäftigt, als dass man den Fokus klar auf seine Kunden, die Kundenwünsche und die Psychologie des Kunden legt. 

Und dies nicht nur bei der schriftlichen Kommunikation, wie Werbeflyern, Broschüren oder der Website. Wer heute in Facebook und Co. immer noch «Content Media» betreibt, hat die Rechnung bereits erhalten: Die Reichweiten brechen ein, weil die Interaktion mit den Kunden nicht stattfand. Es ist eben nicht «Content Media», sondern «Social Media» verlangt. Also nicht geschliffene Artikel der Unternehmens-PR werden geliked oder kommentiert, sondern die Meinung, die Geschichten und Denkansätze des Unternehmers oder der Mitarbeiter. Das bedingt offene und ehrliche Kommunikation.

Auch in der mündlichen Kommunikation, bei Beratern oder Verkäufern ist man sich der Wirkung der Sprache nicht immer voll bewusst. Wenn man Führungsper­sonen das «aktive Zuhören» beibringen muss, zeigt dies, dass es bisher anscheinend kein wahres Interesse am Gegenüber gab. Weil man hauptsächlich seine Marketing- und Verkaufsbotschaft platzieren wollte, ohne darauf zu achten, was im Kunden eigentlich vor- und abgeht.

Vielfach schon Standard

Neuromarketing ist nicht neu. Kommt man nach Feierabend in den Supermarkt seines Vertrauens, riecht es verführerisch nach frisch gebackenem Brot. Weil man «natürlich» das Brot direkt im Laden aufbackt – was «zufällig» den Brotverkauf 
ordentlich ankurbelt und den Hunger noch bemerkbarer macht. Im Schuh­geschäft, in dem es nach Leder riecht, gibt man tendenziell mehr Geld aus für Schuhe, auch wenn versteckt eine Beduftungsanlage steht, aus der feinster Lederduft versprüht wird. 

Wir sprechen davon, wie man Kunden besser erreichen kann. Damit eine stärkere und nähere Verbindung möglich ist. Das Ziel ist es, den Kunden zu einem Fan zu machen. Dazu muss man allerdings die Ebenen des «gewohnten» Marketings verlassen. Zahlen, Daten und Fakten berühren heute niemanden. Auch auf Hochglanz geglättete Texte nicht. Emotionen, Geschichten und der Blick hinter die Kulissen dagegen sind erwünscht. Und das in einer absolut authentischen und transparenten Art. 

Der Unternehmer darf also gerne erzählen, warum das Unternehmen entstanden ist. Was ihn persönlich als Unternehmer antreibt und vor welchen Herausforderungen er steht. Er macht damit seinen Sinn, seinen Antrieb transparent. Und Menschen, die den gleichen Sinn, die gleichen Werte haben, werden sich davon angezogen fühlen. 

Authentisch und emotional

In der aktuellen Covid-19-Krise haben wir mehrfach erlebt, welche positive Wirkung es haben kann, wenn Unternehmer emotional und authentisch über ihre Lage sprechen. Und wir haben gesehen, wie es wirkt, wenn Manager in Grosskonzernen in dieser Krise ihre Finanzen entlasten wollen, dabei ertappt werden und zurückrudern müssen. 

Die Transparenz im Internet führt dazu, dass Unternehmen, die in der Kommunikation (Leitbild, Code of Conduct, Nachhaltigkeitsbericht) etwas vorgeben, was sie im Alltag nicht halten und leben, sehr schnell abgestraft werden können. Dies kann einen jahrelang aufgebauten Ruf schon in nur wenigen Twitter-Zeilen ruinieren.
 
Nichtssagende Kommunikationsdunstwolken, wie zum Beispiel «Wir sind die Besten mit den motiviertesten Mitarbeitenden, die Sie begeistern werden …», sind heute Gründe, um eine Website zu verlassen und das Unternehmen innerlich abzuschreiben. 

Nur wenn man den Kunden wirklich ernst nimmt und sich sehr viele Gedanken darüber macht, was sich dieser Kunde wirklich wünscht, wovor er vielleicht Angst hat und wie er sich die perfekte Lösung für sein Problem wünscht, kann man die eigene Kommunikation optimieren und wirksamer machen.

Veränderte Kommunikation

Wenn aus Neuromarketing eine «wissenschaftliche Arbeit» in einem Unternehmen gemacht werden soll (Ordner mit 500 Seiten schöner Excel- und Powerpoint-Grafiken), ist es – finanziell und ressourcenmässig – nichts für kleine und mittelgrosse Betriebe. 

Will man allerdings praxisorientiert vorgehen und Erkenntnisse aus Neuromarketing und Psychologie, die in den letzten Jahren gewonnen wurden, im eigenen Unternehmen umsetzen, ist dies problemlos auch für kleine und mittlere Unternehmen möglich. 

Die Kommunikation muss sich ändern oder Unternehmen fahren gegen die Wand. Die Kunden wollen heute mehr wissen über ein Unternehmen und die Menschen, die darin arbeiten. Sie haben keine Lust mehr auf heisse Luft in der Kommunikation. Sie wollen echte, authentische Menschen sehen. Unternehmen, die diese Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkennen, werden in Zukunft massive Probleme bekommen bei der Rekrutierung von neuen, guten Mitarbeitern. Und in der Konsequenz auch Kunden verlieren. 

Die Kunden, die Ansprüche und die Transparenz verändern sich sehr schnell. Die Frage ist, welche Unternehmen das Tempo dieser Veränderung aushalten und sich schnell genug neu ausrichten und anpassen können. Denn es geht hier nicht um Prozesse. Es geht um Sinn, um Kommunikation und schlussendlich um Menschen.

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