Kommentar & Meinung

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Mehr Selbstbewusstsein, bitte!

Regula Heinzelmann, Juristin und freischaffende Journalistin
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«Wir werden weiter Bank-CDs kaufen» – und zwar illegal beschaffte – erklärte Norbert Walter-Borjans, Finanzminister des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen in einem Interview noch Anfang Mai. Dies täte er auch, wenn ein neues Steuerabkommen zustande käme. Und ein solches wäre eh nur denkbar mit dem automatischen Informationsaustausch. Das ist nur ein Beispiel für die Arroganz, mit der Vertreter von EU-Staaten der Schweiz begegnen. Und unsere Politiker lassen sich von derartigen Forderungen einschüchtern und reagieren oft sogar mit vorauseilendem Gehorsam. Das haben wir nicht nötig!

Schweizer Leistungen für Europa

Die Schweiz hat eine positive Beziehung zur EU. Man arbeitet in vielen Bereichen zusammen, in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Dabei ist die Schweiz auch bereit zu investieren. Laut der Direktion für Europäische Angelegenheiten war die Schweiz 2011 der drittgrösste Absatzmarkt für EU-Produkte. 2011 gingen Exporte für rund 118 Mrd. Franken in die EU, und noch mehr Importe der EU in die Schweiz, nämlich rund 144 Mrd. Franken. In den letzten zehn Jahren erhöhte sich der Handel Schweiz-EU jährlich um sechs Prozent. Schweizerische Unternehmen unterhalten im EU-Raum über 1,2 Millionen Arbeitsplätze. Dies entspricht einem Anteil von 15 Prozent der Schweizer Gesamtbevölkerung. Fast so viele Menschen aus der EU leben in der Schweiz (1,15 Millionen), und bei uns arbeiten mehr als 260 000 Grenzgänger. Diese positiven Beziehungen sollen im Interesse aller Beteiligten bestehen bleiben. Die Schweiz ist keineswegs ein Trittbrettfahrer, wie einige EU-Politiker uns zu nennen belieben. Im Gegenteil, sie sollten sich überlegen, ob sie es sich leisten können, die Schweizer Bevölkerung zu verärgern. Trotz oder gerade wegen der positiven Verflechtungen sollte sich die Schweiz hüten, der EU beizutreten. Es ist unverständlich, warum einige Politiker und Wirtschaftsleute das heute noch für wünschenswert halten. Wir sollten uns auch dagegen wehren, kritiklos das EU-Recht zu übernehmen. Wir sollten auch nicht akzeptieren, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EGMR unter dem Vorwand der Menschenrechte Rechtsverletzungen unterstützt, z.B. die Auflösung eines Vereins untersagt, der Hausbesetzungen fördert (Nr. 48848/07). Hausbesetzung ist nach schweizerischem Recht Hausfriedensbruch (StGB Art. 186) und auch nach dem Recht anderer EU-Länder.

Die EU ist nicht Europa

Die alte Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG, die nach dem Krieg gegründet wurde, war eine positive Organisation. Sie sicherte den Frieden und den wirtschaftlichen Aufschwung in Europa. Leider ist die EU zu einem System geworden, das einerseits undurchschaubar und vielschichtig ist und andererseits alles in eine Einheitsschablone zu pressen versucht. So unübersichtlich wie die EU ist der Lissaboner Vertrag: Ein Sammelsurium verschiedener Dokumente und schon redaktionell eine Zumutung für die Bürger. Er ist sicher eines nicht: Eine Verfassung, in der grundlegende Rechte und Pflichten der europäischen Staatsbürgerschaft übersichtlich und einheitlich festgelegt werden. Der Euro war von Anfang an eine Missgeburt, weil kein Land dauerhaft die Forderungen des Europäischen Stabilitätspaktes erfüllte. Heute ist die Verschuldung der Euro-Länder ein abgrundtiefes Danaidenfass, das zu grundlegenden Konflikten zwischen den Staaten führt. Und natürlich hätte man bei der EU gern das schweizerische Geld und glaubt, man könnte damit die Löcher im Danaidenfass stopfen. Am Ende bekäme die Schweiz auch noch Schuldenprobleme, was eine positive Zusammenarbeit mit den EU-Ländern erschweren würde. Fazit: Einem System, das sich nur noch aufrechterhalten kann, indem es dreistellige Milliardenbeträge Schulden macht und Meinungstyrannei gegen Kritiker ausübt, sollte die Schweiz auf keinen Fall beitreten. Voraussetzung für ein wirklich vereinigtes Europa ist eine radikale Reform der EU. Und das Motto für Europa sollte lauten: Vielfalt in der Einheit.

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