Interviews

Interview mit Peter Rüegg

«Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort»

Peter Rüegg, Geschäftsführer des Unternehmens Sortimo Walter Rüegg AG, über den Umgang mit den Corona-Massnahmen und deren Folgen, die Möglichkeiten der Digitalisierung und einen bilateralen Weg mit der EU auf Augenhöhe.

Vor fast 40 Jahren hat Ihr Vater die Firma Walter Rüegg AG gegründet. Bereits im Jahr 2000 haben Sie dann die Geschäftsführung übernommen. Wie ist es zu dieser Nachfolgelösung gekommen?
Rüegg: Mein Vater hat das Unternehmen mit meiner Mut­ter ­zusammen gegründet. Sie begannen in einem Büro im eigenen Haus. Mein Vater war ein sehr talentierter Verkäufer, meine Mutter erledigte die Verwaltung. Ich selber habe eine Schreinerlehre absolviert und bin so als Handwerker in den Betrieb hinein­gerutscht. Wir alle ergänzten uns sehr gut, jeder hatte seine ­Stärken, die Zusammenarbeit war wirklich aus­gezeichnet. 

Sie haben ebenfalls Kinder. Beabsichtigen diese, ­Sortimo irgendwann als dritte Generation zu übernehmen?
Genau, ich habe drei Kinder. Silas, der zweitälteste Sohn, ist seit mehreren Jahren im Unternehmen tätig und hat eine leitende Funktion in der Produktion inne. Noemi ist Teilzeit in der Administration tätig und ist hauptberuflich Radsportlerin. Das macht Freude. Auch Timon, der älteste Sohn, war eine Zeitlang Mit­arbeiter. Momentan setzt er auf den Radsport und verfolgt eine Profi-Sportkarriere. Er wird wohl später ­wieder in den Betrieb zurückkehren. Aber ob meine Kinder die Nachfolge antreten, steht noch nicht fest. Ich möchte überhaupt keinen Druck ­aufsetzen. Wichtig ist, dass jeder die Arbeit macht, die er mit Freude und Leidenschaft erledigt. Ob das bei meinen Kindern eine ­Tätigkeit in der Fahrzeugbranche ist, wird sich zeigen. Falls meine Kinder den Betrieb nicht weiterführen, finden wir eine andere Lösung. Wir haben eine ausgezeichnete Geschäftsleitung und das Unternehmen ist sehr stabil.

Ihr Betrieb hat sich von einem Homeoffice zu einer Fabrik ent­wickelt. Haben Sie diese zusammen mit Ihrem ­Vater aufgebaut?
In den letzten Jahren hat sich tatsächlich viel geändert. Mein Vater begann mit dem Verkauf von Werkzeugen, später hat er sich auf das Sortiment «Sortimo»-Fahrzeugeinrichtungen spezialisiert. Man könnte sagen: Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit meinen Eltern habe ich wie gesagt sehr gut zusammengearbeitet, wir hatten nie einen ernsthaften Streit oder auch nur eine Auseinandersetzung. Ein Grund dafür war, dass der Betrieb gut gelaufen ist, es ging kontinuierlich vorwärts. Es gab immer mehr Arbeit, es war schön, das Unternehmen so aufzubauen.

Gab es Schwierigkeiten, die Sie als Unternehmer überwinden mussten?
Es gibt täglich Herausforderungen, im Moment zum Beispiel der zeit- und bedarfsgerechte Einkauf von Rohmaterial.

Wie hat sich Covid auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?
Am Anfang wurden während des Lockdowns keine Nutzfahrzeuge mehr produziert, die wir ausstatten konnten. Bis die Fahrzeugherstellung wieder begann, erlebten wir eine Durststrecke mit vier Monaten Kurzarbeit. Wir waren sehr dankbar für die Unterstützung des Staates, diese haben wir sehr positiv erlebt. Wir haben auch versucht, die Vorgaben des Staates mit gesundem Menschenverstand umzusetzen.

Hat die Pandemie an dem Verhältnis zwischen den Mitarbeitern etwas geändert? 
Die Mitarbeitenden der Produktion mussten anwesend sein, die Arbeit mit Masken war sicher nicht einfach. Im Homeoffice konnten wir nur Leute aus der Verwaltung beschäftigen. Zuerst fanden einige das gut, aber nach zwei, drei Monaten drehte sich die Stimmung und man freute sich darauf, wieder im Büro zu arbeiten. Gerade unsere alleinstehenden Mitarbeitenden fühlten sich im Homeoffice zeitweise etwas einsam.

Welche Vorteile hat es, dass Firmenfahrzeuge von ­einer Drittfirma statt von den Herstellern ausge­stattet werden?
Früher wurden in vielen Firmen die Autos von den Mitarbeitenden den Bedürfnissen entsprechend eingerichtet. Aber die Geräte, die ein Handwerker warten oder reparieren muss, werden immer komplexer, zum Beispiel Haushaltsgeräte, sodass die Anforderungen an die Fahrzeugeinrichtung steigen. Der Handwerker muss professionell arbeiten können, er kann sich kein Durcheinander im Auto leisten, sonst verliert er sehr viel Zeit mit ­Suchen und Finden. Dann ist er nicht mehr wettbewerbsfähig.

Sie produzieren die massgeschneiderten Einrichtungen nicht alle selber, woher beziehen Sie Ihre Halb­fabrikate?
Unsere Zulieferanten kommen alle aus Deutschland. Unsere Workerboxen und Pro-Top-Rack-Lastenträger werden in Oberhasli produziert und innerhalb der Schweiz ausgeliefert. Für unser Unternehmen ist es notwendig, im Hause zu produzieren, um die Geschwindigkeit und Qualität sicherzustellen.

Welche Einrichtungen sind am meisten gefragt?
Verlangt wird, dass die Handwerker eine Fahrzeugeinrichtung bekommen, mit der sie effizient arbeiten können, die ihnen ­dazu verhilft, ihre Arbeitszeit zu verkürzen. Das Preis-Leistungs­Verhältnis muss natürlich ebenfalls stimmen.
 
Wie nachhaltig ist Ihr Betrieb eigentlich?
Unsere Einrichtungen werden sicher zehn bis zwölf Jahre alt oder noch älter. Weil sie auf die speziellen Bedürfnisse unserer Kunden angepasst sind, werden sie immer  wieder in die neuen Fahrzeuge unserer Kunden eingebaut. Man kann die Einrichtung sehr flexibel an den aktuellen Bedürfnissen anpassen, zum Beispiel die Bestandteile eines grossen Autos in mehrere kleine verteilen oder ein grosses Auto teilweise neu ausstatten. Mit mehrmaliger Verwendung ist eine gewisse Nachhaltigkeit sichergestellt, zudem lassen sich viele Materialien recyceln, wenn die Einrichtung aussortiert wird.

In Ihrem Betrieb ist offensichtlich Digitalisierung wichtig. Auf welchen Gebieten besonders?
Die interne Digitalisierung für unsere Maschinen und die Or­ganisation ist eine unserer grossen Stärken. In den letzten fünf Jahren haben wir grosse Fortschritte gemacht. So sind wir beispielsweise auf eine sehr flexible Terminplanung angewiesen. Wann ein Auto zum Umbau angeliefert wird, kann man nicht vorhersehen. Auch kommt es oft zu Verzögerungen. Dabei ist es wichtig, dass jede Abteilung so rasch wie möglich darüber ­informiert wird, dass zum Beispiel ein Auto einen Monat später als vorgesehen zur Verfügung steht. Das heisst, wir brauchen das Gegenteil von einer normalen Planungssoftware. Eine solche setzt fixe Termine für Lieferungen fest. Das ist bei uns nicht möglich, und das ist die grosse Herausforderung für die Planung.

Wer hat Ihre Software entwickelt?
Wir hatten einen sehr qualifizierten Partner, der unsere Bedürfnisse sehr gut berücksichtigt hat. Wichtig ist, dass die Digitalisierung unser Freund ist und ein Hilfsmittel, das uns unterstützt. Es ist eine grosse Herausforderung, einem externen Partner ­interne Bedürfnisse zu erklären, das haben wir dank unseren ­qualifizierten internen Leuten geschafft. Die Entwicklung der ­Digitalisierung hört nie auf. Wir haben zwar wichtige Schritte ­gemacht, aber wir brauchen immer wieder neue Anpassungen.

Was muss jemand mitbringen, der bei Ihnen arbeiten möchte?
Das ist sehr unterschiedlich. Mir liegt daran, dass meine Mit­arbeiter ehrliche Menschen sind. Wenn das Fundament der Zusammenarbeit stimmt, können wir alle sehr viel voneinander lernen und erfolgreich sein. Für die Einrichtung von Fahrzeugen gibt es in der Schweiz keine Ausbildung. Unsere Leute haben zum Beispiel eine Lehre als Automechaniker oder Schreiner absolviert, auf dieser Grundlage bilden wir sie für unsere Bedürfnisse aus. Das ist eine grosse Herausforderung, aber wenn die Mitarbeitenden die erforderlichen Kenntnisse haben und motiviert sind, läuft es super. Für mich ist zudem der soziale ­Aspekt sehr wichtig. Nicht jeder hat das Glück, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Diesen Leuten eine Chance zu geben, sie zu fördern, sodass sie einen guten Job machen, ist zwar eine Herausforderung, aber zugleich eine grosse Befriedigung.
 
Ist es schwierig, neue gute Leute zu finden?
Ja, sehr. Ich fürchte, dass es in Zukunft nicht nur einen Kampf um gute Aufträge geben wird, sondern ebenso einen Kampf um qualifizierte Mitarbeitende. Wenn die fehlen, nützen uns alle Aufträge nichts. Ich erachte es als etwas vom Wichtigsten in der Unternehmensführung, die richtigen Personen für die richtige Stelle zu finden. Deshalb beteilige ich mich auch persönlich an der Mitarbeitersuche.

Wie beurteilen Sie die Vorbildung in der Schule?
Viele Chefs suchen die Lehrlinge mit dem besten Schulabschluss. Ich bin dafür, auch den Schülern im Mittelfeld eine Chance ­zu geben. Wir wollen die Leute ja ausbilden. Wer gut ist in der Schule, kann zwar rechnen, schreiben und reden. Aber wie er seine Hände bewegt, steht auf einem anderen Blatt. 

Wie organisieren Sie die Akquisition und den Vertrieb?
Wir haben 14 Aussendienstmitarbeiter, die mit Demofahrzeugen unterwegs sind und bei den Kunden vorbeigehen, wenn diese das wünschen. Viele Handwerker möchten das Produkt in der Realität sehen, nicht per Internet bestellen. Unsere Aussendienstmitarbeiter beraten die Kunden und machen Vorschläge. Wir hoffen, dass wir in diesem Herbst auch wieder Fachmessen besuchen und dort repräsentieren können. Wir freuen uns sehr darüber, unsere Kunden wieder persönlich zu treffen.

Wie setzten Sie sich gegen die internationale Kon­kurrenz durch?
In unserem Bereich haben wir hauptsächliche Konkurrenten in Europa. Mit unserem System sind wir weltweit führend. Unser Vorteil ist, dass wir Spezialanfertigungen für wenige Fahrzeuge fabrizieren. Das könnten die Chinesen nicht ohne Weiteres in Europa anbieten, das ginge nur, wenn man zum Beispiel 100 000 gleiche Autos ausstatten wollte. Der Schreiner im Dorf hat aber individuelle Bedürfnisse. Wir sind nur in der Schweiz tätig. Die Fahrzeuge unserer Kunden befinden sich ebenfalls in der Schweiz, also muss der Ausstatter auch vor Ort sein.

Wie schützen Sie Ihre Innovationen?
Manchmal patentieren wir diese. Aber es ist unsere Philosophie, ein Produkt immer wieder zu verbessern, sodass die Konkurrenz nicht so leicht Schritt halten kann. Wichtig ist, die Wünsche unserer Kunden umzusetzen und die Produkte entsprechend anzupassen. Solange wir das machen, haben wir Erfolg. Dazu müssen wir mit den Kunden reden. Oft kommt derselbe Wunsch nachher nochmals, sodass wir das Produkt «serienreif» entwickeln können, das ist schön.
 
Welche Entwicklungen erwarten Sie in der Auto­branche für die Zukunft?
Die Digitalisierung wird uns weiterhin sehr stark beschäftigen und eröffnet ganz neue Möglichkeiten, zum Beispiel selbstfahrende Autos. Der nächste Schritt wird sein, dass der Benutzer gefahren wird, und noch später muss sich überhaupt keine Person mehr im Auto befinden, zum Beispiel um eine Auslieferung zu erledigen. Vielmehr bekommt der Kunde nur noch einen Code, um die Fahrzeugtür zu öffnen und die bestellten Waren herauszunehmen.

Viele Waren werden noch immer in der Welt herumtransportiert, ohne dass sich ein Nutzen für die Kunden ergibt. Wie beurteilen Sie dieses Problem? 
Dafür sind wir alle verantwortlich. Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel geben: Ich benötigte vor Kurzem eine LED-Lampe. Angeboten wurden mir aber nur chinesische Produkte. Erst auf meine Frage, ob es kein entsprechendes Produkt aus Europa gibt, bekam ich eine LED-Lampe aus hiesiger Produktion. Das sollten viel mehr Kunden tun. 

Wie sollte sich die Schweiz zur EU stellen?
Es wäre schade, wenn wir unsere Qualitäten an die EU verkaufen und uns unterordnen würden. Wir sollten den bilateralen Weg fortsetzen, und zwar auf Augenhöhe, miteinander statt untergeordnet. Dass die kleine Schweiz erst Brüssel fragen muss, wenn wir etwas machen wollen, geht in meinen Augen nicht. Corona hat einmal mehr gezeigt, dass die Schweiz in herausfordernden Zeiten immer sehr gut gefahren ist. In grossen Systemen wird es schwierig, auf die Bedürfnisse der einzelnen Regionen einzugehen. Wir haben andere Fähigkeiten als der Rest von Europa – nicht nur gute Schokolade und Käse, sondern Know-how, das wir im Kleinen entwickelt haben. Es wäre sehr schade, das fortzuwerfen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich möchte meinen Leuten eine gute Arbeitsstelle bieten, an ­der sie zufrieden sind und einen guten Lohn verdienen. Wichtig ist auch, dass alle miteinander eine gute Zeit verbringen. Wenn man am Morgen mit guter Laune ankommt und am Abend zufrieden hinausgeht, also mit Freude arbeitet, ist man motiviert und macht einen guten Job.

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