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Interview mit Beat Guhl

«Wir sind Wege gegangen, die nicht der Norm entsprochen haben»

Beat Guhl, Geschäftsführer und Inhaber der Sky-Frame AG, über die Entwicklung von einem Handwerksbetrieb zu einem Industrieunternehmen, die Herausforderungen schnellen Wachstums und den individuellen Umgang mit Normen und Vorgaben.
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Herr Guhl, Erfolg besteht aus einem Cocktail von ganz verschiedenen Zutaten. Welche Ingredienzen waren und sind es bei Ihnen?

Um das zu beantworten, muss ich kurz auch auf meine eigene Geschichte zurückgehen. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Also waren schon meine Eltern Unternehmer. Und wenn man in einem Unternehmen aufwächst, dann betrachtet man fast schon automatisch Dinge nutzenorientiert und unternehmerisch. Dieses Grunderlebnis erachte ich für meinen Werdegang als wesentlich. Als Lehrling und Angestellter war ich nicht immer angenehm, ich hatte oft Änderungswünsche und Verbesserungsvorschläge, die nicht immer jedem gefallen haben. So entschied ich mich schon relativ früh, selbstständig zu werden. Das andere ist, dass ich durch meinen Sport Leistungsdenken entwickelt habe und dadurch auch gelernt habe, sehr zielorientiert zu agieren.

Sport als unternehmerischer Energizer?

In Bezug auf Ehrgeiz, Zielsetzungen und Beharrlichkeit kann man das sicher so sagen. Als 17-Jähriger war ich im Nachwuchskader der Nationalmannschaft für Orientierungslauf. Dort wurde uns die Übung auferlegt, Ziele zu setzen. Unser Trainer riet uns, höhere Ziele zu setzen als die, die wir glaubten erreichen zu können. «Wenn ihr eure Ziele zu niedrig hängt, aber mehr Potenzial habt, als ihr denkt, dann werden höhere Ziele auch niemals erreicht», so sein Credo. Das hat mich ziemlich geprägt. Dazu kommt, dass ich, wie ich glaube, eine energievolle und gesunde Mischung aus Perfektionismus und Non-Perfektionismus lebe. Ja, und schliesslich habe ich ein besonderes Flair für Technik. Das alles zusammengenommen hat dazu geführt, dass ich mit einem Partner zusammen den Weg in die Selbstständigkeit gewagt habe.

Sie haben im Jahr 1993 die Firma R & G Metallbau AG gegründet, sind mit drei Mitarbeitenden gestartet. Der grosse Durchbruch kam dann mit der Installation der ersten Sky-Frame-Anlage rund neun Jahre später. Ist das die Entwicklungszeit, die ein innovatives Produkt wie Ihr Schiebefenstersystem braucht?

Nein. Die ersten Jahre haben wir uns dem klassischen Metallbau gewidmet. Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der in vielem Chancen und Ziele sieht und immer das Bedürfnis hat, etwas Neues auszuprobieren. So haben wir auf kleinem Feuer nach Innovationen gesucht. Und wir haben nur so viel investiert, dass es nicht schmerzte, wenn wir frühzeitig abbrechen mussten.

Wie ist die Idee für das Produkt Sky-Frame entstanden?

Sky-Frame geht nicht auf eine besondere Sternstunde zurück, war nicht das Ei des Kolumbus. Die Idee oder der Wunsch, Fensterfronten, möglichst ohne sichtbaren Rahmen zu verbauen, kam aus unserem Kundenkreis, also Architekten und Bauherren. Es gab dann verschiedene Versuche mit Glas und Stahl. Zunächst bauten wir eine Aluminiumversion, die eigentlich nicht für unsere Breitengrade gedacht war, im Grundsatz aber akzeptiert wurde. Da es auch schon den Trend zu grossen Glasflächen gab, kamen wir gemeinsam mit unseren Kunden zum Schluss, dass wir hier in eine Marktlücke gestossen waren. Es waren dann der Glaube an die Idee und die Beharrlichkeit, an Weiterentwicklungen zu arbeiten, die uns neben vielen anderen Details relativ schnell zum Ziel geführt haben. So war es auch wichtig, die Ressourcen zu haben, mich etwas aus dem Tagesgeschäft herausnehmen zu können. Dazu hatte ich einen Mitarbeiter eingestellt, der mich entlasten konnte, so dass ich Zeit für das Projekt Sky-Frame hatte. Und dabei bin ich natürlich auch eigene Wege gegangen.

Was meinen Sie damit?

Wir sind Wege gegangen, die nicht immer der Norm entsprachen. Denn Normen schränken Entwicklungen auch ein. Normen sind ja eigentlich eine Darstellung der Vergangenheit, wie Produkte oder Verarbeitungen zuverlässig funktioniert haben. Starke Technik ist das nicht. Denn in einem Betrieb, wo hart gearbeitet wird, ist die Technik immer Gegenwart, und Normen sind sozusagen die Vergangenheitsbewältigung. Wenn man sehr stark mit Technik befasst ist und Normen Vorgaben geben, man aber die Vorgaben auch auf anderem Weg erfüllen kann, gibt es Mittel und Wege. Mir wurde oft gesagt, dieses oder jenes sei nicht umsetzbar, weil die Norm nicht erfüllt sei. Das war für mich nie ein Grund, etwas aufzugeben. Ich habe mich vielmehr gefragt, was die Norm denn erreichen will und was ich anders machen muss, damit es trotzdem funktioniert. Da bin ich dann der Tüftler, der sagt: Versuchen wir es einfach. Versuchen wir es wieder und wieder, bis es funktioniert. Das Erfolgsgeheimnis liegt dann einfach in den Hunderten Details, die es braucht, wenn man ein Produkt baut, das sehr präzise sein muss und man mit herkömmlichen Techniken nicht klarkommt.

Normen haben ja auch etwas mit Bürokratie zu tun. Und Bürokratie ist nicht unbedingt dafür bekannt, Ziele unproblematisch umsetzen zu können. In der Schweiz ist das nicht so problematisch wie zum Beispiel in Deutschland. Als Deutscher in Deutschland hätte ich mein Ziel nie erreicht.

Wo liegt denn der Unterschied?

Der entscheidende Unterschied ist, dass Deutschland extrem normengläubig ist, und die Verantwortung der Architekten ist in Deutschland grösser, als es in der Schweiz der Fall gewesen ist. Heute müssen Schweizer Architekten auch mehr verantworten; früher war es so, dass ihnen die Normen nicht ganz so wichtig waren. Und dass irgendwann ein Architekt zur Rechenschaft gezogen wurde, ist eigentlich kaum passiert. Früher hat ein Unternehmer gesagt: Ja, das kann ich bauen, dafür stehe ich gerade, als Unternehmer und als Mensch. Den Architekten und Bauherren war das Versicherung genug. Diese Mentalität herrschte früher in der Schweiz vor, und in vielen Bereichen ist es immer noch so, dass Unternehmer zu ihrem Wort standen. Wenn Sie in Deutschland nicht nach Normen bauen, haben Sie am Ende das Nachsehen, wenn es um das Zahlen der Rechnung geht. Wir haben sehr viele Arbeiten auf Vertrauensbasis gemacht.

Mit Sky-Frame haben Sie den Grundstein für ein schnelles Wachstum von der Handwerksmanufaktur bis zum Industriebetrieb mit mehr als 120 Mitarbeitenden gelegt. Welche Herausforderungen waren auf dem Weg dorthin die schwierigsten?

Die grösste Herausforderung war der Organisationsaufbau, der ja parallel zum schnellen Wachstum verlaufen musste. Ich hatte bis dahin nie wirklich eine entsprechende Struktur erlebt, da ich bislang nur in kleineren Firmen tätig war und auch nur mit kleineren zu tun hatte. Plötzlich musste ich etwas tun, womit ich keinerlei Erfahrung hatte. Hierfür die richtige Unterstützung, die richtigen Partner zu finden, war eine grosse Herausforderung.

Wer hat Sie schlussendlich dann unterstützt?

Das waren vor allem Berater, die mir empfohlen worden waren. Meine Grundeinstellung war immer: Was ich kann, mache ich selbst, was ich nicht kann, muss ich von aussen holen. Wir haben in der Zeit viel ausprobiert. Ich hatte Unterstützung, die sich auf mehreren Schultern verteilte. Das reichte vom Qualitätsmanagement bis zur Mitarbeiterführung. Das war wirklich ein Hochhangeln, Schritt für Schritt. In der letzten Zeit habe ich so mehrere Jobs durchlebt. Das hat viel Energie gebraucht. Ich habe daher dann in Form von Coaching auch für mich persönlich Unterstützung genutzt. Ich bin weniger ein Mensch, der sich vieles durch Lesen aneignet, sondern mehr in der Diskussion mit anderen Menschen.

Wie stark sind Sie heute noch in das operative Geschäft eingebunden?

Meine Arbeitswoche bewegt sich um die 60 bis 70 Stunden. Und die sind vor allem gefüllt mit Beziehungspflege, Führungsaufgaben und strategischen Überlegungen. Vor allem Strategie ist für mich allerdings zeitlich nicht wirklich greifbar. Das ist ein laufender Prozess. Wenn ich eine gute Idee habe oder eine Geschäftschance sehe, dann spielen Zeit und Ort keine Rolle.

In einem kleineren Unternehmen ist es sicher noch leichter, eine Kultur zu prägen. Welche Rolle spielt für Sie Unternehmenskultur und wie können Sie diese bei 120 Mitarbeitenden noch vorleben?

Unternehmenskultur spielt eine sehr grosse Rolle. Bei schnellem Wachstum ist es nicht einfach, den Mitarbeitern so nahe zu sein wie zu Beginn der Unternehmensentwicklung, so nahe, dass sie die Kultur verstehen. Es ist schwierig, das Gedankengut über zwei Hierarchiestufen zu transportieren.

Und wie lösen Sie das Problem?

Einige Möglichkeiten sind viele Mitarbeiteranlässe, gemeinsame Unternehmungen. Ich versuche, möglichst oft dabei zu sein. In der Geschäftsleitung haben wir einen Workshop gemacht, während dem wir unsere Kultur definiert haben. Dann haben wir dasselbe mit dem Kader gemacht. Dem Kader spielten wir sogar Erlebnisse vor, die wir auch filmten, um zu zeigen: Seht her, das ist unsere Welt, das ist unsere Kultur. Das Projekt Sky-Frame hat seine Fortführung darin gefunden, dass anschliessend Mitarbeiter ihre Kollegen filmten, um zu zeigen, mit welchen Augen diese Sky-Frame sehen. Neben regelmässigen Workshops steuern wir natürlich auch viel Kultur über die Wahl der neuen Mitarbeiter.

Steuern Sie diesen Prozess selbst?

Ich lebe ihn vor. Mitarbeiter zu verstehen, zu coachen, zu führen – das ist keine leichte Aufgabe. Das Wichtigste ist zu verstehen, wie sie funktionieren, denn dann ist natürlich die Kommunikation viel einfacher. Hier wünschte ich mir mehr Fähigkeiten. Auch wenn ich heute in einem ganz neuen Job lebe, bin ich halt immer noch mehr der Techniker.

Technik oder Mitarbeiterführung, was macht Ihnen denn mehr Freude?

Das kann ich nicht beantworten, und eigentlich spielt es auch keine Rolle, denn es ist die Herausforderung, die Freude macht. Und am schönsten ist dann der Lohn, wenn wir sagen können: Hey, da haben wir wieder etwas geschafft. Meistens jedoch hat es zu wenig Zeit, den Lohn auszukosten, weil schon die nächste Herausforderung ansteht. Es kann also auch ein Übel sein, ständig irgendwo Chancen zu sehen. So haben wir eher das Problem, dass es zu viele Projekte werden können. Gleichzeitig ist das natürlich genau das, was einen Unternehmer ausmacht. So beisst sich die Katze in den Schwanz. Wenn man sich da nicht gut managt oder zu viel zumutet, dann läuft es schnell in die falsche Richtung.

In die richtige Richtung läuft offenbar die Internationalisierung Ihres Vertriebs. Sie sind in rund 30 Ländern vertreten, produziert wird nach wie vor in der Schweiz. Wie hilfreich ist das Prädikat «Swiss made» für Sie noch?

Unser Export liegt mittlerweile bei etwa 70 Prozent. Und natürlich ist Swissness ein Bonus, der hilft. Swissness ist ein Vorschuss, der aber auch zur Last werden kann. Nämlich dann, wenn zum Beispiel lokale Partner auf einmal nicht mehr Swissness sind. Die Erwartungen sind hoch. Im Moment bedeutet Swissness vor allem das Verhältnis von Euro und Franken, und das schmerzt. Das hätten wir gern anders.

Wie denn?

Was soll ich sagen: Ein Kursverhältnis von 1 zu 1,40? Nein, jetzt im Ernst: Ich habe kein gutes Gefühl für die Schweiz, nicht nur für die Schweizer Wirtschaft, auch für die Schweiz insgesamt. Unternehmen, die in der Schweiz produzieren, geraten sehr unter Druck. Da werden Eurorabatte gefordert, und wenn es dumm läuft, würgt das die Wirtschaft ab. Dann wird auch das Vertrauen in die Schweiz schwinden. Ich habe dafür allerdings auch keine Lösung. Ich bin kein Finanzanalyst und will mir kein Urteil anmassen.

Ein EU-Beitritt würde das Problem sicher auch nicht lösen oder?

Nein, ich glaube, ein EU-Beitritt wäre für die Schweiz nicht gut. Die wirtschaftlichen Unterschiede im Euro-Raum sind zu unterschiedlich, als dass sich da eine wirkliche Währungseinheit beziehungsweise Harmonie ergeben könnte. Das Beispiel Griechenland hat gezeigt, dass es nicht funktioniert. Natürlich könnte man sagen, Griechenland trage selbst die Schuld, aber Griechenland konnte nur deswegen schuld an seiner Lage sein, weil es zugelassen wurde. In Europa gibt es einfach zu viele kulturelle Unterschiede, die man nicht über einen Kamm scheren kann. Deswegen kann das Konstrukt eigentlich nur scheitern. Insofern bin ich froh, dass wir nicht dazugehören. Gleichzeitig haben wir natürlich auch keinen Einfluss darauf, was finanz- und wirtschaftspolitisch in Europa passiert.

Herr Guhl, kommen wir zur letzten Frage. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Unternehmer aus?

Nachhaltig zu handeln, klare Entscheidungen zu treffen, Ziele sauber zu vermitteln. Weitere Grössen sind Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Mir geht es hauptsächlich darum, zu entscheiden, welchen Weg ich gehe. Und wie welcher Franken wann und wo eingesetzt werden muss, damit am Schluss das Resultat so stimmt, wie es sich der Markt wünscht.

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