Interviews

Interview mit Fabienne Kuratli-Suter

«Wir sind Garagistenkinder – wir haben Benzin im Blut»

Fabienne Kuratli-Suter, Geschäftsführerin und Verwaltungsratspräsidentin der Auto-Zen­trum West AG, über eine schwierige Nachfolge, den Wandel im Automobilmarkt und einen sinnvollen Markenmix.

Frau Kuratli-Suter, die Gründung Ihres Autohauses geht zurück auf Ihren Grossvater. Wie hat sich das entwickelt?
Ursprünglich hat unser Grossvater in St. Margrethen mit einer Zweimanngarage angefangen, als Ford-Vertretung. Das war 1963, wir feiern in diesem Jahr also unser 60-jähriges Ju­biläum. Mein Vater baute dann im Jahr 2000 hier in St.Gallen das Auto-Zentrum West auf. Zum einen gab es hierfür einen Markt, und als Ford dann auch neue Händler in der Region suchte, hat mein Vater diesen Schritt gewagt. 

Sie und Ihr Bruder hatten ja schon sehr früh den ­Bezug zum Unternehmen. War das schon Teil einer möglichen Nachfolgeplanung?
Ja und nein. Der Bezug zur Arbeit unseres Vaters war schon seit Kindesbeinen gegeben. Wir wohnten ja auch in unmittelbarer Nähe und das Areal wurde Teil unseres Spielplatzes. Im Jahr 2006 ist mein Bruder dann ins Unternehmen eingestiegen, ich folgte 2010. Natürlich war es immer der Wunsch meines Vaters, dass wir eines Tages die Firma übernehmen würden. Für mich stand aber auch schon früh fest, eine eigene Familie gründen zu wollen. Als ich 2016 und 2018 dann meine beiden Jungs bekam, reduzierte ich mein Pensum auf rund 30 Prozent. Die Familie, das war klar, sollte an erster Stelle stehen.

Und dann kam alles anders …
Am 7. Juni 2019 erhielten wir einen Anruf, mit dem uns mitgeteilt wurde, dass unser Vater verstorben ist. Das war ein unglaublicher Schock. Von heute auf morgen schien alles auseinandergebrochen zu sein. Anfangs herrschte ein entsprechend gros­ses Chaos. Mein Vater war ein typischer Patron, der praktisch ­alles mit sich selbst ausmachte. Strategie- und Organisationspapiere gab es nicht, das spielte sich alles in seinem Kopf ab. Und er war ein Vollblutverkäufer mit einem grossen Netzwerk. Er verkaufte Autos auch am Telefon, zwischen Stühlen und Bänken. Für ihn zählte dabei noch der Handschlag. Für uns war es eine grosse Herausforderung, hier erst einmal den Durchblick zu bekommen.

Haben Sie nicht daran gedacht, einen externen Geschäftsführer einzustellen?
Nein, es war von Anfang an klar, dass mein Bruder und ich die Geschäftsführung übernehmen würden. Es ging ja nicht nur um das Lebenswerk unseres Vaters, sondern auch um die Verantwortung gegenüber den damals schon 80 Mitarbeitern. Zudem hätte ein Externer noch viel weniger den Durchblick ­haben können. Ich hatte ja bereits relativ viel Verant­wortung im Betrieb gehabt. Ich war unter anderem für die Buchhaltung zuständig und hatte dadurch natürlich schon auch ­Einblicke in die Interna des Unternehmens.

Welche Veränderungen haben Sie zunächst ­vorgenommen?
Wir haben das Unternehmen komplett neu strukturiert. Mein ­Vater war immer präsent. Er war der Erste, der kam, und der Letzte, der ging, hat jahrelang keine Ferien gemacht. Das ist nicht nur schlecht für die Gesundheit, sondern auch gefährlich für das Geschäft. Es war daher unser erstes Gebot, den Betrieb unabhängiger vom Chef zu machen. Wir haben also für jede Abteilung eine Führungsposition und für jeden eine Stellvertretung geschaffen.

Eine nächste Herausforderung kam dann mit der Corona-Pandemie. Wir sind Sie damit umgegangen?
Als wir nach dem Tod meines Vaters gerade wieder den Kopf über Wasser hatten, kam mit Corona die nächste absolute Ausnahmesituation. Uns ist es aber gelungen, das Problem relativ ruhig anzugehen und verschiedene Strategien aufzustellen. Wir haben natürlich auch für gewisse Zeiten den Showroom schlies­sen müssen. In der Werkstatt führte ich Schichtbetrieb ein, damit nicht alles stillstand. Viele Mitarbeiter sind ausge­fallen durch Krankheit und Quarantänezeiten. Das war schon ein mühsames Arbeiten, und natürlich hatten wir auch finan­zielle Einbussen. Mehr noch als Corona selbst haben uns aber die Lieferschwierigkeiten zu schaffen gemacht, die auch immer noch anhalten. Das betrifft vor allem die Elektronik, Chips und Halbleiter. Ausserdem hat der Ukraine-Krieg dazu geführt, dass unter anderem zusätzlich auch Kabelbäume fehlen. Die Abhängigkeit vor allem aber vom Fernen Osten ist schon gravierend.

Wie sehen Sie die Entwicklung der letzten gut drei Jahre heute im Rückblick, gerade auch was Sie ­persönlich betrifft?
Das Leben hat mir gewisse Entscheidungen einfach abgenommen, die ich jetzt im Nachhinein sehr positiv sehe. Die Herausforderungen haben mich sehr stark gemacht und ich habe unglaublich viel gelernt. Man lernt auch schneller, wenn man muss. Die Entwicklung hat mir auch bewiesen, dass wir Steh-aufmännchen sind, so wie unsere Eltern es uns vorgelebt haben. Der Lieblingsspruch unseres Vaters war: Goht nöd, gits nöd!

Neben dem Verkauf von Neuwagen und Occasionen bieten Sie auch den Umbau von Nutzfahrzeugen an. Worauf sind Sie da spezialisiert?
Neben individualisiertem Innenausbau führen wir haupt­sächlich Auflastungen durch. So ist etwa eine Erhöhung des vom Hersteller eingetragenen zulässigen Gesamtgewichtes oder auch der Anhängelast eines Fahrzeugs möglich. Wenn man ­beispielsweise eine Wohnkabine auf einem Ford Ranger anbringt oder einen Pfadschlitten vorne befestigt, dann erhöht sich das Gewicht auf der Achse. In dem Fall ist eine Achs-­Auf­las­tung ­notwendig. Auf solche Dinge sind wir spezialisiert, und die Kunden, sowie andere Händler, kommen dafür aus der ­ganzen Schweiz zu uns.

Eine Frage zur Unternehmensentwicklung generell. Das Auto-Zentrum ist mit der Marke «Ford» gestartet. Wie kamen die weiteren Marken hinzu, und warum ausgerechnet dieser Markenmix?
Der Grundsatz war immer, zu diversifizieren, ohne dass eine Marke die andere konkurrenziert. Das Ziel ist natürlich, zu­sätzliche Kundschaft zu gewinnen. So haben wir beispielweise 2012 die Marke Jeep als Haupthändler übernommen, weil viele ­Kunden Autos mit einer Anhängelast von 3,5 Tonnen brauchen. Wir haben ein grosse Markenvielfalt und können damit jede Zielgruppe bedienen – vom Auto für den Otto Normalverbraucher bis zu High-End-Produkten oder Luxusprodukten, von Nutz­fahrzeugen für Unternehmen bis zu Rennfahrzeugen oder ­Offroadern.

In welcher Preisrange?
Die liegt bei Neuwagen ungefähr von 20 000 bis über 200 000 Franken.

Was wäre denn ein solches High-End-Produkt?
Lotus deckt sicher unser aktuelles Luxussegment ab. Zudem ­entwickelt sich der Brand Lotus noch mehr in die Richtung eines High-End-Brands.

Lotus hat im vergangenen Jahr einen vollelektrisch angetriebenen SUV lanciert. Wie passt das zum Rennwagenimage?
Lotus hat mit der traditionsreichen Marke aus England nicht mehr viel zu tun.  Sie wurde vom chinesischen Geely-Konzern übernommen, der unter dem Brand nur noch vollelektrische SUV und Limousinen produziert. 

Werden Sie Lotus dennoch weiter vertreten?
Ja, und ich freue mich darauf, denn da kommen sehr spannende Produkte.

Zum Beispiel? Und bleibt Lotus ein High-End-Produkt?
Der Lotus «Eletre» ist in Sachen Motorisierung, Ausstattung und Technologie sicher High End. Es gibt ihn mit den Motorisie­rungen 600 oder 900 PS und einer Reichweite bis 600 Kilo­metern. Und wenn es das Gesetz zuliesse, könnte der «Eletre» auch komplett autonom fahren.

Wie verteilten sich zuletzt umsatzbezogen die Markenanteile?
Ford ist mit rund 60 Prozent die Hauptmarke, Jeep folgt mit 30 Prozent und Lotus macht etwa 10 Prozent aus.

Könnte sich der Lotus-Anteil nach dem Einstieg des chinesischen Konzerns positiv verändern?
Ja, Geely hat Grosses vor. Das Ziel ist, einige hundert Autos in der Schweiz zu verkaufen. Jetzt, Anfang Jahr, kommt noch der Lotus «Emira» auf den Markt, der letzte Verbrenner. Wir ­hatten ihn für eine Präsentation hier in St. Gallen und im November war er auch auf der «Auto Zürich» zu sehen. Das Echo war extrem gut, und wir haben auch schon einige Fahrzeuge ­verkauft. Er spielt in der Liga mit von – ich sag jetzt mal – Porsche oder Ferrari, aber einfach zum halben Preis. 

Wie ist die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Konzern geregelt? Gibt es da beispielsweise Anteile am Marketingbudget?
Das wissen wir noch gar nicht. Mit Lotus haben wir einen Agenturvertrag unterzeichnet. Das bedeutet, dass der Hersteller bis zum Verkauf Eigentümer bleibt. Lotus ist eine der ersten Marken, die dieses Verkaufsmodell einführen. Vermutlich werden andere Marken folgen. Wir werden sehen, wie das Ganze dann im Detail aussieht.


Bedeutet das, die Hersteller unterstützen den Direktverkauf über das Internet?
Der Kunde hat eigentlich zwei Optionen. Entweder er kauft das Auto direkt, indem er es über das Internet bestellt, und wählt dann uns als Auslieferhändler aus. Oder der Kunde kommt zu uns, lässt sich beraten und wir bestellen dann das Fahrzeug ­zusammen mit dem Kunden. 

Heisst das auch, dass der Kunde zunehmend einen anderen Bezug zum Automobil entwickelt?
Bestellungen über das Internet sind im Moment noch selten. Der heutige Kunde sucht nach wie vor den Kontakt zu einem Ver­käufer, der ihn berät. Ausserdem möchte er vor einem Kauf das Auto spüren, vielleicht eine Probefahrt machen. Es kommt aber eine Generation, die nicht nur eher auf Online-Shopping aus­gerichtet ist, sondern vor allem ein Auto mit viel weniger Emo­tionen betrachtet als die Generationen zuvor. Sie wollen ein Auto, um von A nach B zu kommen. Es ist ihnen egal, ob es rot, schwarz oder blau ist, und auch die Marke hat nicht mehr diese Relevanz. Ich glaube daher auch, dass in Zukunft vermehrt Leute ihre Fahrzeuge nur noch mieten werden. Die emotionale Bindung zu einem Auto geht in grossen Teilen verloren, 
das Auto wird mehr zur Materie.

Irgendwann sehen also alle Autos gleich aus?
Das würde ich nicht sagen. Aber es wird sicher einen Wandel ­geben in Zukunft: während gewisse Marken verschwinden ­werden, kommen komplett neue, innovative dazu.

Praktisch alle Hersteller zeigen, dass Elektroantriebe auf dem Vormarsch sind. Wohl auch, weil das Par­lament der Europäischen Union entschieden hat, dass ab 2035 ein Verkaufsverbot für Benzin- und Dieselfahrzeuge gelten soll. Die Tage des Verbrennungsmotors sind also gezählt. Wie stark merken Sie diesen Trend?
Es heisst ja, dass jede fünfte Neuimmatrikulation ein Elektroauto ist. Bei uns ist das noch nicht so. Wir verkaufen sehr viel ­Hybride, nicht aber Vollelektrische.

Warum nicht?
Es gibt auch hier unterschiedliche Käufertypologien. Die einen wollen unbedingt die neusten Technologien haben und gehen dafür auch gewisse Kompromisse ein. Die Mehrheit ist vorsichtiger und wartet erst einmal ab, wie sich ein Produkt entwickelt und sich im Markt bewährt. Eine dritte Käuferschicht will grundsätzlich mit einem Elektromobil nichts zu tun haben.

Wird sich der Elektroantrieb denn weiter und langfristig durchsetzen?
Der Wandel lässt sich nicht aufhalten. Ausserdem ist auch schon sehr viel Geld investiert worden, sodass man Elektroantriebe nicht einfach mal so wieder abschaffen kann. Ich denke, dass wir die nächsten 10 bis 20 Jahre mehrheitlich ­elektrisch fahren werden. Die Entwicklung von alternativen Triebwerken ist in vollem Gange. Wasserstoff und synthetische Treibstoffe werden in Zukunft sicherlich auch Marktanteile einnehmen. 

Frau Kuratli-Suter, zum Schluss noch eine persön­liche Frage. Sie sind eine passionierte Reiterin, nehmen auch erfolgreich an hochklassigen internationalen Turnieren für Westernreiten teil. Für welche Pferdestärken schlägt Ihr Herz höher?
Das kann ich so nicht beantworten. Das eine ist das Hobby und das andere ist der Beruf. Ich habe für beides eine Leidenschaft. Früher hat mein Herz praktisch nur für Pferde geschlagen. Ich habe in meiner ganzen Jugend alles dem Sport gewidmet. Mittlerweile habe ich natürlich auch nicht mehr so viel Zeit für den Sport und gebe meine volle Energie ins Geschäft. Natürlich ist alles etwas anders gekommen als ursprünglich geplant, aber mein Bruder und ich sind «Garagistenkinder», wir haben Benzin im Blut.

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