Interviews

Interview mit Dr. Philip Bucher

«Wir brauchen etwas verrückte Marketingleute»

Dr. Philip Bucher, Mitgründer und Geschäftsleiter der Doppelleu Boxer AG, über den erfolgreichen Unternehmensstart in der gesättigten Bierbranche, die Konzentration auf den Schweizer Markt und kreatives Marketing als Erfolgsfaktor.
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Herr Bucher, Sie waren Chief Marketing Officer bei Geberit International, bis Sie dann im Jahr 2012 die Doppelleu Brauwerkstatt AG gegründet haben. Was hat Sie dazu bewogen, in die Bierbranche einzusteigen?

Bucher: Mein Gründungspartner Jörg Schönberg – im Moment Leiter Vertrieb – und ich hatten den Wunsch, ein eigenes Unternehmen von Grund auf zu entwickeln. Natürlich wird bei Geberit eine andere Form von Marketing betrieben als in einer Bierbrauerei. Wichtig ist aber, dass wir ein interessantes Produkt haben. Dieses unterscheidet sich von anderen Angeboten und spricht die Kunden emotional an. 

Wie konnten Sie das Unternehmen finanzieren?

Wir verfügten über Eigenkapital. Da wir den Banken ein überzeugendes Konzept vorlegten, glaubte man an die Geschäftsidee, was uns den Zugang zu weiteren Finanzen vereinfacht hat. 2014 erhielten wir das Label «SEF 4 KMU». Diese Initiative des Swiss Economic Forums und namhafter Partner unterstützt Schweizer KMU und Jungunternehmen mit Wachstums­plänen. Wenn man diese Auszeichnung besitzt, wird die Kapi­talfindung etwas erleichtert. 

Und lief direkt alles reibungslos oder gab es auch Schwierigkeiten beim Aufbau des Unternehmens?

Das Gebäude in Winterthur haben wir nach der Gründung 2012 gemietet, früher wurde das von einer Gasfirma genutzt. Wir mussten erst mal eine Brauerei einrichten. Begonnen haben wir mit Anlagen, die wir Occasion gekauft hatten. Diese Anlagen funk­tionierten manchmal nicht auf Anhieb richtig, was bei ge­brauchten Maschinen auch nicht zu erwarten ist. Wir mussten diese technischen Probleme bewältigen. Unsere Biermarken hatten auf Anhieb Erfolg auf dem Markt und von Anfang an gab es Schwierigkeiten, so viel zu produzieren, wie nachgefragt wurde. 

Das ist doch sicher angenehmer als die um­ge­kehrte Situation, oder?

Es ist auch unangenehm nicht liefern zu können, wenn die Kunden uns vertrauen und unsere Produkte ins Sortiment auf­nehmen. Wir haben nonstop Anlagen installiert, die ersten Jahre verbrachten wir auf einer Dauerbaustelle. Kapazitätsschwierigkeiten haben wir manchmal heute noch. 

Worauf führen Sie Ihren Erfolg zurück?

Ein Aspekt ist der Stil der Biere. Die obergärigen Biere schmecken anders als durchschnittliche Schweizer Biere. Das Publikum mag unsere Produkte. Dazu achteten wir von Anfang an auf gute Qualität. Den Kunden gefallen auch die Namen der Biere und die Gestaltung der Flaschen, die es vorher nicht gegeben hat. 

Ihre Biere haben so interessante Namen wie «Doppelleu», «Chopfab» oder «Boxer». Wer kreiert diese?

Wir arbeiten mit verschiedenen Marketingunternehmen zu­sammen. Das eine ist für das Internet zuständig und ein anderes für Markenentwicklung und Design. Mit ihnen haben wir die Namen entwickelt, dazu brauchen wir kreative, etwas
verrückte Marketingleute. Aussergewöhnliche Namen machen neugierig. Wenn sie das Interesse der Kunden wecken, hat man schon ein Ziel erreicht. 

Was ist der Unterschied zwischen ober- und unter­gärigem Bier?

Es gibt zwei Typen von Hefe, die ober- und die untergärige. Die obergärige Hefe heisst so, weil sie am Ende des Gärungsprozesses an der Oberfläche schwimmt. Die untergärige Hefe sinkt ab. Das bemerkt der Konsument nicht. Die obergärigen Biere werden bei einer höheren Temperatur von bis zu 20 Grad ge­goren, die untergärigen bei kühlen Temperaturen von fünf bis sieben Grad. Das führt dazu, dass die obergärigen Biere viel mehr Nebenaromen bieten. Sie haben eine fruchtige und vielschichtige Aromatik, die untergärigen Biere schmecken ein­facher und schlanker. 

Ist es richtig, dass Sie die meisten Ihrer Produkte nach dem Reinheitsgebot produzieren, also nur mit Wasser, Hopfen, Hefe und Malz? Wenn ja, wie erreicht man dann die Vielfalt der Geschmacksrichtungen? 

Das Reinheitsgebot gilt für uns nicht. Wir produzieren auch Bier mit Gewürzen und Früchten. Das sind alles natürliche Zutaten. Geschmacksrichtungen erreichen wir jedoch auch mit über 24 Hopfen- und ebenso vielen Malzsorten, die wir zu harmonischen und ausgeglichenen Rezepturen mischen und die typischen Aromen herausschälen.

Und was genau ist Lagerbier?

Der Begriff Lager steht für untergärige Biere, welche durch Lagerung heranreifen. Lagerbier ist kein besonders treffender Begriff, da alle Biere gelagert werden, bevor sie zur Abfüllung gelangen. In Deutschland bezeichnet man damit die hellen Biere. 

Produzieren Sie auch alkoholfreies Bier?

Ja, das bieten wir auch an. Das «Chopfab Bleifrei» wird auf Basis einer Pale-Ale-Rezeptur gebraut.

Den Alkoholismus definieren viele Mediziner heute sehr restriktiv, da gilt man schon als Alkoholiker, wenn man drei Biere pro Tag trinkt. Schadet das der Branche? 

Wie bei jedem alkoholischen Getränk ist es auch bei Bier das Mass, das die Gefahr der Sucht steuert. Wir setzen auf gute Qualität, besondere Rezepturen und wertvolle Rohstoffe und zielen dabei auf genussvollen und bewussten Konsum ab. 

Doppelleu hat mit der Westschweizer Brauerei «Bière du Boxer» fusioniert? Wie verlief der Fusionierungsprozess?

Wir haben mit Boxer von Anfang an gut zusammengearbeitet. Wir bieten gemeinsam insgesamt 22 Bierstile an sowie drei Marken. Die untergärigen Biere von Boxer werden vermehrt in der Romandie verkauft, die obergärigen Biere aus Winterthur stärker in der Deutschschweiz. Trotzdem bestehen in beiden Regionen gegenseitige Synergien.

Ihre Produkte sind etwas teurer als die der Kon­kurrenz. Wie reagieren die Kunden darauf?

Wir legen grossen Wert auf einen qualitativ hochstehenden Produktionsprozess und exklusive Rohstoffe. Diese Komponenten ziehen höhere Kosten mit sich. Seien es die überdurchschnittlich grossen Lagerbestände an vielen unterschiedlichen Rohstoffen oder die technologisch modernsten Produk­tionsanlagen – es gibt viele Kriterien, die bei uns höher dotiert sind als anderswo und somit auch die etwas höheren Preise rechtfertigen.

Für hiesige Bierbrauereien gibt es eine grosse internationale Konkurrenz. Wie setzen Sie sich gegen diese durch? 

Der Anteil ausländischer Biere im Schweizer Markt ist nicht sehr hoch, nur etwa 25 Prozent. Importiert werden Marken wie Guiness oder Corona. Aber viele Schweizer Bierunternehmen sind heute in internationaler Hand. Die traditionellen Brauereien sind unsere Hauptkonkurrenz. 

Stellen Sie alle Ihre Biere selber her? 

Ja, Doppelleu in Winterthur, Boxer in Yverdon.

Wie organisieren Sie Ihren Verkauf?

Wir legen grossen Wert auf unsere indirekte Vertriebsstrategie. So verkaufen wir über Getränkehändler oder Detailhändler wie Coop, Volg und Denner. Diese agieren wiederum als Absatz­mittler und bedienen den Endkonsumenten.

Exportieren Sie ins Ausland, und wenn ja, wohin?

Nein, ins Ausland zu expandieren haben wir im Moment auch nicht vor. Wir müssen uns schon anstrengen, um genug für den Schweizer Bedarf zu produzieren. 

Doppelleu handelt auch mit Wein? Wie gross ist da der Verkaufsanteil?

Wir haben im April 2019 den Verkauf gestartet. Diese Weine sind geschmacklich interessant und angenehm als Tischwein zu trinken, das heisst, nicht zu schwer. Wir kalkulieren attraktive Preise. Mit Wein beliefern wir bewusst Getränkehändler, die Zielgruppe sind Gastronomen. Es ist ein Ergänzungsprodukt, der Anteil wird unter zehn Prozent liegen. 

Gibt es bei Doppelleu die Möglichkeit, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten?

Wir haben sehr flexible Arbeitszeiten. Es bestehen bestimmte Blockzeiten. Ausserdem bieten wir einige Teilzeitmodelle an, auch für Leute, die nach der Pensionierung weiterarbeiten. 

Fühlen Sie sich als KMU unter Druck gesetzt?

Kaum, wir haben in der Schweiz einen sehr gesunden und gut funktionierenden Mittelstand. 

Eine letzte Frage noch, Herr Bucher: Wie sollte sich die Schweiz zur EU stellen?

Wir gehen ja jetzt schon lange den bilateralen Weg und dieser funktioniert. Die Zusammenarbeit mit der EU ist gut, obwohl man immer wieder anderes liest. Wir befinden uns nun einfach in Europa und wir können uns dem nicht verschliessen. Sicher dürfen wir nicht der EU beitreten. Diese befindet sich im Moment in einer Identitätskrise und in einer Selbstfindungsphase. Wir sollten den bilateralen Weg weitergehen.

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