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Interview mit Dr. h.c. Günther W. Amann-Jennson

Wie viel Schlaf braucht ein Manager?

Dr. h.c. Günther W. Amann-Jennson, Schlafforscher, Geschäftsführer der Samina Produktions- und Handels GmbH, sagt, warum besonders Manager von der Zivilisationskrankheit Schlafdefizit betroffen sind, und wie Schlafeffizienz die Leistungsfähigkeit erhöht.
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Herr Amann-Jennson, Ihr Geschäftserfolg hängt davon ab, ob Menschen gut oder schlecht schlafen. Ist das nicht ein Albtraum?

Nein, ganz und gar nicht. 50 Prozent der Menschen haben Schlafstörungen. In Amerika sind es schon 70 Prozent. Dort, wo Industrie ist, wo Business stattfindet, ist die Schlafstörung zu Hause. Und das gilt weltweit. Das beflügelt unser Geschäft, ist aber auch eine Herausforderung, da wir dem Kunden eine Problemlösung anbieten müssen.

Wie gross ist das Problem Schlafmangel?

Heute ist der Schlafmangel, in der Schlafmedizin redet man von Schlafdefizit, das grösste Problem des Zivilisationsmenschen. Schlafmangel reduziert die Leistungskraft und schädigt die Gesundheit. 30 Prozent aller tödlichen Unfälle auf Autobahnen sind auf Müdigkeit zurückzuführen. Es hat sich bestätigt, dass auch Schweizer Manager zu wenig schlafen und einen gestörten Schlaf haben. Das wirkt sich natürlich nicht nur auf die persönliche Entwicklung und Gesundheit aus, sondern auch auf das Business. Finanzkrise, Frankenstärke und zunehmender Wettbewerbsdruck belasten die Wirtschaftsvertreter enorm, und das verschärft auch ihre Situation, schlechter zu schlafen.

Demnach leiden also insbesondere Unternehmer und Manager unter Schlafproblemen?

Sie können einen Unternehmer oder Manager mit einem Spitzensportler vergleichen. Beide sind immer gezwungen, Höchstleistungen zu bringen, eine gute Performance an den Tag zu legen. Sportler sind in der Schlafwissenschaft gern gesehene Probanden. Sie müssen ihre Top-Leistung auf den Punkt abrufen können. Körperlich und mental haben Spitzensportler die besten Voraussetzungen, auf Schlaf verzichten zu können. Und trotzdem funktioniert das nicht. Es kommt zu starken, oft dramatischen Leistungseinbussen, wenn zum Beispiel ein Sportler über einen Zeitraum von zwei Stunden weniger Schlaf hat. Und ein Sportler ist körperlich sehr fit, was nicht bei jedem Manager der Fall ist. Bei einem Manager sind die Einbussen entsprechend radikaler.

Was bedeutet das konkret?

Managen heisst ja nichts anderes, als laufend Probleme zu lösen. Der Manager ist angehalten, laufend Entscheidungen, nach Möglichkeit gute Entscheidungen, zu treffen. Aus der Gehirnforschung und Schlafpsychologie geht ganz klar hervor, dass Menschen mit einem Schlafdefizit körperlich, seelisch und emotional leiden. Sowohl das abstrakte wie auch das logische Denkvermögen werden massiv heruntergesetzt. Das führt dazu, dass viele Entscheidungen schlussendlich falsch sind.

Und die gesundheitlichen Folgen?

Die grössten Belastungen für seine Gesundheit erfährt ein Manager im Alter zwischen 40 und 50. Wenn er das zunehmend nicht mehr durch Regenerationsphasen ausgleichen kann, entstehen Herz-Kreislauferkrankungen, psychische Erschöpfung und Burnout bis hin zu direkt schlafbezogenen Störungen wie Bluthochdruck und Diabetes 2.

Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?

In der sogenannten 24 / 7-Gesellschaft, in der Menschen sieben Tage 24 Stunden erreichbar sein müssen, ist Schlaf in eine negative Ecke gedrängt worden. Das muss sich ändern. Wir leben eher in einer schlaffeindlichen Gesellschaft. Viel schlafen heisst faul sein, wenig Leistung zu bringen. Deswegen rühmen sich auch viele Manager oder Politiker, nur drei, vier Stunden Schlaf zu brauchen. Schlafmedizinisch ist das absoluter Unsinn. Natürlich haben Menschen individuelle Schlafmuster und -bedürfnisse, aber es gibt ganz wenige, die unbeschadet über einen längeren Zeitraum unter sechs Stunden Schlaf auskommen. 90 Prozent der Menschen brauchen zwischen sieben und acht Stunden. Fünf Prozent brauchen weniger, fünf Prozent brauchen mehr. Um zwei Stunden leistungsfähig zu sein, brauchen wir eine Stunde Schlaf. Zwei Drittel des Tages sind wir aktiv und wach, ein Drittel müssen wir dem Schlaf widmen, da führt kein Weg vorbei, das gibt uns die Natur vor.

Der Schlafrhythmus ist jedoch vielmehr eine Frage der Kultur als der Natur, oder?

Grundsätzlich ja. In Asien sehen wir, wie die Wirtschaft bestens funktionieren kann, auch wenn die Menschen tagsüber schlafen. Die Gesundheit der Menschen hat dort einen anderen Stellenwert. Wenn der Mensch müde ist und erschöpft, dann darf er auch schlafen. In unserer Industrie- und Informationsgesellschaft ist das anders und so nicht vorgesehen. Und wenn wir Pause haben, machen wir genau das, was eigentlich nicht ideal ist. Da rauchen wir und trinken Kaffee. Wir machen alles, ausser dass wir uns erholen. Von der Evolution her ist der Mensch ein Mehrphasenschläfer. Früher hat man sich mehr bewegt und war auch nicht in dieser Form ein Mono-Schläfer, der sieben oder acht Stunden am Stück geschlafen hat. Die erste Schlafperiode dauerte drei bis fünf Stunden, dann gab es zwei, drei Stunden Unterbruch, um Feuer anzuheizen, zu reden, zu beten oder andere Dinge zu tun. Danach hat man sich wieder hingelegt und drei bis vier Stunden geschlafen. Auch die Siesta ist ein Teil dieser mehrphasigen Schlafkultur.

Im Geschäftsleben ist eine Siesta kaum möglich. Wie kann ein Manager seinen Schlaf so steuern, dass er seine Leistungsfähigkeit halten kann?

Der Schlaf braucht ganz elementare Voraussetzungen. Der Schlaf hängt ganz eng mit unserem Tag zusammen. Der Schlaf ist der Spiegel des Tages. Es ist nicht einfach, seinen Schlaf selbst regulieren zu wollen, weil jeder von uns eine innere Uhr hat. Diese innere Uhr ist licht- und genabhängig. Es gibt bestimmte Gene, die das Schlafmuster eines Menschen mitbestimmen. Man spricht da auch von einem circadinanen Rhythmus.

Das heisst?

Unser Organismus wird von Rhythmen bestimmt. So gibt es Rhythmen, die mit den Zyklen der Umwelt, wie Tageszeit, Gezeiten, Mondphasen oder Jahreszeiten, übereinstimmen. Circadiane Rhythmen sind Rhythmen, die dem Tagesrhythmus entsprechen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei zentrale Schrittmacher wie das Tageslicht: die sogenannte «innere Uhr», die von unserem Körper zur Zeitsteuerung genutzt wird. Diese innere Uhr kann sehr genau gehen. Zum Beispiel, dass ich um 22 Uhr zu Bett gehe, um sechs wieder aufstehe. Es gibt Menschen, bei denen diese Uhr vorgeht und Menschen, bei denen sie nachgeht. Menschen, bei denen sie vorgeht, bezeichnet man als Lerchen. Manchmal sind sie schon um neun Uhr müde und müssen dann ins Bett gehen, dafür stehen sie früher auf. Dann gibt es die Eulen, die sind auf dem Vormarsch; die gehen spät ins Bett und müssen dann trotzdem früh aufstehen. Das sind die Leute, die das Schlafdefizit komplizieren, weil sie zu wenig Schlaf bekommen.

Wie gehen Manager damit am besten um?

Für einen Manager ist es lebenswichtig zu fragen, was für ein Chronotyp er ist. Ist er ein Lerchentyp, hat er die beste Zeit am Morgen, abends ist er weniger kreativ und kann weniger gut richtige Entscheidungen treffen. Also wird eine Lerche versuchen, die wichtigsten Dinge vormittags zu erledigen. Bei der Eule ist es umgekehrt; sie weiss, dass man mit ihr am Vormittag nichts anfangen kann und konzentriert sich, die wichtigen Dinge später zu erledigen oder so vorzubereiten, dass sie ohne Aufwand Tags darauf erledigt werden können. Es gibt auch Mischtypen, die erhöhte Leistungskurven am Vormittag und Nachmittag haben. Das muss mehr und mehr in die Arbeitswelt einfliessen.

Welche Einflussfaktoren gibt es denn, um diesen Rhythmus positiv zu steuern?

Einer der grössten Faktoren für die Steuerung des Schlaf-Wachrhythmus’ ist das Licht. Deswegen ist es wichtig, dass wir über den Tag genügend Tages- und Sonnenlicht bekommen. Denn darüber, und über die richtige Ernährung, wird die Produktion von wichtigen Hormonen angeregt. Da geht es vor allem um das Hormon Serotonin, das auch als Glückshormon bekannt ist. Und dieses Seratonin ist die wichtigste Vorläufersubstanz zur Produktion des Melatonin. Eines der grössten Probleme, was die Produktion von Melatonin angeht, sind, neben innerem Stress, die Umwelteinflüsse, angefangen vom Elektrosmog bis hin zum künstlichen Licht. Das betrifft Handy, Flachbildschirm, iPad und reicht bis zur viel gerühmten Energiesparlampe. Dieses Licht hat vom Spektrum her viel zu viele Blauanteile. Diese Blauteile veranlassen die Zirbeldrüse über bestimmte Rezeptoren im Auge, das wichtige Melatonin nicht mehr zu produzieren. Die Zirbeldrüse geht davon aus, dass es taghell ist, denn Elektrosmog ist ja nichts anderes als elektromagnetische Strahlung, und Tageslicht ist nichts anderes als elektromagnetische Strahlung im sichtbaren Bereich.

Woran ist zu erkennen, ob tatsächlich eine Schlafstörung vorliegt?

Um zu beurteilen, ob der Schlaf gut oder schlecht ist, müssen bestimmte Parameter stimmen. Das beginnt beim Einschlafen. Ein Missverständnis ist zum Beispiel, dass viele Menschen glauben, wenn sie sofort einschlafen, sobald sie im Bett liegen, wäre alles gut. Dabei ist das ein Alarmzeichen. Der gesunde Schlaf braucht eine gewisse Zeit, um funktionieren zu können. Ein gesunder Mensch schläft etwa nach 7 bis 15 Minuten ein. Wenn es länger als eine halbe Stunde dauert, hat der Mensch aus schlafmedizinischer Sicht eine Einschlafstörung. Es gibt hundert verschiedene Formen von Schlafstörung. 90 Prozent haben keinen organischen Hintergrund. Wenn jemand über drei Wochen wenigstens drei Mal per Woche schlecht einschläft oder durchschläft, sollte er zum Arzt gehen. Das ist der Beginn einer Schlafstörung.

Wenn jemand ohne Müdigkeit durch den Tag kommt, ist der Schlaf in Ordnung?

Grundsätzlich schon. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, wie viel Drogen es braucht, um über den Tag zu kommen. Koffeinkonsum, Nikotinkonsum, Alkoholkonsum, Energydrinks. Das darf man in der Kalkulation nicht vergessen.

Was können Unternehmen im daily business gegen Stress und Schlafdefizit tun?

Die grössten Arbeitsausfälle gibt es in den sitzenden, verwaltenden Tätigkeiten. Dort, wo man immer irrtümlich annimmt, dort entstehe kein Stress. Wir müssen anfangen, und der Chef muss das vorleben, eine Pausenkultur einzuführen. Wir müssen lernen, wie man sich in 15 Minuten erholen kann. Das muss kein Schlaf sein. Aber schon ein dreiminütiger Kurzschlaf bringt das ganze System wieder in eine positive Richtung. Wenn wir lernen, uns zu entspannen, muskuläre Entspannungsübungen zu machen, hilft das schon sehr. Stress fährt in die Muskulatur. Das ist ja das grosse Geheimnis von Valium, das den Muskeltonus verringert. Die Muskulatur wird über Chemie auf einen niedrigeren Tonus gebracht. Menschen, die ihre Muskeln nicht in Bewegung bringen, schlafen schlechter. Wir brauchen also Bewegung. Und die richtige Ernährung, dazu gehört auch, genug Wasser zu trinken. Dazu ist enorm wichtig, am Abend den Kopf frei zu bekommen, eine klare Trennung zwischen der Aktivität am Tag und der kommenden Passivität während der Nacht zu ziehen. Das gelingt dem Manager ja sehr schlecht, denn er nimmt seine Probleme, seine offenen Fragen, meist mit ins Bett. Folglich ist der Schlafplatz biologisch der wichtigste Platz, denn dort muss man sich von körperlichen und seelischen Strapazen des Tages erholen.

Wie muss dieser Schlafplatz beschaffen sein?

Die Schlafunterlage muss vor allem hochwertig sein. Denn der zivilisierte Mensch bewegt sich zu wenig, und wenn er sich bewegt, dann oft falsch. Er benutzt Stühle und Schuhe, die die Orthopädie nicht unterstützen. Bänder, Sehnen, Gelenke und Bandscheiben werden über Tage sehr beansprucht, deswegen braucht man etwas, das in der Nacht alles wieder in Balance bringt. Ein Beispiel: In den letzten Jahren hat sich der sogenannte «Smartphone-Nacken» entwickelt, eine angespannte Nackenmuskulatur. Am Nacken führen die ganzen Nervenzentren zum Gehirn. Das sind sehr sensible Stellen, die auch den Blutdruck regulieren. So kann auch ein falsches Kissen den Blutdruck erhöhen. Zu einem gesunden Schlafplatz gehört vor allem auch ein trocken-warmes Bettklima. In der Nacht ist der Organismus ganz anders aufgestellt als am Tag. Wir haben andere physiologischen Voraussetzungen: einen anderen Blutdruck, eine andere Herzfrequenz, andere Stoffwechsellage und einen veränderten Atemrhythmus. Dann die Hormone: Melatonin z. B. ist nicht nur ein Schlafhormon, sondern hilft, beschädigte Zellen zu regenerieren. Diese Hormone entstehen nur, wenn es im Schlafraum dunkel ist und ein ausgeglichenes Raumklima herrscht. Dann ist Lärm ein grosser Schlafstörer. Am Tag kann der Mensch über einen gewissen Zeitraum 80 bis 90 Dezibel aushalten. Aber in der Nacht ist man schon bei 20 gestört. Technisch verursachte Strahlung ist ein weiterer Faktor, der Stresszustände verursacht. Wie das Max-Planck-Institut 1993 herausgefunden hat, brauchen wir am Schlafplatz ein ungestörtes Erdmagnetfeld.

Herr Amann-Jennson, ziehen wir ein Fazit: Bewegung, Ernährung und Schlafplatz sind die Säulen für gesunden Schlaf, der wiederum Stress kompensiert. Haben Sie einen letzten Rat für Manager?

Am Tag sind die meisten Manager sehr effizient, vielen gelingt das in der Nacht leider nicht. Vielleicht schlafen sie von acht Stunden im Bett nur sechs. Um die volle Leistungsfähigkeit zu erzielen beziehungsweise zu erhalten, wird jedoch eine möglichst hohe Schlafeffizienz immer wichtiger werden. Da kann ein naturkonformes Schlafsystem eine wichtige Hilfe sein.

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