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Interview

Wie Energiekrise, Krieg und Inflation auf den Franken wirken

Fabio Comminot, Managing Director der Ebury Partners Switzerland AG, über die erneute Stärkung des Schweizer Frankens, die Risiken für das Schweizer Wachstum, die Herausforderungen für KMU und den Umgang damit.

Herr Comminot, erstmals seit vielen Jahren kostet der Euro weniger als einen Franken: Was sind die ­Ursachen für diese Entwicklung?

Der Haupttreiber ist die Unsicherheit. Aufgrund des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland hatte der Euro bereits ­Anfang des Jahres einen schwachen Start. Zudem hat die Inflation in den letzten zwölf Monaten sehr stark angezogen. Letzteres hat Druck auf die Zentralbanken ausgelöst, das Zinsniveau aus dem ne­gativen Bereich zu heben. Dies führte zu einer Verlang­samung des Wirtschaftswachstums, was in Zeiten der Unsicherheit ­wiederum zur Stärkung des Schweizer Frankens führte.

Warum treffen der Ukraine-Konflikt und die Inflation den EU-Raum stärker als die Schweiz?

Zum einen ist Europa in dem Konflikt stärker exponiert und von den deutlich gestiegenen Energiepreisen betroffen als die Schweiz. Zum anderen gab es in der Schweiz einen weiteren entscheidenden Faktor: Die Schweizer Nationalbank (SNB) hat zum ersten Mal seit 2008 den Zins erhöht und klar gemacht, dass sie keine Inflation dulden wird, welche die Preisstabilität gefährdet, also über einem Wert von zwei Prozent liegt. Dies sorgt dafür, dass der Schweizer Franken nicht zu schwach wird. Im Umkehrschluss hat dies allerdings zur Folge, dass der Euro unter die CHF-Parität gefallen ist.

Der Schweizer Franken handelte in den vergange­nen Monaten ungewöhnlich volatil. Auf was ist das zurückzuführen?

Der Schweizer Franken ist normalerweise eine stabile Währung. Aber dieses Jahr können über alle Währungen hinweg sehr hohe Schwankungen beobachtet werden. Diese Bewegung beobachten wir auch auf den Aktien-, Anleihen- und Rohstoffmärkten. Wie bereits erwähnt, liegt dies vor allem am Ukraine-Konflikt, der starken Zinserhöhung und an der Erwartung der Marktteilnehmer, dass sich die globale Marktwirtschaft auf eine Rezession hinbewegt. Der Franken hat seit Juni, beziehungsweise nachdem die SNB unerwartet die Zinssätze erhöht und ihre Vorgehensweise bezüglich Devisenmarktinterventionen geändert hatte, stark aufgewertet. Als Reaktion darauf haben die Märkte den EUR/CHF-Kurs zum ersten Mal seit der Auf­hebung des Mindestkurses im Jahr 2015 wieder unter die Parität getrieben. 

Die Inflation ist in aller Munde: Wie schätzen Sie die derzeitige Lage ein? Wo stehen wir heute, und was können wir in der Zukunft erwarten?

Der Inflationsdruck in der Schweiz ist nach wie vor geringer als in anderen Ländern, auch wenn die Indikatoren für das Preiswachstum auf die höchsten Stände seit mehreren Jahrzehnten gestiegen sind. Die Inflation in der Schweiz ist traditionell sehr begrenzt. In 14 der 24 Monate bis Ende 2021 wurde eine ne­gative Inflation verzeichnet. Die Kerninflation hat sich seither ­jedoch deutlich erhöht und erreichte im Juni und Juli dieses ­Jahres mit 3,4 Prozent den höchsten Stand seit Oktober 1993. Wir haben festgestellt, dass ein Grossteil dieses Preisanstiegs auf die importierte Inflation zurückzuführen ist, was vielleicht den Kurswechsel der SNB hin zu einer stärkeren Aufwertung des Frankens rechtfertigt. Der sprunghafte Anstieg der Energiepreise in Europa ist eindeutig inflationär, obwohl eben auch ein deutlicher Anstieg der Kerninflation festgestellt werden kann, die auf dem höchsten Stand seit Beginn der Datenreihe im Jahr 2001 ist. Nach der SNB-Sitzung im Juni wurde deutlich, dass die Entscheidungsträger im derzeitigen inflationären ­Umfeld einen starken Franken zunehmend akzeptieren. In der Vergangenheit hat die SNB eine schwächere Währung ­befürwortet, um die Exportwettbewerbsfähigkeit des Landes zu steigern – eine Haltung, die eindeutig aufgeweicht wurde. Meiner Meinung nach wird die SNB der Aufwertung des Frankens zwar ­weiterhin Grenzen setzen, um so ein Gleichgewicht zwischen Wachstum und Inflation zu schaffen. Kurzfristig scheint der ­Fokus aber sicherlich auf Letzterem zu liegen.

Die SNB war seit langem eine der vorsichtigsten Zentralbanken in den G10-Staaten, was dafür sorgte, dass die Anleger von der Entscheidung an der Juni-Sitzung völlig überrumpelt wurden. Die begleitenden Mit­teilungen der SNB waren ebenfalls restriktiv und deuteten darauf hin, dass eine weitere Straffung wahrscheinlich ist. Woher kommt dieser Richtungswechsel der Zentralbank?

Erstmals seit über zehn Jahren ist die Inflation in der Schweiz über das Zielniveau der SNB von zwei Prozent gestiegen, was die Schweizerische Nationalbank zwang, sich vom Negativzins zu verabschieden. Im Juni wurde der Zins um 0,5 Prozent an­gehoben und in der September-Sitzung um weitere 0,75 Pro­zent. Somit kletterte der Zins erstmals wieder in den positiven Bereich und liegt nun bei 0,5 Prozent.

Mit welchen Auswirkungen müssen Schweizer KMU rechnen, wenn die SNB nicht eingreift?

Wenn die SNB nicht eingreift, steigt die Gefahr, dass die Inflation weiter ansteigt und den Druck auf die Preise im Inland und somit auch auf die Löhne erhöht. Letztendlich führt dies zu mehr Kosten für Unternehmen. Gefährlich ist auch, was man ge­meinhin als Lohn-Preis-Spirale bezeichnet: Also den Aufschaukelungseffekt, wenn die (Konsumgüter-)Preise steigen und ­Arbeitnehmer dann höhere Löhne fordern.

Können Sie einen Ausblick zur Entwicklung des Schweizer Frankens wagen?

Aus meiner Sicht ist die Stärkung des Frankens durch das frühe Handeln der SNB von temporärer Natur, da insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) mit Zinserhöhungen nachgezogen hat. Es wird erwartet, dass die Zinsen in Europa weiter steigen und somit den Euro unterstützen werden. Im Um­kehrschluss dürfte der Franken wieder an Wert verlieren. Wir ­er­warten zum ersten Quartal 2023 ein Verhältnis von einem Schweizer Franken zum Euro. Für das Jahr 2024 rechnen wir mit einem Verhältnis von 1,08 Schweizer Franken zum Euro.

Ist dies langfristig nicht schlecht für die Schweizer Wirtschaft?

Nein, überhaupt nicht. Die EU – und vor allem unsere direkten Nachbarstaaten – gehören zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz. Daher ist es in unserem Interesse, dass wir einen weder zu starken noch zu schwachen Franken haben. Die er­wartete kurzfristige Bandbreite liegt zwischen 0,95 Schweizer Franken und 1,05 Schweizer Franken zum Euro.

Bis wann können wir mit einer Normalisierung des Frankens und der Wirtschaft rechnen?

Im Verlauf des kommenden Jahres sollten wir eine Entspannung der Situation sehen. Zuvor ist es sehr unrealistisch, denn der bevorstehende Winter ist bereits jetzt von viel Unsicherheit ­geprägt. Denn nach wie vor ist unklar, wie es mit der Ukraine weitergeht, und zudem bereitet sich Europa auf eine Energiekrise vor, auch wenn Unternehmen und Privatpersonen in der Schweiz dies bislang weniger zu spüren bekommen als unsere Nachbarländer.

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