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Interview mit Dr. Andreas Wendt

Wer alleine arbeitet, addiert, wer zusammenarbeitet, multipliziert ...

Dr. Andreas Wendt, Chairman der European Foundation for Quality Management (EFQM) und Leiter BMW Group Werk Regensburg, über die systematische Verbesserung der Wettbewerbsstärke als grösste unternehmerische Herausforderung und die Rolle der Führung.
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Herr Dr. Wendt, Sie sind seit zwei Jahren Chairman der European Foundation for Quality Management (EFQM) in Brüssel. Was ist Ihr Hauptanliegen als Chairman? Welche Ziele verfolgen Sie?
Die EFQM wurde vor 25 Jahren als  Stiftung und Mitgliederorganisation gegründet, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und Organisationen zu stärken und das Streben nach «Business Excellence» zu fördern. Diese faszinierende Zielsetzung mit vielen Partnern und Netzwerken voranzutreiben sehe ich als mein Ziel in dieser Funktion.

Was unterscheidet das EFQM-Modell von vergleich­baren Modellen zur Entwicklung von Organisationen?
Das EFQM-Modell ist ein ganzheitlicher Ansatz, Organisationen zu nachhaltigem wirtschaftlichen Erfolg im Einklang mit allen Interessengruppen – den Kunden, den Mitarbeitern und der Gesellschaft – zu führen. Der Ansatz basiert somit auf dem Grundgedanken einer erfolgreichen «sozialen Marktwirtschaft», also ethischen Werten in Verbindung mit wirtschaftlichem Erfolg und Zukunftsorientierung. Diese Kombination kenne ich in dieser ganzheitlichen und vollständigen Form von keiner anderen Methodik.

Der Weg zu Excellence ist anspruchsvoll und bedeutet für jedes Unternehmen einen relativ hohen Initialaufwand. Lässt sich dieser Aufwand auch für kleinere und mittlere Unternehmen rechtfertigen?
Wie bei jedem Weg wird einem der Anfang nicht geschenkt, aber je weiter man vorankommt, desto mehr Freude macht es. Es geht darum, Unternehmen den Spass am Lernen, Verbessern und sich messen mit anderen näher zu bringen. Das kann nach einiger Zeit eine solche Eigendynamik erzeugen, dass Unerwartetes erreicht wird und Führung und Zusammenarbeit sich neu definieren können. Grosse Organisationen haben natürlich mehr Ressourcen, dafür sind sie aber auch komplexer. KMU sind im Sinne ihrer unternehmerischen Fassbarkeit im Vorteil. Die EFQM bietet für alle Unternehmensgrössen passende Einstiegsprogramme.

Was sind Ihrer Meinung nach die grössten Herausforderungen, um den Weg zu Excellence erfolgreich zu gehen?
Die grösste Herausforderung ist der Entschluss der obersten Leitung eines Unternehmens, als Organisation lernen zu wollen und sich damit selbst infrage zu stellen. Das bedeutet unter anderem, Kunden und Mitarbeiter anzuhören und als die wesentlichsten Erfolgsfaktoren in den Mittelpunkt zu stellen.

Sie bewerben sich mit BMW regelmässig für den EFQM Award. Neben dem Award haben Sie in den letzten Jahren schon mehrere Preise gewonnen. Welchen Nutzen zieht BMW daraus?
Die Preise sind nicht das Wesentliche, aber sie spornen den Ehrgeiz unserer Mitarbeiter an – und der ist sehr gross. Das EFQM-Modell ist für uns inzwischen ein Führungsinstrument, ein Leitfaden für Leitungskreise, und die Anwender sind nachweislich und nachhaltig erfolgreich.

Voraussetzung, um heute und in Zukunft zu den Besten zu gehören, ist unter anderem eine Kultur der Innovation und Kreativität zu entwickeln. Wie schaffen Sie die entsprechenden Rahmenbedingungen für Ihre Mitarbeitenden?
Sieht man in Organisationen, so fressen ungeordnete Prozesse oft die ganze Energie von Mitarbeitern. Für Kreativität und Innovation bleibt dann wenig Zeit. Prozesse strukturiert mit der Kreativität der Mitarbeiter zu verbessern und damit mehr Zeit für noch mehr Innovation zu erhalten, ist eine Win-win-Situation. Dieses Vorgehen kann man führen und man wird erstaunt sein über die Fähigkeiten und Ideen der Mitarbeiter – vom Bandarbeiter bis zur oberen Führungskraft. Unser Problem in Europa sind niemals die Menschen, die hoch ausgebildet und sehr engagiert sind. Das Problem sind eher Organisationen und Führungskräfte, die eine noch steigerbare Fähigkeit besitzen, dieses unglaubliche «Angebot» in strukturierter Weise abzugreifen und zum Leben zu bringen.

Was bedeutet für Sie Innovation in der Führung und wie entwickelt und fördert man sie?
Bei «Innovationen» in der Führung zögere ich. Ich glaube, dass sich Mitarbeiter – die ja die Kunden des Führungsprozesses sind – oft ganz traditionelle Werte wünschen: Orientierung, Anstand, Wertschätzung, Teilhabe, Nachhaltigkeit. Und Mitarbeiter wollen einen Sinn in ihrer Arbeit erkennen, einen Beitrag zum Ganzen. Das sind ganz natürliche Bedürfnisse. Das fördert man durch Offenheit, durch Vorleben und durch einen Wertekodex der Führung, den man mit seinen Führungskräften erarbeiten muss.

Globalisierung, hoher Wettbewerbsdruck, digitale Transformation und vieles mehr fordern von Unternehmen und Mitarbeitenden eine permanente Veränderungs- und Leistungsbereitschaft. Viele Mitarbeitende stossen dadurch an ihre Grenzen. Wie gehen exzellente Organisationen damit um?
Jeder Generation scheinen die ihr gestellten Aufgaben besonders herausfordernd. Aber ich erkenne an, dass Arbeit in Organisationen heute verbindlicher ist  und die Änderungszyklen kürzer werden. Wie schützt man das Unternehmen und die Mitarbeiter also vor Überforderung? Indem man, wie schon angesprochen, seine heutigen «Hausaufgaben» in gemeinsam verbesserten Prozessen so effizient macht, dass man genügend Zeit und Kraft hat, über seine zukünftigen Herausforderungen nachzudenken und diese zu gestalten. Ebenfalls gemeinsam mit den Mitarbeitern und Führungskräften.

Um an der Spitze zu bleiben, sind Unternehmen auf die besten Mitarbeiter in der Branche angewiesen. Was tut BMW dafür, um auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben?
BMW ist in der Tat stets auf den ersten Plätzen bei Vergleichen der Arbeitgeberattraktivität. Dahinter stehen tolle Aufgaben und Produkte, viel übertragene Verantwortung und ein grundsätzlich positives Menschenbild. Das wird auch zukünftig der Erfolgsfaktor sein. Zusätzlich treten wir frühzeitig mit den besten Talenten in Kontakt, zum Beispiel im Rahmen von Hochschulkooperationen, und setzen uns intensiv mit modernen Arbeitsformen, Diversity und Nachwuchsförderung auseinander.

Die Führung nimmt im EFQM-Modell eine zentrale Rolle ein, letztendlich ist sie für alles verantwortlich. Sind Führung und Leadership lernbar oder braucht man dazu eine bestimmte Art von Menschen?
Wer führen will, sollte Menschen mögen und gerne mit ihnen zusammenarbeiten. Es geht darum, die Fähigkeiten, die diese mitbringen, freizusetzen und das zu organisieren. Auf diesem Grundverständnis basierend sind die Methoden erlernbar. Es gilt also: Wer alleine arbeitet, addiert, wer zusammenarbeitet, multipliziert und wer dabei auch noch methodisch vorgeht, quadriert. Führen zu wollen und damit Verantwortung für andere zu übernehmen, ist zuletzt aber immer noch eine
Persönlichkeitsfrage.

Heute fällen die Manager das Mehrfache an Entscheidungen in der gleichen Zeit als noch vor ein paar Jahren. Zusätzlich ist durch den hohen Wettbewerbsdruck der Spielraum für Fehlentscheidungen viel kleiner geworden. Über welche Skills beziehungsweise Fähigkeiten muss heute ein Manager verfügen?
Ein Manager sollte ein Gefühl für die wesentlichen Treiber seiner Kernprozesse besitzen und eine Vorstellung, wohin er sein Geschäft in einigen Jahren entwickelt haben will. Und er sollte ein Gespür dafür haben, wie er Menschen hinter diese Gedanken bringen kann, so dass sie ihm mit Freude helfen, diese umzusetzen.

Welche strategischen Herausforderungen sehen Sie am Horizont auf uns zukommen?
Die Herausforderungen in Bezug auf die Digitalisierung, Globalisierung, Dynamik im Wettbewerb und noch mehr wurden ja schon genannt. Grundlage für die Auseinandersetzung mit diesem Thema bleiben aber die «Klassiker». Also die Kundenorientierung, die Mitarbeiterorientierung, das Lernen organisieren, ein ausgewogenes Verhältnis von Befähigerinitiativen und Ergebnisgrössen und die Menschlichkeit. Ich höre manchen über zukünftige Fragen sprechen oder über die Herausforderungen klagen, von dem ich nicht sicher bin, ob er diese Grundlagen verinnerlicht hat oder ob sie ihn auch wirklich interessieren.

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