Interviews

Interview mit Markus Vettiger

«Weniger Überregulierungen und Bürokratie»

Markus Vettiger, CEO der Maestrani Schweizer Schokoladen AG, über steigenden Wettbewerbsdruck in einem Verdrängungsmarkt, Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie und die Vorteile einer Gewaltentrennung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung.
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Herr Vettiger, vor zwölf Jahren haben Sie die Firmenleitung von Maestrani übernommen, zuvor waren Sie bereits zehn Jahre für Lindt & Sprüngli tätig. Was hat Sie bewogen, zu Meastrani zu wechseln, und wo sehen Sie die grössten Unterschiede zwischen den Herstellern?
Ein Headhunter fragte mich damals an, ob ich interessiert an der Stelle bei Maestrani wäre. Schokolade hat mich immer fasziniert, es ist ein emotionales Produkt, mit dem man Freude bereiten kann. Dazu wünschte ich mir immer, Chef eines KMU zu werden. Das Angebot von Maestrani bot mir die Gelegenheit dazu. Zu den Unterschieden: Lindt hat sich zu einem internationalen Konzern entwickelt, in dem weitaus industrieller produziert wird als bei Maestrani. Bei Lindt gibt es riesige Anlagen, die dazu zwingen, grosse Mengen herzustellen. Aber nicht alle Kunden bestellen gleich eine Tonne Schokolade. Lindt fabriziert viele Massenprodukte und bieten ein grösseres Sortiment an, auch Spezialitäten wie der Goldhase oder die Lindor-Kugel. Mit unseren kleineren Maschinen können wir auch an Kunden liefern, die nur 100 Kilo wünschen. Im Gegensatz zu Lindt sind wir ein Spezialitätenhersteller.

Welche Spezialitäten werden bei Ihnen hergestellt?
Eines unserer wichtigsten Produkte ist Minor; bei dieser Schokolade ist der Haselnussanteil höher als bei anderen Herstellern. Wir haben eine hohe Kompetenz für Spezialitäten und Nischenprodukte wie Caramel Bouchées und Munz Branches, die eine hochwertige Pralinefüllung haben. Unsere Schoggibananen werden mit echtem Fruchtmark hergestellt, das mit Schokolade überzogen wird. Auch unsere Himbeerschokolade enthält Fruchtbestandteil. Wir achten darauf, dass wir möglichst wenig künstliche Aroma- und Farbstoffe verwenden.

Im Lebensmittelbereich gibt es strenge Vorschriften. Welche gelten für Schokolade?
Es gibt strenge Vorschriften im Schokadenbereich, auch darüber, wie hoch der Anteil von Kakaobutter, Milch und anderen Bestandteilen sein muss. Die Lebensmittelverordnung wurde 2016 neu gestaltet und an die Bestimmungen der EU angelehnt, sie ist aber strenger. Natürlich werden wir vom kantonalen Lebensmittelinspektor kontrolliert. Dabei haben wir auch Vorschriften über Nachhaltigkeit zu beachten, aber diese gehen nicht so weit wie die Bedingungen für die Zertifikate, die wir freiwillig erwerben.

Wie hat sich der Schokoladengeschmack der Bevölkerung in den letzten Jahren entwickelt?
Die grösste Nachfrage besteht immer noch nach Milch- und Milch-Nuss-Schokolade. Etwa 20 Prozent der Konsumenten lieben dunkle Schokolade. Das hat sich während Jahrzehnten kaum geändert. Es ist trotzdem notwendig, dass wir laufend neue Produkte entwickeln, mit neuen Geschmacksrichtungen, zum Beispiel Früchten, und originelle Verpackungen.

Wie führen Sie neue Produkte auf dem Markt ein?
In erster Linie müssen diese den Kunden gefallen. Während wir ein neues Produkt entwickeln, organisieren wir Marktanalysen und Konsumentenbefragungen. Eine Innovation einzuführen, ist sehr teuer; es geht um siebenstellige Beträge, auch für Listungsgebühren, Werbung und so weiter.

Wie schützen Sie Ihre Innovationen?
Die Rezepte kann man kaum schützen, aber man kann die Produktionsprozesse patentieren, was wir wieder getan haben. So kann die Technik nicht eins zu eins kopiert werden.

Welche Schwierigkeiten gibt es in der Schokoladenbranche?
Unsere Herausforderungen sind grosse Konkurrenten. Wir haben in der Schweiz immer noch 17 Schokoladenhersteller und zwei grosse Detailhändler, die den Markt beherrschen. Mit diesen arbeiten wir gut zusammen, wir verhandeln laufend und wenn nötig auch hart. Aber auch grosse Verteiler verfügen nur über beschränkte Regalplätze, sodass es schwer ist, neue Marktanteile zu gewinnen. Es besteht ein Verdrängungsmarkt und wer überleben will, braucht Innovationen, die besser sind als die der Konkurrenten. Chancen gibt es eher im Bereich von speziellen Segmenten, weniger im Massenmarkt.

Wie setzen Sie sich durch gegen die Konkurrenz aus dem Ausland?
Die Schweizer Importquote für Schokolade beträgt etwa 40 Prozent, zum Beispiel Marken wie Mars oder Ferrero. Auch Schweizer Hersteller produzieren nicht immer in der Schweiz. Als Hersteller müssen wir sehr darauf achten, dass wir die Kosten im Griff behalten. Das erreichen wir durch immer effizientere Produktion. Wir investieren viel, um die Prozesse und die gesamte Wertschöpfung zu optimieren. Die Rahmenbedingungen sind aber nicht immer ideal für Schweizer Unternehmen.

Wie könnte man diese verbessern?
Wir wünschen uns einen Abbau von Überregulierungen und Bürokratie. Die Vorschriften von Swissness müsste man so umsetzen, dass sie uns unterstützen statt noch mehr Steine in den Weg zu legen. Schweizer Produzenten sollen dieselben Möglichkeiten der Rohstoffbeschaffung haben wie die ausländische Konkurrenz. Die Schokolade und die Uhrenindustrie waren immer eine wichtige Basis der Swissness. Wir müssen uns wieder auf das besinnen, was uns stark gemacht hat: Qualität, Zuverlässigkeit, Innovation. Das ist ein guter Weg für unsere Zukunft.

Woher bezieht Maestrani die Rohstoffe?
Wir beziehen so viele Rohstoffe wie möglich aus der Schweiz, Milch und Zucker vollständig. Das wird auch in den Vorschriften über Swissness verlangt. In der Schweiz gibt es zwei Zuckerfabriken, bei denen wir einkaufen. Und unsere Produkte werden ausschliesslich in der Schweiz hergestellt. Unser Kakao kommt aus Afrika und Südamerika, die Haselnüsse aus Italien und der Türkei.

Die Firma Maestrani achtet auf Nachhaltigkeit. Wie erreichen Sie das, vor allem auch beim Bezug von Rohstoffen aus dem Ausland?
Maestrani ist ein Pionier des Fairtrade, darauf legen wir Wert seit 30 Jahren. Seit 2011 ist Nachhaltigkeit ein fester Bestandteil der Unternehmensstrategie. Dabei berücksichtigen wir alle drei Säulen, nämlich wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit sowie Umweltmanagement. Alle zwei Jahre publizieren wir einen Nachhaltigkeitsbericht. Wir beziehen unsere ausländischen Rohstoffe über Händler, als Firma aus dem Mittelstand können wir nicht selber Kakao anbauen. Gegenüber den Händlern stellen wir strenge Bedingungen über die Herkunft und Produktion der Waren, die sie uns verkaufen. Die Nachhaltigkeit muss schriftlich belegt und bewiesen werden. Seit 2016 beziehen wir 100 Prozent Fairtrade-zertifizierte Kakaorohwaren.

Die Schweiz hat gerade ein Handelsabkommen mit Indonesien abgeschlossen, das wegen der Palmölproduktion sehr umstritten ist. Was halten Sie davon?
Wir benützen für einige Produkte RSPO-zertifiziertes Palmfett und beziehen dieses aus Indonesien. Im Lebensmittelbereich gibt es nur wenige Produkte ohne Palmöl. Ich war kürzlich in Indonesien. Was die NGOs zum Teil über die Palmölproduktion schreiben, ist sehr schlecht recherchiert. In Indonesien gibt es Brachland, auf dem die Regenwälder schon vor dreissig bis vierzig Jahren abgeholzt wurden und wo neue Plantagen errichtet wurden. Das halte ich für sinnvoll.

Werden heute keine Urwälder mehr abgeholzt?
Es gibt sehr strenge Vorschriften und zwar nicht nur für die Plantagen, sondern auch für die Holzwirtschaft. Natürlich gibt es schwarze Schafe, aber diese sind eine Minderheit. Ich lehne die Abholzung der Urwälder ab. Andererseits muss man feststellen: Wir können nicht viele Produkte aus anderen Kontinenten konsumieren, ohne auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Es muss sich jeder selber überlegen, wie man persönlich zur Nachhaltigkeit beitragen kann.

Wie soll sich die Schweiz zur EU stellen?
Den bisherigen bilateralen Weg finde ich richtig. Auch ein Rahmenabkommen könnte uns weiterhelfen, es kommt darauf an, wie es gestaltet und umgesetzt wird. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir kein Sonderfall Schweiz sind, wir sind umgeben und abhängig von einflussreicheren und grösseren Gebilden. Die EU ist unser wichtigster Handelspartner und ein Grossteil der Schweizer Exporte geht in die Nachbarländer, das ist auch für unsere Firma so.

Wohin exportieren Sie ausserhalb Europas?
Insgesamt exportieren wir in über 30 Länder, einige davon entwickeln sich schnell und stark, in Asien, Südamerika und Afrika. Besonders in Asien gibt es ein grosses Potenzial. Aber zwei Drittel unseres Umsatzes bleibt immer noch in der Schweiz.

Maestrani ist im Familienbesitz, soll das so bleiben?
Die Maestrani-Aktien sind seit fast 100 Jahren im Besitz von drei Familien, die aber nicht zu der Gründerfamilie gehören. Es ist geplant, dass das Unternehmen ein Familienunternehmen und als solches selbstständig bleiben soll. Bei Maestrani besteht eine Gewaltentrennung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung.

Was sind die Vorteile davon?
Es bestehen keine Doppelposten. Die operative Leitung kann nicht im obersten Aufsichtsorgan sein und sich selber beaufsichtigen. Das halte ich auch im Hinblick auf die Corporate Govern-ance für wenig sinnvoll. Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung haben bei uns klar beschriebene unterschiedliche Aufgaben; so arbeiten wir mustergültig zusammen.

Eine letzte Frage: Wie hat das Publikum auf die Eröffnung des «Maestrani’s Chocolarium» reagiert?
Das Chocolarium ist seit einem Jahr offen und unser Ziel waren jährlich 100 000 Besucher, es kamen aber 155 000 Personen. Als Herausforderung betrachten wir, dass die Ausstellung jahrelang attraktiv bleiben sollte; wir müssen also immer wieder etwas Neues bringen.

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