Interviews

Interview mit Dr. Patrick W. Jung

Was einen guten Interim-Manager ausmacht

Dr. Patrick Jung, Interim-Manager und Associate Partner der Agentur Top Fifty, über den Weg zum Interim-Manager, Probleme und Herausforderungen im Management auf Zeit und Provider als Bindeglied zwischen Unternehmen und Interim-Managern.
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Herr Dr. Jung, Sie sind zum Interim-Manager des Jahres 2017 gewählt worden. Was bringt einen langjährigen CEO und ETH-Ingenieur dazu, sich für das Interim-Management zu entscheiden?
In meinem Leben bin ich wie so viele andere auch mit Entscheidungen über den weiteren Weg konfrontiert worden. In solchen Fällen erarbeite ich mir in der Regel mehrere unterschiedliche Möglichkeiten, probiere die eine oder andere konkret aus und lasse dem Spiel von Erfolg, Freude an der Arbeit und den eigenen Fähigkeiten freien Lauf. Der Entscheid, Interim-Manager zu werden, war folglich eine Wahl aus verschiedenen Möglichkeiten, die mir damals konkret offenstanden.

Wie wird man Interim-Manager?
Zu Beginn habe ich in meinem Netzwerk die Information verbreitet, dass ich Interim-Manager werden wolle. So erhielt ich meine ersten Aufträge über persönliche, berufliche und private Kontakte. Es ist positiv, wenn man aus einem persönlichen Netzwerk schöpfen kann. Erst später schloss ich mich einem Provider an. Dieses Vorgehen würde ich auch anderen Leuten empfehlen, die Interim-Manager werden wollen.

Was verstehen Sie unter einem Provider?
Den Ausdruck Provider benütze ich für Unternehmen, die die Interim-Manager mit geeigneten Auftraggebern zusammenbringen. Der Provider muss zum beruflichen Profil des Interim-Managers passen und Kontakte in der entsprechenden Branche pflegen. Man arbeitet auch im Internet, aber der menschliche Kontakt ist wichtig.

Wie profitieren Sie ganz konkret als Interim-Manager vom Provider?
Der Provider bringt mich mit den Auftraggebern zusammen und unterstützt mich bei der Administration. Man berät mich auch bei der Vertragsgestaltung. Top Fifty ist ein klassischer Interim-Manager-Provider. Ich arbeite ausschliesslich mit diesem Provider zusammen, bei dem ich auch Associate Partner bin. Für mich als Interim-Manager ist es entscheidend, dass ich mit dem Provider meiner Wahl eine grosse Übereinstimmung in den gewählten Zielen habe. So ergibt sich ein Mehrwert für mich und die Kunden.

Welcher Mehrwert ist das?
Top Fifty ist mit verschiedenen Aktivitäten im Marketing tätig. Die Firma vermarktet die Dienstleistungen der Interim-Manager und sorgt für Präsenz und Bekanntmachung der Leistung im Markt. Top Fifty pflegt die Marke aktiv und ist bekannt für die besten Manager auf der Ebene der Executives, also obere und oberste Führungskräfte, und für anspruchsvolle Projekte. Der Fokus vieler Mandate bei Top Fifty ist generell die Industrie und damit auch die Elektro- und Maschinenindustrie.

Hat man auch ohne Agentur eine Chance, als Interim-Manager engagiert zu werden?
Natürlich kann man in einem persönlichen Netzwerk Aufträge akquirieren. Es kann aber Probleme geben, wenn man auf sich gestellt ist. Wenn man mitten in einem Mandat eine zweite Anfrage bekommt oder einen Auftrag, für den man nicht das notwendige Fachwissen hat, muss man absagen, was negativ wirken kann. Arbeitet man mit einer Agentur zusammen, kann der Kunde vom Netzwerk der Agentur profitieren.

Wer sind die Vertragsparteien?
Man schliesst zwei Verträge: zwischen dem Kunden und der Agentur und zwischen der Agentur und dem Interim-Manager. Die Honorare werden von der Agentur abgerechnet.

Wie würden Sie Ihre Verträge juristisch einordnen?
Die Grundlage ist ein Dienstleistungsvertrag, in dem ich eine Beratungsdienstleistung meist mit Führungs- und Projektaufgaben erfülle. Ich arbeite als Selbstständiger auf Mandatsbasis und bin selber für meine Sozialversicherung, meine Altersvorsorge und die Mehrwertsteuer verantwortlich.

Wann benötigt ein Unternehmen denn überhaupt einen Interim-Manager?
Die Gründe, weshalb Unternehmen Interim-Manager einsetzen, sind sehr vielfältig. Grob unterscheide ich zwei Gruppen: fehlende Führung und fehlende Kompetenz. Wenn dann der Handlungsdruck genügend hoch ist, dann ist Interim-Management die ideale Lösung.

Wie kann es in einem Unternehmen so weit kommen, dass die Führung nicht mehr zufriedenstellend ist?
Führung kann aus den unterschiedlichsten Gründen fehlen. Vor allem kleine und mittelgrosse Unternehmen sind heute sehr lean, um ihre Wettbewerbskraft zu steigern. So entstehen in diesem Umfeld, aber auch bei grösseren Unternehmen immer wieder Situationen, für deren Lösung Interim-Management die geeignete Lösung ist, zum Beispiel bei Projekten, Veränderungen aller Art, Abgängen aus dem Management et cetera. Es gibt auch Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihr schnelles Wachstum zu organisieren.

In einem anderen Fall wurde der CEO entlassen und ein Interim-Manager sollte die Zeit überbrücken, bis eine definitive Lösung gefunden war. Manchmal packt ein Unternehmen auch grössere Projekte an, aber das Fachwissen und fähige Leute für Projektführung fehlen. Da kann ein Interim-Manager eine Lösung anbieten. Man unterscheidet zwischen Einsätzen in der Linie und solchen für Projekte, die normalerweise sechs Monate bis anderthalb Jahre dauern. Ich habe auch schon als Interim-Manager bei Unternehmensübernahmen mitgearbeitet, dabei kenne ich die Perspektiven des Käufers und des Verkäufers.

Gibt es Branchen, welche einen Interim-Manager besonders benötigen?
Grundsätzlich setzen heute alle Branchen Interim-Manager ein. Dies reicht von der Elektro- und Maschinenindustrie, Anlagenbau und Energieerzeugung über Finanzdienstleister und Gesundheitswesen bis zur öffentlichen Verwaltung. Überall gibt es Aufgaben, die sich für Interim-Management eignen.

Bei welchen Unternehmen haben Sie gearbeitet und wo war es besonders spannend?
Meine Tätigkeit als Interim-Manager begann in einem Un­ternehmen, das sich mit Zahlungsverkehr befasste. Nachher betreute ich ein klassisches Projekt über Kinowerbung, das war sehr spannend.

Welche Voraussetzungen braucht Ihrer Meinung nach ein Interim-Manager?
Zum Interim-Manager gehört ein klares Profil. Es soll auf dessen Stärken aufbauen und wirklich Mehrwert schaffen. Für mich bedeutet dies, dass ich mich auf Unternehmen der Elektro- und Maschinenindustrie fokussiere. Es handelt sich um Produzenten grosser Anlagen, Maschinen oder Zulieferer zu anderen Industrieunternehmen. Oft verfügen sie über eine eigene Produktion. In diesen Branchen kenne ich mich aus. Die verschiedenen Sorgen und Nöte sind mir aus eigener Erfahrung bekannt. Es fasziniert mich, immer wieder etwas Neues in meinem Bereich zu machen.

Die Einarbeitungszeit für den Interim-Manager ist sehr kurz. Folglich braucht er eine sehr rasche Auffassungsgabe, Offenheit, die Probleme zu erkennen, die Fähigkeit, das Vertrauen der Auftraggeber, seiner neuen Kollegen und der Mitarbeiter zu gewinnen. In dieser Phase helfen ihm auch sein eigener Werkzeugkasten und sein Netzwerk. Im eigenen Werkzeugkasten findet er Werkzeuge zur Analyse der Ausgangslage, Gestaltung und Produktion. Braucht er Hilfe, dann sollte er in seinem Netzwerk die entsprechenden Kontakte haben, damit er die Lösung rasch, unkompliziert und kompetent vorantreiben kann.

Welche speziellen Herausforderungen gibt es im Interim-Management?
Der Einsatz des Interim-Managers will gelernt sein und ist manchmal nicht simpel. Eine Projektleitung ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Elementen. Zunächst braucht man die notwendige Fachkompetenz. Man muss mit den Auftraggebern und seinen Kunden kommunizieren, aber die Ideen auch den Mitarbeitenden verkaufen. Wichtig ist aber auch, dass der Interim-Manager Handlungsspielraum bekommt und sich damit bei der Geschäftsführung einbringen kann. Das ergibt die spannende Dynamik, die für Entscheidungen gewinnbringend ist. Das erreicht man nur mit Sozialkompetenz und Fingerspitzengefühl, besonders wenn Probleme zu lösen sind oder wenn man bei Konflikten vermitteln muss.

Zu Beginn des Mandats: Wie legt man die Aufgabe des Interim-Managers fest, und wird diese auch vertraglich geregelt?
Die Auftraggeber und die Mitarbeitenden wollen wissen, was sie erwarten können, und dies muss zu Beginn des Mandats sehr rasch geklärt werden. Die Kernaufgaben des Interim-Managers werden im Vertrag festgelegt. Man muss von der Aufgabe ausgehen, wenn man diese verstanden hat, kann man auch die Probleme lösen. Die Erwartungen an den Interim-Manager und seinen Handlungsspielraum müssen klar sein. Sind diese Punkte unklar, dann muss der Interim-Manager alles daran setzen, sie zu klären. Er braucht die Unterstützung der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats und auch auf dieser Ebene Entscheidungskompetenz.

Als Interim-Manager habe ich auch den Anspruch, nachhaltig zu arbeiten. Ich verstehe darunter, dass die notwendigen Veränderungen abgeschlossen sind und in neue Hände übergeben werden können. Das gewünschte Ergebnis soll beim Auftraggeber so gut verankert sein, dass es zum bleibenden Erfolg beiträgt. Dazu hat der Interim-Manager auch die Nachfolge und die Übergabe der Aufgaben zu organisieren. Gibt es noch unvollendete Aufgaben aus den Projekten, muss der neue Verantwortliche darüber klar informiert werden.

Welche Massnahmen zur Organisation empfehlen Sie jenen Unternehmen, die einen Interim-Manager brauchen? Und wie findet man hierfür die richtige Persönlichkeit?
Man muss das Problem und die Aufgabe des Interim-Managers beschreiben und ein Profil der Persönlichkeit erstellen, die man sucht. Der nächste Schritt ist, eine geeignete Agentur zu suchen. Die Fachleute in der Agentur müssen über die nötige Erfahrung verfügen, um die richtigen Leute zusammenzubringen, und über einen Pool von potenziellen Interim-Managern verfügen. Ein guter Provider kennt die Personen, die er vermittelt, weil er sie sorgfältig ausgewählt hat. Er begleitet sie während ihres Einsatzes und sorgt so für zufriedene Kunden.

Beruhend auf Ihrer Erfahrung, welche Probleme kommen beim Interim-Management immer wieder vor?
Herausforderungen folgen, wenn der Interim-Manager zum Beispiel feststellt, dass er mit mehreren Vertretern des Auftraggebers arbeiten wird und diese über die Ziele und den Einsatz des Interim-Managers unterschiedliche Auffassungen haben. Es gibt auch Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten. Der Interim-Manager wird mit dem nötigen Fingerspitzengefühl diese Situation meistern müssen. Am Schluss muss eine Entscheidung getroffen werden, in der man die Unterstützung der Führungskräfte, vor allem der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates, bekommt. Ein Industrieunternehmen muss nicht demokratisch sein. Sind diese Punkte geklärt, kann der Interim-Manager wie vereinbart auf seine Ziele hinarbeiten und die gewünschten Resultate vorlegen.

Was bedeutete für Sie die Wahl zum Interim-Manager des Jahres 2017?
Die Wahl zum Interim-Manager des Jahres 2017 hat mich zuerst sehr gefreut. Anerkennung für die geleistete Arbeit tut auch mir gut. Preise haben aber auch ihre Tücken. Es gilt das geflügelte Wort, dass der Erfolg der grösste Feind eines Unternehmens sei. Man darf also nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Es gilt jetzt konsequent das Potenzial, das in der Vergangenheit zum Erfolg geführt hat, auszubauen und weiterzuentwickeln. Wer rastet, der rostet. Der Preis bedeutet für mich einen Ansporn und liefert mir Energie, um meinen Kunden auch in Zukunft eine tadellose Leistung abzuliefern, die ihre Erwartungen übertreffen soll.

Wie viele Unternehmen in der Schweiz setzen Interim-Manager ein?
Es gibt eine Studie des Arbeitskreises Interim Management Provider (AIMP) für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Es handelt sich um eine Umfrage und Top Fifty will die Daten mit dem Fokus Schweiz ausarbeiten. Diese Ergebnisse liegen noch nicht vor. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist der Markt für Interim-Management in den Jahren 2005 bis 2017 zwischen 5 und 25 Prozent pro Jahr gewachsen. Ausnahme war vor allem 2009, als im Zuge der Finanzkrise auch der Markt für das Interim-Management schrumpfte.

2016 wurden in der Region DACH 2,4 Milliarden Euro umgesetzt. In der Schweiz werden ungefähr 240 Millionen Franken für Interim-Management ausgegeben, was ungefähr 1000 bis 1500 Mandaten im Jahr 2016 entspricht. Viele Kunden stammen aus der Chemie, ICT, Elektro- und Maschinenindustrie und in Deutschland aus der Supply-Chain der Autoindustrie. Die Studie weist aus, dass 2016 ungefähr 10 Prozent der Interim-Einsätze in der Schweiz, 76 Prozent in Deutschland und 4 Prozent in Österreich stattgefunden haben. Die Schweiz ist folglich bezogen auf ihre Einwohnerzahl führend im Interim-Management.

Wie hat sich die Frankenstärke auf das Interim-Management ausgewirkt?
Eher positiv. Die Frankenstärke wirkt sich auf die Kosten aus und das hat natürlich einen Veränderungsbedarf zur Folge. Man musste etwas unternehmen, um das Geschäft profitabel weiterzuführen. Daraus ergaben sich sicher eine Menge Aufträge für Interim-Manager für Restrukturierung, Logistik und andere Bereiche. Die Industrie hat das Frankenproblem sehr gut bewältigt. Die Stärke der Schweizer Industrie ist die Innovation, die Fähigkeit, immer wieder Neuigkeiten auf den Markt zu bringen. Der Antrieb ist immer die Wettbewerbsfähigkeit und dass man diese erhalten kann, wofür man Produktivitätssteigerungen, Zugänge zu den Märkten und so weiter benötigt.

Welchen Einfluss haben die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der heutigen Zeit auf das Interim-Management?
Wirtschaftliche Entwicklungen sind zyklische Bewegungen. Bedarf für Interim-Management gibt es sowohl im Wachstum als auch in Phasen der Restrukturierung. Aus den Megatrends, die oft mit Schlagworten wie «Digitalisierung», «Globalisierung», «Industrie 4.0», «künstliche Intelligenz» et cetera überschrieben werden, ergeben sich Veränderungen, die die Industrie zu bewältigen hat. Interim-Manager werden bei diesen Veränderungen eine Rolle spielen, denn dafür braucht man wie bereits erwähnt Fach- und Führungskompetenz. Interim-Management ist dafür sicher eine ideale Lösung. Voraussetzung ist aber, dass sich die Interim-Manager dauernd weiterbilden. Sie müssen sowohl in der Führung als auch fachlich auf diese Trends in ihrer technischen Substanz und ihrer kulturellen Dimension eingehen. Das ist anspruchsvoll, aber eine unglaublich interessante Herausforderung.

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