Interviews

Interview mit Hans-Jörg Mihm

«Wachstum ist sinnvoll, aber nicht das entscheidende Kriterium»

Hans-Jörg Mihm, CEO und VR-Delegierter der Extramet AG, über die Rolle seines Familienbetriebs als Premium-Lösungspartner der Hightechindustrie, Wettbewerbsvorteile gegenüber internationalen Konzernen und Nachhaltigkeit als Bestandteil der Unternehmenskultur.
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Herr Mihm, Extramet fertigt Werkstoffe aus Hart­metall. Was ist das Besondere an Ihren  Produkten?
Die Besonderheit liegt in der Gleichmässigkeit der Produkte. Die Formel für unsere Produkte steckt übrigens nicht im Tresor. Nein, Geheimhaltungsvereinbarungen mit unseren Partnern ersetzen Patente. Die Rezepturen sind teilweise bekannt. Aber die Zusammensetzung ist das eine, die Kunst der Fertigung das andere. Es sind feine Details, die das Produkt beeinflussen: Temperatur, Druck, Zeitpunkt, Vormischung usw. Es kommt darauf an, wie man sie im Prozess verarbeitet. Entsprechend kann das Produkt zum Beispiel besser beschichtet oder geschliffen werden. Man kann in einer Analyse von aussen wohl die Inhaltsstoffe herausfinden, aber nicht, wie das Produkt genau hergestellt wurde. Die physikalischen Eigenschaften, wie zum Beispiel die Biegefestigkeit, werden bei der Herstellung definiert. Das hat mit den Prozessen zu tun, die wir einzigartig anders machen. Wir überlegen uns bei der Entwicklung, wie unser Rohling zum Werkzeug wird, und wo dieses anschliessend zum Einsatz kommt. Einflüsse von Wärmeprozessen, von Schleifscheiben, Ölen, Schnittgeschwindigkeiten und so weiter antizipieren wir, weil wir auf Premiumanwendungen fokussiert sind. Dieses Know-how liegt in den Händen unserer Mitarbeitenden-Generation und wird intern ständig weitergegeben.

Was entsteht aus Ihrer Technologie beim Kunden?
Zum Einsatz kommen die Produkte zum Beispiel in der Auto- und in der Luftfahrtindustrie. Sowohl bei namhaften Autoherstellern als auch am Airbus 380 hat Extramet mitgearbeitet. 80 Prozent der weltweit verwendeten Zahnbohrer-Rohlinge sind von uns, und auch im Turbinenbau oder in der Energietechnik liefern wir. Viele grosse Werkzeug- und Maschinenhersteller verwenden Extramet-Rohlinge für die Erstausrüstungswerkzeugsets, verlangen aber auch Premium-Materialien für spezifische Anwendungen wie etwa für das Fräsen von anspruchs­vollen Verbundwerkstoffen.

Sie sind Lösungspartner für die Hightechindustrie. Wer sind Ihre Kunden?
Wir sind Lösungspartner nicht nur für den Werkzeughersteller, sondern auch für den Anwender. In der Schweiz sind es zum Beispiel Fraisa, Sphinx Schweiz oder Victorinox − reine Werkzeughersteller, aber auch Firmen mit eigener Werkstätte. International arbeiten wir in der Luftfahrt mit Firmen wie Airbus und MTU sowie allen populären Automobil- und Zulieferfirmen zusammen. Übrigens: Lösungspartner bedeutet für uns immer, dass wir eine strategische Partnerschaft eingehen. Basis dafür ist ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis auf Augenhöhe.

Welche Absatzmärkte stehen dabei im Fokus?
Extramet ist weltweit aufgestellt, Priorität hat aber Europa mit dem Premium Hightech-Approach. Unser Marktgebiet bilden nicht die Brics-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, sondern die Spirit-Staaten Singapore, Polen, Indonesien, Russland, Indien und Türkei. Wir sind überzeugt, dass Spirit für uns ein stabiles und ergiebiges Marktgebiet ist. Als Schweizer Unternehmen sind wir prädestiniert dafür, diese Heimmärkte auf der Basis der dortigen KMU weiterzuentwickeln.

80 Prozent Ihrer Produktion gehen in den Export. Wie ist das vertriebsmässig organisiert?
Die Wege zum Kundenkontakt verlaufen mehrgleisig. Zunehmend kommen Kunden direkt auf uns zu, vieles ergibt sich zudem aus Kundenprojekten. Die Bearbeitung der Materialien sowie die Kombination unterschiedlicher Materialien sichert uns Know-how, das später wieder Aufträge aus andern Bereichen auslöst. Wir erarbeiten mit Kunden eine Applikation, bieten das bestmögliche Substrat und beraten überdies bei der Erarbeitung der optimalen Lösung für den Endverbraucher. Wir liefern Kunden vom Standardprodukt über das Halbwerkzeug bis hin zum kundenspezifischen Formrohling nach Zeichnung. Das Ganze wird von Plaffeien aus zentral geführt. Spezialisten im Aussendienst unterstützen an der Kundenfront in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien. Die Tochtergesellschaft in den USA hat ein eigenes Verkaufsteam. Für alle anderen Gebiete arbeitet Extramet mit Agenturen zusammen.

Sie stehen als CEO eines KMU mächtigen Konzernen als Mit­bewerber gegenüber. Geht das auf Dauer?
Ja, das geht. Und ja, die Konkurrenz ist da. Die grossen internationalen Mitbewerber haben zwar von der Mine bis zum fertigen Werkzeug alles unter ihrem Firmendach. Aber wir machen den Unterschied, weil wir als Lösungspartner anerkannt sind.  Extramet konzentriert sich auf den Prozess der Substrat-Herstellung. Wir liefern das Halbwerkzeug an kleine und grosse Werkzeughersteller. Wir sind längst nicht mehr ein reiner Hartmetallhersteller, verkaufen nicht einfach «Stäbchen», sondern wir sind Lösungspartner der Hightechindustrie. Wenn zum Beispiel Airbus eine Ausschreibung macht oder eine grosse Uni­versität anklopft, steigen wir ins «Projekt-Boot». Wir haben so die Chance, am Projekt aktiv mitzuwirken, das Substrat zu ent­wickeln und darzulegen, mit welcher Anwendung wir welche Performance erreichen können. Darauf sind wir spezialisiert. Wir fokussieren uns darauf, Praxislösungen für schwer bearbeitbare Materialien zu finden.

Wie entwickeln Sie Ihre High-tech-Produkte?
Eingebunden in die Projektteams sind erfahrene Fachleute aus der Entwicklung und aus dem Verkauf, welche das Grundmaterial, aber vor allem auch die Anwendung im Produkt verstehen. Sie kennen die Einflüsse, welche während des Einsatzes auf das Substrat wirken und wissen heikle Faktoren zu steuern. Unsere Teams haben die Fähigkeit, sich in neue Technologien einzu­arbeiten und sind in der Lage, mit Fachleuten aus ganz unterschiedlichen Richtungen und Branchen eine freie Entwicklungspartnerschaft zu bilden. Entwicklerteams von Universitäten und Endanwender kommen regelmässig und gerne nach Plaffeien.

Und wieso entwickeln Sie alles im Hause?
Eigenentwicklung ist unabdingbar, und zwar aus mehreren Gründen. Wir haben Metallurgen und Chemiker, die Materialien entwickeln, welche als die besten der Welt gelten. Wir können vom Verkauf her eigene Spezialisten in die Projektteams von Industrie und Universitäten delegieren. Es ist wichtig, Entwicklungsarbeiten nicht auszulagern, sondern intern zu halten. Projektanfragen bestätigen uns in dieser Politik. Dasselbe gilt für unser Technik- und Automatisationsteam, das eigene, teilweise einzigartige Maschinen fürs Messen, Trennen, Schleifen und so weiter baut. Kurz: Wir haben uns viel Know-how selbst erarbeitet. Das macht uns unabhängig von der Industrie.

Extramet ist Unternehmer-geführt, Sie leiten einen Familienbetrieb ...
Ja, mein Vater hat die Firma 1980 als Kleinbetrieb gegründet. Meine Mutter lenkte das Labor und – man staune – der Vizeammann von Plaffeien war der erste Werkstattleiter. Zupass kam der Gründerfamilie, dass sie amerikanisches Know-how erwerben konnte. Um Mehrwert zu erzeugen, wurde zusätzlich zur Produktion von Rohlingen schon kurz danach eine Schleiferei in Solothurn übernommen. Das Geschäft entwickelte sich stetig. Seit 2003 liegt die Führung als CEO von Extramet in meinen Händen. 2007 folgte die Expansion. Wir haben organisatorisch in den Betriebsgebäuden eine durchgängige Fertigung realisiert und in eine ganz neue Technologie investiert. Wir haben überlegt, was es an Fachkräften und an Technologie braucht, um kleinere und mittlere Mengen herzustellen. Wir entschieden uns, konsequent auf hochwertige Produkte zu setzen, weil wir überzeugt sind, dass der Bedarf an solchen zunehmen wird. Die Entwicklung seither hat diese Einschätzung bestätigt.

Stetes Wachstum kennzeichnet die Firmengeschichte – von drei Mitarbeitenden im Gründungsjahr 1980 über vier Gebäudeexpansionen auf heute über 200 Mitarbeitende. Was waren die Treiber dieser Entwicklung?
Wir sind ein Familienbetrieb mit einer langfristigen und nachhaltigen Geschäftspolitik, die man im Geschäftsalltag spürt. An dieser Linie halten wir fest. Anker dafür ist unsere Unabhän­gigkeit mit einer Eigenkapitalquote von über 50 Prozent. Spitzenqualität im Premiumbereich ist unser Fokus. Grundsätzlich werden 80 Prozent des Gewinns in neueste Technologien reinvestiert. Und, nicht zuletzt, bewegen wir uns zusammen mit hochwertigen Partnern im Markt.

Sie bezeichnen sich als einer der «letzten unabhängigen, weltweit tätigen Hersteller von Hartmetallen». Was tun Sie als Unternehmer dafür, dass dies so bleibt?
Alle Prozesseigner einbeziehen. So entsteht ein starkes Kompetenzteam, das die ganze Firma beeinflusst. Wir arbeiten ausgeprägt teamorientiert. Eine grössere Geschäftsleitung teilt sich mit dem Verwaltungsrat die Aufgaben. Alle Geschäftsbereiche sind in der Geschäftsleitung vertreten. Erfahrungen und Kompetenzen von Alt und Jung werden so zusammengebracht. Und, wichtig, wir denken nicht einfach in Qualität, sondern in Managementsystemen. Denn alles ist bei Extramet auf Führung, Prozesse und Projekte bezogen.

Sie sind der grösste Arbeitgeber im Sensebezirk.
Ja, darauf sind wir stolz, aber es verpflichtet auch zur kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung. So hat Extramet das Berufsbild des Industriekeramikers mitentwickelt. 40 bis 50 Prozent der Mitarbeitenden sind jedes Jahr an einer internen oder externen Ausbildung. Regelmässig sind Praktikanten und Schnupperlehrlinge bei uns beschäftigt. Da können wir zeigen, dass Industrieberufe nicht schmutzig sind, sondern fordernd und spannend. Ausländische und Schweizer Studenten erfahren bei uns an Kursen, wie Praxis und Wissenschaft zusammenarbeiten. Wir begleiten sie aber auch bei Bachelor- oder Masterarbeiten zu Themen Innovation, Nachhaltigkeit, Entrepreneurship und anderen.

Nachhaltigkeit ist ein fester Bestandteil Ihrer Unternehmenskultur. Was bedeutet das?
Nachhaltig führen bedeutet immer Verantwortung zu übernehmen für die Unternehmung. Dies beispielsweise für Investitionsentscheide in hochwertige Messmittel oder in den Maschinenpark, für lancierte Innovationsprojekte, für das soziale Enga­gement, für eingegangene Partnerschaften und anderes mehr.  Das alles gelingt nur, wenn es durch eine Kommunikation begleitet wird, die verantwortbar ist und auch auf Eigenverantwortung baut.

Wie nachhaltig können Sie denn als Hartmetallhersteller produzieren?
Da achten wir auf geschlossene Kreisläufe. Mit dem Wärme-/Kältekreislauf aus den Öfen beheizen wir alle Gebäude. Auch das Wasser fliesst in einem geschlossenen Kreislauf. Der CO2-Abdruck beträgt null, weil wir unsere Transporte kombinieren und alles Weitere kompensieren. Besonders wichtig ist uns das nachhaltige Recycling von Hartmetall. In nahezu allen eigenen Fertigungsprozessen werden zum Beispiel Trennabschnitte, Schleifschlamm oder Trennstaub in den Kreislauf zurückgeführt. Auch unsere Kunden fordern wir auf, sich aktiv zu beteiligen. Wir bieten ihnen den Service, Sekundärrohstoff bei unserem Lieferant wieder aufzubereiten. So schliessen wir den Kreislauf bis zum Endanwender. Den Kunden leuchtet ein, dass so die Preise stabil gehalten werden können, und wir nicht in Abhängigkeit zu China geraten. Unsere Aufklärungsarbeit mit entsprechender Kommunikation ermöglichen Kooperationen, die wirklich gut funktionieren.

Welches Gewicht messen Sie dem Wachstum bei?
Wachstum ist sinnvoll, es ist aber nicht das entscheidende Kriterium. Auf dem Weg zu nunmehr 50 Millionen Franken Umsatz haben uns widrige Lagen wie Golfkrieg, 9/11, Finanzkrise und andere nicht in die Knie gezwungen. Wir haben trotzdem investiert, in die Zukunft geplant, uns vergrössert. In der Finanzkrise mussten wir niemanden entlassen, obwohl auch Extramet voll getroffen wurde. Aber wir haben das durchgestanden und die Zeit genutzt für sinnvolle Veränderungen.

Extramet signalisiert im Logo Swissness. Worauf bezieht sich das?
Die Kunst, Hartmetall herzustellen, liegt nicht nur in dem, was das Produkt ausmacht, sondern in der Kunst, dem Kunden Lösungen für seine Anwendungen zu erbringen. Dabei sind wir mit unseren Materialien offen für neue Anwendungen und wirken mit beim Finden von neuen Feldern. Wir bewegen uns als kleinerer Anbieter im Premiumsegment. Um die Wettbewerbsfä­higkeit zu erhalten, müssen wir als Schweizer Unternehmen Qualität auf dem höchsten Level erbringen. Extramet stellt unter anderem das weltweit beste Substrat für diamantbeschichtete Werkzeuge her. Das hohe Leistungsversprechen bedingt, dass alle Prozesse optimiert sind. 1996 bereits haben wir das mit der SQS-Zertifizierung nach ISO 9001 dokumentiert. Im Jahr 2004 erlangten wir das Umwelt-Zertifikat ISO 14 001 und das Zertifikat OHSAS 18 001 für Arbeitssicherheit. Das ist für uns wegleitend. Die Sache hat sich bewährt. Die Gespräche mit den Auditoren erfahren wir als Austausch unter Fachleuten. Das bringt uns weiter. Wir sind immer auf dem neuesten Stand.

Ihr Werk ist im idyllischen Plaffeien (FR) eingebettet. Bestehen da noch Ausbaumöglichkeiten?
Mit der jüngsten Erweiterung im Jahr 2008 haben wir auch einen optimalen Prozessdurchlauf realisiert. Das gewachsene Kreuz und Quer wurde in eine Flussplanung gewandelt. Die logische Abfolge: Rohwareneingang, Pulveraufbereitung, Presserei, Vorsinterei, Zwischenkontrolle, Formgebung, Sinterhalle, Endkontrolle, unterirdische Verbindung zum Neubau, Schleiferei, Spedition, Administration, Konferenzräume, Cafeteria. Die reine Hartmetallfertigung muss zusammenbleiben, die Schleiferei, also Veredelung, kann separat sein. Ein Ausbau ist möglich, aber die Zeit kommt uns entgegen, denn neue Technologien benötigen immer weniger Platz. Auch von den Gebäulichkeiten her sind wir für die Zukunft gut aufgestellt.

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