Interviews

Interview mit Nicolas Durville

«Viele KMU unterschätzen, wie wichtig digitale Vernetzung ist»

Nicolas Durville, CEO der Zühlke Schweiz, spricht über die Herausforderungen als Innovationsdienstleister, die wachsende Bedeutung von Customer-Experience-Expertise und die Entwicklung von künstlicher Intelligenz.
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Herr Durville, Sie sind seit Juli 2018 CEO von Zühlke Schweiz. Welche speziellen Herausforderungen bringt das für Sie?
Wir agieren hier in einem sehr spannenden Umfeld. Themen wie Innovation und Digitalisierung haben grosse Bedeutung. Umbrüche auf Kundenseite finden statt. Mir gefällt es, eine starke Rolle zu übernehmen und die erfolgreiche Strategie unseres Unternehmens fortzusetzen. Aktuell sind wir in der finalen Umsetzung der Vision und Strategie 2020, die ich massgebend mitgeprägt habe. Im kommenden Jahr planen wir die Vision und Strategie 2025. Dabei möchte ich noch vermehrt Akzente setzen.

Wie unterstützen Sie Unternehmen bei der Entwicklung von Innovation?
Als Partner für Business Innovation ist es wichtig, den Kunden möglichst früh im Prozess zu begleiten und zu beraten. Das Beratungsgeschäft hat für uns in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Hier möchten wir auch in Zukunft wachsen.

Welche Probleme haben innovative Unternehmen?
Die grösste Schwierigkeit ist, eine Innovation erfolgreich zu lancieren. Das tollste Produkt bringt nichts, wenn es niemand kauft. Unternehmen müssen eine Firmenkultur aufbauen, die aus der Perspektive des Endkunden gedacht wird. Viele Unternehmensleitungen glauben, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kunden kennen, da die Firma schon seit Jahrzehnten erfolgreich besteht. Das ist ein Fehler und läuft häufig darauf hinaus, dass die tatsächlichen Bedürfnisse der Kunden ignoriert werden. Man muss das Gegenteilige tun – die Kunden bei der Entwicklung neuer Produkte früh einbeziehen.

Wie überzeugt man denn die Endkunden von einem Produkt?
Schon vor der Entwicklung von Produkten sollte man die Bedürfnisse, Probleme und Wünsche der Endkunden kennen. Um unsere Kunden auch in diesem Prozess professionell beraten zu können, haben wir in den letzten Jahren Mitarbeitende mit Customer-Experience-Expertise rekrutiert.

Was verstehen Sie darunter?
Einerseits benötigen wir die besten Ingenieure und Fachspezialisten, die ein Produkt realisieren können, andererseits brauchen wir aber auch kreative Köpfe, die Ideen entwickeln, sie ausprobieren und bereit sind, zu scheitern. Dazu kommen neu auch Mitarbeitende mit der Fähigkeit, Bedürfnisse von Endkunden zu identifizieren, zu analysieren und zu verstehen. Das Zusammenspiel von Business-Verständnis mit Customer Ex­perience und Technologieexpertise führt zu erfolgreichen
Innovationen.

Welche Fehler werden im Innovationsbereich gemacht und wie können diese vermieden werden?
Früher hatten Unternehmen vor allem das Ziel, das bestehende Geschäft zu optimieren und darin zu wachsen. Um der eigenen Karriere willen war man nicht bereit, grosse Risiken einzugehen. Innovative Leute brauchen die Rückendeckung der Geschäftsleitung speziell dann, wenn ihre Entwicklungen erst nach einiger Zeit zu einem Gewinn führen. Früher scheiterte Innovation oft auch an den begrenzten technischen Möglichkeiten. Es wurden unrealistische Ziele definiert. Heute sind die technischen Möglichkeiten nahezu unbegrenzt und es kommt darauf an, das Richtige zu entwickeln.

Wie erreicht man, dass solche Ideen erst mal innerhalb des Unternehmens durchgesetzt werden?
Wenn man eine Innovation von Anfang an in ein bestehendes System zu integrieren versucht, wird sie oft einfach plattgewalzt. Wir empfehlen, im Unternehmen eine eigene Zone zu schaffen, in der getüftelt und ausprobiert wird und in der die Leute eine gewisse Narrenfreiheit haben. Viele Firmen kaufen für diesen Zweck sogar andere Unternehmen, etwa Start-ups. Ist das neue Produkt dann entwickelt, kann es sukzessive in den Hauptbetrieb integriert und in diesem die Abläufe entsprechend organisiert werden.

Wie werden Innovationen überwiegend finanziert?
Im Markt ist aktuell viel Liquidität vorhanden. Es ist eher der Fall, dass es teilweise an guten Investitionsmöglichkeiten fehlt. Zühlke Ventures als unabhängiges Unternehmen innerhalb von Zühlke Schweiz investiert in innovative Jungunternehmen, vor allem im Med-Tech-Bereich.

Was denken Sie, verändert die Digitalisierung die Innovationsprozesse?
Der Innovationsprozess wird durch die Digitalisierung nicht verändert, sondern beschleunigt. Der Zeitdruck hat in den letzten Jahren zugenommen. Wer eine Produktidee hat, muss weitaus schneller als früher einen Prototyp anbieten und mit den Endkunden in Kontakt kommen. Die digitale Mobilität hat diesbezüglich sehr viel verändert.

Welche Herausforderungen müssen kleine und mittelgrosse Unternehmen durch die Digitalisierung bewältigen?
Viele KMU sind sich zu wenig bewusst, wie wichtig die digitale Vernetzung ist. Ein Beispiel ist die präventive Wartung. Dabei geht es darum, Mängel rechtzeitig zu erfassen, sodass der Reparaturtechniker sie korrigieren kann. Häufig wissen die Techniker gar nicht, wie oft und auf welche Art die Endprodukte tatsächlich gebraucht werden. Indem man über die digitale Verbindung Informationen darüber sammelt, kann man das Produkt optimieren. Nehmen wir als Beispiel eine Kaffeemaschine. Man muss wissen, welche Art Kaffee die Kunden damit zubereiten, das kann etwa regional unterschiedlich sein.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung von künstlicher Intelligenz?
Die Entwicklung ist sehr dynamisch. Es läuft, wie so oft in den vergangenen Jahrzehnten, darauf hinaus, dass die hohen Erwartungen nicht ganz erfüllt werden, sich aber viele neue Geschäftsmodelle entwickeln. Es gibt interessante Innovationen, etwa lassen sich Drohnen in der Landwirtschaft einsetzen, um Dünger oder Pflanzenschutzmittel effizienter zu verteilen. Roboter oder selbstfahrende Autos werden sich in Zukunft verbreiten. Maschinelles Lernen ist ein wichtiges Thema. Beispielsweise müssen in Spitälern Dokumente immer noch manuell geordnet werden. Im Moment entwickeln wir Algorithmen, die das digital steuern und Krankengeschichten kategorisieren.  

Werden diese Entwicklungen zu einem Stellenabbau führen?
In einigen Bereichen wird dies so sein, aber es werden sich auch neue Arbeitsmöglichkeiten entwickeln. Dabei ist es wichtig, wie rasch sich die Arbeitswelt anpasst, etwa mit Weiterbildungen.

Wie können kleine und mittlere Unternehmen ihre Innovationen schützen?
Gerade in den kleinen und mittelgrossen Unternehmen wird die eigene Sicherheit oft überschätzt. Die Daten einem professionellen Cloud-Anbieter zu überlassen, kann effizienter sein. Für Zühlke entwickelt sich das Thema Cyber Security zu einer wichtigen Dienstleistung. Nicht zuletzt aufgrund des zunehmenden Grades der Vernetzung.

Welche Projekte sind im Moment denn gerade besonders erfolgreich?
Gemeinsam mit Thyssenkrupp haben wir «Holo-Linc» vorgestellt. Durch die Mixed-Reality-Brille ist erstmals ein vollständig digitalisierter Sales-Prozess für Treppenlifte möglich. Es ist die erste Anwendung der Mixed-Reality-Technologie von Microsoft im industriellen Massstab. Zühlke hat geholfen, den Proof of Concept in die Praxis umzusetzen.

Wo werden Ihre Produkte hergestellt?
Wir besitzen zwar eine kleine Werkstatt und einige 3-D-Drucker, um Prototypen und Kleinserien herzustellen, sind aber ein Dienstleistungsunternehmen und arbeiten für die Produktion von Gütern vor allem mit Partnern zusammen. Wir können die Kunden beraten, dass sie auf Nachhaltigkeit und kurze Transportwege achten, aber letztlich entscheiden sie über die Produktion.

Zühlke ist ein internationales Unternehmen; welche Erfahrungen machen Sie bei der weltweiten Zusammenarbeit?
Gerry Zühlke hat Zühlke 1968 in Zürich gegründet. Inzwischen haben wir 14 Standorte auf der ganzen Welt, unter anderem in Hongkong und Singapur. In diesem Jahr haben wir ein Büro in Bulgarien eröffnet. Die internationale Zusammenarbeit ist für uns sehr wichtig. Sie erlaubt uns etwa verteilte Entwicklung, damit haben wir auch in Zeiten der Personalknappheit die richtigen Talente für unsere Projekte.

Ist die Schweiz noch innovativ genug?
Nach dem Global Innovation Index ist die Schweiz eines der innovativsten Länder der Welt. In der Schweiz gibt es beispielsweise hochinnovative Medizintechnik-Firmen sowie Start-ups, die zum Beispiel Operationsroboter oder digitale Systeme für die Einordnung von Krebs entwickeln oder auch künstliche Haut züchten.

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