Interviews

Interview mit Marco Wenger

«Unsere Marke ist auch ohne Zertifikate wirkungsvoll genug»

Marco Wenger, Geschäftsführer der AG Möbelfabrik Horgenglarus, über die Verbindung traditionellen Handwerks und moderner Technik, Synergieeffekte durch Nachahmung und die Notwendigkeit, langfristige Entscheidungen zu treffen.
PDF Kaufen

Herr Wenger, Sie sind Anfang 2012 als Geschäftsführer bei Horgenglarus eingestiegen. Wie kam es dazu?

Nach meiner Schreinerlehre absolvierte ich die Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau. Dann zog ich nach Zürich und arbeitete dort bei einem Möbelhändler. Dabei habe ich Wohnungen und Geschäfte für Auftraggeber eingerichtet und lernte die Produkte von Horgenglarus kennen. Mein Vorgänger wurde so auf mich aufmerksam und engagierte mich. Die Herausforderung hat mich angespornt.

Horgenglarus hatte um die Jahrtausendwende finanzielle Schwierigkeiten. Wie hat das Unternehmen diese überwunden?

In den 1980er-Jahren hatte das Unternehmen ein zu breites Sortiment angeboten. Dieses wurde reduziert und man konzentrierte sich auf die besonders erfolgreichen Produkte – eine Rückkehr zur Tradition. Für die ausgewählten Produkte wurde ein gut abgestimmtes Konzept entwickelt. Der Markt hat dieses gut angenommen und dadurch bekam das Unternehmen einen starken Aufwind.

Was sind die Elemente Ihrer Produktion?

Wir vereinbaren Fachwissen, Qualität und einen hohen Designanspruch. Die Produktion beginnt mit einem edlen Naturmaterial – rohen Baumstämmen. Durch Präzisionsarbeit entstehen daraus unsere Möbel. Durch unsere Biegetechnik erreichen wir höchstmögliche Qualität. Diese Technik wurde vor fast 200 Jahren erfunden: Holz wird unter Wasserdampf erhitzt, dadurch wird es biegsam und kann zu verschiedenen Formen verarbeitet werden. Dabei werden die Jahresringe nicht angeschnitten und das Holz behält seine Stabilität. Es gibt nur noch wenige Unternehmen, die diese Technik anwenden. Wir kombinieren immer traditionelles Handwerk mit modernster Technik, wie fünfachsigen-CNC-Anlagen, und so erreichen wir beste Resultate.

Wie viele Stühle produzieren Sie?

Rund hundert Stühle am Tag.

Und die stammen komplett aus Schweizer Produktion?

Ja, unsere Produktion entspricht den neuen Swissness-Kriterien. Wir produzieren alle unsere Möbel in vielen Schritten in unserer Manufaktur in Glarus. Auch die meisten unserer Hölzer stammen aus der Schweiz, vor allem aus dem Jura. Dort wachsen die Stämme besonders gerade und mit feiner Maserung. 75 Prozent des bei uns verwendeten Holzes ist Buchenholz. Wir denken dabei auch ökologisch. Unser jurassischer Lieferant, von dem wir den Grossteil unseres Holzes beziehen, setzt auf Wiederaufforstung. Aber nicht alle Materialien stammen aus der Schweiz; da hier nicht ausreichend Nussbaumholz vorhanden ist, beziehen wird es aus dem benachbarten Ausland.

Es fällt auf, dass die Webseite trotz internationalen Geschäftsbeziehungen in Deutsch geschrieben ist und kaum englische Bezeichnungen aufweist. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich.

Unser Markenclaim ist «Horgenglarus – since 1880 handcrafted in Switzerland». Auf Englisch, weil wir ein international agierendes Unternehmen sind, und daher kann man mit einem Klick die Infos auf der Homepage auch auf Englisch oder Französisch lesen. Allerdings sind unsere Firma und unsere Möbel durch und durch schweizerisch und auf unsere Herkunft sind wir auch stolz. Wir verwenden auch im Geschäft keine englischen Ausdrücke, beispielsweise bleiben wir beim bewährten deutschen Geschäftsführer statt CEO.

Wie setzen Sie sich gegen die Konkurrenz der Billigmöbel durch?

Unsere Kunden sind sehr qualitätsbewusst. Wir produzieren Stühle mit Charakter und Qualität und können uns mit diesen Elementen von der Konkurrenz abheben. Die Kunden kaufen entweder Qualitätsprodukte, die eben ihren Preis haben, oder Billigmöbel. So kommt es vor, dass  zum Beispiel ein Ikea-Tisch mit einem Horgenglarus-Stuhl kombiniert wird. Schwierigkeiten haben heute vor allem Anbieter im mittleren Preissegment.

Wie schützen Sie Ihre Produkte gegen Nachahmung?

Wir haben mehrere Möglichkeiten, Design- oder Patentschutz. Wir wägen je nach Fall ab, was notwendig oder sinnvoll ist. In China hat man versucht, unsere Produkte zu imitieren, aber dabei niemals unsere Qualität erreicht.

Horgenglarus hat immer mit renommierten Gestaltern und Künstlern zusammengearbeitet, zum Beispiel Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser, Hannes Wettstein oder Max Bill. Wie funktioniert das?

Ein Designer oder Architekt kann sich bei uns mit einem Vorschlag melden. Oder wir nehmen mit einem Designer Kontakt auf, dessen Stil uns gefällt. Daraus kann dann eine Zusammenarbeit entstehen.

Gibt es Modetendenzen auch für Stühle?

Unsere Möbel sind grundsätzlich klassisch, schlicht und zeitlos. Sie haben relativ strenge Formen, sind dabei aber zugleich stabil, bequem und funktional. Im Moment sind eckige Stühle beliebt, aber andere Kunden haben Freude an organischen Formen. Bei solchen Produkten gibt es aber dennoch nicht besonders starke Konjunkturschwankungen. Modetendenzen sind dann eher erkennbar, was die Materialien betrifft – Holz, Stoff oder Leder können individuell gewählt werden. Eichenholz ist zurzeit wieder sehr gefragt.

Manchmal kauft man Ihre Produkte sogar wohl auch im Brockenhaus. Wie gehen Sie um mit dieser Art von Konkurrenz?

Ein Horgenglarus-Stuhl kann 100 Jahre alt werden. Wenn er nach 80 Jahren für 350 Franken in einem Brockenhaus verkauft wird, ist das die beste Werbung. Sogar eine Nachahmung kann zu Synergieeffekten führen, wenn die Leute dann das Original haben wollen. Deswegen brauchen wir auch keine Zertifikate, unsere bewährte Marke ist wirkungsvoll genug.

Ihre Produkte sind auf Langlebigkeit ausgerichtet. Gilt das auch für die Zusammenarbeit mit den Angestellten?

Wir treffen immer langfristige Entscheidungen. Nur so können wir glaubwürdig auftreten. Unsere Mitarbeitenden und ihr Know-how sind unser grösstes Kapital. In unserem Unternehmen gibt es acht Bereiche, in denen wir neue Angestellte zu Spezialisten ausbilden. Hingegen nehmen wir keine Lehrlinge an, die könnten die spezifischen Fähigkeiten, die bei Horgenglarus notwendig sind, bei anderen Firmen nicht anwenden.

Gibt es in Ihrem Unternehmen eine Beteiligung der Mitarbeiter?

Keine direkte Beteiligung mit Aktien, aber wir erarbeiten Systeme, mit denen die Mitarbeitenden von dem gemeinsamen Erfolg profitieren.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb im Ausland?

Wir verfügen über eine Vertriebsgesellschaft in Deutschland. Die Vertriebsmitarbeiter vertreten uns hauptsächlich vor Ort, in den sechs grössten Städten, das funktioniert sehr gut. Unser günstigstes Produkt kostet rund 500 Euro. Im Ausland sprechen wir so eine spezielle Schicht von Kunden an, die auf Qualität Wert legt, häufig in Deutschland, Österreich und Skandinavien. Unsere Kunden sind nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung, Privatleute, Industrie und Kirchen. Ausserhalb der EU bieten Fachgeschäfte unsere Produkte an. In Japan sind diese sehr beliebt, unser Stil entspricht offensichtlich der japanischen Mentalität. In China sind wir hingegen nur in einer Stadt vertreten. Dort werden unsere Produkte auch vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron gern eingesetzt.

Porträt