Interviews

Interview mit Marco Baumann

«Nachhaltigkeit? – Die Natur hats erfunden.»

Marco Baumann, Inhaber und Geschäftsführer der Rausch AG, über die Verbundenheit zum Standort Schweiz, den Weg zur Internationalisierung und die Wertvorstellungen eines Familienunternehmers.
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Herr Baumann, beginnen wir mit einem kurzen Rückblick. Seit nahezu 125 Jahren steht die Rausch AG für natürliche Haarpflegemittel. Sie traten 1968 als Vertreter ins väterliche Unternehmen ein und sind seit dem Jahr 2006 Alleininhaber. Heute sind Sie 68 Jahre alt, und Rausch ein international aufgestellter Nischenanbieter mit familiärem Charakter. Welche Meilensteine und Herausforderungen haben Sie geprägt?

Im Jahr 1968 war der Internationalisierungsgrad von Rausch bei Weitem nicht mit heutigen Massstäben zu messen. Damals musste ich Rausch erst einmal hierzulande bekannter machen. Dazu habe ich alle Apotheken und Drogerien, Coiffeursalons und Kaufhäuser besucht; das dauerte zweieinhalb Jahre. Ich verkaufte Kräuter-Haarpackungen, ein Dutzend für 20 Franken, das waren Kleinstaufträge. In der Zeit habe ich viel von meinem Vater gelernt. Er war ein herzensguter, bodenständiger Mann. Er konnte zwar auch sehr toben, aber man wusste immer, woran man war. Mein Vater hat es nie geduldet, dass ich untätig war. Ich durfte nie einfach nur so herumsitzen und nichts tun, das gab es nicht. Er fand immer etwas zu tun. Damals hat man auch die Wochenenden durchgearbeitet. Unter der Woche war ich auf Reisen, am Wochenende dann im Büro. Nach meiner Ausbildung als Bankkaufmann war das eine gute Ergänzung.

Und das lief alles reibungslos?

Natürlich hat es auch Pannen gegeben. Ich kann mich erinnern, dass ich für Panamarinde zwischen 2.60 und 22.60 Franken bezahlt habe. Rohstoffe konnten also mal rar werden. Und einmal ist auf einem Schiff ein Fass Lisol ausgelaufen, das war damals ein Desinfektionsmittel. In der gleichen Ladung befand sich auch Kamille, die wir aus Argentinien importierten. Dass daraufhin die Kamille nach Lisol schmeckte, konnten wir natürlich nicht akzeptieren. Angeblich soll die Kamille später in Italien als Tee verkauft worden sein.

Wie sind Sie in den Besitz von Rausch gelangt, und was hat Ihren Vater an der Marke so fasziniert?

Mein Vater war lange Zeit für eine Genfer Firma Aussendienstmitarbeiter in der Ostschweiz. Er kannte den Firmengründer Josef Wilhelm Rausch. Als der 1937 verstarb, ging das Unternehmen an dessen Nachkommen und wurde von der Schweizerischen Verrechnungsstelle verwaltet. Zu einem Hochkampfpreis für damalige Verhältnisse konnte mein Vater Rausch dann im Jahr 1949 kaufen. Josef Wilhelm Rausch hatte das Unternehmen 1890 gegründet und einen ausgeprägten Pioniergeist besessen. Sein Wissen resultierte aus alten Kräuterbüchern der Dominikaner. Ich habe im Tresor noch eine Ausgabe aus dem Jahr 1590, handkoloriert. Mit grosser Akribie und Passion entwickelte er daraus seine Kräuterextrakte. Rausch war der Erfinder der ersten flüssigen Kopfwaschseife, das war im Jahr 1900. Mein Vater war ein sehr guter Verkäufer, er konnte einfach fabelhaft mit Menschen umgehen. Das war zunächst die Wachstumsbasis.

Ein gutes Stichwort. Wann stösst ein kleines Unternehmen, wie es Rausch damals war, an seine Kapa­zitätsgrenzen, ab welchem Zeitpunkt muss es auf Wachstum mit neuen Strukturen reagieren?

Es gab mehrere Schwellen, die erste grosse bei einem Umsatzvolumen von zehn Millionen Franken. Mein Vater, mein Bruder Alexander und ich hatten bis dahin mehr oder weniger alles allein gemacht, in Etappen hatten wir auf 20 Mitarbeitende aufgestockt. Ab einer gewissen Grösse ist auch ein Investitionsschub nötig. Wir mussten neue Maschinen kaufen, um die entsprechende Produktanzahl herstellen und verkaufen zu können. Dabei war uns wichtig, unsere Naturprodukte in gleichbleibend hoher Qualität herzustellen. Dann wurde unser damaliger Betrieb zu klein.

Heute haben Sie 160 Mitarbeitende. An welchen Stellschrauben haben Sie gedreht, damit Rausch gesund wachsen konnte?

Da greifen mehrere Faktoren ineinander. Wir mussten und wir müssen wachsen – aber nicht zu schnell, es geht um qualitatives Wachstum. Nach jeder Wachstumsphase gab es auch eine Konsolidierungsphase.

Kommen wir zu den Wachstumsfaktoren.

Diese sind eng mit unserer Zielsetzung verknüpft, die sich schon früh herauskristallisiert hatte. Wir setzen pflanzliche Wirkstoffe aus Kräutern, Sträuchern, Samen und Früchten ein. Die hochwertigen Extrakte werden eigenhändig von uns nach einem traditionellen Geheimrezept hergestellt. Bei allen Produkten ist die optimale Hautverträglichkeit und besondere Milde dermatologisch-klinisch bestätigt. Zusätzlich ist die Wirksamkeit wissenschaftlich in namhaften dermatologischen Instituten nachgewiesen und kann durch professionelle Studien erfolgreich belegt werden.

Also ganz im Sinne des aktuellen Öko-Trends?

Wir haben die ökologische Schiene nicht erst gefahren, als sie modern wurde. Man hat es damals nicht so genannt, aber gemacht haben wir das schon immer. Aus Respekt gegenüber der Natur. Die hat Kräfte, da müssen wir nichts Neues erfinden, wir müssen es nur richtig nutzen. Zweitens wollen wir sichere Produkte, ohne Risiken für den Menschen, herstellen. Drittens wollen wir tierverbunden sein, das heisst, wir haben noch nie Produkte gemacht, die auf Tierversuchen basieren. Und viertens spielen Markenpositionierung und Markenpflege eine ganz gros­se Rolle. Dazu gehört, dass wir die Marke Rausch authentisch verkörpern. Und dann spielt natürlich der Familiengedanke eine sehr grosse Rolle. Ich habe lange überlegt, wie die Nachfolge zu regeln sein könnte. Das hat mich manche Nacht gekostet. Ich bin sehr froh, dass jetzt seit eineinhalb Jahren mein Sohn im Betrieb ist.

Zur Authentizität gehört auch Ihr Bekenntnis zum Standort Schweiz. Wie lange können Sie sich das noch leisten?

Ich bin ein Urschweizer, ein Urner. Und für mich war es immer wichtig, dass die Arbeitsplätze in der Schweiz bleiben. Ich hätte in Polen eine Fabrik gratis haben können. Das habe ich abgelehnt. Natürlich ist vieles in der Schweiz wesentlich teurer. Ich habe jetzt einen Fall, wo ich eine Preisdifferenz gegenüber Deutschland von über 80 Prozent habe. Das ist verdammt viel. Gerade bei dem Eurokurs muss man natürlich auch rechnen, Szenarien mit Kursschwankungen bilden und Investitionsplanungen prüfen. Durch den Eurokurs habe ich bei gewissen Investitionen die Bremse anlegen müssen, denn eine Maschinenanlage kann auch schon mal eine Million Franken kosten. Und einen Kredit möchte ich nicht aufnehmen. Wenn es irgendwie geht, sollte man die Eigenfinanzierung pflegen.

Und was hält Sie speziell im Thurgau?

Ich kenne jeden Mitarbeitenden, ich kenne ihre Familien, man grüsst sich, wenn man sich sieht. Das hat mit Wertschätzung zu tun. Wenn ich ein Ansinnen habe, so hat die Thurgauer Regierung immer noch das Herz und das Ohr nahe bei denen, die etwas für den Kanton einbringen. Das muss ich wirklich lobend erwähnen, denn das gibt es nicht in jedem Kanton. Die Gegend war ja seinerzeit von Landwirtschaft, von Bauern geprägt. Und die Verlässlichkeit, die Glaubwürdigkeit der Menschen wird hier noch gelebt. Ein Handschlag ist wie ein Ehrenwort.

Ihre Produkte tragen das Schweizer Kreuz. Welche Rolle spielt «Swissness» für den Absatz?

Natürlich spielt das Schweizerische eine grosse Rolle. Wenn ich etwa in China bin, in Hongkong oder Taiwan heisst es: «We trust in swiss label». Schweizer Produkte geniessen im Ausland Vertrauen. Für uns Hersteller ist das auch eine Verpflichtung. Es wird viel kopiert, es wird viel getrickst, da muss man auch beachten, mit wem man Geschäfte macht. Zum potenziellen Geschäftspartner fahre ich daher nicht nur, um mir dort seine Zahlen anzusehen. Ich prüfe auch, wie er mit seinen Mitarbeitern umgeht, wo er überall distribuiert ist, welche Infrastruktur er hat. Wenn das stimmt, lade ich ihn zu uns ein. So hat das immer funktioniert. 1971 haben wir mit dem Export nach Österreich unsere Internationalisierung begonnen, und heute sind wir in 26 Ländern präsent. Ich stelle dabei auch die Marketingkonzepte zur Verfügung, die unsere Partner nicht neu erfinden, aber adaptieren müssen: act local. Und ich führe auch die Trainings selber durch. Wenn man nur eine kleine Firma hat, kann man nicht Millionen hinblättern für PR-Massnahmen. Da muss man es anders machen. Ich muss am Verkaufspunkt Menschen einsetzen.

Ihre Vertriebswege sind stark fachhandelsorientiert. Wie gross sind Ihre Sorgen durch die zunehmende Konzentration des Apotheker- und Drogeriemarkts?

Die stärkste Vertriebslinie ist die Drogerie in der Schweiz, in Deutschland die Apotheke. Dieser Fachhandel macht sicher rund 75 Prozent des Umsatzes aus. Hier werden unsere Produkte erklärt und Kunden gut beraten. Wenn zum Beispiel jemand mit einem Allergiepass in die Apotheke oder den Drogeriemarkt kommt, wird er entsprechend beraten. Die grossen Kaufhäuser wie Globus oder Manor sind von der Produktauswahl ein wenig anders gelagert, mehr auf Stylingprodukte ausgerichtet. Aber auch dort ist Rausch vertreten; die Kaufhäuser sind das zweite grosse Standbein. Insgesamt müssen wir damit leben, dass sich die Zielgruppenflüsse verändert. Der Kunde findet in einem Kaufhaus alles unter einem Dach und kauft nicht mehr im Drogeriemarkt. Das ist ein Riesenproblem. So bin ich gezwungen, nicht mehr allein über den Fachhandel zu vertreiben.

Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Preispolitik?

Leider sieht der Konsument oft nur auf den Preis, ohne zu bedenken, dass Billigprodukte keine Wirkung erzielen und auch nicht so ergiebig sind. Das macht mir etwas zu schaffen. Als ich bei Rausch eingestiegen bin, gab es zirka 25 Produkte, heute haben wir 73 Produkte für die Haar- und Körperpflege sowie ein Nahrungsergänzungsmittel, die Vitalkapseln. Mit Ausnahme der Abfüllung von Haarspray und den Vitalkapseln produzieren wir alles inhouse. Das ist der Unterschied zu vielen anderen Unternehmen, die oftmals nur aus einer Marketingabteilung bestehen. Die haben ein Grundrezept mit einigen Varianten, ein anderes Parfüm, eine andere Farbe, einen anderen Namen und ein anderes Etikett. That’s it. Unsere Produkte sind komplizierter. Das beginnt schon beim Einkaufsmanagement. Unsere natürlichen Rohstoffe stammen fast ausschliesslich aus der Schweiz. Was in der Schweiz wächst, nehme ich auch aus der Schweiz.

Zum Beispiel?

Die von uns benötigten Kräuter, zum Beispiel Kamille, lassen wir von Vertragsbauern anbauen. Mit denen arbeiten wir schon seit Generationen zusammen. Das ist hervorragende Qualität, praktisch frei von Schwermetallen und frei von Insektiziden und Pestiziden. Man muss keine 41 Ökolabels führen, um naturnah zu produzieren. Das kostet natürlich mehr als auf reine Chemie und simple Inhaltsstoffe zurückzugreifen. Ich habe neulich in einem deutschen Drogeriemarkt Haarshampoo für 99 Cent pro Liter gesehen, uns kostet allein die Flasche schon 28 Cent.

Rausch wird es im Niedrigpreissegment nicht geben?

Nein, wir können auf dieser Ebene im Preiskampf nicht mithalten. Und wollen das auch nicht. Wir haben uns fokussiert: spitz statt breit. Das was wir machen, machen wir besser als der Wettbewerb. Im Sinne des überdurchschnittlichen Nutzens für den Lieferanten, den Verbraucher und damit letztlich auch die Gesellschaft.

Also ist Rausch nichts für Anhänger der «Geiz-ist-geil-Mentalität». Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe?

Es braucht schon eine gewisse Reife, um nachzuvollziehen, warum unsere Produkte höherpreisig sind. Unsere Zielgruppe sind die sogenannten LOHAS, das bedeutet Lifestyles of Health and Sustainability. Das sind Menschen, die bewusst mit ihrem Körper umgehen, wissen möchten, dass die Produktquellen solide sind und bereit sind, für Nachhaltigkeit etwas mehr zu bezahlen. Wir haben daher längst nicht so viele Kunden wie Gross­firmen, aber wir haben sehr treue Kunden. Rausch hat die stabilste Verbraucherschaft. Und wenn Sie in deren Badezimmer schauen, finden Sie dort acht bis elf Produkte von Rausch. Der Durchschnittsverbraucher von Rausch-Produkten ist zwischen 45 und 65 Jahre alt. Unser Ziel ist, diese Altersspanne nach unten auf 28 Jahre zu verjüngen.

Soll das über neue Produktlinien geschehen, oder ist das eine Frage des Marketings?

Um heute im Markt zu bestehen, braucht es ein gutes Marketing. Generell hat Marketing eine grössere Bedeutung bekommen. Heute steht Marketing im Budgetplan weit oben. Für uns sind aktuell die Möglichkeiten sehr interessant, die sich aus einem Co-Marketing ergeben können. Wir prüfen daher, welche starken, etablierten Marken zu Rausch passen könnten. Konkret gibt es dazu allerdings noch nichts zu melden.

Welche Rolle spielt Online-Marketing?

Es gibt Unternehmen, die beherrschen das E-Commerce hervorragend. Aber es gibt auch noch den Menschen, der das Einkaufserlebnis haben möchte. Natürlich kann auch Rausch diesen Trends nicht entfliehen. Mein Sohn hat jetzt begonnen, ein Online-Marketing aufzubauen.

Herr Baumann, noch eine abschliessende Frage: Was macht einen guten Unternehmer aus, und wie unterscheidet er sich von einem Manager?

Wenn Sie Biografien erfolgreicher Unternehmer lesen, merken Sie, dass diese Unternehmer mehr gearbeitet haben als andere. 60 Prozent der Menschen sind Mitläufer. Die Zugpferde haben einen höheren Leistungsdrang und eine grössere Neugierde. Die positive Neugierde ist ein Anreiz. Der Manager kümmert sich um das Quartal und laufende Geschäftsjahr. Und der Unternehmer kümmert sich um die Zeit seiner Aktivität und die Zeit danach, also viel nachhaltiger. Im Jahr 2006 habe ich meinen Bruder ausbezahlt, korrekt und in Frieden. Sie glauben gar nicht, wie glücklich es macht, eine solche Regelung ohne Streit und mit der Zufriedenheit aller Beteiligten durchzuführen. Man kann eben nicht alles mit Geld ausdrücken.