Interviews

Interview mit Viktor Bosshard

«Meine Ideen hole ich im täglichen Leben – ganz einfach.»

Viktor Bosshard, CEO der Jos. Berchtold AG, über den Management-Buy-out zur Nach­folgeregelung, unkonventionelle Methoden für Unternehmensentwicklung in KMU, Triebfedern des Geschäftserfolgs und Konsensfindung in der Geschäftspartnerschaft.
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Herr Bosshard, ein Management-Buy-out (MBO) war der Startblock für Ihre Unternehmertätigkeit in einem KMU. Zusammen mit Ihrem Geschäftspart­ner und Co-CEO Felix Meier führen Sie nun seit 20 Jahren die Unternehmensgruppe Jos. Berchtold AG / Delta Türsysteme AG in Zürich. Wie hat das damals alles angefangen?

Ich war bereits 16 Jahre im Unternehmen tätig, durchlief verschiedene Abteilungen und war zuletzt Stellvertreter von Patron Berchtold, dem damaligen Inhaber des Familien-betriebes in der dritten Generation. Anfang der 1990er-Jahre wollte ich meine berufliche Zukunft ordnen. Es ergab sich in der Folge ein Gespräch mit dem Firmeninhaber. Weil er seine Nachfolge weitsichtig abstützen wollte, bot er seinen drei Kadermitarbeitern die Chance, die Firma nach und nach zu übernehmen. Darunter befanden sich auch Kurt Schlatter, der inzwischen pensioniert ist, sowie mein heutiger Geschäftspartner und Co-CEO Felix Meier. Wir packten zusammen die Chance und konnten fürs Erste einen kleinen Anteil Aktien käuflich übernehmen.

Fürs Erste? Was folgte nachher?

Unverhofft starb Firmeninhaber Berchtold 1994 leider im Alter von erst 64 Jahren. Bedingt durch das damalige garstige Wirtschaftsumfeld und den Tod des Firmenchefs, befand sich das Unternehmen in einer schwierigen Situation. Die Hochzins-Lage drückte. Die von uns drei Kaderleuten zusammen erworbenen Aktien machten erst rund zehn Prozent des ganzen Kapitals aus. Wir mussten also 90 Prozent Restkapital beschaffen, eine schier unlösbare Aufgabe. Damals belief sich der Umsatz von rund 25 Mitarbeitenden auf knapp sechs Millionen Franken.

Und wie ist das Geschäftsvolumen heute?

Gesamthaft sind rund 100 Mitarbeitende beschäftigt; sie erbringen einen Umsatz von rund 33 Millionen Franken.

Was hat Ihrer Geschäftspartnerschaft in der Frühphase des Management-Buy-out am meisten gefehlt?

Geld und Beziehungen! Um den ersten Businessplan zu erfüllen, mussten wir rund eine Million Gewinn ausweisen. Das war richtig ambitiös. Es gab Banken, die uns das nicht zutrauten. Eine grosse Bank wagte es, allerdings mit happigen und unbequemen Auflagen (Lebensversicherungen usw.). Eine grosse Schwierigkeit war, dass unser Beziehungsnetz noch nicht sehr eng geknüpft war. Müsste ich heute jungen Start-up-Unternehmern einen Tipp geben, so riete ich dazu, viel Energie in den Aufbau eines Beziehungsnetzes zu investieren und offen auf Leute zuzugehen. Es zahlt sich aus.

Was waren im Laufe der bisherigen Unternehmensgeschichte die entscheidenden Triebfedern für den Durchbruch im Markt?

Ich sehe da zwei Aspekte. Erstens wollten wir – damals wie heute – nie durchschnittlich sein, wir wollen zu den exzellenten Firmen in der Branche gehören. Wir erkannten in den ersten Jahren bald einmal, dass wir unsere Ziele mit normalen Schreinerarbeiten wohl nicht werden erreichen können, weil man sich so nur ungenügend profilieren kann. Man muss Spezialitäten anbieten, Dinge machen, zu denen Mitbewerber nicht in der Lage sind. Und zweitens: Wir erleben in vielen Projekten, dass eine gute Chemie zum Kunden entscheidend ist. Wenn das fehlt, laufen Auftragsvergaben nur über den Preis, und das ist gefährlich. Deshalb: Es ist wichtig, dass man sich in der Öffentlichkeit engagiert und sich zeigt. Nicht zuletzt: Den Erfolg unterstützen immer auch günstige Umstände oder Ereignisse, die sich in der Zeit so ergeben.

Braucht es manchmal nicht nur unternehmerisches Geschick also, sondern auch Glück?

Wenn Sie so wollen, ja. Ende der 90er-Jahre kamen neue Brandschutzvorschriften. Das war für die Branche relativ neu. Wir erkannten die Chance. Die ersten Aufträge waren erfolgreich und wir spezialisierten uns darauf. Der erste grosse Auftrag umfasste 1500 Türen für die ETH Zürich, danach folgte von der Schweizer Rück ein ähnlich grosses Los. Die Rahmen dieser Türen waren aus Aluminium gefertigt, zugekauft von einem Zulieferer. Pech war, dass dieser Zulieferer gegen Ende des Auftrags finanziell in Schwierigkeiten geriet. Wir suchten das Gespräch mit der Firma, wollten – auch aus Eigennutz – zur Rettung beitragen, denn wir hätten unsere Brandschutz-Tests wieder mit einem anderen Lieferanten neu auflegen müssen. Es gelang uns schliesslich, die Firma käuflich zu erwerben. Heute ist das Unternehmen Delta Türen erfolgreicher Teil unserer Gruppe.

Und der Wandel von der Schreinerei zum Spezialunternehmen für Türen war damit vollzogen?

Erst als wir mit Delta zusätzlich auch noch neue Glasmo­dule entwickelten – Glastüren in Verbindung mit Brandschutz. Architekten erhalten so eine breit gefächerte Varianz an Brandschutzanwendungen.

Qualitative Unternehmensentwicklung und Innovation ist eine, der Kauf von Marktanteilen und Kapazität eine andere Möglichkeit, um Wachstum zu generieren. Was bevorzugen Sie?

Wir kombinieren die beiden Strategien, je nach Situation und Gelegenheit. Aber klar, wir favorisieren das innere Wachstum durch Innovation und Qualitätsarbeit.

Was sind Ihre Vorstellungen für die Gestaltung der Zukunft des Unternehmens?

Vor zwei Jahren habe ich mir überlegt, was wir in Zukunft noch besser machen könnten, obwohl es uns eigentlich gut geht. Wir wollen weiterschauen, Neues wagen. Wir eröffneten eine neue Abteilung, eine kleine «Denkfabrik», in der ein kleines Team Entwicklungsarbeit leisten soll, ähnlich den Entwicklungsteams in der Chemie. Diese Entwickler – derzeit sind es zwei – sollen latente Kundenbedürfnisse aufspüren und Produkte schaffen, die man unbedingt haben möchte. Das funktioniert so: Wir geben aus der GL Impulse ins Team mit dem Hinweis «Macht das neu und anders, macht es besser!»

Und womit füttern Sie diesen Entwicklungsmotor?

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Der Mechanismus von Türen mit bestehenden Funktionen, an denen man sich aber immer wieder stört. Oder: Es gibt Produkte im Markt, die zu schwer, zu voluminös, zu teuer sind. Dann sucht das Team Verbesserungen und neuartige Problemlösungen. Wir wollen auf diesem Weg Architekten verblüffen, ohne den Auftrag schon in der Tasche zu haben. Möglich wäre natürlich auch, auf raffinierte Maschinen zu setzen, damit man, wenn der Auftrag eintrifft, bereit ist. Mit unserem Vorgehen sind wir einen Schritt voraus: Der Kunde sieht die Lösung, will sie, und wir sind parat. Im Projekt sehen wir uns von Anfang an mit einbezogen; mehr noch, wir bringen eine neue Lösung, die bereits getestet ist. Übrigens: Das Team erhält demnächst einen 3D-Drucker installiert, damit es Visualisierungen effizient körperlich machen kann.

Entwickeln und wachsen bedeutet investieren. Wie investieren Sie?

Wir machen das zukunftsgerichtet und regelmässig. Ich tendiere dazu, Investitionsgüter nicht zu leasen. Alle Maschinen unseres Unternehmens sind gekauft. Ich möchte keinen Betrieb führen, der von Leasingkosten abhängig ist. In den Anfangsjahren waren wir auf den Goodwill von Banken angewiesen. Ich weiss, was das bedeutet. Freiheit im Entscheidungsbereich ist viel wert. Das schätze ich sehr.

Ihre Referenzliste enthält einige Glanzstücke internationaler Spitzenarchitekten sowie der Schweizer Architekten-Elite. Wie kommen Sie zu so prestigeträchtigen Aufträgen?

Die Aufträge werden ausgeschrieben, wir reichen eine Offerte ein. Gewicht haben dabei Referenzobjekte, an denen wir mitgewirkt haben, wie die berühmte Fabrikstrasse 15 auf dem Novartis Campus in Basel von Frank Gehry, das Dolder Grand in Zürich von Norman Foster oder das Parkhotel Vitznau. Und, nicht zuletzt: Wir lassen uns im Vorfeld in den Beratungsprozess einbinden, denken im Projekt mit, visualisieren Vorschläge und suchen nach bestmöglichen Funktionalitäten. Das überzeugt.

Architekten sind Künstler, stellen eben das Design gerne vor die Funktionalität. Wie erleben Sie diese spezielle Welt?

Wenn Architekten und Auftragnehmer ihre Rolle richtig interpretieren, entsteht eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Gute Architekten sind wissensdurstig, offen für neue Wege. Sie lassen sich für beides begeistern – für Design und Funktionalität. Es ist wirklich spannend, mit diesen Cracks zusammenarbeiten zu dürfen. Man steigert sich von Projekt zu Projekt, macht wieder einen Schritt weiter. Die Erfahrung wird mit jedem Auftrag grös­ser. Am besten funktioniert die Zusammenarbeit natürlich mit Architekten, die gleich auch für die Ausführung verantwortlich zeichnen. Bei Generalunternehmungen wirkt erschwerend, dass diese nicht alle Ideen umsetzen können, weil ihr GU-Vertrag und ihr GU-Budget-Dach dies nicht zulassen.

Wie erfahren Sie die Zusammenarbeit mit General­unternehmen?

Das funktioniert gut und zielgerichtet. Sorgen bereiten jene GU-Verträge mit weit gedehnten Zahlungszielen von bis zu sieben Monaten. Man muss also bei grossen Auftragssummen finanziell recht gesund und abgesichert sein, damit man das durchsteht. Konsequenz: Man muss die Sache sehr aufmerksam verfolgen und am Ball bleiben.

Sie führen das Unternehmen zusammen mit Felix Meier. Da ziehen zwei verschiedene Persönlichkeiten am gleichen Strang. Immer in die gleiche Richtung?

Wir sind sehr offen miteinander, haben eine grosse Toleranz und sogar blindes Vertrauen. Wir haben Einzelunterschrift. Obwohl unterschiedliche Temperamente, weiss jeder vom andern, dass er nur das Beste für das Unternehmen tun will. Das ist tief verankert. Das macht die Konsensfindung leicht.

Und welche Rolle spielen dabei die beiden Familien?

Wichtig ist, dass die Familie gut harmoniert. Trifft dies zu, so kann man seine Energie im Geschäft ungestört einbringen und Wirkung erzeugen. Aber richtig, das ist natürlich Glückssache, das lässt sich nicht erzwingen.

Woher holt CEO Bosshard seine Ideen?

Nicht auf dem Segeltörn im Mittelmeer, sondern ganz einfach im täglichen Leben. Ich denke, wir nehmen zu vieles als gegeben hin. Ich suche immer Verbesserungen, auch beim Studium eingereichter Pläne. Das ist mein Naturell. Und wenn einzelne Vorschläge erst nicht zielführend erscheinen, so gibt mir mein Geschäftspartner vertrauensvoll ein «Go, es wird wie immer schon gelingen …». Das erleichtert natürlich das Ingangsetzen von Ideen hin zur Realisierung. Ein Beispiel aus der Praxis: Wir renovieren seit einigen Jahren alte wertvolle Türen mit einer neuartigen Technik. Wir schneiden die Türen auf, bauen den Brandschutz mit bloss zwei Millimeter Verlust im Sandwich mit einer Spezialmaschine unsichtbar ein. Heute machen wir 30 Prozent Umsatz damit. Im Sektor Renovation und Umbau schlummert derzeit übrigens noch ein beträchtliches Potenzial im Markt.

Apropos nachhaltige Hölzer: Wie ist da Ihr Verhalten?

Seit jeher verarbeiten wir fast ausschliesslich europäische Hölzer, obwohl die Holzpreise oft doppelt so hoch sind wie jene exotischer Hölzer. Bund, Kantone und Gemeinden anerkennen die Verwendung europäischer Hölzer ausdrücklich, allerdings zählt dieser Aspekt in der quantitativen Bewertung von Submissionseingaben nicht viel, denn hier gilt der Preis zu 90 Prozent als Hauptkriterium. Lehrlingsausbildung, Referenzen und ökologische Aspekte zählen bloss zehn Prozent. Trotzdem: Wir halten an unserer Haltung aus Überzeugung fest.

Auch Ihre Branche beklagt den Fachkräftemangel. Was unternehmen Sie auf dem Personalmarkt?

Schwierig ist es vor allem, gute und vielseitige Fachkräfte zu finden, denn wir arbeiten mit verschiedensten Materialien – Glas, Holz, Metall, Stein. Wir ziehen deshalb laufend junge Berufsleute nach, sind aktiv in der Lehrlingsausbildung und nachher in der beruflichen Weiterbildung sowie on-the-job im ganzen Arbeitsspektrum, zum Beispiel CNC, Büro, Kundenkontakt, Projektleitung. Der Berufsverband kann hier nur punktuell unterstützen.

Was fährt auf Ihren Marketing-Schienen?

Gewöhnliche Werbevehikel stellen wir kaum drauf. Sie verfehlten bei unseren Zielgruppen wohl die Wirkung. Der B2B-Sektor braucht stärkere Marketing-Loks. Und die lassen wir so fahren, dass die Botschaft ankommt. Wir investieren beispielsweise in speziell designte Broschüren, Visualisierungen und Porträts, welche unsere Leistungskraft transparent darstellen. Die Porträts sind ausgeprägt personalisiert, damit der potenzielle Kunde sieht, wer hinter seinem Auftrag steht. Überhaupt: Der persönliche Kontakt ist bei uns im Zentrum. Das spürt man insbesondere auch an den Swissbau-Auftritten.

Ja, Ihr Swissbau-Messemarketing ist in der Baubranche bekannt. Anfang dieses Jahres setzten Sie in Basel einen weiteren Höhepunkt – eine Produkteschau in Form einer Skulptur sozusagen. Alles durchdacht, aber wohl sehr aufwendig?

Beides trifft zu. Wir betrachten den Swissbau-Auftritt als Investition, und das hat seinen Preis. Wir wollen in Basel auffallen, wir wollen eine Marke setzen. Als KMU können wir aber nicht mit Fläche protzen, nein, wir investieren auf beschränkter Grundfläche konsequent in das Design des Standes, immer mit einem neuen Approach. Und die Skulptur besteht ausschliesslich aus eigenen Produkten wie den Brandschutztüren, den Innenausbauelementen, den Glaskonstruktionen und anderes – alles funktional verbaut. Entworfen wird der Stand jeweils von meinem Sohn mit seinem Start-up «Design Factory»; gebaut wird der Stand von uns selber nach seinen Plänen. Das ist ein Glücksfall.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wie werden Sie dereinst Ihre eigene Nachfolge im Unternehmen lösen?

Mein Geschäftspartner und ich haben uns das bereits rechtzeitig überlegt und die Sache sauber geregelt. Wir wollen die Verantwortung für die Zukunft des Betriebes mit den besten Leuten breit abstützen, indem wir diese am Betrieb beteiligen. Die Praxis zeigt, dass viele KMU das gleiche Problem lösen müssen: Sie haben zwar viele gute Leute, deren finanzielle Möglichkeiten sind aber beschränkt. Unsere Lösung ist darum eine Mitarbeiter-Holding. Wir ha­­­ben speziell für diesen Zweck ein Gefäss mit zwölf Prozent Aktien eingerichtet. Dieser Topf wird mit dem Ge­winn des Be­triebes jährlich geäufnet. Falls ein Beteiligter ausscheiden sollte, ist das mit einem Aktionärsbindungsvertrag ge­regelt. Ein grosser Vorteil dieser Lösung ist, dass die beteiligten Mitarbeitenden ihren gewohnten Lebensstandard ohne Einschränkungen wahren können, und nach und nach zum Unternehmer werden. Hat das Gefäss einmal den Pegel von 20 Prozent des Aktienkapitals erreicht, so lässt die Bank mit sich reden. Diese Lösung ist nicht nur finanziell, sondern auch strategisch sinnvoll, denn die besten Leute bekommen so eine vielversprechende Zukunftsperspektive geboten und bleiben dem Betrieb erhalten. Alle beteiligten Partner haben selbstverständlich die entsprechenden Verträge. Es handelt sich also nicht um blosse, mündliche Versprechungen.

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