Herr Jungo, Sie sind seit Mai diesen Jahres neuer Präsident des Einkaufsverbands procure.ch. Welche aktuellen und zukünftigen Handlungsfelder sehen Sie als Verbandspräsident?
Procure.ch hat im vergangenen Jahr seine neue «Strategie 2015 bis 2018» verabschiedet, die eine gute Grundlage für unser aktuelles und zukünftiges Handeln bildet. Die Mission unseres Fachverbands gibt die Rahmenbedingungen vor. Dabei stehen vor allem zwei Stossrichtungen im Fokus, aus denen sich auch die Herausforderungen ableiten. Die eine ist, den Einkäufern in der Schweiz eine Plattform zu bieten und ein Netzwerk zur Verfügung zu stellen, innerhalb dessen sie sich austauschen können. Zudem sind wir eine Anlaufstelle für die berufsbezogene Aus- und Weiterbildung. Wir verstehen uns also als erste Wahl rund um die Themen Beschaffung, Ausbildung, Weiterbildung. Diesen Anspruch müssen wir festigen und auch noch bekannter machen. Mit fast 1000 Mitgliedern hat der Verband dafür eine gute Basis.
So weit zu den Grundlagen. Was sind Ihre persönlichen Ziele?
Ich bin überzeugt, dass die Einkaufszunft in der Schweiz einen starken Verband braucht, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Und so wie sich Unternehmen transformieren müssen, muss dies auch ein Verband wie procure.ch tun. Ich glaube zum Beispiel, dass mit der vierten industriellen Revolution die Bedeutung von Netzwerken stark zunehmen wird. Der Verband wird sich daher stärker für Kooperationen und Netzwerke öffnen müssen, zum Beispiel auch gegenüber anderen Branchen, wo wir noch nicht so stark sind. Ich sehe gerade hier ein grosses Potenzial für unseren Fachverband. Dazu möchte ich einen persönlichen Beitrag leisten.
Sie sprechen die Transformation an. Die Digitalisierung verändert die Wertschöpfungskette nachhaltig, bewährte Prozesse müssen neu gedacht werden. In welchen Bereichen wird es Ihrer Meinung nach die schwerwiegendsten Veränderungen geben?
Die Digitalisierung wird die Industriegesellschaft insgesamt in einem Masse verändern, wie man es zuvor nicht erlebt hat. Sie bringt innert kürzester Zeit neue Wettbewerber hervor, rüttelt an bislang unerschütterlichen Glaubenssätzen und zwingt Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle neuen Erfordernissen anzupassen. Dabei geht es nicht nur um die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, sondern darum, mit Hilfe der Digitalisierung komplett neue Wertschöpfungsmodelle zu entwickeln. Bei all diesen Prozessen kommt es darauf an, rasant wachsende Datenmengen zu analysieren und mit dem Ziel eines überragenden Kundennutzens bedarfsgerecht zu vernetzen. Der Einkauf hat die Chance, die mit der Digitalisierung verbundenen neuen Möglichketen des eigenen Unternehmens zum Aufbau vernetzter und integrativer Geschäftsmodelle von Beginn an massgeblich mitzugestalten und zu prägen.
Was bedeutet der Veränderungsprozess für die Wertschöpfungsketten, und wo sehen Sie Optimierungspotenziale?
Die Optimierung ist ein dauerhafter Prozess. Das Managen von Wertschöpfungsketten nimmt weiter zu. Da spielt das Internet eine immer grössere Rolle, etwa dabei, in Echtzeit Warenströme im Griff zu haben, also nur das zu produzieren, was gerade im Markt gefordert wird. Die permanente Digitalisierung von Informationsströmen vereinfacht dies. Insgesamt erfordern der zunehmende Wettbewerb in globalen Märkten, kürzere Produktlebenszyklen und steigende Kundenerwartungen eine ganzheitliche Betrachtung durch das Supply Chain Management. Die Unternehmensfunktionen Einkauf und Logistik sind daher in die strategischen Überlegungen zur Wertschöpfungskette einzubeziehen. Unternehmensziele müssen auf die Wertschöpfungskette heruntergebrochen werden.
Bedingt das eine stärkere Fokussierung auf Kernkompetenzen?
Ja, es gibt eine klare Tendenz zur Konzentration auf Kernkompetenzen und zur Verringerung der Fertigungstiefe. Dadurch entwickeln sich zunehmend arbeitsteilige Lieferketten. Durch die Abkopplung nicht wertschöpfender Prozesse wird die Konzentration auf die eigentlichen Kernkompetenzen möglich. Und je mehr sich Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen beschränken, desto wichtiger wird die Stellung des Einkaufs im Unternehmen. Der Einkauf ist verantwortlich für das strategische Lieferantenmanagement, die Innovationsförderung und Nachhaltigkeit in der Beschaffung. Gleichzeitig gibt es einen Trend zu Kooperationen in Netzwerken. Denn die Konzentration auf Kernleistungen sowie die Globalisierung der Märkte haben dazu geführt, dass in manchen Bereichen nicht mehr Unternehmen, sondern unternehmensübergreifende Wertschöpfungsketten miteinander im Wettbewerb stehen. Um Wettbewerbsvorteile zu erzielen, müssen sich die beteiligten Unternehmen als flexible Netzwerke präsentieren und durch marktfähige Strukturen und effektive Koordination auszeichnen.