Interviews

Interview mit Dieter Bachmann

«Man kann nur wirklich lernen, wenn man auch scheitert.»

Dieter Bachmann, Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsident der Gottlieber Spezialitäten AG, über die Entwicklung des Unternehmens, den Umgang mit einer Umsatzexplosion während der Corona-Zeit und die Essenz seines Buches «Halbzeitwissen».

Herr Bachmann, im Alter von 36 Jahren übernahmen Sie 2008 die Gottlieber Spezialitäten AG (Gottlieber Hüppen) als Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsident. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen und welche Meilensteine haben Sie ­seitdem gesetzt, was hat sich besonders stark ­verändert?
2008 bekamen wir, d. h. mein Partner und ich, die Möglichkeit, das Unternehmen zusammen zu kaufen. Bei der Übernahme des Betriebes erzielte das Unternehmen mehr als 50 Prozent ­des Umsatzes mit Private Labels. Das waren Produkte, die wir im Auftrag für andere Firmen herstellten und welche nicht unseren Markennamen tragen. Bei der Firmenübernahme haben wir uns klar als Ziel gesetzt, die Marke «Gottlieber» wieder aufzubauen und die Gottlieber Hüppen auch über die Landesgrenze hinweg bekannter zu machen. 

Die Hüppen sind ja eine traditionelle Spezialität. Wer hat sie entwickelt?
Dieses Gebäck wurde ursprünglich in den katholischen Klöstern, quasi den kulinarischen Laboren des Mittelalters, ent­wickelt. Man versetzte den Teig, welcher dazumal für die Hostien gedacht war, mit Zucker. Als man den Teig rollte, stellte man fest, dass beim Auskristallisieren des Zuckers die Waffelrolle beim Abkühlen in fester Form blieb. So entstanden die «Hüppen». Die Hüppen aus Gottlieben wurden dazumal erst kurz vor dem Genuss mit Schlagrahm oder anderen Füllungen wie Konfitüre etc. gefüllt. Schon Louis Napoleon, der spätere französische Kaiser Napoleon III, welcher seine Jugend im nahegelegenen Schloss Arenenberg im Thurgau verbrachte, ass Hüppen aus unserer Region, sprich aus Gottlieben, das ist mit Quittungen seiner Mutter, Königin Hortense, belegt. Somit war er einer der ersten «Gottlieber»-Kunden.

Wer hat die Gottlieber Spezialitäten AG gegründet?
Die Waffeleisen wurden über Jahre von Frau zu Frau weiter­gegeben. Bis 1928 Frau Elisabeth Wegeli die offizielle Firma gründete. Es ist somit die älteste Manufaktur in der Schweiz, die Hüppen herstellt und die erste, in der die Hüppen dann ab 1938 mit einer feinen Schokoladenmasse gefüllt wurden. Das gab es bis dahin nicht. «Gottlieber» war Frauenpower pur. Diese Tradition haben wir beibehalten. Bei uns arbeiten schon immer mehr Frauen als Männer. Auch in der Geschäftsleitung sind die Frauen klar in Überzahl. Vier Generationen lang war das ­Unternehmen Gottlieber Spezialitäten in derselben Familie, bis es 2008 keine Nachfolger mehr gab, welche das Unternehmen weiterführen wollten. Dies war der Grund, weshalb wir das Unternehmen als Externe übernahmen, jedoch den damaligen Inhaber noch weitere zehn Jahre beschäftigten.

Soll das Unternehmen in Ihrer Familie bleiben?
Ich bin eben erst 50 Jahre alt geworden und habe noch etwas Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Aber jeder Unter­nehmer weiss, dass man strategische Themen frühzeitig an­gehen, mit allen Parteien und Gruppen besprechen und über Jahre ­hinaus planen soll. Schlussendlich ist ein erfolgreicher Unternehmer nur derjenige, welcher auch die Nachfolge im Griff hat und erfolgreich abgeschlossen hat. Sprich, sie ist die Königsdisziplin, weil hier vielfach das Ego einen Streich spielt.

Wie würden Sie Ihre Kundenstruktur beschreiben?
Wir haben rund 57 Prozent des Umsatzes durch Direktkunden, das heisst Privat- und Firmenkunden, die unsere Produkte für sich selbst beziehungsweise als Geschenke einkaufen. Dies ­geschieht unter anderem in unseren eigenen Läden, direkt bei unserem Verkaufsinnendienst oder im Onlineshop. Weitere 40 Prozent kommen aus dem Retail beziehungsweise dem Detailhandel. Den Rest bilden «Privatlabelkunden» (Produkte für andere Marken). In unserer Kundenstruktur finden wir die ganze Komplexität des Businesslebens, B2B, B2C, B2Retail, Export, Privatlabel, etc. 

Wie hat sich die Coronakrise auf Ihr Geschäft ­ausgewirkt?
In den ersten Wochen gab es einen sehr hohen Einbruch, zirka 35 Prozent, weil unsere Filialen und Cafés geschlossen waren. Doch schon bald explodierte der Umsatz, sowohl im Firmen­kunden- wie im Privatbereich, vor allem durch das Internet und Direktbestellungen über E-Mail und Telefon. In der Weihnachtszeit 2020 war die Nachfrage so hoch, dass wir zehn Tage lang unseren Onlineshop und sogar die Telefone und den Kunden-Mailverkehr komplett abschalten mussten. Eigentlich undenkbar. Doch wir mussten unsere Mitarbeitenden schützen. Viele im Verkaufsinnendienst waren kurz vor dem Zusammenbruch und es war zudem auch nötig, damit wir überhaupt einmal die Hunderte von E-Mails genau lesen und Tausende Online-Bestellungen verarbeiten konnten. Nachträglich ein richtiger Entscheid. Wir konnten alle Aufträge, welche wir bis dahin zugesagt haben, auch erfüllen, aber auch alle anderen frühzeitig ohne böses Blut ablehnen.

Wie erklären Sie sich das?
Viele Unternehmen verfügten über ein Budget für Weihnachtsveranstaltungen, die wegen des Lockdowns nicht stattfinden konnten. Als Ersatz besorgte man Geschenke für die Angestellten, das war ein gewichtiger Grund für die Umsatzexplosion. Zudem gönnte man sich etwas mehr als «normal» und kaufte grosszügig ein. 

Wie haben Sie diese bewältigt?
In der Weihnachtszeit 2020 haben wir viel gelernt. Viele ­Mängel im Workflow und im IT-System haben wir erst in dieser ­Situation so richtig erkannt. Von Freunden über Kollegen bis zum Ver­waltungsrat mit seinen Familien halfen am Wochenende und an Abenden alle mit, die vielen Pakete fertigzustellen. 

Was haben Sie konkret geändert, wie passt man sich einem solchen Wachstum an?
Zunächst mussten wir unsere Räumlichkeiten erweitern, wir brauchten mehr Büro- und Lagerraum. Wichtig war auch, unser IT-Auftragsverarbeitungssystem grundlegend zu verbessern. Da die Dateneingabe so mühsam war, hat man in der Hektik ­sogar Bestellungen auf Zettel notiert, um die Daten nachträglich in den Computer einzugegeben. Eigentlich ungeheuerlich. Wir sind in den letzten zehn Jahren immer gewachsen, doch 2020 nahm uns mindestens zwei bis drei Jahre Wachstum in ein paar Monaten vorweg. An Weihnachten 2021 und 2022 lief dann alles ein Vielfaches effizienter ab, obwohl wir auch wieder Rekordzahlen schrieben. Wir mussten zum Glück auch keine Kunden mehr ablehnen. 

So haben Sie also während der Corona-Zeit einen Gewinn gemacht?
Es gab auch Verluste, weil unsere Gottlieber Sweets & Coffees-Filialen lange geschlossen waren. Aber auf der Verkaufsebene haben wir profitiert. Wir hatten Glück, aber auch bei vielen anderen Unternehmen lief es trotz Corona gut. 

Wie beurteilen Sie die Corona-Massnahmen der Regierung?
Man hat das Gefühl, als sei dies schon lange her. Prinzipiell haben aus meiner Sicht viele der wirtschaftlichen Massnahmen des Bundes gut funktioniert. Den unbürokratischen ersten Kredit fand ich sensationell, dieser hat viele Unternehmer und Unternehmerinnen sehr beruhigt. Es war sehr mutig, der Wirtschaft innert kürzester Zeit so viel Geld zur Verfügung zu stellen, und dies ohne Bürokratie – das ist für unser Land überhaupt nicht selbstverständlich. Klar, die Corona-Massnahmen haben die Gastronomie und Reisebranche übermässig hart getroffen, aber verglichen mit vielen anderen Ländern hat unsere Regierung die erste Pandemiephase pragmatisch gut erledigt. Die zweite Phase, Stichwort «Impfausweis», sehe ich jedoch kritischer – dies war aus rechtlicher Sicht sehr gewagt und man hat aus der Panik hinaus wohl viel Vertrauen wieder verspielt. Doch man darf nicht immer nur schimpfen. In der Lage, in der man nicht wusste, was auf uns zukam, ist man meines Erachtens fast immer pragmatisch geblieben. In Deutschland oder Österreich, da war der Amtsschimmel um ein Vielfaches schlimmer und wollte nicht mehr aufhören. 

Hat sich das Kauf- respektive Konsumverhalten ­verändert?
Wir sind vorher schon gewachsen, aber Corona hat das beschleunigt. In den letzten drei Jahren hat sich der Umsatz kontinuierlich erhöht, auch 2022. Es ist sehr erfreulich, dass wir bis jetzt keinen Rückschlag erlitten. Bei der unsicheren Stimmung und auch 2022 mit der Inflation wäre das gut möglich gewesen. 

Was erwarten Sie für dieses Jahr?
Eine Prognose ist wohl für alle sehr schwierig. Ich bin zwar immer etwas pessimistisch und sparsam in unserem Team, doch es kommt dann meistens jeweils viel besser. Wir sind nicht schlecht gestartet dieses Jahr, aber unser Hauptgeschäft findet an Weihnachten statt, man weiss nicht, was bis dahin passiert und wie sich die Inflation entwickelt.

Planen Sie neue Produkte?
Im Moment haben wir neue «Rahmtäfeli» im Sortiment. Dazu testen wir auch immer wieder neue Geschmacksrichtungen für Hüppen und wir bieten auch feine Tees und einen eigenen Gottlieber-Kaffee an. Wir entwickeln neue Verpackungen, zum Beispiel präsentierten wir kürzlich eine wunderschöne limitierte Schmuckdosen-Kollektion gemeinsam mit Rolf Knie. Wir stellen auch immer wieder neue Kombinationen mit Wein, Gin, Champagner und weiteren spannenden Produkten zusammen. Das ist besonders an Weihnachten sehr begehrt, dafür gibt es Partnerschaften mit vielen erfolgreichen Unternehmen.

Sie werben auf Ihrer Webseite mit «Schweizer ­Handwerk», also werden Ihre Süssigkeiten wohl in der Schweiz produziert. Woher beziehen Sie die Rohstoffe?
Wir produzieren in unserer Manufaktur in Gottlieben direkt am Seerhein/Untersee in der Nähe von Kreuzlingen. Wir be­sorgen fast alle unsere Rohstoffe bei Schweizer Partnern und ­natürlich kommen einige Zutaten davon aus dem Ausland. Wir achten aber seit Jahrzehnten darauf, dass wir angebaute ­Rohstoffe wie Kaffee und Schokolade immer nach fairen ­Standards einkaufen und einige der Rohstoffe Bio zertifiziert sind. 

Das wird dann sicher teurer als die Konkurrenz­produkte, hinzu kommt die Inflation. Wie gleichen Sie das aus?
Unsere höheren Preise müssen wir mit Qualität rechtfertigen und die Inflation durch Flexibilität und Effizienz ausgleichen. Die Löhne steigen, das können wir kaum beeinflussen. Um als Arbeitgeber konkurrenzfähig zu bleiben, ist es sehr wichtig, qualifizierte Angestellte zu haben, die mit Freude arbeiten und ein gutes Team bilden. Das ist schon mehr als die halbe Miete.

Wie weit ist Ihre Fabrikation digitalisiert?
Wir verfügen über Automatisationen für grosse Mengen, aber wir leisten trotzdem noch viel Handarbeit. Zum Beispiel die Tartufis und die Morgensünde werden komplett von Hand hergestellt. 

Spüren Sie den Fachkräftemangel?
In der Gastronomie hatten wir letztes und vorletztes Jahr Probleme, das pendelt sich aber langsam wieder ein. Für die Produktion haben wir langjährige Mitarbeitende, die gern bleiben und wir gewinnen auch immer wieder qualifizierte Leute hinzu. 

Welche Ausbildung benötigen ihre Angestellten?
Da gibt es alles, von Universitätsabsolventen bis zur Hilfskraft mit Anlehre. Wir beschäftigen zum Beispiel Lebensmittel­technologen, Bäckerinnen und auch Leute, die angelernt werden. Wir bieten Lehrstellen an und bei uns können junge Leute auch ein Praktikum absolvieren. Wir achten darauf, dass wir eine Mischung von jungen und erfahrenen Mitarbeitenden haben. Kürzlich haben wir mit Freude Leute mit gegen 60 Jahren Lebenserfahrung eingestellt. 

Sie legen Wert auf Nachhaltigkeit, da gibt es aber auch übertriebene Vorschriften oder Vorurteile, zum Beispiel über Palmöl, dazu haben Sie sich ja auch schon geäussert. Wie soll sich ein Unter­nehmer diesbezüglich verhalten, allenfalls auch in Bezug auf Werbung?
Einige unserer Produkte enthalten Palmöl, es ist verarbeitungstechnisch, ökonomisch, aber auch ökologisch ein konkurrenzloses Produkt. Es ist keine böse Pflanze, sondern eine der besten. Hier haben wir seit mehr als zehn Jahren immer auf Nachhaltigkeit geachtet und für bessere und nachhaltige Anbaumethoden auch stets mehr als der Markt bezahlt. Die Diskussion über die Monokulturen und deren Auswirkungen finde ich absolut richtig, man muss auf die zum Teil schwerwiegenden Missstände hinweisen. Mühe habe ich aber mit Leuten, die Palmöl einfach nur verbieten und abschaffen wollen und als «böse» bezeichnen. Die Bauern, die nachhaltigen Anbau betrieben und die wir besser bezahlten, gehen dadurch kaputt beziehungsweise pflanzen jetzt halt wieder normal an und liefern konventionell.

Abnehmer dafür gibt es in Asien genügend. So haben wir nichts anderes erreicht, als die aufkommende Nachhaltigkeitsin­dustrie zu zerstören und sonst nicht viel verändert. Im Gegenteil. Im Westen sind moralistische fast schon kolonialistische Positionen gerne verbreitet, am liebsten möchte man schnelle Verbote und sich dadurch politisch profilieren, aber nicht die Probleme tatsächlich angehen. Ausnahmen bestätigen höchstens die Regel. Auch Kokos ist keine im herkömmlichen Sinne nach­haltige Lösung, da diese Pflanze noch viel mehr Anbauflächen als Palmöl-Palmen benötigt. Es ist schwierig, sofort für alle die schnellen und idealen Lösungen zu finden. Hier müssen wir über Gene­rationen planen.

In Deutschland wird im Moment viel diskutiert über Insektenpulver in Lebensmitteln, auch in Süssigkeiten, was nach der EU-Novel Food-Verordnung seit etwa zwei Jahren erlaubt ist. Was halten Sie davon und welche Vorschriften würden Sie sich für die Schweiz wünschen?
Die Proteinzufuhr wird auch in den kommenden Jahren ein wichtiges Thema für die Nahrungsmittelindustrie sein. Ich betrachte Insekten in der Nahrung nicht als ein Problem, sondern als spannende neue Entwicklung. Genussmittel betrifft dies vielleicht im Moment etwas weniger, es sei denn, wir würden zum Beispiel Grillen mit Schokoladenüberzug anbieten (lacht). Vor einigen Jahren gab es in der Schweiz einen Boom für Insektenlebensmittel, heute ist dieser wieder abgeklungen und es gibt nicht mehr viele solche Produkte. Selbstverständlich müssten solche Zusätze, auch unter fünf Prozent, aus meiner persönlichen Sicht deklariert werden. 

Wie organisieren Sie Ihr Umweltmanagement?
Wir versuchen stets, der Umwelt und den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Aber selbstverständlich sind wir nicht perfekt. Manchmal schreien wenige Leute sehr laut, unterstützen aber vernünftige Vorschläge, welche halt manchmal Generationenlösungen sind, leider nicht. Kürzlich haben wir mit der kantonalen Energiefachstelle eine grössere Studie über unser Unternehmen gemacht und schon viele der eingeflossenen Empfehlungen schnell und pragmatisch umgesetzt. Zudem ­versuchen wir in den nächsten Jahren die Wärme aus dem See zu beziehen und weitere Massnahmen wie PV et cetera sind schon geplant.

Sie veranstalten Workshops. Wer besucht diese?
Diese werden gern von Firmenteams, Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten, Gruppen von Freunden und Familien besucht. Beliebt ist der Schoggi-Workshop, da kann man unter ­Anleitung von Spezialisten köstliche Werke aus Schokolade ­herstellen. Wir veranstalten auch für Gruppen Führungen durch unser Unternehmen. Im Jahr kommen einige tausend Menschen zu uns, meistens zwischen Mai und September. 

Wie organisieren Sie den Vertrieb? 
Alle Bestellungen gelangen in unser Büro in Gottlieben, auch die Grossaufträge zum Beispiel von den grösseren Retailern ­sowie Bestellungen von eigenen Filialen und die Aufträge von Internetkunden beziehungsweise per Telefon. 

Welche Verkaufsstelle ist die erfolgreichste?
Besonders stark sind wir in der Ostschweiz und in Zürich. Wir haben aber in der ganzen Schweiz viele Kunden, auch in Asien, im Nahen Osten sowie in Deutschland. 

2013 wurde eine Verkaufsstelle in China eröffnet. Wie reagierte das Publikum dort?
Mit der ersten Filiale in Guangzhou, die 2013 eröffnet wurde, haben wir nicht die besten Erfahrungen gemacht. Unser Partner baute dahinter eine Kuchenfabrik und verkaufte diese Produkte dann unter unserer Marke «Gottlieber Switzerland». Ich muss manchmal etwas lachen, wir waren doch etwas naiv. Später bauten wir mit einem sehr engagierten und guten Partner ein Team in Shanghai auf, das erfolgreich war. Durch die Coronapolitik wurde diese Niederlassung leider schwer geschädigt, wir müssen praktisch fast wieder von vorn beginnen. Ein Marktaufbau in China ist schwierig, es wartet dort niemand auf ein kleines KMU. Man braucht Geld und vor allem viel Geduld. 

Planen Sie Niederlassungen in anderen Kontinenten?
Wir haben so viele Wachstumsmöglichkeiten in der Schweiz, wir hätten gern mehr Filialen und Partnerschaften, wo wir noch nicht so stark sind. Ein Engagement in Übersee wollen wir nicht extra forcieren, das bindet zu viel Managementkapazitäten und bringt unter dem Strich nicht viel Gewinn.

Wie schützen Sie sich davor, kopiert zu werden?
Unser Vorteil ist, dass wir kein Massenbusiness haben. Unsere Produktionsanlagen muss man zuerst entwickeln und bauen. Das macht vieles sehr teuer. Unsere Spezialitäten sind deshalb für viele Gross- beziehungsweise Billigproduzenten gar nicht ­interessant, da die Produkte durch die komplizierte Produktion und exklusiven Rohstoffe für den Massenmarkt zu teuer werden.

Sie haben das Buch «Halbzeitwissen» publiziert. Welche Absicht steckte dahinter? Wie hat sich das auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?
Das Buch hatte auf unser Unternehmen keine Auswirkungen, es ist ein persönliches Werk. Ich begann zu schreiben, als ich wegen Corona zehn Tage in Isolation sass. Viele Menschen haben mit 50 Jahren eine Art «Midlife-Krise», in der man sich vielfach überlegt, was man erreicht hat, was man sich noch wünscht, was der Sinn des Lebens ist und so weiter. Das ging auch mir so. Man ­erreicht Ziele und muss sich fragen, ob man damit ­wirklich glücklich wurde beziehungsweise was der «Preis» ­dafür war. Ich fühlte mich wie in der Halbzeit, deswegen der Titel. 

Was sind die wichtigsten Aussagen des Buches?
Von Jugend an hat mich interessiert, was die alten Philosophen wie Sokrates, Platon und Stoiker wie Mark Aurel, Seneca usw. geschrieben haben. Es ist schon sehr verblüffend. Diese ausserordentlichen Menschen hatten genau die gleichen Fragen, Probleme und Gedanken zum Leben wie wir. Zum Beispiel habe ich einen Kollegen, der alle Ziele erreicht hatte, die er sich je erträumt hatte – er meinte, es fühle sich nun gar nicht so grossartig an, wie er es für sich erwartet hatte. Wer viel hat, hat auch wieder viel zu verlieren. Man muss auch wieder viel loslassen können. Vor allem merkt man langsam, dass man nicht unsterblich ist und dass Geld und Macht Zeit und wirkliche Freiheit nicht im Geringsten aufwiegen können. Auch ich hatte auf ­einmal Probleme mit panischen Ängsten, welche mir wohl ­zeigen, dass nicht alles okay ist, wie ich lebe. Da stellt sich die Frage, was ­eigentlich (Lebens-)Erfolg oder Glück ausmacht. Mit dem Buch, das ich meinen Kindern gewidmet habe, will ich ihnen ­etwas weitergeben: Wissen, das sie leider nicht in der Schule ­lernen. Ich behandle darin Probleme und mögliche Lösungen und wie man zum Beispiel eine persönliche Lebensmission schreibt. Weiter habe ich philosophische Aspekte formuliert und zum Teil eigene Erlebnisse darin beschrieben. 

Sie schreiben, dass Erfolg, aber auch Scheitern wichtig seien. Wie meinen Sie das? Inwieweit sprechen Sie da aus eigener Erfahrung?
Nichts macht erfolgreicher als der Erfolg. Deshalb sind viele stete kleine Erfolgserlebnisse von grösster Wichtigkeit. Man kann aber nur wirklich lernen, wenn man auch scheitert. Wer nichts macht, macht auch keine Fehler. Fehler sind mir schon in jungen Jahren passiert. Ein Kollege und ich betrieben eine Eventfirma und hatten wegen einer misslungenen Veranstaltung plötzlich über 100 000 Franken Schulden und kein Geld. Wir hätten Konkurs anmelden können, wollten das Geld aber zurückbezahlen und haben anderthalb Jahre hart dafür ohne Lohn und Luxus gearbeitet. Mit dem Messer am Hals bin ich früh auf das Internetgeschäft gestossen und wir bauten Ende der 1990er-Jahre ein grosses Unternehmen auf. 2000 wollten wir zur Börse, ich bin aber vorher ausgestiegen. Aber ohne das Scheitern vorher hätte ich das nie gemacht. Immer wieder stellte ich mir die Frage: Was wäre gewesen, wenn ich mich vor der Verantwortung und der Rückzahlung der Schulden gedrückt hätte? Dann wäre ich vielleicht ein «Unterlasser» und kein Unternehmer geworden.

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