Interviews

Interview mit Patrick Camele

«Leidenschaft ist der wichtigste Treiber»

Patrick Camele, CEO der SV Group AG, über den ganzheitlichen Qualitätsanspruch in der Betriebs- und Hotelgastronomie, gesundheitsfördernde Ernährungsphilosophie und Frauen in Führungspositionen.
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Herr Camele, die Geschichte Ihres Unternehmens geht zurück auf Else Züblin-Spiller, die im Jahr 1914 die Non-Profit-Organisation «Schweizer Verband Soldatenwohl» gründete. Ihr ursprüngliches Ziel bestand ja darin, Schweizer Soldaten mit preiswerter und gesunder Kost ohne Alkohol zu versorgen. Ist von diesem sozialen Engagement heute noch etwas zu spüren?

Ja, die SV Stiftung bewahrt die ideellen Werte des Gründer­vereins auch in der heutigen Zeit. Die SV Group hat inzwischen zwar die Rechtsform einer Aktiengesellschaft, gehört aber zu über 90 Prozent der SV Stiftung als Hauptaktionärin. Diese wurde 1999 im Wandel vom Verein zur AG gegründet. Sie ist Trägerstiftung und gleichzeitig eine Vergabe-Stiftung, indem sie Mittel, die zur geschäftlichen Weiterentwicklung der Gruppe nicht benötigt werden, sozialen Zwecken zuführt.

Hundert Jahre danach präsentiert sich die SV Group mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Franken und über 8000 Mitarbeitenden. Wie verlief die Entwicklung dahin?

Die alkoholfreien «Soldatenstuben» stehen am Anfang unserer Unternehmensgeschichte. Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden diese fast nahtlos überführt in «Arbeiterstuben». Sie entstanden, weil die Patrons der Industriebetriebe einsahen, für ihre Mitarbeitenden mehr tun zu müssen, um den Arbeitsfrieden zu sichern. Daraus haben sich über die Jahre schliesslich die Kantinen und die heutigen Personalrestaurants entwickelt. Also, wir sind in unserem Kerngeschäft seit 100 Jahren unterwegs und haben das Geschäft ständig weiterentwickelt, qualitativ und quantitativ. Damals ging es um gute Ernährung, heute um gesunde Ernährung. Es ist schon so: Weil wir zu unserem Kerngeschäft immer Sorge getragen und es ständig weiterentwickelt haben, stehen wir heute erfolgreich da. Mit Leib und Seele. Wir kochen gerne! In der neueren Zeit sehe ich zwei Meilensteine: einerseits die gezielte Diversifikation mit dem Aufbruch in geeignete Geschäftsfelder wie Hotels, öffentliche Gastronomie und andererseits der Sprung ins Ausland, etwa nach Deutschland und Österreich.

Was waren die eigentlichen Entwicklungs-Treiber in den letzten Jahren?

Der wichtigste Treiber ist sicher die Leidenschaft, unsere Gäste gesund und gut zu bekochen. Daraus hat sich ein kontinuierliches Umsatzwachstum ergeben. Unser Erfolg ist zudem in der Anlage unseres Geschäftsmodells begründet. Wir entwickeln das behutsam und gezielt weiter. Dabei achten wir darauf, dass wir selber die Taktgeber bleiben und uns nicht zu riskanten Kraftakten verleiten lassen.

«Passion for Quality» heisst Ihr geschäftspolitisches Versprechen. Was ist für Sie Qualität?

Was auf dem Teller serviert wird, klärt die Qualitätsfrage unmittelbar. Erfüllt das Essen oder das Hotelzimmer die Erwartungen des Gastes, so stimmt die Qualität. Aber klar, dahinter steckt natürlich wesentlich mehr. «Passion for Quality» bedeutet für uns, dass wir auf ganzheitliche Qualität aus sind. Dazu gehört auch unser Verhältnis zu den Lieferanten. Wir besuchen diese regelmässig, wir kennen deren Lagerhallen und Produktionsstätten. Bei der gelieferten Ware wird kontrolliert zum Beispiel Haltbarkeit, Temperatur, Zustand, Frische, und es wird strukturiert vorgegangen bei der Evaluation der Bearbeitungsprozesse, zum Beispiel Lagerung, Kühlung und Veredelung. Das alles ist die technische Seite der Qualität im Sinne der Qualitätssicherung. Dieses Pflichtprogramm wird heute vorausgesetzt. Gewinnen können wir aber letztlich mit der Qualität in der Kür. Dann eben, wenn die Qualität auch frontgerichtet stimmt, zum Beispiel Speisen auf dem Teller, Service, Ambiente und Gastfreundlichkeit.

Und was unternehmen Sie, um dieses Versprechen beim Gast einzuhalten?

Die Kundenzufriedenheit ergibt sich aus der Erwartungshaltung. Diese ist bei den Gästen einer Schulmensa naturgemäss eine andere als jene im Renaissance Zürich Tower Hotel. Die ganze Erwartungsspanne ist uns wichtig. Wir führen deshalb zielgruppenorientierte Kundenbefragungen durch – in den Hotels vor jeder Gästeabreise, in den Restaurants mindestens alle zwei Jahre. Zusätzlich pflegen wir seit einiger Zeit das sogenannte «Mystery Shopping», also verdeckte Testbesuche. Das bewährt sich sehr, denn die Massnahme ist nicht nur ein Instrument zur Evaluation der Qualität, sondern auch ein Hilfsmittel für den Restaurant Manager, um seinen Betrieb weiterzuentwickeln.

Die Branche kämpft um Personalressourcen. Ihr Rezept für ausreichenden und guten Berufsnachwuchs?

Stimmt, die Arbeitsressourcen in der Gastronomie sind knapp. Im Kampf um Mitarbeitende hat die SV Group aber doch einige Vorteile. Für gelernte wie auch für ungelernte Kräfte sind wir als Arbeitgeber attraktiv, denn Mitarbeitende profitieren von geregelten, familientauglichen Arbeitszeiten. Attraktiv ist die SV Group auch, weil unsere Mitarbeitenden von Zusatzleistungen profitieren können, etwa Lohnnebenleistungen, in der Weiterbildung, bezüglich Förderung und andere. Mit dem internen Programm «SV Chance» ermöglichen wir ambitionierten Mitarbeitenden einen schrittweisen Aufstieg auf der Karriereleiter. Wir öffnen hier alle Türen, über die Schwellen müssen sich aber alle selber bemühen. Der «Swiss Arbeitgeber Award» 2014 ist für uns ein Beleg dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Das Eingehen von Kooperationen gehört zu Ihren Geschäftsprinzipien. Und Sie verbinden damit stets eine eigene Mission. «Fourchette verte» ist ein Beispiel. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Wir verstehen uns als offenes System. Kooperationsgespräche führen wir mit offenen Augen und Ohren und mit weissen Blättern. So lassen wir uns erstens einmal inspirieren. Die Zusammenarbeit mit dem WWF Schweiz hat uns als Unternehmen in punkto Nachhaltigkeit herausgefordert und zugleich weit vorangebracht. Zweitens geht es uns darum, unseren Gästen mit unserem Tun eine hohe Glaubwürdigkeit zu vermitteln. Die Deklaration «One Two We» oder «Fourchette verte» auf der Menükarte garantiert dem Gast die erwartete Sicherheit. Er muss das Produkt nicht weiter hinterfragen. Kurz: Unsere Erfahrungen mit diesen Kooperationen sind hervorragend. Sie bedeuten für beide Partner eine Win-win-Situation. «Fourchette verte», das Label für ausgewogene Ernährung – getragen von den Westschweizer Kantonen, vom Bundesamt für Gesundheit und von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung – wird nun auch in der Deutschschweiz seine Bekanntheit weiter verstärken.

Mit dem WWF haben Sie vor zwei Jahren das Klimaschutzprogramm «One Two We» lanciert. Gut für die Reputation oder mehr?

Unser Approach ist in erster Linie Ethik-basiert, nicht ökonomisch. Das ist der Hauptgrund für die Lancierung und für die Begeisterung, mit der wir das «One Two We»-Programm gemeinsam umsetzen. Der zweite Grund: Die von uns betriebenen Restaurants gehören ja unseren Kunden. Viele dieser Kunden setzen bereits eine Nachhaltigkeitsstrategie um, und sie wollen, dass sich da auch das Personalrestaurant einreiht, damit Nachhaltigkeit den Mitarbeitenden auch beim Essen erlebbar gemacht wird. Das stärkt zweifelsfrei auch die Reputation des Kunden. Die Idee zu One (Auftraggeber) Two (SV Group) We (alle zusammen) entstand in unseren Strategie-Workshops. Danach folgte der Kontakt zum WWF Schweiz. In der Folge wurde das in der Tat einladende Konzept entwickelt.

«Food waste» ist als dringendes Gesellschaftsproblem allgemein erkannt. Wie steuern Sie dagegen?

Schon seit 2006 führen wir in allen SV Personalrestaurants und Mensen jährliche Nassabfallerhebungen durch. Daraus konnten wir sukzessive lernen und die Abfallmenge konsequent reduzieren. Wir haben heute einen Wert von unter 3 Prozent. Das ist erfreulich tief. Folgende Massnahmen sind dabei entscheidend: Eine sorgfältige Angebotsplanung und ein abgestimmter Einkauf, aufmerksames Befüllen der Buffets, genaue Mengenabstimmungen bei den Menülinien sowie ein gastorientiertes Servieren und Anrichten der Tagesmenüs. Ausserdem schulen und sensibilisieren wir unsere Mitarbeitenden in regelmässig stattfindenden Trainings. Aber Achtung: Hauptverursacher von «Food waste» in der Gastronomie ist nicht die Branche selbst, sondern es sind vorgelagerte Stufen, die eine noch viel grössere Rolle spielen, zum Beispiel auf dem Feld, bei der Auswahl, beim Lieferanten.

In Ihrem Portfolio führen Sie neben der Sparte Betriebsgastronomie auch eine Hotel-Division. Eine besonders feine Adresse ist hier das Renaissance Zürich Tower Hotel. Wie gelingt Ihnen der Spagat in so unterschiedlichen Welten?

Gewiss, die Bereiche liegen weit auseinander. Deshalb werden sie auch komplett separat geführt. Für uns als Betreiber ist das aber nicht ungewöhnlich, denn wir bewegen uns innerhalb der Gruppe grundsätzlich in kleinen dezentralen Einheiten. Jede Einheit ist vor Ort für sich selbst verantwortlich und wird durch die Zentrale unterstützt. Diese Aufgabenteilung funktioniert sehr gut.

In welchem Ihrer Geschäftsfelder sehen Sie das grösste Expansionspotenzial?

Das schnellste Wachstum versprechen wir uns in der Hoteldivision. Da konzentrieren wir uns auf die drei Marken Renaissance, Residence Inn by Marriott und Courtyard by Marriott. Der Expansionsfokus liegt auf der Schweiz, Deutschland und Österreich.

Gesundes Essen, mehr Gemüse, MSC-zertifizierte Fische und anderes mehr: Folgen hier die Gäste der SV Group oder ist es umgekehrt?

Mit unserer Ernährungsphilosophie kommen wir bei unseren Kunden gut an, weil diese die gleichen Strategien im Gesundheits-Management, betreffend Essen, Fitness und so weiter, verfolgen. Gesund essen am Mittag beeinflusst erwiesenermassen die Leistungsfähigkeit am Nachmittag. Statistiken zeigen, dass 20 Prozent der Bevölkerung einfach das essen, was sie begehren. Weitere 20 Prozent achten sehr bewusst auf die Ernährung und sind entsprechend informiert. Im besonderen Fokus der SV Group liegen die restlichen 60 Prozent der Gäste, denn diese wollen zu gesundem Essen verführt werden. Ein feines, niedrig gegartes Schweinsnierstück mit attraktiver Gemüse-Beilage kann so durchaus gegen das Cordon-Bleu bestens bestehen. Es muss eben einfach «gluschtig» aussehen und gut schmecken.

Wenn es um den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln geht: Wo stehen Kunden in der Verantwortung, wo die Firmen in der Herstellungs- und Verkaufskette?

Die Kette verläuft vom Gast über den Kunden, und von dort über die SV Group bis zu den Lieferanten. Die Verantwortung liegt bei allen Beteiligten. Unsere Verantwortung als Marktleader ist es, vor allem bei den Lieferanten nach dem Rechten zu sehen und hier falls nötig Druck aufzubauen.

Die Aufgabe des Mindestkurses durch die SNB macht vielen Unternehmen zu schaffen. Inwieweit sind Sie davon betroffen, und wie reagieren Sie darauf?

In unserem Kerngeschäft kaufen wir 80 Prozent der Lebensmittel in der Schweiz ein. Deshalb sind wir im Kerngeschäft nicht direkt betroffen. Allerdings: Sollten in der Wirtschaft wegen der Freigabe der Franken-Relation Arbeitsplätze abgebaut werden, so sinkt damit natürlich auch die Zahl der Gäste in den Restaurants. Den grössten Einfluss werden wir wohl im Hotelbereich spüren. Aber bis jetzt sind die Auswirkungen gering.

Frauen waren es, die 1914 den «Verband Schweizer Volksdienst» gründeten. Welche Rolle spielen Frauen als Führungskräfte in der heutigen SV Group?

Knapp die Hälfte unserer Restaurants wird auch heute noch von Frauen geführt. Auf der Managementebene wäre ebenfalls ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern wünschenswert. In meiner früheren Tätigkeit in Schweden habe ich das als grosse Bereicherung erlebt. In der Schweiz sind wir jedoch noch weit von schwedischen Verhältnissen entfernt.

Und wenn die Frauen einmal bei der SV Group sind: Wie werden sie gefördert?

Wir richten unser Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Förderprogramm auf alle Mitarbeitenden aus, haben also kein spezielles «Frauen-Programm». Unsere weiblichen Mitarbeitenden stehen dabei genauso im Fokus wie die Männer.

Was halten Sie von Frauenquoten?

Job-Profil und Kandidaten-Profil müssen möglichst nahe beieinander liegen. Das ist das Entscheidende. Für Quotenregelungen habe ich deshalb wenig Sympathie. Nochmals zu Schweden: Dort war ich im Management der einzige Mann unter mehreren Frauen. Die Konstellation erwies sich als sehr dynamisch und hat bestens funktioniert. Wer weiss, vielleicht gibts das dereinst auch vermehrt in Schweizer Unternehmungen.

Letzte Frage: Angesichts des rasanten Bevölkerungszuwachses und knapper werdenden Ressourcen: Wie werden die Essgewohnheiten in Zukunft aussehen?

Wer das wohl weiss? Fest steht für uns aber auf jeden Fall: Wir befassen uns laufend mit absehbaren Tendenzen und Trends rund ums Essen. Neue Einflüsse bringen stets kreative Konzepte und Ideen hervor. Daher bin sehr zuversichtlich, dass unser Essen auch in Zukunft fein schmecken wird. Auch wenn es uns nicht möglich ist, Antworten für die nächste Generation zu geben, so werden wir wahrscheinlich ebenfalls die heutige Erfolgsrezeptur anwenden – Erfolg über den «Gluscht», nicht über Regulierung beim Essen.

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