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Interview mit Patrick Krähenmann

«Langfristig setzt sich Qualität durch.»

Patrick Krähenmann, Mitglied der Geschäftsleitung der Gross General- unternehmung AG über den Wandel in der Bauwirtschaft, das Qualitätsniveau und -bewusstsein in der Branche und den Umgang mit diesen Herausforderungen.
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Herr Krähenmann, es wird gebaut wie nie. Und die Branche durchläuft gleichzeitig einen markanten Wandel. Wie gehen Sie damit um?

Wandel, der dem Fortschritt dient, beflügelt. Die Baubranche profitiert in hohem Masse von zukunftsträchtigen Entwicklungen. Zu erwähnen sind hier beispielsweise nachhaltiges und energieeffizientes Bauen, Verdichtung und anderes mehr. Zum Wandel in einer Branche gehören aber meist auch negative Erscheinungen. Sie geben uns zu denken, mehr noch, sie fordern zum Handeln auf.

Konkret: Inwiefern manifestieren sich diese Verände­rungen?

Weil das Bauen immer komplexer und schneller wird und mehr Beteiligte involviert sind, nimmt die Qualität in der Planung als auch der Ausführung der Tendenz nach ab. In den ausführenden Stellen sind immer weniger gelernte Leute tätig. Oft wird Temporär-Personal eingesetzt, das vom zugewiesenen Fachgebiet vielfach wenig Ahnung hat. Auf der Planungsseite wirken zwar Fachleute; diese sind aber stark überlastet und oft fehlt auch der nötige Praxisbezug. Es mangelt auch an Koordination. Man muss deshalb sicherstellen, dass die unterschiedlichen am Bauwerk Beteiligten – Bauherrschaften, Planer und ausführende Unternehmer – besser koordiniert werden. Dies, so meine Überzeugung, braucht wieder mehr Führung. Als Generalunternehmer entspricht dies genau unserer Kernaufgabe. Da aber sehr viele Aufträge nicht über Generalunternehmungen abgewickelt werden, entstehen Koordinationslücken, die zu Fehlleistungen führen können.

Welchen Einfluss hat das grassierende Subunternehmertum?

In den letzten paar Jahren hat im Bausektor der Schweiz das Phänomen des vermehrten Subunternehmertums Einzug gehalten. Im Ausland sind diese Subunternehmer-Kaskaden längst gang und gäbe. In dieser Problematik steckt man, ob man mit einem Generalunternehmer arbeitet oder nicht. Unübersichtliche Verhältnisse sind die Folge. Und die negativen Auswirkungen sind wohl bekannt (Lohndumping, Schwarzarbeit, Qualitätsprobleme usw.). Wir sind alle aufgerufen, diese Problematik in den Griff zu bekommen. Vielleicht kann hier auch die beschlossene Solidarhaftung ohne bürokratischen Grossaufwand mithelfen. Die dazugehörige Verordnung wird im Sommer 2013 erwartet.

Ist der legendäre Berufsstolz der Baufachleute noch spürbar?

Früher war alles anders, sagt man. Aber es ist schon so: Mehr Berufsangehörige als heute trugen früher einen gewissen Berufsstolz in sich; sie wollten ihre Arbeit, egal welcher Art, grundsätzlich gut machen. Und man fühlte sich für die eigene Arbeit selbstverantwortlich. Diese Einstellung hat, um es milde zu formulieren, sicher nicht zugenommen. Ja, die Selbstverantwortung durch jeden einzelnen Mitarbeiter in der Wertschöpfungskette muss wieder besser wahrgenommen werden. Selbstverantwortung tut Not. Erschwerend wirken auch Fluktuationen im Projekt. Vor einer gewissen Zeit bestand bei den meisten Projektbeteiligten noch der Anspruch und der Ehrgeiz, ein Projekt «durchzuziehen», also tatsächlich bis zum Ende begleiten zu wollen und es nicht vorzeitig zu verlassen. Auch hier ist leider ein Wandel zu registrieren. Die zunehmende Fluktuation von Projektbeteiligten hängt wohl mit der zurückgehenden Firmenidentifikation und dem abnehmenden Gemeinsinn in unserer Gesellschaft zusammen.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Qualitätsniveau im Baugewerbe?

International gesehen stehen wir in der Schweiz gut da. Aber: Ohne Zweifel drückt die herrschende gute Konjunkturlage auf das Qualitätsniveau. Das hängt damit zusammen, dass die meisten Betriebe, obwohl sehr gut ausgelastet, weitere Aufträge akquirieren, deren einwandfreie Bewältigung nicht ohne Weiteres gesichert ist. Daraus entstehen in der Regel Qualitätsprobleme. Das ist eine klassische Auswirkung der bestehenden Hochkonjunkturphase im Bau. Wir beobachten im Bausektor aber auch spezifische Einflussfaktoren, welche der Qualität nicht förderlich sind.

Woran denken Sie?

Ich nenne zwei Beispiele: Normenwerke sind dazu da, die Qualität hoch zu halten. In der Schweiz stehen wir aber einer wahren Normenflut gegenüber. Hinzu kommen Weisungen, Empfehlungen und Richtlinien. Der Einzelne ist hier kaum mehr in der Lage, den Überblick zu behalten. So gibt es leider Planer, die von der technischen Sachlage, von bestehenden Normen im konkreten Fall gar keine Ahnung haben, weil ihnen die Fachkenntnis fehlt. Offensichtliche Qualitätslücken bei den Planern sind ein Faktum. Sinkende Qualität ist aber, zweitens, auch zu registrieren bei den am Bau beteiligten Unternehmen, zum Beispiel durch Temporär-Personal und den Einsatz Ungelernter.

Hat das mit dem Fachkräftemangel zu tun?

Ja. Seit Jahren leidet die Schweiz zunehmend am Fachkräftemangel, und zwar in allen Wertschöpfungsstufen. In den nächsten 15 Jahren wird zudem sehr viel Fachpersonal in Pension gehen. Diese Fachleute sind dereinst zu ersetzen. Das wird schwierig werden, denn schon heute kommen zu wenige junge Fachkräfte nach. Überdies: Der Qualität nicht zuträglich ist das schlechte Image der Branche. Die Baubranche geniesst in der Tat nicht unbedingt den Ruf, eine besonders attraktive Branche zu sein. Andere Branchen sind imagemässig besser positioniert. Auch bei jenen, die den akademischen Weg einschlagen, obsiegen bei der Wahl eher geisteswissenschaftliche Richtungen, Ökonomie oder Jurisprudenz über technische Berufe wie Ingenieure und Architekten.

Was unternimmt die Branche dagegen?

Die Branche steckt in einer Zwangslage. Es besteht Handlungsbedarf. Persönlich erkenne ich einen Lösungsansatz in einer umfassenden Initiative der Bauverbände zur Imagesteigerung und zur Intensivierung der Aus- und Weiterbildung. Wenn wir das Image der Baubranche verbessern wollen, dann müssen wir das gesamtschweizerisch angehen. Die einzelnen Verbände sind hier überfordert. Gefragt ist hier die Initiative von bauenschweiz, der Dachorganisation in unserem Land. Ich sehe, dass einzelne Verbände sich der offensichtlichen Problematik durchaus bewusst sind und entsprechende Programme aufgelegt haben, etwa – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit der Verbände – der Schweizerische Baumeisterverband SBV, der Verband schweizerischer Generalunternehmer VSGU, der Suissetec, der Schweiz. Schreinerverband, die Schweiz. Vereinigung beratender Ingenieurunternehmungen usic. All diese Verbände beschreiten in Ansätzen den gleichen Weg. Um die Baubranche aber doch wirkungsvoll und kraftvoll positionieren zu können, wäre ein koordiniertes Vorgehen auf der Stufe bauenschweiz nötig.

Werden die Bemühungen der Branche von den Kunden auch mitgetragen? Und: wie schätzen Sie das Qualitätsbewusstsein der Besteller, der Bauherrschaft ein?

Fest steht: Bauherrschaften gewichten das Thema Qualität heute höher. Die Sensibilität punkto Qualität hat in der jüngsten Zeit eindeutig zugenommen. Zudem erfolgt die Auswahl der Partner mehr und mehr auch aufgrund qualitätsrelevanter Kriterien, zum Beispiel Mitsprache bei der Auswahl von Subunternehmern, Nachweis der fachlichen Kompetenz der eingesetzten Leute, Begehung von Referenzprojekten, genaue Bemusterung der Materialien und so weiter. In den letzten 10, 15 Jahren ist festzustellen, dass Bauherrschaften zunehmend spezialisierte Beratungsbüros beiziehen, welche ein laufendes Monitoring der ausgeführten Qualität vornehmen. Allenfalls nötige Korrekturen sind so ohne Verzug möglich. In jedem Fall zentral wichtig ist, dass ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis vorliegt. Positiv beeinflussen lässt sich das Qualitätsbewusstsein der Bauherrschaft, wenn es auch gelingt, deren Normenkenntnis zu verbessern. Missverständnisse und Unklarheiten können so weitgehend vermieden werden.

Preisdruck wird beklagt. Führt er automatisch zum Druck auf die Qualität?

Freilich kann der Preisdruck zu Qualitätseinbussen führen, aber sicher nicht automatisch. Qualitätsprobleme ergeben sich häufig durch den bestehenden grossen Termindruck, weil die meisten Betriebe sehr gut ausgelastet sind. Es fällt vielen Unternehmern schwer, einem Kunden eine Absage zu erteilen, obwohl die entsprechenden Ressourcen und Kapazitäten nicht oder nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Es stimmt eben schon: Ja sagen ist einfacher als Nein sagen. Ebenso unter Preisdruck kann geraten, wer den folgenden Leitsatz nicht beachtet: «Eine Arbeit richtig zu machen, dauert vielfach gleich lang, wie sie falsch zu machen.» Der Einsatz unqualifizierten Personals ist zweifellos ein Hauptgrund für Qualitätsprobleme. Eine rasche Verbesserung dieses Umstands ist branchenweit nicht in Sicht. Im einzelnen Projekt jedoch kann hier gegengesteuert werden, wenn auf eine sorgfältige Auswahl der beteiligten Partner geachtet wird. Generell ist man sehr gut beraten, bekannte vertragstreue Partner einzusetzen, welche die versprochene Qualität zu liefern gewohnt sind. Persönlich bin ich der Überzeugung, dass sich Qualität langfristig durchsetzt.

Was unternimmt die Gross Generalunternehmung AG, um gute Qualität auch wirklich gewährleisten zu können?

Wir sind zertifiziert. Der Nutzen ist aus meiner persönlichen Sicht und aus der Optik von Gross ein dreifacher: Einmal ist die interne Organisation der Prozesse und der Arbeitsweise festgelegt. Vorteile ergeben sich, zweitens, aus der periodischen Kontrolle und Evaluation durch eine externe Stelle. Und der dritte Mehrwert besteht darin, dass der Auditor der Schweiz. Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme SQS, der uns jährlich besucht, über ausgedehnte Branchenerfahrung verfügt. Er sieht – anders als wir – in viele Firmen hinein. Daraus generiert er Denkanstösse für Problemlösungen und Verbesserungen. Und die suchen wir ja als Unternehmer permanent. Überdies sind wir Mitglied des Verbandes schweizerischer Generalunternehmer VSGU. Generalunternehmer-Projekte von VSGU-Firmen tragen seit einigen Jahren ein Gütesiegel – das VSGU-Label. Es garantiert Bauherren Qualität und Nachhaltigkeit. Das VSGU-Label wird ebenfalls durch die SQS vergeben – unabhängig und neutral, aufgrund strenger Audits. Das gibt Sicherheit. Für uns steht fest: Wer heute baut, denkt besser nachhaltig. Schon wegen der Rendite. «

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