Interviews

Interview mit Matthias Pestalozzi

«Kontinuität ist gerade in Krisen ein Vorteil»

Matthias Pestalozzi, Delegierter des Verwaltungsrats der Pestalozzi-Gruppe, über eine Unternehmenskultur der Kontinuität, die Entwicklung von Digitalisierung und Vernetzung sowie generationenübergreifende Unternehmensführung.
PDF Kaufen

Herr Pestalozzi, die Pestalozzi-Gruppe besteht aus mehreren Unternehmen. Wie hängen diese zusammen?
Die Geschäftsbereiche Stahl- und Haustechnik gehören zur Pestalozzi AG. Die Gabs AG beliefert Spengler und Dachdecker und ist eine separate Tochterfirma, ebenso die Transportfirma Transstahl AG.

Wie schafft man es, ein Unternehmen 258 Jahre lang, in denen es viele schwierige Zeiten gab, erfolgreich zu gestalten?
Dafür gibt es kein Rezept, dazu haben sicher viele Faktoren beigetragen. Bestimmt hat es mit dem Baumarkt zu tun, in dem wir und die meisten unserer Kunden tätig sind. Der Bau ist eine Branche, die immer bestanden hat und auch weiterbestehen wird. Die Erstellung von Gebäuden ist ein Vorgang, der in der Vergangenheit vergleichsweise wenig Änderungen unterworfen war. Es gab im Baubereich kaum Techniken, die nur kurze Zeit überstanden haben, und betreffende Firmen, die damit untergingen, wie zum Beispiel in der Informatikbranche. Dazu ist die Schweizer Bevölkerung in den letzten zweihundert Jahren massiv gewachsen. Natürlich gab es auch Krisen, der Baumarkt ist aber im Vergleich zu anderen Branchen stabil. 

Es lag aber sicher auch an der Unternehmensleitung, dass die Firma schon so lange besteht. Welche Grundsätze haben die Führungspersönlichkeiten den nächsten Generationen weitergegeben?
Wichtig ist, dass wir im Unternehmen eine Kultur der Kontinuität entwickelt haben, diese besteht auch heute noch. Wir legen Wert auf langfristige und stabile Kunden- und Lieferantenbeziehungen. Und – auch wenn es paradox klingen mag – wir haben uns auch immer wieder getrennt von bestimmten Bereichen. Es ist wichtig, dass etwas ausprobiert wird, man aber auch weiss, wann es genug ist. Dann kann man sich wieder auf das Wesentliche fokussieren. Weiter war wichtig, dass der Generationenübergang immer gut funktionierte. Den Inhabern war immer bewusst, dass sie die Firma übergeben mussten, und sie hatten auch ausserbetriebliche Interessen. 

Gibt es schon Pläne für die Nachfolge der zehnten Generation?
Meine Frau Muriel und ich haben vier Kinder, diese sind zwischen 22 und 11 Jahre alt, deswegen ist es für eine Nachfolgeplanung noch zu früh. Uns ist es wichtig – und das haben auch meine Eltern so gehandhabt –, dass unsere Kinder sich frei nach ihren Interessen entwickeln können. Später können wir die Nachfolge zur Sprache bringen. Wenn das für eines oder mehrere meiner Kinder passt, ist es gut, wenn nicht, finden wir auch eine Lösung. Wir können uns bei unserer Altersstruktur zum Glück etwas Zeit lassen.

Sie haben 2020 ein neues Leitbild präsentiert. Worin unterscheidet sich dieses von dem vorhergehenden?
Der interessanteste und wichtigste Aspekt war eine breite Diskussion mit unseren Mitarbeitenden. Wir haben Workshop-Teams gebildet und uns folgende Fragen gestellt: Was sind wir, was machen wir und wie machen wir unsere Arbeit heute? Wo wollen wir hin? Zuletzt haben sich nicht viele Unterschiede zum alten Leitbild ergeben, es ist jedoch ausführlicher formuliert, vor allem das Thema: Wie arbeiten wir miteinander? Die Hierarchie wurde noch flacher und das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ich die Du-Kultur eingeführt habe. Unsere Mitarbeitenden haben das als augenfälligsten Wandel gegenüber dem Führungsstil von früher wahrgenommen.

Wie hat sich der Führungsstil überhaupt innerhalb der Generationen verändert?
Mein Vater und ich pflegen einen recht ähnlichen Führungsstil, wir gleichen uns auch im Charakter. Die Du-Kultur ist neu, aber im Kern blieb die Führungskultur dieselbe. Ein wichtiger Unterschied ist, dass mein Vater bis im Jahr 2000 einen Partner hatte, Dieter Burckhardt. Die Familie Burckhardt hat drei Generationen lang mit meiner Familie die Firma geleitet.

Sicher haben Sie auch Unternehmenstraditionen weitergeführt, welche besonders?
Wie schon erwähnt, die hohe Kontinuität der Beziehungen mit Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten, das ist gerade in Krisen ein Vorteil, zum Beispiel bei Engpässen liefert man lieber jemandem, den man gut kennt. Natürlich müssen wir uns auch der Zeit anpassen und Neuigkeiten einführen, zum Beispiel den E-Shop, und den Angestellten klarmachen, warum das jetzt nötig ist. Vieles wird schnelllebiger und kurzfristiger, wir bewegen uns in der Spannbreite zwischen Tradition und Fortschritt.

Sie sagten, dass man im Laufe der Jahrhunderte auch Bereiche aufgegeben hat, welche waren das in letzter Zeit?
In den 1990er-Jahren haben mein Vater und sein Partner das Geschäft mit dem Bauhauptgewerbe beendet, zum Beispiel mit Bewehrungsstahl. Da hatten wir damals keine zukunftsfähige Marktstellung. Diese Änderung erforderte weitreichende Umstrukturierungen, unser Personalbestand ist etwa auf die Hälfte gesunken. Von der neuen, fokussierten Basis aus sind wir wieder gewachsen. Grössere Umstrukturierungen haben wir keine mehr vorgenommen.

Ähnliches passiert ja jetzt wegen Corona in vielen Unternehmen. Wie hat Ihr Vater das damals organisiert?
Das war eine schwierige Aufgabe. Ein Ziel war, die betreffenden Geschäftstätigkeiten zu verkaufen, aber man musste auch Leute entlassen. Das war ein jahrelanger Prozess. Man stand zwar unter Druck, aber nicht so unmittelbar wie heute wegen Corona, wo man gleich die Hälfte oder noch mehr vom Umsatz verlieren kann. In den 1990er-Jahren hatte man Zeit, diese Umstellung zu organisieren und auch zu prüfen, wie man einen Bereich sinnvoll weiterführen konnte. 

Aus welchen Branchen kommen Ihre Kunden?
Unsere Kunden kommen aus dem Bau-Ausbaugewerbe, das heisst, sie erstellen die Installationen an bereits gebauten Häusern, also Gebäudehüllen (Gabs), Metallbau und Haustechnik, Spengler, Dachdecker und andere mehr. Weiter haben wir Kunden aus der metallverarbeitenden Industrie. Wir sind ein Schweizer Importeur und unsere Kundschaft befindet sich hauptsächlich im Inland. Die Baubranche ist sehr lokal, das hängt damit zusammen, dass die Produkte schwer und nicht einfach zu transportieren sind. 

Welche Auswirkungen hat Corona auf Ihre Firma?

Wir sind sicher weniger betroffen als viele andere Unternehmen, denn auf unsere Hauptabsatzbranche, den Bau, hatte Corona relativ wenige Auswirkungen. Im ersten Lockdown wurden zwar Baustellen geschlossen, aber das hat das Gesamtbild nicht sehr beeinträchtigt. Die Branche blieb trotzdem stabil, laufende Projekte werden ausgeführt, einen Baustopp gibt es nur in Extrem­situationen. Wir haben aber auch Firmenkunden aus der Industrie, die aus dem von uns gelieferten Material Teile für Maschinen und Anlagen herstellen. In dem Bereich gab es einen Einbruch, die Entscheidungsträger waren verunsichert und verschoben deswegen viele Projekte. Zum Beispiel waren Autowerke und Garagen teilweise monatelang geschlossen, was sich natürlich auf die Autoproduktion auswirkte. Besonders spürbar war der Wandel beim Absatz über digitale Kanäle, dieser erhöhte sich stark.

Wo werden Ihre Produkte hergestellt?
Eine genaue Aussage dazu zu machen, ist schwierig, denn unsere Lieferanten kaufen ihrerseits Rohstoffe und Produkte zu. Einige unserer Hauptlieferanten stellen ihre Produkte in der Schweiz her, zum Beispiel Stahlprofilsysteme oder Rohrsysteme aus Kunststoff. Wir haben aber recht viele Lieferanten aus Italien und Deutschland, eine gute Basis in Osteuropa und wenige aus Asien.

Wo kommen eigentlich die Rohstoffe her?
Unsere Produkte bestehen zum grössten Teil aus Stahl und Metallen sowie Kunststoffen. Was Stahl betrifft, findet global betrachtet mehr als zwei Drittel der Rohstahlproduktion in China statt. Unsere Produkte sind allerdings meist bereits stark ver­arbeitet und der Anteil aus Asien kleiner. 

Das führt zur Abhängigkeit von einer Diktatur. Was kann man dagegen unternehmen?
Die Diktatur und das Zensurregime in China sind meines Erachtens langfristig eine Gefahr und man muss versuchen, die Abhängigkeit zu reduzieren, wobei diese nicht in unserem Bereich besteht, sondern eher bei der Elektronik. Für viele seltene Erden beispielsweise hat China ein Weltmonopol, in diesem Bereich müssen wir eine Industrie im Westen aufbauen, um die Abhängigkeit zu reduzieren. Recycling brauchen wir unbedingt, gerade bei hochwertigen Metallen wäre Wegwerfen eine Verschwendung. In der Schweiz gibt es zwei Stahlwerke, die Schrott verwerten. 

Wie soll sich die Schweiz zur EU stellen, beziehungsweise was halten Sie von dem Abbruch der Verhandlungen über den Rahmenvertrag?
Wir sollten das Verhältnis zur EU klären, eine unklare Situation ist natürlich ein Hindernis für die Wirtschaft und Investitionen werden zurückgehalten. Gleichzeitig sollten wir unsere Souveränität möglichst weitgehend behalten. Eine gewisse Abhängigkeit besteht aber natürlich immer in unserer vernetzten Welt. 

Wie weit ist Ihr Betrieb vernetzt?
Digitalisierung und Vernetzung sind ein Riesenthema, daran arbeiten wir laufend. Für uns ist Digitalisierung im Kundenkontakt wichtig, in den E-Shop haben wir in den letzten Jahren viel investiert, um den Kunden die digitale Bestellung zu ermöglichen. Auch das digitale Marketing haben wir über verschiedene Kanäle ausgebaut, zum Beispiel über Linkedin, Newsletter usw. Wir nützen diese Plattformen, um Inhalte zu verbreiten, das ist da viel zielgerichteter möglich als über eine Website. Wenn wir einen Inhalt teilen, erreicht dieser direkt unsere Kontakte. 

Wie organisieren Sie Ihren Kundenservice?
Unser Verkaufspersonal ist jeweils auf sein Fachgebiet spezialisiert. Wir legen Wert darauf, dass die Ansprechpersonen Fachleute in den betreffenden Branchen sind. Unsere Kunden sollen schon am Telefon immer mit jemandem sprechen, der etwas von der Sache versteht. Es ist uns ein grosses Anliegen, dass Anrufer gleich eine Fachperson erreichen und nicht noch lange auf Knöpfe drücken müssen – das wird von unseren Kunden positiv wahrgenommen.  

Wie hoch ist der Umsatzanteil durch Ihren E-Shop?
Das ist je nach Geschäftsbereich sehr unterschiedlich, es hängt von der Art der Dienstleistungen ab. Beispielsweise liefern wir für den Metallbauer nicht nur Produkte, sondern wir bieten auch Planungsdienstleistungen und bearbeiten die einzubauenden Teile individuell. Das kann natürlich nicht über den E-Shop laufen, aber bei Fertigprodukten beträgt der Anteil etwa 40 Prozent und wächst immer noch stark. 

Wie organisieren Sie die digitale Sicherheit?
Gerade von KMU werden Sicherheitsprobleme oft unterschätzt. Wir blieben zum Glück bisher von Angriffen verschont, aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis man als KMU Ziel einer Attacke wird. Wir achten immer darauf, dass wir technisch aufrüsten und sich unsere Systeme auf dem neuesten Stand befinden. Der grösste Schwachpunkt sind aber die Benutzer. Wir schulen deshalb auch laufend unsere Mitarbeitenden und informieren sie über die Gefahren. 

Welche  Möglichkeiten der Weiterbildung bieten Sie darüber hinaus an?
Einerseits gibt es produktspezifische Schulungen, die laufend stattfinden. Andererseits fördern wir die individuelle Weiterbildung unserer Mitarbeitenden. Ist diese im Sinn des Unternehmens, übernehmen wir auch die Kosten. Bei höheren Beiträgen werden die Mitarbeitenden verpflichtet, einige Zeit im Unternehmen zu bleiben. 

Welche Grundausbildungen brauchen Ihre Mitarbeitenden?
Viele unserer Mitarbeitenden sind Logistiker, diese arbeiten im Lager. Weiter brauchen wir Chauffeure und für den Innendienst benötigt man einen KV-Abschluss. Für den Verkauf sind wir auf Fachleute aus den Branchen unserer Kunden angewiesen.

Sie vergeben einen Stiftepriis, was steckt dahinter?
Die Verleihung des Stiftepriis hat eine lange Tradition – dieses Jahr wird er zum 39. Mal in der Deutschschweiz und zum 6. Mal in der Westschweiz verliehen. Mit dem Stiftepriis zeichnen wir gute Lehrabschlüsse in den Branchen unserer Kunden aus, das heisst aus den Branchen Gebäudehülle, Haustechnik, Metallbau und Metallverarbeitung. Damit möchten wir unsere Kunden bei der Nachwuchsförderung unterstützen, wir haben ja auch selber ein Interesse daran, dass unsere Branchen auch in Zukunft auf top Arbeitskräfte zurückgreifen können. In der Bau- und Ausbaubranche ist es oft schwierig, junge Lehrlinge zu finden. Wir möchten deshalb ein Zeichen setzen und die Jugend zu diesen Ausbildungen motivieren. 

Wie erklären Sie sich diese Schwierigkeiten?
Es liegt wohl hauptsächlich daran, dass die Baubranche ein Imageproblem hat. Man arbeitet körperlich und im Freien, viele Leute ziehen wohl das Büro vor. Wir engagieren uns aber dafür, dass sich das Ansehen verbessert, die Kampagnen gehen von den Branchenverbänden unserer Kunden aus.

Porträt