Interviews

Interview mit Lars Rominger

«Jemand, der für alles offen ist, ist auch nicht ganz dicht»

Lars Rominger, Head of Operational Excellence bei der Gerresheimer Küssnacht AG, Inhaber der Rominger Kunststofftechnik GmbH und Erfinder, über die Entwicklung innovativer Ideen, den Schutz geistigen Eigentums und eigenwillige Werbemethoden.
PDF Kaufen

Herr Rominger, Sie sind Erfinder und wurden auch schon als Schweizer Daniel Düsentrieb bezeichnet. Wie kam es dazu?

Diese Entwicklung ist eigentlich eher atypisch, ich bin im Klosterdorf Menzingen aufgewachsen und in die Schule gegangen. Dort war zu Beginn Behaviorismus gefragt, sprich Pauken. Beim Studium hat es mich dann fasziniert, über mein Fach hinauszudenken und Bezüge zu anderen Bereichen herzustellen und mich davon inspirieren zu lassen. Das althebräische Wort «Hephatha», was so viel heisst wie «öffne dich», drückt das sehr gut aus. Andererseits ist jemand, der für alles offen ist, auch nicht ganz dicht. Man benötigt im Gehirn auch einen Spamfilter, der Untaugliches ausscheidet.

Woher schöpfen Sie Ihre innovativen Ideen?

Ich kombiniere und /oder übertrage zum Beispiel physikalische Gesetzmässigkeiten mit Grundsätzen aus anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Manchmal stosse ich auf Hindernisse. Oder gar auf die wissenschaftliche Meinung, dass bestimmte Vorgänge überhaupt nicht funktionieren können. Dann suche ich Argumente dafür, dass es trotzdem geht, statt Argumente dafür, dass es nicht geht. Das betrachte ich als allgemeinen Grundsatz für Wirtschaft und Politik.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Als ich den Faserverbundkunststoff Hot Polymer CF 273 entwickelte, meinten die Wissenschaftler, dieser liesse sich aus physikalischen Gründen nicht so herstellen, wie ich es mir vorstellte. Wir probierten es aus, und es funktionierte. Den Grund dafür fanden wir auch: Die Kunststoffschmelze des thermoplastischen Faserverbundkunststoffes verhielt sich im Faser-Matrix-Verbund atypisch, was letztlich die gewünschte Produktion möglich machte. Das wusste man vorher nicht und es zeigt: Die Praxis geht vor Computermodellen.

Was ist das Innovative bei Hot Polymer?

Bei Hot Polymer lässt sich Wärme ebenso gut ableiten wie bei Aluminium, deswegen könnte man es beispielsweise als Computerhülle verwenden, um Softwareausfälle durch Hitzestaus zu vermeiden. Man kann diesen Kunststoff im Spritzgussverfahren verarbeiten; das erfordert wesentlich weniger Herstellkosten als beim Aluminium.

In einem Interview haben Sie das Zwicky-Modell erwähnt. Was verstehen Sie darunter und wie wenden Sie es an?

Fritz Zwicky studierte Anfang des vorigen Jahrhunderts an der ETH Zürich und war auch Student bei Albert Einstein. Dieser soll ihm einmal gesagt haben, mit seiner Querdenkerei brächte er es als Wissenschaftler zu nichts. Und das hat ihn angestachelt. Mit seinem morphologischen Kasten hat Fritz Zwicky eine mehrdimensionale Matrix entwickelt, um komplexe Problemstellungen zu lösen. Ganz wichtig dabei ist, dass man aus den eigenen Denkmustern ausbricht und das Undenkbare denkt, nur dann entsteht etwas Neues, das zu einem Ziel führt. Daher auch der Spruch: «If it is tricky, call Zwicky.» Allerdings reicht es meiner Ansicht nach nicht, dass man zum Beispiel seinen morphologischen Kasten, so wie in den Lehrmitteln beschrieben nur im mechanischen Sinne anwendet. Vielmehr scheint mir die zugrundeliegende offene Denkhaltung relevant zu sein. Das heisst, dass die Probleme mit der grösstmöglichen Vorurteilslosigkeit und Loslösung von Konventionen angepackt und das gesamte Spektrum an denkbaren Lösungen abgedeckt werden soll.

Wie wirkt sich das konkret aus?

Es ist erwiesen, dass der Mensch stets Verhaltensmuster, Reaktionsweisen, Erklärungsmodelle, vorgefasste Meinungen und Konventionen bereithält, nach denen er denkt, entscheidet und handelt. Für den heutigen «modernen» Menschen ist es geradezu lebensnotwendig, über solche Verhaltensmuster zu verfügen, um die Komplexität des Lebens zu bewältigen. Wenn nun Vorurteilslosigkeit gefordert ist, liegt die Schwierigkeit eben gerade darin, Vorurteile, in denen man gefangen ist, zu erkennen und infrage zu stellen. Nützlich ist eine Mischung aus Kognitivismus, Konstruktivismus und Konnektivismus. Mit dieser Vorgehensweise lässt sich auch spielen. So entsteht unwillkürlich ungeahnt viel Neues.

Was zum Beispiel?

Man kann eine Sache auch mal umkehren. Ein Beispiel ist das Probe- beziehungsweise Reaktionsgefäss «Flip Tube». Laborbehälter wurden von vorne geöffnet, wobei sich kaum vermeiden liess, dass die Finger mit dem Inhalt in Kontakt kamen und diesen schon vor Gebrauch kontaminierten. Ich drehte das Gefäss um und entwickelte die Möglichkeit, es von hinten zu öffnen. So wird der Inhalt nicht angerührt und bleibt sauber. Das hat offenbar überzeugt, denn «Flip Tube» war Sieger des GIT Innovations Award in der Kategorie C «Laborbedarf».

Der umweltfreundliche Plastiksack «The Green Bag» ist auch ein interessantes Produkt. Wie sind Sie darauf gekommen?

In Indien kommt es vor, dass Kühe Plastik fressen. Da diese als heilig gelten, wagen es die Leute nicht, sie daran zu hindern, und dann verenden sie unter Schmerzen. Das inspirierte mich dazu, ein leicht abbaubares, kompostierbares Material zu entwickeln. Natürlich will ich das Produkt auch in anderen Ländern verkaufen.

Was hat Sie als Kunststoffexperte dazu inspiriert, eine App für Partnersuche zu entwickeln?

Beim Love Finder (Lofi), einer Applikation fürs iPhone, wird die bestehende Gesetzmässigkeit der vorherrschenden katalytischen Prozesse in der Kunststoffchemie mittels einer App-Programmierung direkt auf menschliche Bedürfnisse angewandt. Dabei wirkt der Instinkt oder anders ausgedrückt das Bauchhirn. Bei normalen Partnerschaftsseiten handelt man zu rational. Man geht davon aus, dass man aufgrund von wenigen Angaben im Persönlichkeitsprofil sagen könne, ob eine Person zu einer anderen passt. In Wirklichkeit weiss man das innerhalb von zehn Sekunden. In der Lofi-App braucht man dafür übereinstimmende Signale und beide Partner müssen gleichzeitig auf Empfang sein. Die Datenfülle umfasst auch das Unbewusste; sicher spielt auch das Schicksal mit. Die Lofi-App wirkt wie ein Katalysator. Daraus entstehen Beziehungen zwischen Menschen jeden Alters, von einigen habe ich erfahren, dass es auch auf Dauer funktioniert.

Erfindungen entwickeln zu können, ist auch eine Kostenfrage. Wie treiben Sie das Kapital dafür auf?

Zu dem Zweck habe ich das Business-Modell mit der semipermeablen Wand entwickelt. Entwicklungsgeschichtlich gesehen waren wir, etwas plakativ gesprochen, in den Anfängen dem «Sklavendienst», später dem «Frondienst» unterworfen. Es war schwierig, vom Sklaven zum Herrn oder vom Bauern zum Adligen zu werden. Heute sind wir beim «Schuldendienst» angelangt. Die einen haben das Geld und die ökonomische Bildung, die anderen die Innovation. Das Ausstiegs-Szenario aus dem «Schuldendienst» beruht aus meiner Sicht auf der Vorstellung, dass die Kapitalisten relativ einfach auf die «Lohnbezüger» zugreifen können, umgekehrt ist es schwieriger. Immerhin ist die Wand für die Partei, die kein Geld hat, durchlässiger als in früheren Zeiten. Als Erfinder kann man das monetäre System für sich nutzen, statt sich darüber zu ärgern.

Wie wenden Sie dieses System konkret an?

Dieses Modell half mir, die derzeitige Marktsituation relativ einfach abzubilden, um daraus geeignete Strategien ableiten zu können. Um Geld von den Kapitalisten zu erhalten, ist es zielführend, sich in die semipermeable Wand zu stellen und die Innovation entsprechend vorteilhaft den Investoren vorzustellen. So habe ich Grossunternehmen, allerdings noch keine internationalen Konzerne, als Finanzpartner akquiriert.

Was unternehmen Sie, um nach Verhandlungen oder Publikationen das geistige Eigentum zu schützen?

Je nach Innovation ist das unterschiedlich. In der Regel schlage ich jedoch den klassischen Weg über die Hinterlegungsbescheinigung mit anschliessendem Patent beim Amt für Geistiges Eigentum ein. Als Option oder «Zusatzversicherung» schicke ich mir selber manchmal sämtliche Forschungs- und Konstruktionsunterlagen mit Datum und Unterschrift eingeschrieben zu. Bei Anfragen und /oder Vergaben von Aufträgen an Spezialisten reicht meiner Ansicht nach eine Hinterlegungsbescheinigung als Schutz nicht. Zusätzlich werden dafür eine Geheimhaltungsvereinbarung und ein Nichtumgehungsvertrag geschlossen. Die Patentierung wird in der Regel nur durchgeführt, wenn sich die Innovation auch entsprechend rechnet.

Wie beurteilen Sie das?

Um den Erfolg der Innovation im Vorfeld abschätzen zu können, verwende ich konsequent eine speziell dafür ausgelegte Nutzwertanalyse mit zwölf Kriterien, genannt Säuretest. Dann entscheide ich, ob das Patent sinnvoll ist oder nicht.

Demnach bieten Sie also auch nicht patentierte Produkte an?

Zum Beispiel habe ich die Weinveredelung mit dem Barriqueur weder patentrechtlich geschützt, aber auch nicht publiziert, wie es funktioniert. Analog wie Coca-Cola wird das Verfahren und die Rezeptur streng geheim gehalten und liegt in einem Tresor, von dem nur zwei Personen einen Schlüssel besitzen. Für die Weinveredelung braucht es harmonisch aufeinander abgestimmte Wechselspiele der biologischen, chemischen und physikalischen Reaktionen. Diese bewirken, dass die Inhaltsstoffe wie zum Beispiel Tannin, innerhalb einer Stunde im Wein freigesetzt werden. Die im Holz innewohnenden Kräfte für die Verankerung der Aromastoffe wie die Van-der-Waals-Kräfte und die elektrostatischen Wechselwirkungen wurden so verändert, dass der Zeitfaktor der Fasslagerung von 15 Monaten etwa beim Bordeaux, bis zu 15 Jahren wie beim Oloroso-Sherry, durch die Barriqueur-Aktivierung auf eine Stunde reduziert wird.

Gibt es hier Nachahmer oder Konkurrenten?

Schon einige Versuche wurden bisher unternommen, um das innovative Verfahren zu kopieren. Zum Beispiel hat ein Professor der Agrarissenschaften, also Weinbau und Önologie, entsprechende instrumentelle Analytik angewandt, um das Verfahren zu verstehen. Bisher vergeblich, deswegen ist auch die Patentierung nicht notwendig. Natürlich gibt es auch Kritik oder Angriffe wie bei jeder disruptiven Innovation. Ein konservativer Weinkritiker schrieb mir: «Möge Herr Rominger von einer Eiche erschlagen werden und sein unseliges Erbe im Barrique-See ertrinken.» Diesen Angriff nutzten wir dann für das Marketing.

Welche Probleme waren beim Aufbau zu überwinden?

Die Hauptschwierigkeit lag darin, dass das angestrebte Unternehmen nicht dem klassischen Klischee entsprach. Das musste man vielen Leuten erklären, denen das teilweise vielleicht sogar suspekt vorkam. Ich wurde häufig auf mein eigentliches Fachgebiet «Kunststofftechnologie, -chemie» reduziert und alles, was darüber hinausging, teilweise als «Schuster bleib bei deinen Leisten»-Abweichung eingestuft.

Wo lassen Sie Ihre Produkte herstellen?

Wenn irgendwie möglich, in der Schweiz. Meist über Joint-Venture-Strukturen. In der Regel existiert bereits ein geeignetes «Gefäss» beziehungsweise Unternehmen, das die Produktion übernehmen kann, bestenfalls auch gleich den Vertrieb. Mein Leitgedanke: Lieber ein grosser Markt als eine grosse Firma.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb im Ausland?

In der Regel über ausländische Geschäftspartner, die bereits über etablierte Distributionskanäle für ähnliche Produkte verfügen und andere Kooperationsformen, zum Beispiel mit der Semadeni AG, Ostermundigen, die in Europa produziert. Wir bieten unsere Produkte international an.

Sie haben interessante Werbemethoden. Was haben beispielsweise Miss-Wahlen mit Ihren Erfindungen zu tun?

Der Tiefgang von Erfindungen interessiert die meisten Medien nicht; deswegen machen wir scheinbar oberflächliche Schauen, wie Missen- und Botschafterinnen-Wahl. Teilweise werden diese Wahlen auf klassische Art durchgeführt, jedoch mit den Zusatz-Attributen Kreativität, Innovation, Inspiration, Wissenschaftsdrang und Charisma. Die «Miss Swissplastics»-Wahlen waren aufgrund der Emotionalisierung der Innovationen einerseits umsatzfördernd, andererseits aber auch gewöhnungsbedürftig. Es rief auch Feministinnen auf den Plan; deswegen haben wir den alt Kantonsrat, Schriftsteller und Präsident des Tüftellabors Zug, Thomas Brändle, zum Botschafter und Mr. Swisstechnik ernannt. Grundsätzlich verstummten jedoch spätestens nach den ersten erfolgreichen Innovationen die kritischen Unkenrufe. Im Gegenteil, die Strategien werden zwar immer noch als aussergewöhnlich, doch gleichzeitig auch als hochinnovativ und effektiv gesehen.

Herr Rominger, eine ganz andere Frage: Wie beurteilen Sie das Verhältnis der Schweiz zur EU?

Die Konstellation bleibt spannend, natürlich nicht nur weil die Schweiz zwar im Herzen Europas liegt, aber nicht Mitglied der Europäischen Union ist. Die Strategie der Weiterverfolgung des bilateralen Weges mit der EU, dem wichtigsten H andelspartner der Schweiz, ist aus meiner Sicht zu befürworten. Mit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative der SVP, die sich gegen die Personenfreizügigkeit richtet, wurde das bilaterale Verhältnis nicht gefördert. Es wird keine leichte Aufgabe bleiben, das bereits schon angespannte Verhältnis der Schweiz zur EU schlüssig zu erklären.

Wie stellen Sie sich als Unternehmer zum Flüchtlingsproblem? Würden Sie Flüchtlinge beschäftigen, deren Ausbildung nicht unserem Standard entspricht?

Wenn Menschen bereit sind zu lernen, können auch weniger gut ausgebildete Leute wertvoll eingesetzt werden. Bei der Serienproduktion ist zum Beispiel Verlässlichkeit wichtiger als Schulbildung. Auf die Motivation kommt es an.

Bedeutet das auch, dass die Schulbildung nicht so wichtig ist, wie man immer denkt?

Für die Entwicklung brauchen wir natürlich qualifizierte Mitarbeitende. In der Schule sollte man auf Stärken achten, statt auf Schwächen herumzureiten. Mit einer Gesamtschule könnte man Talente fördern, wenn man nicht nur Teilbereiche abdeckt. Ich bin dafür, Zusammenhänge zwischen den Fächern herzustellen. Durch die Klassifizierung wird man zu Einzelkämpfern ausgebildet und später braucht es Kurse über Zusammenarbeit. Natürlich muss man von den Schülern auch Leistung fordern, sonst lernt man nicht, ein Projektziel zu erreichen.

Was halten Sie von Abkommen wie TTIP und Tisa?

Grundsätzlich finde ich Abkommen zielführend, die weltweit Dienstleistungen liberalisieren, sprich Handelshemmnisse abbauen. Das Konfliktpotenzial zwischen öffentlichen Diensten und Abkommen über den Handel von Dienstleistungen sollte nicht zu sehr überhandnehmen, so dass messbare positive Effekte zu verzeichnen sind.

Wie stark sind Sie Ihrem Unternehmen verbunden oder anders gefragt: Würden Sie Ihr Unternehmen auch verkaufen?

Das käme auf die Rahmenbedingungen an. Geld ist eine Art von Energie. Man bewegt sich schneller mit Energie, beziehungsweise im Geschäftsleben mit Geld. Mit solidem finanziellem Hintergrund kann man Innovationen rascher entwickeln, ohne dass man von anderen abhängig ist. Wenn es sich so ergibt, würde ich mein Geld in ein neues Unternehmen investieren.

Porträt