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Interview mit Goris Verburg

«Jeder Generationenwechsel brachte neuen Schwung»

Goris Verburg, Co-CEO des Sonnenschirmherstellers Glatz AG, über Erfolg durch gelun­gene Generationenwechsel, Unternehmensführung in Zeiten der Covid19-Pandemie und Schweizer Qualitätsansprüche als Wettbewerbsvorteil gegenüber chinesischer Billigware.
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Herr Verburg, die Glatz AG hat einen neuen Markenauftritt und eine neue Unternehmensstrategie entwickelt, was sind die Schwerpunkte und Unterschiede zu den früheren Strategien?

Unsere Firma war sehr erfolgreich während vier Generationen. Die Familie hat Hervorragendes geleistet und wurde zum Marktführer in Europa. Die Geschäftsleitung wurde in den letzten Jahren neu formiert. Neben mir selbst brachten ein neuer CFO und als Verstärkung der Produktionsleiter und CTI/Einkaufsleiter frischen Wind ins Unternehmen. Wir haben uns dafür entschieden, viel vernetzter zusammenzuarbeiten, als es vorher im Unternehmen üblich war. Die einzelnen Bereiche wurden so effizient miteinander verbunden. Abgestimmt auf ergonomische Prinzipien entwickeln und designen wir sämtliche Schirm­modelle gemäss der Devise «Form follows function» in der Schweiz – dafür haben wir einen neuen Entwicklungsprozess eingeführt, der viel Dynamik auslöst. Europaweit besitzt die Glatz AG in unserer Branche die meisten Patente und Einträge im Modell- und Designschutz.

Was hat sich im Laufe der Generationen in der Firma verändert?
Jede Generation hat sich ihrem Zeitgeist angepasst und entsprechende Produkte entwickelt. In der ersten Generation war das Handwerk vorherrschend. Ende des 19. Jahrhunderts stellte die Firma Sonnenschirme für elegante Damen her. Damals arbeitete man mit Seide, Elfen- und Walfischbein für die Gestelle, und alle Produkte wurden mit Handarbeit hergestellt. Die Produktion von Personenschirmen wurde 1960 aufgegeben. Die zweite Generation stellte in den 1930er-Jahren Gartenschirme her. Dazu entwickelte Albert Glatz-Spahn 1931 ein mehrfach verstell- und zusammenklappbares Zahnkranzgelenk aus Messing-Druckguss. Die dritte Generation baute unter Adolf «Dölf» Glatz 1968 die Fabrik in Frauenfeld, das war der Schritt zur Industrialisierung. Dementsprechend wurde die Firma 1970 in eine AG umgewandelt. In der vierten Generation unter Markus Glatz wurde das Unternehmen internationalisiert. Jeder Generationenwechsel brachte neuen Schwung in die operative Führung des Geschäfts. Losgelöst von den operativen Aufgaben investierte die abgebende Generation ihre neu gewonnenen Freiheiten für zusätzliche Entwicklungen und Aufgaben. Zusammen führte dies regelmässig zu einem starken Wachstumsschub. Diesen Effekt wollte Markus Glatz auch am Ende seiner operativen Zeit nutzen und das Geschäft noch einmal stark wachsen lassen. Als ich in die Geschäftsführung einstieg, hatte auch in verschiedenen Führungspositionen ein Generationenwechsel bereits stattgefunden und somit war der Grundstock gelegt für eine junge, hungrige nächste Führungsmannschaft mit Lust auf neue Projekte und Herausforderungen. So konnten wir sofort loslegen. 

Gibt es schon Interessenten für die Nachfolge in der fünften Generation?
Wir haben im Moment ein junges Management; ob das Unternehmen in der Familie bleibt, werden wir sehen. Die Kultur und die Unternehmensmission werden unverändert weiterverfolgt.

Zum Stichwort Coronakrise: Wie hat sich Covid-19 auf die Glatz AG ausgewirkt?
Unsere Produktion und die produktionsnahen Funktionen sind natürlich an den Arbeitsplatz gebunden. Aber wir haben relativ schnell alle unsere Mitarbeitenden mit einem Notebook aus­gestattet, viele hatten schon vorher eines. So konnten wir schon im ersten Lockdown das Homeoffice durchsetzen. Bereits vorher hatten wir eine neue Struktur geplant und die Umsetzung etwas vorgezogen. So konnten wir rasch in Microsoft Teams arbeiten sowie, neue Cloud-Lösungen und VPN-Zugänge installieren. 

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht mit der neuen Infrastruktur?
Diese funktioniert sehr gut, wir sind bisher nie gehackt worden. Am Anfang gab es eine gewisse Euphorie, man fand es schön, nicht immer ins Büro zu kommen, auch mal zu Hause zu sein und auch Arbeit und Sport einfacher zu kombinieren. Im Herbst, als das Homeoffice wieder zur Pflicht wurde, war man nicht mehr so begeistert, man vermisste den direkten Austausch. Im Sommer konnten wir wenigstens auf der Terrasse zu Mittag essen, im Herbst und Winter sah man sich auch da kaum. Der informelle Austausch ist sehr wichtig, deswegen hatten wir schon vor der Coronazeit von Einzelbüros auf Gemeinschaftsräume umgestellt und Kaffeetreffpunkte eingerichtet. Das geht mit Homeoffice alles verloren.

Und wie organisierten Sie den Umgang mit Home­office, zum Beispiel betreffend die Regelung der Arbeitszeiten?
Wir erstellten eine Homeoffice-Policy. In dieser wurde festgelegt, dass nicht mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit im Home­office verbracht werden, sonst geht der Austausch verloren. Das gilt natürlich für normale Zeiten, anderweitige Vorschriften beachten wir. Beim Homeoffice braucht es auch das Vertrauen des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern. Man hat ja oft das Gefühl, man müsste diese kontrollieren, zum Beispiel mit Zeiterfassung. Das Homeoffice war für viele eine Herausfor­derung, besonders für Mitarbeiter mit Kindern. Man kann aber gut einschätzen, was jemand normalerweise zum Beispiel innerhalb einer Woche erledigt, und aufgrund dessen überprüfen, ob diese Leistung auch im Homeoffice erbracht wird. So bestätigte sich schnell, dass wir unseren Angestellten vertrauen können. Deswegen verzichteten wir bei der Neubearbeitung der Homeoffice-Policy auf Kontrollmechanismen wie Überprüfung der Computernutzungszeit und Ähnliches. Wir mussten am Anfang die Mitarbeiter ihre eigenen Geräte benutzen lassen, im ersten Lockdown gab es eine Riesennachfrage nach digi­taler Technik. Aber wir haben dann mit der Zeit für alle unsere Mitarbeiter Firmengeräte beschafft. Die Arbeit in geschlossenen Systemen erhöht die Sicherheit.

Wie schützen Sie sich in der Produktion vor Corona? Gab es Einschränkungen?
Wir konnten während der ganzen Zeit ohne Einschränkung produzieren. Natürlich werden am Arbeitsplatz Masken getragen. Im Reparaturzentrum gab es vier Coronafälle, damals haben wir die ganze Belegschaft der Abteilung nach Hause geschickt. Nachher haben wir die Massnahmen verschärft, denn wenn zum Beispiel die ganze Näherei geschlossen wäre, dann könnten wir nicht mehr liefern. Seither gab es keine Ansteckungen mehr in der Firma.

Es ist wohl eine happige Wirtschaftskrise wegen der Coronamassnahmen zu erwarten, wie sind die Aussichten für die Glatz AG?
Letztes Jahr haben vor allem die Mittelmeerländer unter der Krise gelitten, Nordeuropa war nicht so stark betroffen. Die Menschen fuhren nicht in die Ferien, investierten aber privat. Deswegen hatten wir 2020 ein Rekordjahr beim Verkauf von Gartenschirmen. Es gibt sicher auch Segmente, die stark leiden, wie die Gastronomie oder die Reisebranche. Viele Leute haben aber ihre Stellung behalten und sogar gespart, weil zum Beispiel Ferien im Ausland nicht mehr möglich sind. Man richtete stattdessen die Wohnung neu ein, die betreffenden Branchen pro­fitierten sehr stark, zum Beispiel Anbieter von Möbel- und 
Gartenmöbeln, Freizeitgeräten oder Velos.

Wie ist der Vertrieb der Glatz AG organisiert?
Vor zwanzig Jahren hat man sich bei der Glatz AG dazu entschlossen, ein umfassendes Vollsortiment – alles aus einer Hand – anzubieten. Wir verkaufen aber nicht direkt an End­kunden, sondern nur über qualifizierte Fachhändler.

Sie exportieren viel ins Ausland. In welchen Ländern hatten Sie besonderen Erfolg?

In den letzten Jahren hat die Glatz AG den internationalen Vertrieb gestärkt. Früher war die Firma sehr stark auf die DACH-Länder fokussiert. Wir hatten uns vorgenommen, zu expandieren in andere europäische Länder und dort auch unsere etwas preisgünstigere Zweitmarke Suncomfort by Glatz bekannt zu machen und stärker zu lancieren als vorher. Heute liefern wir in 62 Länder und haben eine eigene Verkaufsmannschaft in den meisten EU-Ländern.

Wie vertreiben Sie Ihre Produkte im Ausland, wie funktionieren da die Beziehungen Schweiz-EU?

Heute liefern wir immer noch vollumfänglich aus der Schweiz. In letzter Zeit bemerkten wir, dass die Verzollung immer schwieriger wird und dies zu Nachteilen führen kann, weil daraus Zeitverzögerungen entstehen. Sammelverzollung ist gar nicht mehr möglich. Deswegen brauchen wir einen zweiten Lagerort innerhalb der EU. Im Moment verkaufen wir noch nicht übers Internet, aber auf Dauer ist das ein grosses Thema. Wir verkaufen nicht direkt über das Internet, hingegen betreiben zwei Drittel unserer Händler E-Commerce, man kann also unsere Schirme jederzeit im Internet bestellen. Davon wurde letztes Jahr reger Gebrauch gemacht, wir stellten in dem Bereich einen starken Aufschwung fest. 

Viele Kunden wünschen sich doch sicher Beratung? Wie bekommen sie diese?

Heute informieren sich die Kunden sehr stark über das Internet und unsere Website, aber wir betreiben auch ein internes Callcenter für Beratungsgespräche. Dennoch ist auch der Fachhandel eine entscheidende Anlaufstelle für Beratungsgespräche. Nach einem Beratungsgespräch bei uns oder bei den Händlern ergibt sich in den meisten Fällen ein Verkauf. 

Auf Ihrer Website bieten Sie Planungen an. Ist das ein spezieller Unternehmenszweig?

Dieses Angebot ist ein Instrument zur Akquisition, es wird gern von Hoteliers und Gastronomen genutzt, aber auch von Architekten. Die Vertriebspartner können von allen Schirmen auch die 3D-Daten herunterladen und in Modellzeichnungen integrieren. Diese Daten werden kostenlos zur Verfügung gestellt, man muss sich nur registrieren. In komplizierten Fällen erstellen wir selbst die Planungsgrundlagen. Wir bieten auch individuelle Spezialanfertigungen an, die wir mit Bauherren oder Architekten auf die landschaftlichen Gegebenheiten, zum Beispiel abfallende Flächen, und die betreffenden Gebäude abstimmen. 

Welche Farben und Modelle sind denn im Moment gefragt? 

Die gängigsten Farben sind Beige oder Hellgrau oder ein etwas dunkleres oder bräunliches Grau. Die Farbe muss sich anpassen an die Architektur, zum Beispiel wenn ein Haus anthrazitgraue Fensterrahmen hat, können wir ein Gestell für den Sonnenschirm in dieser Farbe liefern. Kräftige Farben sind im Moment nicht so gefragt. Natürlich bieten alle unsere Stoffe einen UV-Schutz. Die Stoffe bestehen grossteils aus Polyacryl, wiegen 300 Gramm pro Quadratmeter und sind dick genug, um auch vor normalem Regen abzuschirmen. Das wird von der Gastronomie geschätzt. 

Kann man mit Sonnenschirmen Solarenergie produzieren?

Das ist ein spannendes Thema. Es gibt erste Versuche mit Solarzellen, die in den Stoffen integriert sind, aber diese funktionieren noch nicht optimal. Bei den flachen Sonnenstoren ist es einfacher, aber bei Schirmen entstehen Faltenwürfe. Wenn der Schirm geschlossen wird, kommt die Schutzhülle darüber, dann verknittert alles. Wir bieten einen Gartenschirm an, der mit Solarzellen etwas Ambientelicht produziert, sodass man darunter essen kann. Es wird aber sicher weitere Entwicklungen in Richtung Solarenergie geben.

Woher bezieht die Glatz AG ihre Rohstoffe?

Aluminium beziehen wir von einem Lieferanten in Italien; wo es abgebaut wird, kann ich allerdings nicht sagen. Und die Stoffe für Schirmüberzüge besorgen wir von deutschen, französischen und italienischen Unternehmen. 

Gibt es wegen der Coronapandemie keine Probleme mit Zulieferanten?

Man sieht ja jetzt, wie abhängig wir von China sind. Zum Beispiel fehlte es an Containern, sodass die Transportkosten stiegen und die Marge sich stark verringerte. Die Glatz AG hat mit den gleichen Umständen gekämpft; da aber der Warenwert pro Container höher ist als für andere Outdoor-Produkte, ha­ben wir weniger gelitten. Es wird generell ein Umdenken zu lokaler Produktion entstehen oder zumindest wird man Waren im erweiterten europäischen Raum herstellen lassen. 

Wie schützen Sie Ihre Innovationen, zum Beispiel vor dem chinesischen Markt?

Das Ziel der Chinesen ist es, möglichst preisgünstig zu sein. Es werden Produkte mit einfacher Mechanik entwickelt. Das bedeutet aber nicht, dass diese kundenfreundlich, zum Beispiel ergonomisch ist. Und das Design spielt eine untergeordnete Rolle, es muss hauptsächlich funktional sein. Das Ziel ist, Material zu sparen und die Kosten möglichst gering zu halten. Wir haben andere Prioritäten, nämlich Stabilität, Ergonomie und Ästhetik. Zudem sind Service und Individualisierung wichtig. Dafür sind unsere Kunden bereit, mehr zu bezahlen. Ein Beispiel ist unser Bestseller Freiarmschirm. Man kann diesen durch Drehen mit der Kurbel auf Hüfthöhe bequem öffnen. Das chinesische Pendant hat zwar auch eine Kurbel, diese ist aber auf Kopfhöhe und man muss den Wagen hochschieben. Unser Modell kostet einiges mehr, aber die Leute schätzen, dass sie den Überzug auf Haus und Sitzplatz abstimmen können und der Schirm sich bequem öffnen lässt, gerade ältere Kunden: Sie oder kleinere Personen schätzen den Komfort der Glatz-Schirme. 

Wie setzen Sie sich gegen Billigkonkurrenz durch?

Die chinesischen Importe betragen 40 Prozent des Marktes, das ist ein bedeutender Anteil; diese Produkte werden vor allem in Bau- und Fachmärkten vertrieben. Man bemerkt aber den Qualitätsunterschied sehr klar. Oft denken die Leute, wenn ich den Freiarmschirm für 400 Franken bekomme, warum soll ich mir einen für 800 Franken kaufen? Aber diese Billigschirme kann man nicht reparieren, sie gehen auch schneller kaputt. So entschliessen sich die Kunden zum Zweitkauf bei uns, weil sie dann ein Produkt von hochwertiger und langlebiger Qualität wollen. Man kann ja nicht jedes Jahr einen neuen Schirm kaufen, da ist auch die Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt.

Welchen Komfort bieten Ihre Modelle sonst noch?

Beispielsweise unsere Palazzo-Modelle, die bis zu sechs mal acht Meter gross sind und mit denen man ganze Terrassen überdecken kann, verfügen auf Wunsch über Fernsteuerung, LED, Heizkörper und man kann sie auch mit der Haustechnik verbinden. Es ist gemütlich, auch am Abend unter einem Schirm zu sitzen, dann braucht man Beleuchtung. Dafür verlegt man Stromkabel im Boden und neuerdings bieten wir mittelgrosse Modelle mit Akku an – das alles gibt es auch bei Gartenschirmen.

Und wo werden die Schirme produziert?

Unsere grossen Schirme werden an unserem Hauptsitz in Frauenfeld hergestellt und auch die Entwicklungsabteilung befindet sich hier. Die hochwertigen Überzüge werden auch alle in der Schweiz genäht und konfektioniert. Für günstigere Schirme haben wir ein Joint Venture in China. Diese kann man in der Schweiz nicht mehr produzieren, die Herstellungskosten wären zu hoch.

Wie weit ist Ihre Produktion digitalisiert?

Die Schirme werden mittels CAD gezeichnet und konstruiert. Die Metallverarbeitung läuft hauptsächlich über eine CNC-Bearbeitungsstation und die Stoffe werden über computergesteuerte Laser-Schnittmaschinen bearbeitet – diese hat man früher manuell zugeschnitten. Die Programmierung wird bei der Vorbereitung der Arbeitsgänge erstellt. Genäht wird noch von Hand, das heisst mit industriellen Nähmaschinen. 

Welche Ausbildung benötigen Ihre Angestellten?

Wir stellen verschiedene Berufsgattungen von der Entwicklung über Beschaffung und Produktion bis zu Marketing und Vertrieb ein. Vor allem ausgebildete Näherinnen sind aber heute schwierig zu finden oder auszubilden. Das Zusammenbauen von Schirmen kann man relativ schnell erlernen, schwieriger wird es, wenn Mechanik und Elektronik einzubauen sind. Früher gab es eine entsprechende Schirmlehre und Dölf Glatz, der die dritte Generation der Familie vertrat, hat als einer der Letzten noch eine solche absolviert. Damals war die Herstellung von Sonnenschirmen noch ein Gewerbe in der Schweiz mit aktivem Verband.

Wie beurteilen Sie die Zukunft?

Letztes Jahr hatten wir einen Rückgang beim Verkauf von Grossschirmen für die Gastronomie, aber das wurde mehr als aufgefangen durch den Verkauf von Gartenschirmen. Die Gastro­nomie macht nur etwa 30 Prozent unseres Geschäfts aus, die restlichen 70 Prozent sind Privatkunden. Auch dieses Jahr gibt es eine starke Nachfrage nach Privatschirmen, aber auch der Absatz an die Gastronomie steigt wieder deutlich.

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