Herr Verburg, die Glatz AG hat einen neuen Markenauftritt und eine neue Unternehmensstrategie entwickelt, was sind die Schwerpunkte und Unterschiede zu den früheren Strategien?
Unsere Firma war sehr erfolgreich während vier Generationen. Die Familie hat Hervorragendes geleistet und wurde zum Marktführer in Europa. Die Geschäftsleitung wurde in den letzten Jahren neu formiert. Neben mir selbst brachten ein neuer CFO und als Verstärkung der Produktionsleiter und CTI/Einkaufsleiter frischen Wind ins Unternehmen. Wir haben uns dafür entschieden, viel vernetzter zusammenzuarbeiten, als es vorher im Unternehmen üblich war. Die einzelnen Bereiche wurden so effizient miteinander verbunden. Abgestimmt auf ergonomische Prinzipien entwickeln und designen wir sämtliche Schirmmodelle gemäss der Devise «Form follows function» in der Schweiz – dafür haben wir einen neuen Entwicklungsprozess eingeführt, der viel Dynamik auslöst. Europaweit besitzt die Glatz AG in unserer Branche die meisten Patente und Einträge im Modell- und Designschutz.
Was hat sich im Laufe der Generationen in der Firma verändert?
Jede Generation hat sich ihrem Zeitgeist angepasst und entsprechende Produkte entwickelt. In der ersten Generation war das Handwerk vorherrschend. Ende des 19. Jahrhunderts stellte die Firma Sonnenschirme für elegante Damen her. Damals arbeitete man mit Seide, Elfen- und Walfischbein für die Gestelle, und alle Produkte wurden mit Handarbeit hergestellt. Die Produktion von Personenschirmen wurde 1960 aufgegeben. Die zweite Generation stellte in den 1930er-Jahren Gartenschirme her. Dazu entwickelte Albert Glatz-Spahn 1931 ein mehrfach verstell- und zusammenklappbares Zahnkranzgelenk aus Messing-Druckguss. Die dritte Generation baute unter Adolf «Dölf» Glatz 1968 die Fabrik in Frauenfeld, das war der Schritt zur Industrialisierung. Dementsprechend wurde die Firma 1970 in eine AG umgewandelt. In der vierten Generation unter Markus Glatz wurde das Unternehmen internationalisiert. Jeder Generationenwechsel brachte neuen Schwung in die operative Führung des Geschäfts. Losgelöst von den operativen Aufgaben investierte die abgebende Generation ihre neu gewonnenen Freiheiten für zusätzliche Entwicklungen und Aufgaben. Zusammen führte dies regelmässig zu einem starken Wachstumsschub. Diesen Effekt wollte Markus Glatz auch am Ende seiner operativen Zeit nutzen und das Geschäft noch einmal stark wachsen lassen. Als ich in die Geschäftsführung einstieg, hatte auch in verschiedenen Führungspositionen ein Generationenwechsel bereits stattgefunden und somit war der Grundstock gelegt für eine junge, hungrige nächste Führungsmannschaft mit Lust auf neue Projekte und Herausforderungen. So konnten wir sofort loslegen.
Gibt es schon Interessenten für die Nachfolge in der fünften Generation?
Wir haben im Moment ein junges Management; ob das Unternehmen in der Familie bleibt, werden wir sehen. Die Kultur und die Unternehmensmission werden unverändert weiterverfolgt.
Zum Stichwort Coronakrise: Wie hat sich Covid-19 auf die Glatz AG ausgewirkt?
Unsere Produktion und die produktionsnahen Funktionen sind natürlich an den Arbeitsplatz gebunden. Aber wir haben relativ schnell alle unsere Mitarbeitenden mit einem Notebook ausgestattet, viele hatten schon vorher eines. So konnten wir schon im ersten Lockdown das Homeoffice durchsetzen. Bereits vorher hatten wir eine neue Struktur geplant und die Umsetzung etwas vorgezogen. So konnten wir rasch in Microsoft Teams arbeiten sowie, neue Cloud-Lösungen und VPN-Zugänge installieren.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht mit der neuen Infrastruktur?
Diese funktioniert sehr gut, wir sind bisher nie gehackt worden. Am Anfang gab es eine gewisse Euphorie, man fand es schön, nicht immer ins Büro zu kommen, auch mal zu Hause zu sein und auch Arbeit und Sport einfacher zu kombinieren. Im Herbst, als das Homeoffice wieder zur Pflicht wurde, war man nicht mehr so begeistert, man vermisste den direkten Austausch. Im Sommer konnten wir wenigstens auf der Terrasse zu Mittag essen, im Herbst und Winter sah man sich auch da kaum. Der informelle Austausch ist sehr wichtig, deswegen hatten wir schon vor der Coronazeit von Einzelbüros auf Gemeinschaftsräume umgestellt und Kaffeetreffpunkte eingerichtet. Das geht mit Homeoffice alles verloren.
Und wie organisierten Sie den Umgang mit Homeoffice, zum Beispiel betreffend die Regelung der Arbeitszeiten?
Wir erstellten eine Homeoffice-Policy. In dieser wurde festgelegt, dass nicht mehr als 50 Prozent der Arbeitszeit im Homeoffice verbracht werden, sonst geht der Austausch verloren. Das gilt natürlich für normale Zeiten, anderweitige Vorschriften beachten wir. Beim Homeoffice braucht es auch das Vertrauen des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern. Man hat ja oft das Gefühl, man müsste diese kontrollieren, zum Beispiel mit Zeiterfassung. Das Homeoffice war für viele eine Herausforderung, besonders für Mitarbeiter mit Kindern. Man kann aber gut einschätzen, was jemand normalerweise zum Beispiel innerhalb einer Woche erledigt, und aufgrund dessen überprüfen, ob diese Leistung auch im Homeoffice erbracht wird. So bestätigte sich schnell, dass wir unseren Angestellten vertrauen können. Deswegen verzichteten wir bei der Neubearbeitung der Homeoffice-Policy auf Kontrollmechanismen wie Überprüfung der Computernutzungszeit und Ähnliches. Wir mussten am Anfang die Mitarbeiter ihre eigenen Geräte benutzen lassen, im ersten Lockdown gab es eine Riesennachfrage nach digitaler Technik. Aber wir haben dann mit der Zeit für alle unsere Mitarbeiter Firmengeräte beschafft. Die Arbeit in geschlossenen Systemen erhöht die Sicherheit.
Wie schützen Sie sich in der Produktion vor Corona? Gab es Einschränkungen?
Wir konnten während der ganzen Zeit ohne Einschränkung produzieren. Natürlich werden am Arbeitsplatz Masken getragen. Im Reparaturzentrum gab es vier Coronafälle, damals haben wir die ganze Belegschaft der Abteilung nach Hause geschickt. Nachher haben wir die Massnahmen verschärft, denn wenn zum Beispiel die ganze Näherei geschlossen wäre, dann könnten wir nicht mehr liefern. Seither gab es keine Ansteckungen mehr in der Firma.