Interviews

Interview mit Erwin Meier-Honegger

In der Nische traditionell tief verwurzelt

Erwin Meier-Honegger, Geschäftsführer der Ernst Meier AG, über die Herausforderungen eines Gartenbaubetriebs, die Diversifikation als Wachstumsgenerator in einer Nischenbranche und das Gärtnereisterben durch Nachfolgeprobleme.
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Herr Meier-Honegger, Sie führen Ihr Gartencenter als Familienunternehmen bereits in der vierten Generation. Welchen besonderen Herausforderungen müssen Sie sich heute stellen?
Wir sind eine Nischenbranche, es gibt etwa 50 Gartencenter in der Schweiz. Grosse, traditionelle Gärten findet man immer weniger, weil immer dichter gebaut wird, das ist eine der grössten Herausforderungen für uns. Eine starke Konkurrenz sind auch die anderen Aktivitätsangebote, wie Reisen, Sport etc. Deswegen werden grössere Gartencenter immer mehr Ausflugsziele und erweitern ihr Angebot mit Gastronomie, Unterhaltung und allerlei weniger pflegeintensiven Zusatzsortimenten. Die Leute machen gern Ausflüge, um Pflanzen zu geniessen, und kaufen dann natürlich auch ein.

Wie behaupten Sie sich gegen Grossunternehmen?
Das Geschäft mit Pflanzen ist im Detailhandel wie gesagt eine Nische – um nicht zu sagen «Ritze» – mit sehr bescheidener Wertschöpfung. Entsprechend ist der Wettbewerb sehr «kameradschaftlich». Das Geschäft mit Pflanzen ist aufgrund der natürlichen Saisonalität, der unmittelbaren Wetterabhängigkeit und des hohen Pflegeaufwands sowie der erheblichen Platzansprüche ungenügend rentabel. Es dient vielen Mitbewerbern jedoch als wichtiger Frequenzbringer. Bei schönem Wetter ist das Geschäft in den drei Frühjahrsmonaten März bis Juni durchaus ertragreich, in diesen Monaten erzielen wir den Hauptgewinn für das ganze Jahr. Ab Juni bleibt es dann jedoch in Bezug auf Pflanzen auf mehr Aufwand als Ertrag beschränkt.

Wie bewältigen Sie die kritischen Konjunkturphasen?
Das Gartenbaugeschäft ist verglichen mit anderen Märkten eine träge Branche, die von äusseren Einflüssen nie so hart getroffen wird. Es läuft antizyklisch, die stärksten Jahre hatten wir bei schlechter Konjunktur. Das liegt wohl daran, dass die Leute dann zum Beispiel weniger in die Ferien reisen, aber dafür einen schönen Garten oder Balkon haben wollen.

Wie ist Ihre Kundschaft zusammengesetzt; gehören auch Unternehmen dazu?
Wir bedienen praktisch ausschliesslich Privatkundschaft, welche zu über 70 Prozent weiblich ist. Für das B2B-Geschäft sind unsere Strukturen nicht passend. Die Geschäftskunden haben andere Ansprüche als die Privatkunden und viele unserer Produkte sind für sie nicht interessant. Anfragen von  Firmen vermitteln wir gerne an Kollegen, welche sich entsprechend spezialisiert haben.  

Und welche Pflanzen sind besonders beliebt? 
Viele Leute mögen pflegeleichte Pflanzen, die auch in der Wohnung oder auf einem Balkon gut gedeihen. Pflanzen sind ein Luxusprodukt. Dafür erwarten viele Kunden, dass sie sofort blühen. Die meisten Leute haben nicht mehr die Geduld, zu warten, bis eine junge Pflanze sich entwickelt, deswegen kaufen sie auch immer weniger mehrjährige Pflanzen. Das liegt wohl an unserer schnelllebigen Zeit. Auch wenn eine gewünschte Pflanze in unserem Geschäft nicht mehr erhältlich ist, haben die Leute wenig Verständnis dafür, dass Nachschub nicht auf Knopfdruck möglich ist, sondern heranwachsen muss. 

Da passt es ja gut, dass Sie auch Beratungen und Kurse anbieten. Worum geht es da und welche Zielgruppen erreichen Sie damit?
Auch hier sind es ausschliesslich Privatpersonen, welche im Fokus stehen. Meiner Ansicht nach ist das Interesse an länger dauernden Kursen zu fixen Zeiten mit verbindlicher Anmeldung eher rückläufig. Onlineplattformen übernehmen einen Teil der diesbezüglichen Bedürfnisse. Als «Treffpunkt für Gartengenies­ser» versuchen wir ein Ökosystem mit kurzen Workshops auf der Verkaufsfläche ohne Anmeldung zu etablieren. Themen sind Bodenproben, Pflanzenschutzberatung, Gartenplanung oder Zimmerpflanzenempfehlungen. Entsprechende Kompetenz und Erklärungen finden unsere Besucherinnen und Besucher jederzeit unangemeldet im Gartencenter.

Züchten Sie selbst auch neue Pflanzenvarianten? 
Nein, die Zucht bleibt den Spezialisten vorbehalten. Das ist ein eigenes Berufsfeld und gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die hoch sterilen Zuchtbetriebe für die sogenannten «Elitepflanzen» befinden sich in Deutschland und den Niederlanden. Die bewurzelten Stecklinge oder die Stecklinge kommen dann zu uns, wo sie eingetopft und fertig kultiviert werden.

Beziehen Sie auch Pflanzen aus dem Ausland?
Obwohl wir in unserer eigenen Gärtnerei etwa drei Viertel unseres Pflanzensortiments selber lokal kultivieren, kommen faktisch alle Pflanzen – als Samen oder Stecklinge – ursprünglich aus dem Ausland. Die meisten Mutterpflanzenbetriebe sind in der Äquatorialregion von Afrika – Kenia, Äthiopien, Tansania, Uganda –, aber auch in Costa Rica. Meine Branche hat die Chance, im schwarzen Kontinent Wirtschaftsförderung zu betreiben. Diese Herausforderung wird mit viel Verantwortungssinn und Enthusiasmus angenommen. Selbstverständlich gilt es dabei viele Rahmenbedingungen zu beachten, um nicht negative Anreize zu setzen. 

Worauf müssen Sie beim Umweltschutz achten?
Früher wurde der erhebliche Beratungsaufwand um die Pflege der Pflanzen durch den Verkauf von Pflanzenschutzmitteln kompensiert, der Verbrauch war aus heutiger Sicht haarsträubend. Heute raten wir eher von Pflanzenschutzmitteln ab. Weil der ökologisch sinnvolle Pflanzenschutz jedoch aufwendiger ist, wird der Beratungsaufwand grösser bei gleichzeitig deutlich weniger Ertrag. Diesen Wandel zum Verkauf von Dienstleistung statt von Produkten gilt es zu meistern.

Was sind die Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln?
Bei uns treffen beide Ansichten zusammen: Die einen Kunden wollen unbedingt Gift einsetzen, andere wollen überhaupt keine Chemie. Und der Unterschied ist nicht unbedingt generationenabhängig. Unser Bestreben ist es, beide «Religionen» vom naturnahen Umgang zu überzeugen und sie diesbezüglich kompetent zu begleiten.

Wie beurteilen Sie die Diskussionen über Glyphosat?
Ich finde es fragwürdig, dass sich die Diskussion auf ein einzelnes Produkt konzentriert und dabei ausgeklammert wird, dass andere Herbizide wohl ebenso schädlich sind. Deren Wirkungen sind aber nicht so weitgehend erforscht. Aber diese Diskussion bezieht sich vor allem auf die Landwirtschaft und betrifft den Gartenbau wenig.

Und was halten Sie von der Verwendung von Gentechnik bei der Pflanzenzucht?
Ich müsste Ihnen die Gegenfrage stellen: Welche Gentechnik meinen Sie? Das Thema ist unglaublich vielfältig und entsprechend komplex. Schwarz und weiss gibt es nicht mehr. Im Hobbybereich ist die Gentechnik nicht lohnend. Daher betrifft das Thema den Zierpflanzenbereich nur ganz am Rande.  Beispielsweise hat ein finnischer Forscher vor zirka drei Jahren eine offensichtlich genveränderte, orange Petunie entdeckt, welche aus einem deutschen Freilandversuch vor 30 Jahren unbemerkt den Weg in die normale Zucht gefunden hat. Das sind jedoch absolute Ausnahmen und alle Neuzüchtungen, welche im Zierpflanzenbereich in den Markt eingeführt werden, entstammen der traditionellen Zucht, ein Beispiel dafür sind die neuen Girlandenhortensien.

Sind private Gärten nützlich für die Biodiversität?
Den grössten Einfluss hat die Landwirtschaft, Hobbygärten haben dagegen einen eher bescheidenen ökologischen Einfluss. Aber jeder Gemüsegarten hilft, das Verständnis für natürliche Zusammenhänge zu fördern. Das wiederum hilft, auch junge Menschen zu sensibilisieren und sie für momentan wenig attraktive Studienfelder wie Insektenkunde oder gärtnerische Berufe zu begeistern.

Welche Ausbildungen gibt es denn für junge Leute, die einen Beruf im Gartenbau erlernen wollen?
Es gibt mehrere Lehrberufe, Staudengärtner, Landschaftsgärtner, Gemüsegärtner, Obstbauer, Florist, Polynatura (Detailhandel/Verkauf) sowie Landschaftsbau. Die Lehrzeit dauert zwei bis drei Jahre. Zu meiner Zeit vereinte eine Gartenbauschule alle Berufe, das nannte man damals «horticulteur complet». Diese Ausbildung habe ich absolviert, ich schätzte ihre Vielseitigkeit. Aber sie wird heute nicht mehr anerkannt. Nach der Ausbildung  habe ich im Familienbetrieb gearbeitet und ein Abkommen getroffen mit meinem Vater. Ich durfte den Betrieb im Ausland vertreten, bei den Reisen habe ich viel gelernt. 

Finden Sie immer geeignetes Personal?
Auch in unserer Branche herrscht der allseits beklagte Fachkräftemangel. Es gibt weniger Fluktuation als in anderen Branchen. Wir haben 200 Mitarbeitende und sind einer der wenigen Betriebe, in denen bis zu sieben Gärtnerberufe in einem Unternehmen zusammenarbeiten.

Können Ihre Angestellten flexibel arbeiten?
Als Detailhandelsunternehmen gibt es feste Öffnungszeiten, welche eine grosse Flexibilität verunmöglichen. Ausserdem unterliegen wir den Einflüssen der Natur, welche uns täglich zum flexiblen Arbeiten erzieht. Aber natürlich tragen wir zwischen diesen beiden Leitplanken den Ansprüchen an Flexibilität Rechnung. 

Kann man bei Ihnen auch nach dem Pensionsalter weiterarbeiten?
Das ist bei uns schwierig zu managen, weil die Arbeit im Gartenbau anstrengend ist. Das führt besonders im Alter zu einer Reduktion der Kräfte. Vorgezogene Altersrücktritte sind somit auch in unserer Branche ein Thema. Theoretisch könnten Gartenbauer auch zum Verkauf wechseln, aber da ist das Lohn­niveau tiefer. 

Gibt es keine Probleme bei so unterschiedlichen Löhnen in einem Betrieb?
Für die unterschiedlichen Löhne gibt es in der Theorie nachvollziehbare Gründe. In der Praxis sorgen diese zuweilen durchaus für Unverständnis bei Aussenstehenden. Aber das gehört zu einem Themenkreis, welcher unsere ganze Gesellschaft in Zukunft sicher noch vor die eine oder andere Herausforderung stellen wird.

Neben Pflanzen bieten Sie auch Gastronomie und Seminarräume an. Welche Veranstaltungen kann man bei Ihnen durchführen?
Unsere Seminarräumlichkeiten werden von Banken, Versicherungen, Schulen und anderen Unternehmen für Kundenanlässe oder Weiterbildungsanlässe für Mitarbeitende gebucht. Selbstverständlich auch für festliche Firmenanlässe. Auch private Veranstaltungen von 40 bis zu 200 Personen passen wunderbar in unsere Räume.

Sie arbeiten zudem mit dem Reiseunternehmer Arte GmbH zusammen. Welche Schwerpunkte gibt es da?
Interessant für unsere Kunden sind Reisen in Länder, bei denen der Gartenbau Tradition hat. Solche Reisen führen wir auch  mit unseren Mitarbeitenden durch, zum Beispiel nach England, besonders für jene, die das Gartenland noch nie kennenlernen durften. Das ist meiner Ansicht nach unerlässlich für unseren Beruf, denn England ist auch heute noch ein Vorbild für den Gartenbau.

Gibt es Mentalitätsunterschiede in Bezug auf Gärten in anderen Ländern?
Ja. Schweizer und Deutsche suchen Pflanzen, die in ihre Gärten passen. In der Schweiz achtet man sehr auf Qualität, in Deutschland spielt der Preis eine grössere Rolle. In England kaufen die Leute eine Pflanze, die ihnen gefällt, und suchen dann einen Platz im Garten.

Über solche Dinge kann man sicher auch in Ihrer Zeitschrift «Mein Pflanzenfreund» lesen. Was hat es damit auf sich?
Seit 1900 gehört der Verlag Schweizerischer Pflanzenfreund zu unserem Unternehmen und die über 100 Jahre alte Monatszeitschrift «Mein Pflanzenfreund» könnte erneut zu einem matchentscheidenden Asset für uns werden. In Bezug auf Abo-Modelle nehmen wir Apple zum Vorbild und entwickeln um unsere Zeitschrift Subskriptionsmodelle für die Wertschöpfung in Dienstleistungen in allen Unternehmensbereichen.

Sie erhalten für Ihre Arbeit immer wieder Preise. Was bedeutet das für Sie und Ihre Mitarbeitenden?
Dem US-Komödiant Groucho Marx wird folgender Satz zugeschrieben: «I don’t care to belong to any club that will have me as a member.» Ähnlich halte ich es mit den Preisen: «Ich verachte jeden Preis, welcher mir verliehen wird.» Natürlich macht jeder Preis Freude. Aber schlussendlich sind es Trophäen fürs Marketing und man sollte sich als Unternehmer nicht zu viel darauf einbilden.

Jenseits des Marketings: Was sind heutzutage die speziellen Herausforderungen für Familienunternehmen über mehrere Generationen?
Kürzlich habe ich die auf über 2000 Jahre geschätzte Eibe im Kirchhof des schottischen Dörfchens Fortingall besichtigt. Sie gilt als ältester Baum Europas und älteste Eibe der Welt. Dagegen wirkt eine alte, ehrwürdige Eiche um 400 Jahre quasi als Jungspund. Als ich so vor dieser Eibe sass, habe ich mich gefragt, wie alt wohl unser Unternehmen werden soll respektive kann. Ein Unternehmen ist ja eigentlich auch ein lebender Organismus, welcher nicht in den Himmel wächst respektive unsterblich ist. Ich glaube mich zu erinnern, irgendwo gelesen zu haben, dass die durchschnittliche Lebenserwartung eines Unternehmens aktuell im freien Fall ist und noch knapp um 40 Jahre beträgt. Da ist die Firma Meier mit 125 Jahren bereits arg auf dem Heimweg. Die Herausforderung ist es wohl, die Freude am Leben sowie die Motivation für das Unternehmen zu erhalten. Viele Gärtnereien haben Schwierigkeiten, Nachfolger zu finden. Darum stellten wir in den vergangenen Jahren auch ein Gärtnerei-Sterben fest.

Gibt es in Ihrem Unternehmen bereits eine Nachfolgeplanung für die nächste Generation?
Meine Schwester und ich durften den Betrieb vor sechs Jahren von den Eltern übernehmen. Tatsächlich ist jedoch nach der Betriebsübergabe auch sofort wieder vor der Betriebsübernahme. Die nächste Generation wird jedoch bis zur Pensionierung von meiner Schwester und mir für die Geschäftsführung noch nicht alt genug sein. Geschweige denn werden unsere Kinder dann schon entscheiden können, ob sie dereinst den Betrieb übernehmen möchten. Somit bereiten wir den Betrieb dahingehend vor, dass dieser von Nichtfamilienmitgliedern geführt werden kann. So entsteht hoffentlich kein Druck und das Unternehmen kann im Familieneigentum bleiben.

Herr Meier-Honegger, eine letzte Frage: Wie sollte sich die Schweiz zur EU stellen?
Was mir in Bezug auf die Diskussionen um den Brexit auffällt: Ist es tatsächlich gescheit, eine Verbindung einzugehen, welche später faktisch unkündbar ist? Für mein Geschäft würde ich mich nie einer Organisation so anschliessen, dass ich mich später nicht mehr lösen könnte.

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