Interviews

Interview Peter Patrik Roth

In Asien gilt die Schweiz als Qualitätssiegel

Peter Patrik Roth, Geschäftsführer und Inhaber der Roviva Roth und Cie AG, über die Balance zwischen Tradition und Innovation, den Wandel der Unternehmensführung während neun Generationen und den Produktionsstandort Schweiz als Erfolgsfaktor.
PDF Kaufen

Herr Roth, Sie leiten ein Familienunternehmen in der neunten Generation mit allen Aktien im Familien­besitz. Wie erreicht man einen solchen Erfolg?

Es ist ziemlich einmalig in der Industrielandschaft, dass ein Unternehmen 271 Jahre lang unabhängig geblieben ist. So alte, selbstständige Unternehmen gibt es in der Schweiz nur wenige. Bei Roviva bestand schon immer eine Balance zwischen Tradition und Innovation. Wir haben unsere Wurzeln gepflegt und Überlieferungen der älteren Generationen übernommen. Gleichzeitig passen wir uns stets dem Markt und den neuen Gegebenheiten an. 

Welche Traditionen Ihrer Vorfahren pflegen Sie noch heute?

Wichtig sind eine gewisse Bodenständigkeit, Demut sowie eine Verankerung mit dem Handwerk. Die Firmenleiter waren den Mitarbeitenden immer nahe, das ist auch heute noch so, ich kenne alle persönlich. Auch gegenüber unseren Kunden sind wir stets authentisch, vertrauenswürdig, ehrlich und wertschätzend. Von unseren Lieferanten erwarten wir, dass sie dieselben Werte pflegen. Seit Jahrhunderten stehen für uns hohe Qualität, beste
Rohmaterialien und erstklassige Produkte im Zentrum.  Da machen wir keine Abstriche. Schon der Firmengründer kaufte immer das beste Rosshaar, mein Vater die modernsten Maschinen.

Roviva hat als Rosshaarspinnerei angefangen, was war der Anlass dazu?

Die Initialzündung für die Gründung einer Rosshaarspinnerei war 1748; zu dieser Zeit schliefen in Frankreich unter König Louis XV viele französische Adlige bereits auf komfortablen Rosshaarmatratzen. Sie nahmen diese nach Solothurn mit, das damals als Ambassadorenstadt ein wichtiges Diplomatie- und Handelszentrum war. Wir Schweizer benutzten für Betten damals noch Säcke mit Seegras, Stroh oder Laub. Mein Ururur­urahne war der Meinung, dass eine Produktion von hochwertigen Rosshaarmatratzen in der Schweiz auch möglich sei, denn es gab genügend Bauern, die Pferde besassen. 

Wie hat sich das Unternehmen entwickelt?

Die ersten Generationen leisteten Aufbauarbeit in der Schweiz. Als das Rosshaar der umliegenden Bauern nicht mehr ausreichte, fuhren meine Vorfahren zur Börse nach Hamburg, um Rosshaar einzukaufen, das unter anderem von Russland oder Südamerika eingeführt wurde. Die nachfolgenden Generationen waren geprägt von der Industrialisierung, den Kriegsjahren und dem technologischen Wandel. Erst seit der neunten Generation betreiben wir aktiven Export, früher wurden unsere Matratzen nur in der Schweiz verkauft. 

Wie hat sich der Führungsstil während der Unter­nehmensgeschichte geändert?

Mein Grossvater war ein typischer ehrwürdiger Patron, er pflegte einen fast väterlichen Kontakt mit allen Mitarbeitenden, die sich auch bei Problemen an ihn wenden konnten. Aber Grossvater bestimmte, wie das Unternehmen geführt und was produziert wurde. Mein Vater befand sich in der Übergangsphase zur modernen Zeit, er hat ein Team aufgebaut, das auch an den Entscheidungen be­teiligt war, das letzte Wort hatte aber stets er. Heute ent­scheiden wir im Team. Für mich ist es sehr wichtig, offen und transparent zu kommunizieren und Mitarbeitende aktiv zu involvieren. 

Also besteht bei Ihnen eine flache Hierarchie?

Absolut, das ist ein Vorteil der Familienunternehmen, den man ausnützen sollte. So wird man dynamischer, flexibler und schneller als grosse Unternehmen, bei denen jede Entscheidung auf mehreren Hierarchiestufen behandelt werden muss. Bei uns werden Vorschläge von Mitarbeitenden innerhalb kurzer Zeit von der Geschäftsleitung beurteilt und wenn möglich umgesetzt. 

Was unternehmen Sie für die Weiterbildung der Mitarbeitenden?

In unserem Betrieb haben wir letztes Jahr den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) eingeführt. Wir organisieren Sitzungen von Gruppen aus verschiedenen Bereichen, die durch Austausch ihr Know-how weitergeben, zum Beispiel Näher mit den Steppern oder die Matratzenabteilung mit der Rahmenproduktion. Damit Transparenz zwischen den Abteilungen besteht, ist es wichtig, dass Mitarbeitende ihr Wissen nicht für sich behalten, sondern auch Kollegen aus anderen Bereichen davon profitieren lassen. Darüber hinaus planen wir für jeden Mitarbeitenden individuelle Weiterentwicklungsmassnahmen. 

Gibt es schon Nachfolger der nächsten Generation?

Ich gehöre zur neunten Generation und von meiner Seite gibt es noch keine Nachfolger. Ich werde erst in ein paar Jahren 50, die Nachfolgeregelung hat deshalb im Moment noch keine Priorität. Hingegen gibt es von Seiten meiner Schwester qualifizierte Kandidaten, die in der zehnten Generation der Familie Roth das Unternehmen einmal leiten könnten. 

Kommen wir zu Ihren Produkten. Welche Materialien finden sich heute in den Matratzen?

Bei der Auswahl der Materialien richten wir uns nach den Bedürfnissen der Kunden. Komfort und Hygiene sind gefragt. Deshalb verwenden wir zum Beispiel Naturlatex, der von Kautschukbäumen in Südamerika gewonnen wird. Wir legen Wert darauf, dass diese Plantagen Nachhaltigkeitszertifikate besitzen und ihre Mitarbeitenden fair entlöhnen. Ein weiteres Material ist der Taschenfederkern, die kleinen Metallfedern werden in Textilsäckchen eingenäht. Diese sorgen für eine luftige Matratze, die zugleich gut stützt. Zudem fördern wir die Festigkeit mit verschiedenen Kaltschäumen in Kombination mit anderen Materialien. Primär benutzen wir nachwachsende Naturprodukte wie Wildseide, Kamelhaar  sowie Schweizer Schurwolle. So werden die Ressourcen geschont. 

Gibt es noch Pferdehaarmatratzen?

Für uns sind reine Pferdehaarmatratzen ein Nischenprodukt, das wir nicht mehr herstellen. Das lohnt sich aufgrund der sehr kleinen Nachfrage kaum. Wir verwenden aber Pferdehaar weiterhin als Komponente für klimatische und stützende Eigenschaften der Matratzen. 

In welchen Preissegmenten ist Roviva angesiedelt?

Für uns ist beste Qualität der Materialien und der Herstellung sehr wichtig. Dabei machen wir keine Kompromisse. Unsere Matratzen befinden sich im mittleren bis hohen Preissegment. 

Wie setzen Sie sich gegen die günstigere Konkurrenz durch?

Schlafen ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit. Mit der Qualität unserer Matratzen bieten wir die Grundlage für eine optimale Regeneration in der Nacht. Dazu muss die Hygiene gewährleistet sein und zwar langfristig. Hausstaubmilben bekämpfen wir etwa, indem wir Silberfäden, beziehungsweise Silberionen, in den Matratzenstoff einarbeiten. Das ist eine alte Methode, die schon die Griechen und Römer angewendet haben, eine Silbermünze im Tonkrug erhält das Wasser keimfrei und frisch.

Welche Lebensdauer hat eine Matratze und wie entsorgt man sie nach dem Gebrauch?

Im Moment werden alte Matratzen noch verbrannt. Wir produzieren unsere Matratzen aber so, dass man die Rohstoffe bereits heute leicht voneinander trennen und recyceln könnte. Gebrauchte Materialien können aus hygienischen Gründen zwar nicht für neue Matratzen verwendet werden, man kann sie aber für Dämmstoffe und Isolationen benutzen.

Wo produzieren Sie? 

Wir produzieren alles in Wangen an der Aare, da haben wir unsere Wurzeln und das ganze Unternehmen wurde da aufgebaut. Es ist uns wichtig, in der Schweiz zu produzieren, denn mit dem «swiss made» geben wir ein eindeutiges Qualitätsversprechen ab. 

Wie hat sich die Produktion verändert, zum Beispiel durch die Digitalisierung?

Die Produktion hat sich im Laufe der Generationen stark gewandelt, geradezu revolutioniert, denn sie ist viel vernetzter als in früheren Zeiten. So kommen beispielsweise Bestellungen per E-Mail statt Fax, aber auch immer noch telefonisch, denn unsere Kundschaft schätzt den persönlichen Kontakt. Wir arbeiten an einem Projekt, mit dem wir das ganze Bestellwesen erfassen, das Material zuordnen und die Produktion auslösen sowie verfolgen können. Bei der Herstellung von Matratzen wird immer noch viel Handarbeit geleistet. Matratzenstoff ist dehnbar und flexibel, er lässt sich nicht einfach in eine Maschine einspannen. Wir legen Wert darauf, dass unsere An­gestellten durch topmoderne Maschinen unterstützt werden. Anders sieht es bei der Holzproduktion aus, dort führen computerunterstütze Maschinen Arbeiten wie Bohren, Fräsen und Sägen automatisch aus. 

Finden Sie denn die Handwerker, die Sie brauchen?

Qualifizierte Fachleute zu bekommen, ist schwierig. Teilweise stellen wir gelernte Mitarbeitende ein, aber viele müssen wir auch anlernen, weil sie Quereinsteiger sind. 

Haben Ihre Angestellten die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten und nach der Pensionierung allenfalls noch tätig zu sein?

Unsere Mitarbeitenden müssen zu ganz bestimmten Zeiten anwesend sein, um die Produktion aufrecht erhalten zu können, aber an den Randzeiten kann man flexibel entscheiden, ob man früher geht oder später kommt. Damit die Produktion funktioniert, ist die Absprache untereinander entscheidend. Pen­sionierte Aussendienstmitarbeiter vertreten uns manchmal an Messen. Ich meine aber, im Pensionsalter soll man den Ruhestand geniessen können. 

Produzieren Sie ausser den Matratzen auch noch andere Artikel?

Zu einem Schlafsystem gehören Matratze und Lattenrost. Beides produzieren wir hier. Für das weitere Zubehör wie Duvet oder Kopfkissen arbeiten wir mit einem Schweizer Partner zusammen, der diese Produkte nach unseren Kriterien herstellt. 2016 haben wir mit der Fachhochschule für Technik und Gestaltung in Zug einen Wettbewerb mit dem Motto «Das Roviva Bett» lanciert, welches das bisherige Bettenangebot ersetzen sollte. Wir entschieden uns für den Entwurf von Sandro Halter. Daraus entstand «aura», ein modernes Bettgestell aus Schweizer Massivholz, das im Muotathal hergestellt wird.

Was bedeutet es Ihnen, für innovative Produkte einen Preis wie zum Beispiel den Red Dot Design Award 2018 zu erhalten? 

Wir freuen uns und es ehrt uns, wenn eine Fachjury die Leistung anerkennt. Wir haben vor einigen Jahren auch den Red Dot Design Award für unsere Matratze «Roviva dream-away» erhalten.

Wie vertreiben Sie Ihre Produkte in der Schweiz?

Wir bieten unsere Produkte durch qualifizierte Fachhändler an. Dort können die Kunden unsere Produkte eingehend auspro­bieren und werden von kompetenten Mitarbeitenden beraten. Unser Händlernetzwerk umfasst schweizweit zirka 150 Partner. 

Warum haben Sie sich für den Export entschieden?

Der Markt Schweiz ist hart umkämpft, mit neuen ausländischen Konkurrenten führen wir einen Verdrängungswettbewerb. Hier erleben wir eine Sättigung des Marktes. Trotzdem ist für uns der Markt Schweiz, in dem wir sehr gut aufgestellt sind, extrem wichtig. Einem Unternehmen muss es im Heimmarkt gut gehen, bevor man exportiert oder expandiert. 

Wohin exportieren Sie?

Wenig in den europäischen Raum, mehr hingegen nach Russland, China und Südkorea. Wir stellen auf Messen wie in Shanghai oder entlang der Küste im Süden von China aus. Dort be­finden sich die Wirtschaftszentren, in deren Städten eine hohe Dynamik besteht. 

Wie beurteilen Sie die Wirtschaft in China und deren Expansionsdrang, in etwa durch die geplante neue Seidenstrasse?

Ich finde die Reaktivierung des alten Weges von Marco Polo und wie die Welt zusammenrückt äusserst spannend. Die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Länder können allerdings auch zu Konflikten führen. So beobachte ich etwa in China ein grosses Verlangen nach Wachstum, Technologieführerschaft, immer höheren Gebäuden, schnelleren Eisenbahnen etc. Für sie scheint die Seidenstrasse in erster Linie neue Absatzmärkte zu bringen. Wer sich an diesem Handel beteiligt, muss überprüfen, ob es nach einem kurzfristigen auch einen langfristigen Nutzen bringt. Da stellt sich die Frage, ob auf Dauer eine Balance für alle Beteiligten besteht. 

Wie setzen Sie sich gegen die einheimische Konkurrenz in China durch?

Mit unseren Premiumprodukten exportieren wir beste Ware nach Ostasien. Es ist uns bewusst, dass gewisse Ideen kopiert werden. Wir kommunizieren, dass unsere Produkte «made in Switzerland» absolute Sicherheit bieten betreffend Gesundheit und beispielsweise keine toxischen Bestandteile enthalten. Wir verweisen auch auf unsere Geschichte mit über 270 Jahren Know-how – gerade die Asiaten mit ihrer alten Kultur schätzen das. In Asien haben unsere Produkte Statuscharakter, die Schweiz gilt als Qualitätssiegel. Auch darum ist uns der Produktionsstandort Schweiz sehr wichtig. 

Welche Erfahrungen machen Sie in anderen Ländern? 

Der persönliche und individuelle Kontakt zu unseren Kunden ist mir sehr wichtig. Dieser unterscheidet sich natürlich je nach Land und Kultur. So ist etwa unser Kundenverhältnis in Südkorea sehr familiär, während wir in Russland immer auf einen herzlichen Empfang zählen dürfen und sogar auf ein Essen beim Kunden zu Hause eingeladen werden.

Liefern Sie auch in die USA?

Wir haben dort nur einen Kunden, ein tolles Fachgeschäft in New York mit einer Filiale in Los Angeles. Die Beziehungen mit den amerikanischen Kunden pflege ich an Messen in Köln und Mailand. 

Wie schützen Sie Ihre Innovationen?

Gewisse Innovationen schützen wir mit einem Patent. Aber wichtig ist es, immer einen Schritt weiter zu sein als die anderen, für den Fall dass ein Patent kopiert wird. In China zum Beispiel gilt alles als öffentlich, was auf dem Markt ist, folglich wird dies dann auch eher kopiert. Damit keine böse Überraschung folgt, wenn eine Innovation übernommen wird, gehört dieses Risiko in die Unternehmensstrategie einkalkuliert. 

Wie beurteilen Sie den wachsenden Druck auf den Mittelstand in Europa?

Das ist sicher eine Herausforderung, auch diesbezüglich ist unsere Unabhängigkeit nützlich. Gegenüber grossen Mitbewerbern können wir die Vorteile des KMU ausspielen. Dazu gehören unsere Schnelligkeit und Flexibilität sowie die Nähe zum Kunden und Handel. So können wir rascher auf neue Bedürfnisse der Kunden reagieren als grosse Unternehmen.

Wie soll sich die Schweiz zur EU stellen?

Unser Unternehmen ist seit Jahrhunderten unabhängig und damit gut gefahren. Das wünsche ich mir auch für die Schweiz, wir sollen weiterhin selbst über unser Land entscheiden. Wir brauchen aber partnerschaftliche Beziehungen, weil wir in einem internationalen Markt integriert sind. Die Schweiz war schon immer einem Wettbewerb ausgesetzt. Der Druck kann förderlich sein für alle Sektoren, so bleiben die Unternehmen aktiv und innovativ. Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass die Zollabwicklung einfach und möglichst unbürokratisch verläuft. 

Was halten Sie vom Rahmenvertrag?

In meinen Augen enthält der Rahmenvertrag einige Optimierungspunkte. So darf er nicht unterschrieben werden. Ich verstehe die Exportunternehmer, weil sie für eine Öffnung plädieren, aber ich bin der Meinung, dass ein zu enger Anschluss an die EU für den sozialen Wohlstand der Bevölkerung auch Nachteile haben könnte. Es gilt, immer alle Aspekte zu berücksichtigen und abzuwägen. Die Mentalitäten der Völker in Europa sind so unterschiedlich, dass man nicht eine Einheit mit einem Vertrag erzwingen kann.

Porträt