Herr Roth, Sie leiten ein Familienunternehmen in der neunten Generation mit allen Aktien im Familienbesitz. Wie erreicht man einen solchen Erfolg?
Es ist ziemlich einmalig in der Industrielandschaft, dass ein Unternehmen 271 Jahre lang unabhängig geblieben ist. So alte, selbstständige Unternehmen gibt es in der Schweiz nur wenige. Bei Roviva bestand schon immer eine Balance zwischen Tradition und Innovation. Wir haben unsere Wurzeln gepflegt und Überlieferungen der älteren Generationen übernommen. Gleichzeitig passen wir uns stets dem Markt und den neuen Gegebenheiten an.
Welche Traditionen Ihrer Vorfahren pflegen Sie noch heute?
Wichtig sind eine gewisse Bodenständigkeit, Demut sowie eine Verankerung mit dem Handwerk. Die Firmenleiter waren den Mitarbeitenden immer nahe, das ist auch heute noch so, ich kenne alle persönlich. Auch gegenüber unseren Kunden sind wir stets authentisch, vertrauenswürdig, ehrlich und wertschätzend. Von unseren Lieferanten erwarten wir, dass sie dieselben Werte pflegen. Seit Jahrhunderten stehen für uns hohe Qualität, beste
Rohmaterialien und erstklassige Produkte im Zentrum. Da machen wir keine Abstriche. Schon der Firmengründer kaufte immer das beste Rosshaar, mein Vater die modernsten Maschinen.
Roviva hat als Rosshaarspinnerei angefangen, was war der Anlass dazu?
Die Initialzündung für die Gründung einer Rosshaarspinnerei war 1748; zu dieser Zeit schliefen in Frankreich unter König Louis XV viele französische Adlige bereits auf komfortablen Rosshaarmatratzen. Sie nahmen diese nach Solothurn mit, das damals als Ambassadorenstadt ein wichtiges Diplomatie- und Handelszentrum war. Wir Schweizer benutzten für Betten damals noch Säcke mit Seegras, Stroh oder Laub. Mein Ururururahne war der Meinung, dass eine Produktion von hochwertigen Rosshaarmatratzen in der Schweiz auch möglich sei, denn es gab genügend Bauern, die Pferde besassen.
Wie hat sich das Unternehmen entwickelt?
Die ersten Generationen leisteten Aufbauarbeit in der Schweiz. Als das Rosshaar der umliegenden Bauern nicht mehr ausreichte, fuhren meine Vorfahren zur Börse nach Hamburg, um Rosshaar einzukaufen, das unter anderem von Russland oder Südamerika eingeführt wurde. Die nachfolgenden Generationen waren geprägt von der Industrialisierung, den Kriegsjahren und dem technologischen Wandel. Erst seit der neunten Generation betreiben wir aktiven Export, früher wurden unsere Matratzen nur in der Schweiz verkauft.
Wie hat sich der Führungsstil während der Unternehmensgeschichte geändert?
Mein Grossvater war ein typischer ehrwürdiger Patron, er pflegte einen fast väterlichen Kontakt mit allen Mitarbeitenden, die sich auch bei Problemen an ihn wenden konnten. Aber Grossvater bestimmte, wie das Unternehmen geführt und was produziert wurde. Mein Vater befand sich in der Übergangsphase zur modernen Zeit, er hat ein Team aufgebaut, das auch an den Entscheidungen beteiligt war, das letzte Wort hatte aber stets er. Heute entscheiden wir im Team. Für mich ist es sehr wichtig, offen und transparent zu kommunizieren und Mitarbeitende aktiv zu involvieren.
Also besteht bei Ihnen eine flache Hierarchie?
Absolut, das ist ein Vorteil der Familienunternehmen, den man ausnützen sollte. So wird man dynamischer, flexibler und schneller als grosse Unternehmen, bei denen jede Entscheidung auf mehreren Hierarchiestufen behandelt werden muss. Bei uns werden Vorschläge von Mitarbeitenden innerhalb kurzer Zeit von der Geschäftsleitung beurteilt und wenn möglich umgesetzt.
Was unternehmen Sie für die Weiterbildung der Mitarbeitenden?
In unserem Betrieb haben wir letztes Jahr den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) eingeführt. Wir organisieren Sitzungen von Gruppen aus verschiedenen Bereichen, die durch Austausch ihr Know-how weitergeben, zum Beispiel Näher mit den Steppern oder die Matratzenabteilung mit der Rahmenproduktion. Damit Transparenz zwischen den Abteilungen besteht, ist es wichtig, dass Mitarbeitende ihr Wissen nicht für sich behalten, sondern auch Kollegen aus anderen Bereichen davon profitieren lassen. Darüber hinaus planen wir für jeden Mitarbeitenden individuelle Weiterentwicklungsmassnahmen.