› Das Gespräch führte Michael Drosten
Herr Villiger, was hat Sie in den letzten Jahren mehr Schweiss gekostet: Das schleichende Rauchverbot oder die mühsame Nachfolgeregelung?
Vermutlich beides gleich viel. Natürlich sind das ganz unterschiedliche Bereiche, die man getrennt voneinander betrachten muss.
Beginnen wir doch mit Ihrer Nachfolgeregelung. Der Prozess hat 20 Jahre gedauert. Was war so schwierig?
Villiger ist ein von meinem Grossvater vor 125 Jahren gegründetes Familienunternehmen und bis heute auch zu 100 Prozent in Familienhand. Ich möchte das Unternehmen auch weiterhin in der Familie behalten, das hat Priorität. Einen Nachfolger für das operative Geschäft aus der Familie zu finden, wird aber generell immer schwieriger. Ich bin mit 20 Jahren als ältester von zwei Söhnen und einer Schwester ins Unternehmen eingestiegen. Das gab auch gar keine Diskussion. Es war vorbestimmt, dass ich in die Firma gehen würde. Das war damals so. Heute sagt man ja, die Kinder sollten nicht beeinflusst werden. Jedes soll machen können, was es will. Es ist ein Glücksfall, wenn jemand aus der eigenen Familie das weiterführt, was Sie erfolgreich ein Leben lang gemacht haben. Diese Problematik gibt es sicher bei der Hälfte der KMU.
Wie gross ist das Problem bei Heinrich Villiger?
Beim Familienunternehmen Villiger ist das ähnlich. Ich habe vier Kinder, und die sind auch andere Wege gegangen. Sie fühlten sich alle hingezogen zum sozialen Bereich, sind Lehrer oder Ärztin geworden. Ich habe neun Enkel und die Hoffnung, dass sich darunter einer findet, der in meine Fussstapfen tritt. Aber man kann ein Familienunternehmen auch mit guten externen Geschäftsführern leiten.
Diese Lösung haben Sie im vergangenen Jahr eingeschlagen. Aber auch das brauchte einen langen Entscheidungsweg. Gibt es so wenig gute Manager oder fällt es so schwer, loszulassen?
Ich bin jetzt 83 und muss mir nicht das Attribut des Sesselklebers anheften. Tatsächlich habe ich vor 20 Jahren begonnen, eine Lösung zu suchen. Es gab auch einige Kandidaten. Ich habe alle zwei, drei Jahre einen Versuch gemacht. Wenn man einen neuen Mitarbeiter einstellt, weiss man eigentlich erst nach ein bis zwei Jahren, ob der das bringt, was man erwartet hat. Kann er sich in die Tradition und Strukturen eines KMU, so wie wir es mit einem Umsatz von 200 Millionen Franken sind, einfügen? Oder meint er, er müsse das ganze Unternehmen auf den Kopf stellen? Führungskräfte mit Höhenflügen habe ich nicht so gern. Von diesen Kandidaten, die gleich das ganze Unternehmen umkrempeln wollten, hatten wir einige.
Und während dieses Prozesses kamen Sie nie in die Versuchung, das Unternehmen zu verkaufen?
Jedes Jahr erhalte ich mindestens ein Übernahmeangebot. Für Villiger ist Verkauf aber keine Option. Daran habe ich nie gedacht. Ich bin in der Branche aufgewachsen. Der Vorteil der KMU ist ja gerade, dass die Inhaber so verwachsen sind mit ihrem Unternehmen. Dass KMU in der Schweiz der grösste Arbeitgeber sind, sagt auch etwas über den dadurch entstandenen Erfolg aus. Es gibt aber zwei Überlegungen, warum mich ein Verkauf nie wirklich interessiert hat: Das eine ist die gefühlsmässige. Und die andere: Wenn Sie ein Unternehmen verkaufen, kriegen Sie ja Geld. Was mache ich mit dem Geld? Da Anlageberater ja eher Anlageverbrater sind, ist es am sichersten unter dem Kopfkissen aufgehoben. Macht mich das glücklich? Nein, Geld ist keine Triebfeder für mich.
Heute sind Sie Verwaltungsratspräsident, haben drei Geschäftsführer für das operative Geschäft und mit Clemens Gütermann einen Delegierten und Nachfolger. Und doch haben Sie mit 83 Jahren noch einen Zehn-Stunden-Arbeitstag. Warum das?
Ich komme morgens um 10 Uhr ins Büro, mache von eins bis drei Mittagspause und bin dann wieder bis zehn Uhr am Abend hier. Ich nehme mir den halben Tag Zeit für «Management by walking around». Gemäss der Managementliteratur sollte ich mich operativ nicht mehr einmischen. Dort wo es läuft, greife ich auch nicht ein. Aber ich will als Verwaltungsratspräsident auch nicht einfach nur noch Zahlen lesen. Wir hatten ja immer mal wieder grosse Pleiten in der Schweiz. Swissair zum Beispiel. Da sassen hochkarätige Menschen im Verwaltungsrat. Und diese Top-Shots haben das Unternehmen in Grund und Boden gefahren, weil sie überhaupt nicht wussten, was lief. Natürlich sehe ich ein, dass ich irgendwann einmal aufhören muss, mich nicht mehr einmischen kann. Man will etwas, was man aufgebaut hat, aber auch nicht einfach abgeben.
Würden Sie sich als einen klassischen Unternehmens-Patriarch bezeichnen?
Ich war der klassische Patriarch – mit allen Vor- und Nachteilen. Ein kleines Beispiel: die Bonussysteme. Das sind oft fürchterliche Rechenwerke, deren detaillierte Ausarbeitung wahrscheinlich wochenlang Mitarbeiter beschäftigt hat. Die Manager müssen bestimmte Ziele erreichen, dann erhalten Sie neben dem Fixgehalt einen Bonus. Das Problem ist allerdings, dass sich die Manager die Ziele meist selbst setzen. Ich bin dagegen, habe mich aber gefügt. Ich verlass mich lieber auf meine Nase, daher gibt es auch einen patronalen Bonus. Den bestimme noch ich.
Herr Villiger, das zweite grosse Thema neben Ihrer Nachfolge sind die zunehmenden Reglemente der Tabakgegner. Margaret Chan, die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO, hat als Ziel eine rauchfreie Gesellschaft bis Mitte dieses Jahrhunderts proklamiert ...
... was natürlich utopisch ist. Aber es zeigt, in welche Richtung es geht. Dabei haben wir es mit Anti-Tabak-Kampagnen zu tun, die fast schon mit militantem Eifer geführt werden und durchaus nicht immer nur das gesundheitliche Wohl der Bürger im Blick haben, sondern hinter denen wirtschaftliche Interessen stehen. Und wer welche Kampagnen finanziert, ist nicht immer klar. So hat auch die Pharmaindustrie, die bekanntlich grossen Einfluss hat, ein starkes Interesse an einem Rauchverbot. Raucherentwöhnungsmittel sind jetzt schon ein einträglicher Markt.