Interviews

Interview mit Heinrich Villiger

«Ich war der klassische Patriarch – mit allen Vor- und Nachteilen»

Heinrich Villiger, Verwaltungsratspräsident und Alleininhaber der Villiger Söhne Holding AG, über die Schwierigkeit einer Unternehmensnachfolge, den Kampf der Anti-Raucherlobby und die Entwicklung der Tabakindustrie.
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› Das Gespräch führte Michael Drosten

Herr Villiger, was hat Sie in den letzten Jahren mehr Schweiss gekostet: Das schleichende Rauchverbot oder die mühsame Nachfolgeregelung?

Vermutlich beides gleich viel. Natürlich sind das ganz unterschiedliche Bereiche, die man getrennt voneinander betrachten muss.

Beginnen wir doch mit Ihrer Nachfolgeregelung. Der Prozess hat 20 Jahre gedauert. Was war so schwierig?

Villiger ist ein von meinem Grossvater vor 125 Jahren gegründetes Familienunternehmen und bis heute auch zu 100 Prozent in Familienhand. Ich möchte das Unternehmen auch weiterhin in der Familie behalten, das hat Priorität. Einen Nachfolger für das operative Geschäft aus der Familie zu finden, wird aber generell immer schwieriger. Ich bin mit 20 Jahren als ältester von zwei Söhnen und einer Schwester ins Unternehmen eingestiegen. Das gab auch gar keine Diskussion. Es war vorbestimmt, dass ich in die Firma gehen würde. Das war damals so. Heute sagt man ja, die Kinder sollten nicht beeinflusst werden. Jedes soll machen können, was es will. Es ist ein Glücksfall, wenn jemand aus der eigenen Familie das weiterführt, was Sie erfolgreich ein Leben lang gemacht haben. Diese Problematik gibt es sicher bei der Hälfte der KMU.

Wie gross ist das Problem bei Heinrich Villiger?

Beim Familienunternehmen Villiger ist das ähnlich. Ich habe vier Kinder, und die sind auch andere Wege gegangen. Sie fühlten sich alle hingezogen zum sozialen Bereich, sind Lehrer oder Ärztin geworden. Ich habe neun Enkel und die Hoffnung, dass sich darunter einer findet, der in meine Fussstapfen tritt. Aber man kann ein Familienunternehmen auch mit guten externen Geschäftsführern leiten.

Diese Lösung haben Sie im vergangenen Jahr eingeschlagen. Aber auch das brauchte einen langen Entscheidungsweg. Gibt es so wenig gute Manager oder fällt es so schwer, loszulassen?

Ich bin jetzt 83 und muss mir nicht das Attribut des Sesselklebers anheften. Tatsächlich habe ich vor 20 Jahren begonnen, eine Lösung zu suchen. Es gab auch einige Kandidaten. Ich habe alle zwei, drei Jahre einen Versuch gemacht. Wenn man einen neuen Mitarbeiter einstellt, weiss man eigentlich erst nach ein bis zwei Jahren, ob der das bringt, was man erwartet hat. Kann er sich in die Tradition und Strukturen eines KMU, so wie wir es mit einem Umsatz von 200 Millionen Franken sind, einfügen? Oder meint er, er müsse das ganze Unternehmen auf den Kopf stellen? Führungskräfte mit Höhenflügen habe ich nicht so gern. Von diesen Kandidaten, die gleich das ganze Unternehmen umkrempeln wollten, hatten wir einige.

Und während dieses Prozesses kamen Sie nie in die Versuchung, das Unternehmen zu verkaufen?

Jedes Jahr erhalte ich mindestens ein Übernahmeangebot. Für Villiger ist Verkauf aber keine Option. Daran habe ich nie gedacht. Ich bin in der Branche aufgewachsen. Der Vorteil der KMU ist ja gerade, dass die Inhaber so verwachsen sind mit ihrem Unternehmen. Dass KMU in der Schweiz der grösste Arbeitgeber sind, sagt auch etwas über den dadurch entstandenen Erfolg aus. Es gibt aber zwei Überlegungen, warum mich ein Verkauf nie wirklich interessiert hat: Das eine ist die gefühlsmäs­sige. Und die andere: Wenn Sie ein Unternehmen verkaufen, kriegen Sie ja Geld. Was mache ich mit dem Geld? Da Anlageberater ja eher Anlageverbrater sind, ist es am sichersten unter dem Kopfkissen aufgehoben. Macht mich das glücklich? Nein, Geld ist keine Triebfeder für mich.

Heute sind Sie Verwaltungsratspräsident, haben drei Geschäftsführer für das operative Geschäft und mit Clemens Gütermann einen Delegierten und Nach­folger. Und doch haben Sie mit 83 Jahren noch einen Zehn-Stunden-Arbeitstag. Warum das?

Ich komme morgens um 10 Uhr ins Büro, mache von eins bis drei Mittagspause und bin dann wieder bis zehn Uhr am Abend hier. Ich nehme mir den halben Tag Zeit für «Management by walking around». Gemäss der Managementliteratur sollte ich mich operativ nicht mehr einmischen. Dort wo es läuft, greife ich auch nicht ein. Aber ich will als Verwaltungsratspräsident auch nicht einfach nur noch Zahlen lesen. Wir hatten ja immer mal wieder grosse Pleiten in der Schweiz. Swissair zum Beispiel. Da sassen hochkarätige Menschen im Verwaltungsrat. Und diese Top-Shots haben das Unternehmen in Grund und Boden gefahren, weil sie überhaupt nicht wussten, was lief. Natürlich sehe ich ein, dass ich irgendwann einmal aufhören muss, mich nicht mehr einmischen kann. Man will etwas, was man aufgebaut hat, aber auch nicht einfach abgeben.

Würden Sie sich als einen klassischen Unternehmens-Patriarch bezeichnen?

Ich war der klassische Patriarch – mit allen Vor- und Nachteilen. Ein kleines Beispiel: die Bonussysteme. Das sind oft fürchterliche Rechenwerke, deren detaillierte Ausarbeitung wahrscheinlich wochenlang Mitarbeiter beschäftigt hat. Die Manager müssen bestimmte Ziele erreichen, dann erhalten Sie neben dem Fixgehalt einen Bonus. Das Problem ist allerdings, dass sich die Manager die Ziele meist selbst setzen. Ich bin dagegen, habe mich aber gefügt. Ich verlass mich lieber auf meine Nase, daher gibt es auch einen patronalen Bonus. Den bestimme noch ich.

Herr Villiger, das zweite grosse Thema neben Ihrer Nachfolge sind die zunehmenden Reglemente der Tabakgegner. Margaret Chan, die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO, hat als Ziel eine rauchfreie Gesellschaft bis Mitte dieses Jahr­hunderts proklamiert ...

... was natürlich utopisch ist. Aber es zeigt, in welche Richtung es geht. Dabei haben wir es mit Anti-Tabak-Kampagnen zu tun, die fast schon mit militantem Eifer geführt werden und durchaus nicht immer nur das gesundheitliche Wohl der Bürger im Blick haben, sondern hinter denen wirtschaftliche Interessen stehen. Und wer welche Kampagnen finanziert, ist nicht immer klar. So hat auch die Pharmaindustrie, die bekanntlich grossen Einfluss hat, ein starkes Interesse an einem Rauchverbot. Raucherentwöhnungsmittel sind jetzt schon ein einträglicher Markt.

Was kommt als Nächstes auf die Tabakindustrie zu?

Brüssel hat eine neue Tabakdirektive vorgelegt. Das sind rund 70 Seiten Reglemente für die Tabakbranche. Das geht von der Verpackung über den Vertrieb bis zum Produkt selbst. Es geht darum, den Konsumenten noch mehr abzuschrecken. Es ist unglaublich, wie da eine Branche niedergebügelt wird. Das ist natürlich ein Schreckgespenst.

Wie bindend sind denn solche Brüsseler Vorgaben für die Schweiz?

Das Bundesgesundheitsamt übernimmt sämtliche Brüsseler Bestimmungen freiwillig. Mit dem Argument, bei einem eventuellen Anschluss an die EU habe man sich dann schon bereits angepasst. Generell werden alle neue Gesetze EU-kompatibel gemacht. Irgendwann, wenn alles übernommen ist, braucht die Schweiz nicht mehr zu diskutieren, ob sie in die EU geht oder nicht. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Ich bin kein EU-Freund. Wir erleben ja hautnah, was alles aus Brüssel kommt. So haben wir in der Schweiz eine relativ ein­fache Verwaltung. In Deutschland ist das schon sehr viel komplizierter. Wenn die ganz EU-Verwaltung noch hinzukommt, kann das ein KMU kaum verkraften ohne externe Hilfe von Rechtsanwälten, Steuerberatern und so weiter. Das ist ein belastender Kostenfaktor.

Zurück zum Tabak. Zweifellos ist Rauchen gesundheitsschädlich, oder sind Sie anderer Meinung?

Natürlich kann Rauchen gesundheitsschädlich sein. Man weiss, dass Nikotin ein Gift ist; es wird zum Beispiel auch bei Pflanzenschutzmitteln verwendet. Es wirkt gefässverengend. Die Frage ist, ob alles, was gesundheitliche Risiken birgt, verboten werden sollte. Das beträfe sicher den Alkohol, Fast Food, den Strassenverkehr und einige Sportarten. Eines der Hauptargumente der Rauchgegner ist, dass Rauchen süchtig macht. Natürlich macht Rauchen süchtig. Alkohol macht auch süchtig. Jeder Mensch muss sich sein Limit selbst setzen. Meine Kinder zum Beispiel sagen, ich wäre an der Grenze des Alkoholikers. Ich trinke ein Glas Wein zum Mittagessen. Ich trinke einen Schnaps zum Kaffee, wie das im Kanton Luzern üblich ist, dann trinke ich am Abend auch noch ein Bier. Gemessen in Milligramm an Alkohol mag die Grenze überschritten sein. Aber ich bin 83 Jahre alt geworden und habe immer noch meinen Verstand. Also, was ich damit sagen will: die Grenze ist natürlich individuell.

Den Tabakgegnern geht es vor allem darum, baldmöglichst keine Zusatzstoffe mehr zuzulassen.

Welche Zusatzstoffe letztlich gesundheitsschädlich sind, weiss man nicht, und weil man das nicht weiss, will man grundsätzlich alle Zusatzstoffe verbieten. Die hinzugefügten Stoffe machen Zigaretten inhalierbar und weicher. Damit werden die Jugendlichen zum Rauchen verführt, und genau das soll ja verhindert werden. Das ist vergleichbar mit Alkopops, die wie die Zigarette als Einstiegsdroge gesehen werden. Unter Beschuss steht daher vor allem die Zigarette. 98 Prozent der weltweiten Tabakproduktion geht in die Zigarette. Zigarren sind also ein Nischenprodukt, das auch frei oder nahezu frei ist von diesen Aromastoffen. Von der neuen Brüsseler Direktive sind wir daher weniger betroffen.

Von den ehemals rund 50 Zigarrenfabriken haben in der Schweiz gerade mal zwei überlebt. Was hat diesen Konzentrationsprozess ausgelöst?

Eine Ursache ist sicher der Siegeszug der Zigarette. Als mein Grossvater das Unternehmen im Jahr 1888 gründete, gab es noch keine Zigaretten. Tabak genoss man in der Pfeife oder als Zigarre. Zigaretten sind erst während des Ersten Weltkriegs entstanden. Anfangs wurden Zigaretten noch von Hand gemacht. Der Vater vom längst verstorbenen Davidoff kam aus dem Orient; er hat angefangen, in Genf Zigaretten von Hand zu machen. Auch heute noch werden, etwa in Indonesien, Zigaretten von Hand produziert. Das ist dort ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor. Diese Zigaretten sind steuerbegünstigt und dienen auch der Beschäftigungspolitik der Regierung. Da steht Gesundheitspolitik gegen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Das gibt es auch in Europa. Uns liegt daran, eine pragmatische Zwischenlösung zu finden.

Die Villiger Söhne AG feiert in diesem Jahr seinen 125. Geburtstag. Ihr Unternehmen gehört zu den letzten beiden überlebenden Zigarrenherstellern in der Schweiz und zählt im Weltmarkt zu den Top ten. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Innovationen, gute Handelsbeziehungen in den Herkunftsländern, eine enge Verbundenheit mit dem Fachhandel, Marketing, gute Mitarbeiter und natürlich Qualitätsprodukte. Tabak ist ein landwirtschaftliches Produkt, und da gibt es natürlich unterschiedliche Qualitäten. Die Qualität fängt also beim Einkauf an. Unser Einkäufer reist praktisch das ganze Jahr in der Welt herum auf der Suche nach den besten Tabaken.

Und welches ist der beste Zigarrentabak?

Fachlich gesehen ist der kubanische der beste Tabak, gefolgt vom brasilianischen. Wir kaufen Tabak weltweit ein. Der Erfolgsfaktor ist aber die Mischung der Tabake, und das ist eine handwerkliche Kunst. Es gibt da keine industrielle Technik. Das ist ähnlich wie bei Tee, Kaffee oder Kakao. Wir haben zum Beispiel eine Jubiläumszigarre mit einem Tabak aus Brasilien. Da haben wir wochenlang geraucht, bis wir die richtige Mischung gefunden haben.

Herr Villiger, gibt es noch eine grosse Herausforderung, die Sie reizt anzunehmen – beruflich oder auch privat?

Wir sind insgesamt gut aufgestellt, stark vor allem in der Schweiz, Deutschland und Spanien. Neben diesen drei Haupt-Absatzmärkten müssen wir unsere Basis noch verbreitern, also den Export noch internationaler ausrichten. In unserer Branche hat die Marke eine unglaubliche Kraft. Da tun wir uns noch etwas schwer, weil unser Image nicht im obersten Segment angesiedelt ist. 60 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit Produkten unter 13 Cent pro Stück. Das soll sich ändern. Privat würde ich mir wünschen, noch einmal eine Reise mit dem Töff unternehmen zu können. «

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