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Interview mir Raoul Egeli

«Ich bin gegen Digitalisierung um jeden Preis»

Raoul Egeli, Verwaltungsratspräsident der Egeli-Gruppe, über den wachsenden Stellenwert des Debitorenmanagements, die Probleme bei der Durchsetzung von Forderungen und die Entwicklung der Digitalisierung.
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Die Egeli-Gruppe hat seit ihrer Gründung im Jahr 1943 eine interessante Entwicklung durchlaufen und sich an den wirtschaftlichen Bedürfnissen orientiert. Wie ist die Gruppe heute aufgestellt?

Unser Unternehmen besteht aus mehreren Gruppengesellschaften, die sich alle aus der ursprünglichen Treuhandgesellschaft weiterentwickelt haben. Wir sind ein Familienunternehmen, dessen Bereiche von verschiedenen Familienmitgliedern ge­leitet werden. Dies umfasst Treuhand, Creditreform, Immobi­lienbewirtschaftung, Informatik und den Druck. 

Ihr Familienunternehmen besteht seit drei Generationen. Was hat sich während der Zeit im Hinblick auf die Unternehmensführung verändert?

Mein Grossvater und mein Vater waren Patrons, die gesagt haben, wo es langgeht. Heute legen wir Wert auf Teamarbeit, wobei wir uns nicht weniger um die Gemeinschaft kümmern. Aber die drei altbekannten K, kommandieren, kontrollieren, korrigieren, sind mittlerweile in ihrer direkten Art überholt, wir setzen mehr auf Eigenverantwortung. Wir müssen Lösungen finden, die für das Unternehmen und die Angestellten gut sind. Ein Arbeitsverhältnis bedeutet: ein gemeinsames Ziel erreichen und die Arbeitsplätze langfristig sichern. 

Gibt es schon eine Nachfolgeregelung, Pläne für die vierte Generation?

In der Egeli Informatik AG ist die nächste Generation bereits eingestiegen. Meine Kinder sind noch in der Ausbildung, aber wir führen auch Gespräche, wie die Nachfolge sein könnte. Wichtig ist es, sich laufend Gedanken zu machen, wer bei einem plötzlichen Ausfall die Funktion übernehmen kann. Das halte ich für sehr wichtig. Sicher bleiben wir ein Familienunternehmen. 

Was hat Sie bewogen, sich speziell um Creditreform zu kümmern?

Ich habe unterdessen mehrmals meinen Beruf gewechselt. Angefangen habe ich im Treuhand-Bereich. Dann übernahm ich Verant­wortung in der Creditreform, die auch das Inkasso umfasst. Inkassoberatung ist ja eine sehr treuhandnahe Dienstleistung. Auch mein Grossvater hat als Treuhänder angefangen und sich immer mehr zum Kredit- und Debitorenmanager entwickelt. Das war für mich die logische Weiterentwicklung. 

Wie arbeiten die Creditreform-Gesellschaften vor Ort mit dem gleichnamigen Verband zusammen?

Creditreform wurde 1888 gegründet, sie ist eine Genossenschaft mit 12 000 Mitgliedern und Kunden. Die Genossenschaft de­legiert die regionale Bewirtschaftung eines Gebietes seit jeher an einen Geschäftsführer. Ich bin Präsident des Schweizerischen Verbandes Creditreform und seit 2014 Präsident von Creditreform International; diese ist der Zusammenschluss von selbstständigen Creditreform-Landesgesellschaften aus 23 Ländern.

Werden zwischen den Landesgesellschaften Informationen ausgetauscht?

Creditreform bietet ein umfassendes Leistungsangebot an. Dies immer mit dem Ziel, den Lieferanten vor Forderungsverlusten zu schützen. Prävention, das bedeutet Bonitätsprüfung, der juristische Ausdruck lautet Kreditwürdigkeitsprüfung, sowie Inkasso. Wir helfen den Kunden, ihre ausstehenden Forderungen durchzusetzen. Die Verbände von 23 Ländern bis hin zu China bilden ein Netzwerk, in dem jedes Land für die Bereitstellung der jeweiligen Auskünfte verantwortlich ist und das Inkasso für die Kunden erbringt. Über unser Online-Portal Crediweb.ch hat man jederzeit direkten Zugriff auf aktuelle Informationen.

Welche Dienstleistungen der Creditreform werden heute am meisten verlangt?

Prävention und Inkasso sind wie Bruder und Schwester, beides ist nötig, um sich effektiv vor Forderungsverlusten zu schützen. In einer Krise verhalten sich Unternehmen oft zu wenig antizyklisch. Man fährt die Kosten herunter und spart oft ausgerechnet bei der Bonitätsprüfung, und das ist falsch. Die Prüfung der Bonität muss unabhängig von konjunkturellen Veränderungen vorgenommen werden. Jetzt in der Coronakrise spielt die Bonität der Kunden eine besonders grosse Rolle. Debitorenmanagement bekommt immer mehr Bedeutung, wenn man dieses vernachlässigt, kann man rasch selbst in Liquiditätsprobleme kommen. Es ist leider so, Firmen mit Zahlungsproblemen bezahlen diejenigen Lieferanten, die am meisten Druck machen.

Was sollten die Unternehmen beim Debitorenmanagement verbessern?

Debitorenmanagement wird in den Unternehmen häufig als vernachlässigbar angesehen. Es ist aber ein Prozess, der sich durch die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens zieht, von der Akquisition über Prävention bis zu Realisation. Das ist wahnsinnig spannend, es geht um die wichtigen Aspekte aus dem Verkauf, der Prozessoptimierung, der Systemintegration, der Rechnungsstellung usw. Ich unterrichte hierzu in Masterlehrgängen an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich und sage immer: Das Kredit- und Debitorenmanagement ist das Bindeglied zwischen dem Verkauf und den Finanzen. Oftmals konkurrieren diese Abteilungen: Die Verkäufer wollen Umsatz machen, die Finanzabteilung das Einkommen sichern. Nur wenn beide Hand in Hand arbeiten und die Ziele sichern, funktioniert das Unternehmen, dessen Leistungsfähigkeit hängt von der Liquidität ab. 

Wie kann man das praktisch erreichen?

Es beginnt beim Vertraglichen, den AGB des Unternehmens; diese müssen so formuliert sein, dass man eine Forderung besser durchsetzen kann. Zu dem Zweck sollten sie schriftlich formuliert werden. Die Verkäufer müssen sensibilisiert werden für die Tatsache, dass Verluste nicht bei der Rechnungsstellung, sondern bereits bei der Akquisition entstehen. Geschäfte sind nur im Rahmen der vorgängig festgelegten Kreditlimite einzugehen. Ist dies nicht möglich, braucht es entsprechende Sicherheiten. Eine Bonitätsprüfung ist bei Neukunden ohnehin immer notwendig. 

Wie steht es denn um die Zahlungsmoral in der Schweiz?

Diese verschlechtert sich generell. So nehmen auch die Konkurse laufend zu. Im Vergleich mit anderen Ländern Europas stehen wir immer noch gut da, aber man muss sich ja an den Besseren messen. 

In welchen Ländern ist die Zahlungsmoral am besten?

Es kommt immer darauf an, woran man es misst, zum Beispiel an den Zahlungszielen. Aber generell kann man sagen, je nördlicher umso besser. Aber auch innerhalb der Länder gibt es gros­se Unterschiede, die abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Region sind. In der Schweiz gibt es in jedem Fall Handlungsbedarf. 

Was gibt es da für Probleme?

Die Durchsetzung einer Forderung ist aufwendig und teuer. Für eine provisorische Rechtsöffnung zur Beseitigung des vom Schuldner erhobenen Rechtsvorschlages braucht man eine Schuldanerkennung, diese liegt in den meisten Fällen aber nicht vor. Dann müsste man den Prozessweg beschreiten, um den Rechtsvorschlag zu beseitigen. Das lohnt sich fast immer nicht. Dazu muss der Gläubiger einen Kostenvorschuss leisten und trägt das Kostenrisiko. Der Kostenvorschuss beläuft sich schnell auf 3000 bis 6000 Franken. Dazu sind die meisten Gläubiger nicht bereit, da es sich einfach nicht lohnt. Das bedeutet, dass die Allgemeinheit die Kosten für diejenigen bezahlt, die einer Forderung nicht nachkommen. In der Praxis beträgt die Konkursdividende weniger als 5 Pro­zent und in nur einigen 100 Fällen pro Jahr kommt es überhaupt so weit. In 95 Prozent aller Fälle werden die Verfahren mangels Aktiven eingestellt oder im summarischen Verfahren geführt.

Sollte man sich also eine Schuldanerkennung be­sorgen, bevor man liefert?

Das wäre das Beste, dann kann man auch das Verfahren durchsetzen. In der Praxis funktioniert das leider nicht so einfach. Wenn der Kunde am anderen Morgen die Lieferung bekommen will, kann man nicht noch eine Schuldanerkennung verlangen. Für eine Schuldanerkennung braucht man immer noch eine physische Unterschrift. Hier gibt es gesetzlichen Handlungsbedarf. Die Geschäfte werden heute nicht mehr Zug um Zug abgewickelt. Es ist also immer der Lieferant, der das Risiko der Vorleistung trägt. 

Was halten Sie vom Corona-Wirtschaftsprogramm?

Positiv ist, dass der Bundesrat schnell gehandelt und ein einfaches, effizientes Verfahren entwickelt hat, das in der Praxis schnell Wirkung zeigte. Ein nachträglicher Kritikpunkt ist: Man hat allen einen Unterstützungskredit gegeben, die sich nicht in Liquidation oder in einem Nachlassverfahren befanden. Man hätte Firmen, die bereits vorher erhebliche Zahlungsprobleme hatten, keinen Kredit geben sollen. Die Konkurse gingen von den Monaten März bis August um etwa ein Viertel zurück, und das ist auf die Corona-Kredite sowie die Kurzarbeitsentschädigung zurückzuführen. Unternehmen nutzten diese auch zur Zahlung von schon vorher bestehenden Forderungen. Konkurse wurden so hinausgezögert. Dazu haben sich öffentliche Institutionen mit Mahnungen sehr zurückgehalten. Die Konkurse und der Bereinigungsprozess werden dadurch auf später verschoben.

Im Parlament wurde im September die Abstimmungsvorlage für die Revision des Datenschutzgesetzes akzeptiert. Was halten Sie davon?

Der Datenschutz wird zu sehr aus dem Gesichtspunkt der zu massregelnden Datenkraken angesehen, vor denen man die Leute schützen will. Trotzdem nutzen alle diese Dienste und sind sich nicht bewusst, dass nichts kostenlos sein kann. Wir müssen aber auch die Bedürfnisse der Unternehmen berücksichtigen, denn sie sind es, die dank ihrer Vorleistung das Ausfallrisiko übernehmen. Als Lieferant gibt man dem Kunden, den man gegen Rechnung beliefert, einen Blankokredit. Deshalb ist die Kreditwürdigkeit vor jedem Geschäft zu prüfen. Folgt man den Argumenten der Konsumentenschutzorganisationen könnte man meinen, dass jeder das Recht auf einen Lieferantenkredit hat. Es gibt aber kein Recht auf eine solche Leistung, darf es auch nicht geben. Zudem tragen die Unternehmen mit der Prüfung der Kreditwürdigkeit dazu bei, dass sich Personen nicht unnötig verschulden. Ein Punkt, der bis zum Schluss der Datenschutzrevision zu Diskussionen Anlass gab, war die Dauer für die Bekanntgabe von Personendaten an Dritte. Die Rats­linke wollte diese auf 5 Jahre beschränken. Sie argumentierten, dass die Frist nicht länger als das Einsichtsrecht ins Betreibungsregister sein darf. Dabei geht das Einsichtsrecht in die Betreibungsakten weiter. Zudem wurde ausser Acht gelassen, dass ein Verlustschein 20 Jahre gültig ist. Es ist gut, dass die zu kurze Frist nun in der Referendumsvorlage auf 10 Jahre festgelegt wurde. Beim Profiling wird nun zwischen einem normalen und einem mit hohem Risiko unterschieden. Leider lässt der entsprechende Artikel viel Interpretationsspielraum offen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Digitalisierung?

Ich bin gegen Digitalisierung um jeden Preis. Wenn man wirklich Wert auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte legt, müssen die Betroffenen bewusster mit den eigenen Daten umgehen. So ist beispielsweise das Beibehalten des Bargeldes zentral, denn dieses bedeutet Kontrolle über einen wichtigen Teil der Privatsphäre. Onlinezahlungen hinterlassen viel mehr Datenspuren. Mit dem Argument der Terrorbekämpfung oder der Vermeidung von Geldwäscherei wird versucht, es abzuschaffen. Nun hilft auch noch Covid mit dem kontaktlosen Bezahlen. Ich sehe auch ein Problem in der Digitalisierung bei der Beratungsbereitschaft von Unternehmen. Es kann nicht sein, dass man sich kostenlos beraten lässt, aber dann online zum günstigsten Preis einkauft. Fakt ist: Der Treiber der Digitalisierung ist die Bequemlichkeit des Menschen. 

Wie digital ist denn Ihr eigenes Unternehmen?

Der weitaus grösste Teil unseres Geschäftes bei Creditreform erfolgt digital. Wir haben bereits in den 1990er-Jahren mit der Digitalisierung begonnen. Trotzdem legen wir sehr viel Wert auf die persönliche Beratung. 

Was halten Sie von Homeoffice?

Den Begriff «Homeoffice» betrachte ich als unangebracht. Ich würde das «Mobile Office» nennen. Es kommt doch nicht darauf an, ob man von zu Hause aus, unterwegs oder im Büro arbeitet. Wir müssen generell viel flexibler werden. Nur leider läuft dies dem Arbeitsgesetz zuwider. Was ich aber extrem positiv fand, war, wie die Mitarbeitenden in der Coronakrise Eigenverantwortung übernommen haben und alles reibungslos funktioniert hat. In unserem Unternehmen haben alle 180 Mitarbeitenden an einem Strick gezogen, das war grossartig. 

Wie haben Sie das konkret organisiert?

Wir verfügten schon weitgehend über die Infrastruktur, sodass rund 80 Prozent von zu Hause aus arbeiten konnten. Einigen gefällt es, von zu Hause aus zu arbeiten, andere kommen gern wieder zurück. Dem versuchen wir Rechnung zu tragen. Zu Hause bleiben sollen vor allem die Leute der Risikogruppen oder Eltern, die Kinder zu betreuen haben. Aber es gibt auch bei uns Stellen, bei denen Arbeit von zu Hause aus nicht möglich ist. Wir müssen sicherstellen, dass wir ein ausgewogenes Verhältnis derjenigen Personen haben, die im Geschäft arbeiten, um lang­fristig die Ausbildung aller Mitarbeitenden sicherstellen zu können, denn Covid ist leider noch nicht so rasch vorüber. 

Wird das auf Dauer möglich sein?

Zentral ist der Mensch. Unser Ziel ist es, den Mitarbeitenden Eigenverantwortung zu übertragen. Nur so gelingt es uns, auch in besonderen Zeiten wie diesen, eine gute Dienstleistung zu erbringen.

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