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Interview

«Es wäre schön, wenn die Leute mehr über ihr Essen nachdenken»

Daniel Frei, Mitinhaber und CEO der Tibits AG, über den ethischen Anspruch einer familiengeführten Restaurantkette, die negativen Folgen der Globalisierung auf die Nahrungsmittelproduktion und den Wert einer «analogen Gastronomie» in digitalen Zeiten.
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Herr Frei, wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich im Bereich vegetarische Ernährung zu engagieren?
Meine Brüder und ich sind schon über 25 Jahre Vegetarier. Damals gab es in den Restaurants nur wenig Auswahl an vegetarischen Gerichten, man bekam häufig nur einen Gemüseteller oder das Menü, aber ohne Fleisch. Mein Bruder Reto absolvierte an der ETH das Studium Betriebs- und Produktingenieur. Dort erfuhr er von dem Businessplanwettbewerb «Venture 98», ein Wettbewerb für neue Geschäftsideen, der von der ETH und dem Unternehmensberater McKinsey ins Leben gerufen wurde. Wir drei Brüder fassten den Entschluss, uns gemeinsam zu beteiligen, und entwickelten das Projekt «V», vegetarische Restaurants, bei denen der Genuss im Vordergrund stehen sollte. Mit der Idee erreichten wir einen der ersten zehn Plätze und wurden zweimal prämiert. Die Medien berichteten über unsere Idee, unter anderem auch die Sendung «10 vor 10».

Wie gründeten Sie dann die Firma Tibits?
Wir erklärten den Medienvertretern, dass wir einen Restaurantbetrieb gründen wollten und einen Partner suchen. Rolf Hiltl, vom Haus Hiltl in Zürich, las einen Artikel über das Projekt und erkannte meinen Bruder auf dem Foto als Stammgast seines Restaurants. Er kontaktierte uns und bot uns Unterstützung und eine Beteiligung an. Da wir uns sympathisch waren, gründeten wir gemeinsam eine AG, bei der die Hiltl-Familie und unsere Familie je 50 Prozent Aktienanteil übernahmen.

Was unterscheidet Tibits von Hiltl?
Wir sind wie Bruder und Schwester, die ähnlich sind, aber nicht gleich. Bei Hiltl werden die Gäste auch am Tisch bedient. Im Tibits bedient sich der Gast am Buffet, kann seine Zeit selber einteilen, man muss nicht warten, bis die Bedienung kommt. Ein Vorteil ist, dass beim Buffet relativ wenig Nahrungsmittel verschwendet werden, jeder kann sich holen, was er gerne isst und nur soviel er mag. Wir haben am Anfang viel von der Partnerschaft mit Hiltl profitiert, zusätzlich entwickelten wir eigene Ideen. So wurde Tibits zu einer neuen Art von Restaurant.

Die Verschwendung von Lebensmitteln ist ein Riesenproblem. Wie verwerten Sie die Reste?
Wir arbeiten mit einer Foodsharing-Organisation zusammen, die eine Verwertung der Reste ermöglicht.

Aus welchen Gründen sind Sie Vegetarier?
Wir sind Vegetarier aus Überzeugung und haben das Ziel, etwas Sinnvolles zu machen. Mein Bruder Christian engagierte sich zusätzlich im Tierschutz. Unsere Mutter ist Italienerin, sie hat uns kochen und die Liebe zu gutem Essen gelehrt, aber unsere Eltern essen beide Fleisch. Wir wollen nicht mit dem Zeigefinger moralisieren, sondern die Leute überzeugen mit feinem vegetarischem und veganem Essen und guter Qualität. Immer mehr Leute erkennen die Vorzüge von vegetarischer Nahrung. Aber aufdrängen wollen wir unsere Ansichten niemandem.

Woher beziehen Sie Ihre Produkte?
Wir beziehen grundsätzlich regionale Produkte, wie zum Beispiel Sojabohnen aus dem Rheintal oder Kartoffeln, Randen aus dem Aargau. Wir lassen auch eigene Rüebli mit dem von uns ausgewählten Saatgut in der Schweiz anbauen. Gemüse und Früchte müssen aber nicht zwingend biologisch sein, Qualität und die verfügbare Menge sowie kurze Transportwege sind genauso wichtig. Alle Brote, das gesamte Patisserie-Angebot und alle Milchprodukte sind mindestens in Bio- oder Demeter-Qualität. Die Globalisierung wirkt sich in diesem Bereich negativ aus.

Wie könnte man das ändern?
Wenn man die externen Kosten auf die Preise schlagen würde, dann käme es nicht vor, dass man zum Beispiel Erdbeeren in Italien anpflanzt, in Ungarn wäscht, in Rumänien schneidet und in Holland verkauft. Man muss wieder den gesunden Menschenverstand anwenden und auch mal auf etwas verzichten. Es ist nicht notwendig, Saisonprodukte aus anderen Kontinenten herzutransportieren, um sie das ganze Jahr zu essen. In Bezug auf die Globalisierung beobachte ich auch eine Trendumkehr, viele Leute gehen wieder zurück zu den Wurzeln.

Wie setzen Sie sich gegen die Grossverteiler durch, die auch vegetarische Menüs anbieten?
In den letzten 20 Jahren hat sich im Bereich Essen und Trinken sehr vieles entwickelt. Wir müssen uns mit Innovation und Qualität behaupten. Genussvolle Vielfalt ist ein Credo von Tibits von Anfang an. Viele Gäste schätzen unser Angebot auch, weil sie keine Zeit oder Möglichkeit haben, solche Gerichte selber zu kochen. Im Moment ist vegetarisches Essen auch Mode. Deswegen bieten nun auch die Grossverteiler vegetarisches Essen an. Wir finden es super, denn das ist gut für die Welt. Bei uns ist es wie gesagt nicht eine Modesache, sondern ein Engagement aus Überzeugung. Wenn wir die Leute für vegetarisches Essen begeistern können, nützen wir auch Tier und Umwelt.

Im Restaurant verteilen Sie die Zeitung «Salatblatt», hübscher Name. Produzieren Sie diese selber?
Ja, das ist eine Zeitung für unsere Gäste, mit Neuigkeiten aus dem Tibits, Rezepten, Ernährungstipps und manchmal Interviews mit Gästen. Wir bieten auch eine Memberkarte an, die Karteninhaber erhalten fünf Prozent auf den Aufladebetrag gutgeschrieben und geniessen auch andere Vorteile.

Welche Zielgruppe wird von Ihrem Angebot besonders angesprochen?
Es sind bewusst lebende Menschen, die genussvolles und gesundes Essen und Trinken schätzen. Die Mehrheit unserer Gäste sind Frauen, aber der Anteil der Männer nimmt stetig zu. Sonst ist die Kundschaft sehr gemischt, alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten sind vertreten. Auch Ernährungsberater empfehlen uns, weil man das eigene Ernährungsschema zusammenstellen kann, auch wenn man bestimmte Sachen nicht verträgt. Wir benutzen keine künstlichen Zusatzstoffe oder gar Geschmacksverstärker und deklarieren alle unsere Zutaten sehr präzise, sodass die Gäste sich sehr gut orientieren können im Falle von Unverträglichkeiten.

Wie erklären Sie es als Fachmann, dass Allergien immer mehr zunehmen?
Man manipuliert die Nahrungsmittel, und zwar nicht nur gentechnisch. Man züchtet Pflanzen, die offenbar nicht alle vertragen. Die Nahrungsmittelindustrie konstruiert Lebensmittel, die geradezu süchtig machen, zum Beispiel durch zu viel Zucker.

Gegen vegane Ernährung gibt es auch die Kritik, dass man mit bestimmten Nährstoffen nicht ausreichend versorgt wird. Was meinen Sie dazu?
Veganer müssen dafür sorgen, dass sie genug Eiweiss, Kalzium und Vitamine bekommen, unsere Gerichte enthalten dies. Was man extra einnehmen muss, ist Vitamin B12, das kommt in veganen Gerichten kaum vor. Ich selber ernähre mich nicht vegan, aber vegetarisch.

Wie haben Sie Ihr Unternehmen finanziert?
Wir drei Brüder mussten ein privates Darlehen aufnehmen. Die Familie Hiltl übernahm 50 Prozent der Finanzierung, bzw. der Aktien, die Anteile sind immer noch im Familienbesitz. Es gibt Parallelen: Hiltl wurde 1898 gegründet, Tibits 1998. Der Gründer von Hiltl, Ambrosius Hiltl, war wie wir ein Quereinsteiger. Er heiratete eine Köchin und baute mit ihr die Firma auf.

Tibits ist ein Familienunternehmen. Wünschen Sie sich, dass die Firma später in der Familie bleibt?
Das wäre natürlich ideal, wir wollen aber unsere Kinder nicht dazu drängen. Aber wir bereiten sie auf diese Möglichkeit vor. Zusammen mit der Familie Hiltl haben wir eine Familiencharta erarbeitet und in dem Dokument einiges festgelegt, darunter Regelungen für die Mitarbeit der Kinder im Betrieb, allfällige Übergabe von Aktien an die Kinder und so weiter. An einem ersten «Familien-Charta-Treffen», im Rahmen eines Skiwochenendes, haben wir den Kindern die Geschichte und die Entwicklung der Firma präsentiert und die Möglichkeiten im Tibits aufgezeigt. Die Kinder müssen aber von sich aus in den Betrieb einsteigen wollen und das auch können, beziehungsweise sich die notwendigen Fähigkeiten erwerben. Unser Ziel war immer, unseren Familienbetrieb langfristig aufzubauen und wenn möglich an die nächste Generation weiterzureichen. Die Zeit vergeht rasch und irgendwann muss man loslassen.

Wie beurteilen Sie die Situation der Gastronomie in der Schweiz, auch im Hinblick auf den hohen Frankenkurs und die Konkurrenz in grenznahen Gebieten in Deutschland und Frankreich?
Ich wohne in St. Margrethen, meine Frau stammt aus Österreich. Da beobachten wir, wie viel die Schweizer jenseits der Grenze einkaufen. Für Gastronomen, die nicht spezialisiert sind, ist das ein Problem. Es gibt auch Gegenbeispiele: Ich kenne bei uns in Grenznähe ein Schweizer Lokal, das trotz des hohen Frankenkurses auch von vielen Österreichern und Deutschen gern besucht wird, weil es konstant gute Qualität anbietet. Die Gäste müssen Vertrauen haben und man muss sich auch immer weiterentwickeln.

Wie ist Ihre Meinung zur Beziehung zwischen der Schweiz und der EU?
Wir benötigen eine gute Zusammenarbeit mit der EU, wir können uns nicht verschliessen, auch weil viele unserer Firmen in die EU exportieren wollen. Den Euro halte ich allerdings für eine Fehlkonstruktion. In Europa sind die Kulturen und Mentalitäten in den Ländern zu unterschiedlich für eine gemeinsame Währung. Der Grundgedanke der EU, die Idee von Frieden und Sicherheit, ist positiv. Wir brauchen Freizügigkeit in einem gesunden Mass. Die Masseneinwanderungsinitiative wirkt sich aus. Beispielsweise wollten wir einen ausländischen Koch einstellen, der auf vegane Küche spezialisiert ist, und bekamen dafür keine Bewilligung. Eine spezialisierte Fachperson fanden wir nicht in der Schweiz. Das kann einer Firma schaden. Wir beschäftigen aber sonst Menschen aus 70 Nationen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Menschen, die sicher aus unterschiedlichen Kulturen kommen?
Meine Brüder und ich sind weltoffen, unsere Eltern haben mehrere Jahre im Ausland gewohnt, ich bin in Barcelona geboren, mein Bruder Christian in Maracaibo in Südamerika. In unserer Firma gelten die gleichen Regeln für alle und ein gemeinsames Ziel. Dazu erwarten wir als Geschäftsleitung, dass alle mit Wertschätzung und Respekt miteinander umgehen, wobei Religion und Herkunft keine Rolle spielen dürfen. Bei der Einstellung führen wir Deutschprüfungen durch. Wer diese nicht besteht, muss Deutschkurse besuchen, diese bieten wir gratis an. Wir fördern unsere Mitarbeiter, aber wir fordern sie auch, damit sie sich integrieren und entwickeln. Es braucht Zeit, aber es lohnt sich. So wird die Vielfalt bereichernd und wir lernen voneinander. Das ist auch ein Beitrag an die Integrationspolitik. Wir schaffen auch gern Arbeitsplätze, so haben wir Ende September unser neues Restaurant in St. Gallen direkt am Bahnhofsplatz eröffnet.

Was denken Sie über Firmen wie Nestlé und Monsanto?
In der Wirtschaft brauchen wir wieder mehr Ethik. Natürlich darf und muss man trotzdem Gewinn machen. Nicht das Geld darf im Vordergrund stehen, sondern der Gast beziehungsweise der Kunde, die Menschen und die Umwelt. Der negative Einfluss des Menschen auf die Natur ist Realität und ist nicht zu leugnen.

Wie wird sich die Gastronomie entwickeln?
Es wird härter, der Kuchen wird nicht grösser, da es immer mehr Mitspieler gibt.  Sicher wird die Digitalisierung in Zukunft noch eine grössere Rolle spielen, es wird Möglichkeiten geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Trotzdem wird es Orte brauchen, wo man sich «analog» austauschen und treffen kann; das Restaurant kann diese Funktion übernehmen.

Auch wenn sich die Gäste mit dem Handy beschäftigen?
Vielleicht gibt es mal Wifi-freie Restaurants oder solche, wo man das Handy abgeben muss. Für die Zukunft hoffe ich, dass die Gäste die Gastronomen belohnen, die innovativ, authentisch und ethisch korrekt arbeiten und gute Qualität anbieten und dass man genussvolles Essen weiterhin schätzt. Es wäre schön, wenn die Leute über ihr Essen mehr nachdenken würden.

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