Interviews

Interview mit Thomas Wiesmann

«Eine Küche ist wie eine Theaterbühne»

Thomas Wiesmann, Gründer und Geschäftsleiter der Wiesmann Küchen AG, über das Verhältnis zur «Billig-Konkurrenz», vernetzte Küchengeräte als Nischenprodukte sowie veränderte Kochgewohnheiten.
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Herr Wiesmann, Sie konzipieren und realisieren individuelle Küchen. Welche Zielgruppe sprechen Sie damit konkret an?

Unsere Kunden sind Privatpersonen, meistens Inhaber von Häusern und Eigentumswohnungen, sowie Investoren, Grosskonzerne wie die SBB und so weiter. Für Mietwohnungen sind unsere Produkte weniger gefragt. 

Was hat Sie vor mehr als 40 Jahren bewogen, sich als Küchenspezialist zu etablieren?

Die Küche betrachte ich nicht als Möbel, sondern als immobilen architektonischen Bestandteil des Hauses, das fasziniert mich. Um Küchen einzurichten, benötigt man auch Kenntnisse über Architektur, sonst funktioniert es nicht. Mein Vater war Kunstmaler und hat mir ästhetisches Wissen mit auf den Weg gegeben. Andere notwendige Kenntnisse habe ich mir selber angeeignet. 

Sie entwickeln innovative Konzepte, welche sind die wichtigsten und wodurch unterscheiden sie sich von denen Ihrer Konkurrenz?

Seit 15 Jahren gehört der «Everest Sky» zu unseren Haupt­angeboten. Dabei handelt es sich um eine im Raum stehende Arbeits- und Kochfläche, bei der das Induktionskochfeld fugenlos integriert ist.

Wie schützen Sie Ihre Innovationen, zum Beispiel durch Patente?

Es gibt kaum Versuche, unsere Innovationen zu kopieren. Dies wäre auch schwierig durchzuführen. Patentieren kann man nur einzelne Bestandteile, wie Schrauben, Scharniere und so weiter. Patente für die ganze Konstruktion, zum Beispiel den «Everest Sky», sind aber nicht möglich. Das ist kein fertiges Möbel, wie etwa ein Stuhl. Man kann es in verschiedenen Varianten zusammenbauen und wieder auseinandernehmen. 

Welche Fläche muss man mindestens zur Verfügung haben, um eine Wiesmann-Küche zu installieren?

Das hängt von den Verhältnissen in den betreffenden Häusern ab. Meiner Ansicht nach hat man aber in den letzten Jahren viel zu grosse Küchen gebaut, vor allem in den offenen Häusern. In diesen geht man viele unnötige Wege. Das Beste ist eine Schiffskombüse, da kann man auf kleinstem Raum alles zusammenstellen, was man zum Kochen braucht. Wir hatten mal ein Konzept, bei dem wir berechneten, wie viel Raum man mindestens für eine Küche braucht. Diese Küchen waren dann 1,80 Meter mal 1,20 Meter gross. Bei den Kunden fanden sie aber kaum Anklang, wir haben nur wenige davon verkauft. 

Das ist erstaunlich, Raum ist doch heutzutage ein Luxus. Wie löst man das Problem sonst?

Man hat oft die Wände zur Küche geöffnet, in einigen Häusern sogar entfernt. Das lag auch daran, dass in den letzten Jahrzehnten die Kosten für Wohnraum in der ganzen Schweiz extrem gestiegen sind. Die Wohnungen wurden infolgedessen immer kleiner. Um die Räume zu vergrössern oder zumindest diese Illusion zu erwecken, wurden die Wände entfernt, eben auch die zur Küche. Zu den neuen Architekturideen gehört aber die Erkenntnis, dass Wände Spannung im Raum erzeugen, grosse Räume ohne Wände wirken langweilig. Der neue Trend geht zu Unterbrüchen, Wänden und sogar Abgeschlossenheit. Eine tolle Idee hatte einer meiner Kunden, der sich einen roten Vorhang vor der Küche einbauen liess. Das bestätigt meine Ansicht, die ich in vielen Vorträgen vertreten habe: Eine Küche ist wie eine Theaterbühne. 

Welche Farben empfehlen Sie für eine Küche?

Wiesmann: Meine Haltung ist seit 30 Jahren gleich, die Küche sollte in neutralen Farben und ruhigen, erdigen Tönen gehalten sein, unsere Möbel bieten wir in diesen Farben an. Die Arbeitswelt ist so hektisch, deswegen sollte die Küche beruhigend wirken. Wenn jemand kräftige Farbe wünscht, empfehle ich die Wände farbig zu streichen, das lässt sich leichter ändern. Küchenmöbel muss man ganz austauschen, wenn einem die Farbe verleidet ist.

Wie viel Geld investiert man normalerweise in Ihre Küchen?

Die Spannweite geht von 30 000 Franken bis zu 200 000 Franken, je nach den Wünschen, die die Kunden haben. 

Wie setzen Sie sich gegen die Konkurrenz der Billig­anbieter durch?

Absolut nicht, wir lassen die Billiganbieter, wo sie sind. In den letzten Jahren haben sich die beiden Küchenanbieter Bruno Piatti und Veriset Küchen AG bis aufs Blut mit Billigangeboten konkurrenziert. Piatti war der Verlierer, die AG ging 2017 in Konkurs. Das passierte in den besten Jahren des Küchenbaus, da hätte man die Preise erhöhen sollen.

Sie haben ein Konzept «Aus Alt mach Neu». Worum geht es da?

Wir machen dabei aus einem alten Raum einen neuen, das demonstrieren wir auf vielen Vorher-nachher-Bildern. Der Raum wird vollständig geleert und planerisch neu entwickelt nach den Wünschen der Kunden. Dabei entwickeln wir mehrere Konzepte, wie die Küche nachher aussehen könnte. 

Was macht man mit den gebrauchten Materialien und Möbeln? 

Alte Möbel und Geräte versuchen wir zu verkaufen, das erledigen wir selber. Recycling ist für die Möbelbranche schwierig. Der Küchenanbieter Bulthaup hat Anfang der 1990er-Jahre Baumwollhüllen für den Transport hergestellt, die man bis zu 50 Mal verwenden konnte. Die Kartonindustrie – diese verdient immens mit ihren Verpackungen – hat dafür gesorgt, dass dieses Produkt boykottiert wurde. Es war politisch nicht möglich, den Transport mit Baumwollhüllen durchzusetzen. 

Wie lange hält eine Küche?

Die Möbel haben etwa dreimal so viel Lebensdauer wie die 
Geräte. Beim Neukauf muss man nicht nur die Energieetikette berücksichtigen, sondern auch die «graue Energie», die für Produktion und Transport verbraucht wird. Hinzu kommt, dass man die Lebensdauer von Geräten manipulieren kann. Die Elektronik wird zerstört. Dann muss man ein Gerät entsorgen, das noch jahrelang brauchbar wäre, wenn das betreffende Teil funktionieren würde. 

Noch eine Frage zum Thema Nachhaltigkeit: Wie kann man Energie sparen in einer Küche?

Zum Beispiel sind Induktionsherde stromsparend und beliebt. Auch bei Kühlschränken wird auf die Energieetikette geachtet. Unsere Kunden besitzen aber zwei oder drei Kühlschränke, da braucht man auch bei energiesparenden Modellen mehr Strom. Ebenso ist es mit Backöfen, man braucht mehrere, um verschiedene Gerichte gleichzeitig zuzubereiten. Zu unseren Küchen gehören auch Grünabfallkühler, um Gerüche zu vermeiden. 

Was halten Sie von Systemen, die den Dampf nach unten transportieren?

Von unseren Kunden wird das nicht gewünscht. Das widerspricht sowohl den physikalischen Gesetzen wie einem professionellen Kochgefühl. Beim Kochen oder Anbraten geht der Dampf nach oben, beim Anbraten zischt es. Die Theorie dieser Systeme ist, den Dampf aufzufangen, bevor er überhaupt aufsteigen kann. Aber die Kunden sind damit offensichtlich zufrieden, das zeigt, dass sich die Kochgewohnheiten ändern.  

Inwiefern?

Man kocht immer seltener. Häufig benützt man vorgefertigte Produkte, das beginnt schon bei Kleinkindern mit der Babynahrung. Junge Leute sind an künstliche Geschmackstoffe schon so gewöhnt, dass sie zum Beispiel frisch zubereiteten Kartoffelstock gar nicht mehr mögen. Andererseits gibt es einen Trend zum vegetarischen, sogar zum veganen Kochen, für das man bestimmte Kochtechniken anwendet, wie zum Beispiel Dämpfen oder Garen. Das ist eine Lebenseinstellung und zeigt, dass die Menschheit in einem Umbruch ist. 

Was halten Sie von Kühlschränken und sonstigen Küchengeräten, die man mit einer App kontrollieren kann, was ja auch datenschutzrechtlich nicht unproblematisch ist?

Es handelt sich um Nischenprodukte für einen kleinen Teil unserer Kundschaft, welche die Vorzüge schätzen. Beispielsweise einen Backofen, den man mit dem Handy steuern kann. Man kann so einen Braten schon backen lassen, bevor man zu Hause ist. Steckt man im Stau, lässt sich der Ofen so regulieren, dass der Braten zu Hause so schmeckt, wie wenn man ihn am Ort zubereitet hätte. Es ist immer noch die eigene Entscheidung, wie man mit solchen Einrichtungen umgeht. Heute gibt es ja schon eine Bewegung von Leuten, die ihr Handy bewusst zu Hause lassen. Das finde ich sehr vernünftig.  

Wären die Produzenten bereit, wieder die Produkte ohne Überwachungselektronik herzustellen, wenn die Kunden das wünschen?

Oft kaufen die Kunden das, was angeboten wird. Das Smartphone haben wir uns ja auch nicht gewünscht, es war eines Tages einfach da. Nicht die Kunden bestimmen die Wirtschaft, sondern der Markt. 

In vielen Fällen sind neue Produkte unpraktischer als alte. Ist das im Küchenbereich auch so?

Beispielsweise sind Küchenschränke und Schubladen ohne Griffe optisch sehr schön. Aber in letzter Zeit besteht die Tendenz, dass man wieder Griffe montiert.

Gibt es Produkte, die praktischer sind als früher?

Beispielsweise Spannteppiche, diese werden wieder Mode. Die Leute haben genug von kalten Böden, auch in den Küchen. Die heutigen Teppichtextilien sind praktischer als die alten, sie bestehen aus Mikrofasern und haben eine Nanooberfläche, die sich leicht reinigen lässt. Es können sich auch keine Milben einnisten. Aber auch für Steinböden und -oberflächen gibt es heute effizientere Putzmittel als früher. 

Wie finden Sie heraus, welche Wünsche die Kunden haben?

Ich fülle zusammen mit meinen Neukunden einen neunseitigen Fragebogen aus, das bedarf einer zwei- bis dreistündigen Sitzung. Wenn Paare gemeinsam eine Küche einrichten wollen, möchte ich immer, dass beide an den Gesprächen teilnehmen. Wenn einer allein kommt, läuft das nie gut. Dann kommt man begeistert nach Hause mit einem Konzept und der andere Partner fängt an zu kritisieren, zum Beispiel Einrichtungen, Technik, Farbe. Dann muss man neu anfangen, es kann sogar zu Beziehungskrisen kommen. Die Kücheneinrichtung wird manchmal sogar als Mittel betrachtet, um eine Beziehung zu retten.

Gelingt das denn? 

Es funktioniert normalerweise überhaupt nicht. Ich bin kein Paar-Therapeut und kann keinen gesicherten Beitrag zur Beziehungsverbesserung leisten, aber mir gelingt es, Einigkeit in Bezug auf das Küchenprojekt zu erzielen. Manchmal gibt es unter Partnern auch Meinungsunterschiede in Bezug auf die Prio­ritäten, der eine Partner will das Geld lieber für ein anderes Projekt investieren. Es kommt vor, dass schon ein fertiges Konzept besteht, aber der Auftrag dann entzogen wird. 

Verlangen Sie in solchen Fällen Honorar für die Projektplanung?

Wir verrechnen nichts, wir wollen den Auftrag. Die meisten Kunden kommen wieder und dann richten wir die Küche ein. Hätten wir etwas verrechnet für das Konzept, wäre das mit einer negativen Erinnerung verbunden, und die betreffenden Leute würden wohl einen anderen Anbieter suchen. 

Wie organisieren Sie Ihre Werbung?

Das Internet ist dafür ein ganz wichtiges Medium. Wir sorgen dafür, dass unser Auftritt regelmässig gepflegt wird und dass wir über Google leicht zu finden sind. 

Wie sieht es aus mit «Mund-zu-Mund-Werbung»?

Diese ist in der Schweiz nicht sehr verbreitet, gerade in besonders wohlhabenden Kreisen reden die Leute nicht so offenherzig darüber, wo sie sich ihre Einrichtungen besorgen. Man muss nicht zeigen, was man hat. In anderen Ländern ist das anders. Auch in der Schweizer Mittelschicht ist die «Mund-zu-Mund-Werbung» weitaus häufiger als in der Oberschicht, besonders wenn die Leute begeistert sind. 

Die Wiesmann Küchen AG wurde von Miele mit dem höchsten Partnerstatus ausgezeichnet. Was bedeutet das für Sie?

Wir bekommen Preisvorteile und vor allem stehen wir bei der Miele-Kundenvermittlung an oberer Stelle. Natürlich zeigt das auch unseren Status. Ein Kunde, der das liest, sieht, dass wir uns mit den Geräten auseinandersetzen. 

Wo werden Ihre Kücheneinrichtungen produziert? 

In Zeil, in Deutschland. Wir haben selber eine Manufaktur in Wallisellen, wo wir Ergänzungen und Spezialteile für unsere Angebote herstellen. 

Welche Kriterien gibt es für Marktschwankungen in dem Küchenbereich?

Die üblichen: Börsenkurse, Konjunktur. Die Gefahr, dass es einen Zusammenbruch oder sonstige negative Entwicklungen gibt, halte ich im Moment für gross. In den letzten Jahren haben Banken und Versicherungen viel investiert in Liegenschaften, die nicht bewohnt sind, das wird Nachwirkungen haben. Andererseits wird wieder mehr in Europa oder in der Schweiz produziert, wenn Trumps Zollpolitik sich durchsetzt. 

Welche Ausbildung braucht man, um bei Ihnen zu arbeiten?

Unsere Angestellten haben alle eine Schreinerausbildung, das ist die beste Grundlage für unser Geschäft. 

Wie schwierig ist es, geeignete Handwerker zu finden?

Es wird immer schwieriger, die jungen Leute lernen immer seltener handwerkliche Berufe. 

Sie engagieren sich sehr für die Weiterbildung Ihrer Angestellten. Wie organisieren Sie diese und welches sind die Herausforderungen dabei?

Es gibt ein grosses Angebot von Weiterbildungen, die ich teilweise selber organisiert habe und die weitergeführt werden. Ich habe mich für eine Spezialisierung der Schreinerlehre Richtung Küchenbau eingesetzt, das wäre der vierte Jahresteil geworden. Leider kam das nicht zustande. Es ist schwierig, in unserem Staat Neuheiten durchzusetzen, solche Vorgänge müssten effizienter sein und die Zusammenarbeit verbessert werden. Ein Beispiel: Vor Jahren hatte die Schweiz zwei Küchenverbände, die verschiedene Normen vertraten. Die beiden Organisationen bekämpften sich, und jeder wollte besser sein als der andere. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass sie sich vor zehn Jahren zum Verband Küche Schweiz zusammengeschlossen haben, ich war nachher jahrelang Präsident.

Haben Sie schon die Nachfolge für Ihr Unternehmen geplant?

Das Geschäft habe ich seit 1972 selber aufgebaut. Seit anderthalb Jahren arbeite ich mit meinem Sohn zusammen. Es ist geplant, dass er das Geschäft später übernehmen wird. Ursprünglich war die Firma eine Kommanditgesellschaft, aber diese habe ich 2011 in eine AG umgewandelt. Mein Treuhänder und Buchhalter empfahl mir das, eine AG ist einfacher zu vererben oder sonst zu übertragen. Personengesellschaften hängen zu stark von bestimmten Personen ab.

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