Interviews

Interview mit Daniel Küng

«Die Schweizer werden wieder selbstbewusster»

Daniel Küng, CEO von Switzerland Global Enterprise (vormals Osec), über die Internationalisierung Schweizer Unternehmen, interessante Zielmärkte für KMU und die Zukunftsperspektiven für die Euro-Märkte.
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Herr Küng, welche Fragen und Probleme haben KMU besonders oft im Zusammenhang mit Geschäften im Ausland?

Eine wichtige Frage, die viele Unternehmensleiter stellen, ist: Welches ist der ideale Markt für unser Produkt? Es gibt sehr viele interessante Zielmärkte für Schweizer Exporteure und man fragt sich: Exportiere ich nun am besten nach Japan, China oder nach Deutschland? Oft folgt eine Beratung, bei der untersucht wird, welches der ideale Zielmarkt für ein bestimmtes Unternehmen ist. Wir kennen die Märkte und ihre Eigenheiten.

Welches sind die begehrtesten Märkte für Schweizer Unternehmen?

Zwei von drei Anfragen beziehen sich auf die umliegenden Länder wie Deutschland und Frankreich. Dann sind natürlich die stark wachsenden Märkte interessant wie die BRIC-Länder China und Indien, aber auch Südafrika. Es gibt eine Menge Nischenmärkte, die für bestimmte Produkte sehr interessant sein können, zum Beispiel die Vereinigten Arabischen Emirate oder asiatische Länder wie Thailand, Indonesien und die Philippi­­nen. Auch in Amerika gibt es interessante Märkte wie Mexiko, Peru oder Kolumbien. Und die USA ist immer noch einer unserer wichtigsten Handelspartner.

Die Schweiz ist also nicht allein auf die EU und die USA angewiesen?

Nein, überhaupt nicht. Vor vier bis fünf Jahren gingen 63 Prozent der Exporte nach Europa, jetzt nur noch 58 Prozent. Immer mehr Exporte gehen nach Asien. In der ASEAN-Region entwickelt sich gerade ein einheitlicher Wirtschaftraum mit 600 Millionen Einwohnern. Es bestehen bereits Freihandelsabkommen mit Japan, China, Südkorea, Australien, Neuseeland und Indien.

Dann müssen wir mit starker Konkurrenz rechnen?

Natürlich gibt das eine riesige Konkurrenz, auch im Bereich der Angebote. Aber wir können uns aufpfropfen und neue Märkte erobern. Und die Konkurrenz wirkt sich auch positiv aus. In der Schweiz sind die Sektoren, die am meisten im Wettbewerb stehen, die produktivsten, zum Beispiel Chemie, Pharma, Feinmechanik usw. Wo wir uns abschotten, z. B. in der Landwirtschaft, ist die Produktivität am niedrigsten.

Wird uns also das Freihandelsabkommen mit China auch beim Zugang zu anderen Märkten nützen?

Das Freihandelsabkommen bietet viele Chancen, z. B. einen verbesserten Marktzugang, geringere Zölle, eine Vereinfachung der Zollprozeduren, besserer Schutz des geistigen Eigentums und generell höhere Rechtssicherheit. Aber auch in Bezug zu anderen Märkten gibt es Vorteile: Wir können uns mit der chinesischen Expansion in Afrika und Südamerika ebenfalls positionieren. Wie immer hat das Chancen und Gefahren. Man muss die Chancen nutzen und die Gefahren im Blick behalten und aktiv managen.

Ist der Innovationsschutz ausreichend?

Mit dem Freihandelsabkommen wird der Rechtsschutz eindeutig verstärkt. Das Sprichwort «Zuerst kopieren, dann kapieren» gilt als Maxime für China heute nicht mehr in dem Umfang wie früher. In China besteht ein funktionsfähiges Wirtschaftssystem. Viele europäische und amerikanische Firmen haben heute Innovationszentren in China, vor allem für Produktentwicklung und Produktverbesserung. Die Technologieentwicklung verbleibt hingegen im Mutterland und wird meistens noch zentral gehandhabt. Die chinesische Wirtschaft stabilisiert sich. Dazu sind die Unternehmensleitungen auch selber verantwortlich für ihren Innovationsschutz. Da wenden Schweizer Unternehmen diverse Strategien an: Die Karten verdecken, also niemanden Einblick nehmen lassen, Innovationen nur den Schweizer Mitarbeitenden im betreffenden Land bekannt geben, nicht aber lokalen Angestellten und Kunden. Der wirkungsvollste Schutz ist die Verkürzung der Innovationszyklen. Die nächste Innovation sollte auf dem Markt sein, bevor die Konkurrenz überhaupt Zeit hat, die vorhergehende zu kopieren.

Die EU plant ein Freihandelsabkommen mit den USA. Könnte die Schweiz dem noch zuvorkommen?

Die Amerikaner haben der Schweiz im Jahr 2006 ein Angebot für ein Freihandelsabkommen unterbreitet. Unsere Regierung ging nicht auf das Angebot ein, vor allem wegen der Landwirtschaft. Dieses Fenster ist vorläufig geschlossen. Es wird ein steiniger, langer Weg sein, bis die EU ein Abkommen mit den USA erreicht. Die Verhandlungen haben ja noch nicht einmal angefangen. Vielleicht kann die Schweiz sich den Verhandlungen zwischen der EU und den USA anschliessen oder nach Abschluss «aufspringen». Das wird, so glaube ich, zurzeit sondiert.

Macht die Schweizer Regierung nicht zu viele Konzessionen gegenüber den USA und auch der EU?

Ein selbstbewusstes Auftreten ist sicher von Vorteil. Ich habe in letzter Zeit den Eindruck gewonnen, dass die Schweizer wieder selbstbewusster werden. Wie es im Leben ist: In einer sehr schwierigen Phase verliert man seine Sicherheit und lässt auf sich herumhacken. Irgendwann überwindet man die Krise, entwickelt mehr Stärke. Im Moment sind wir in dieser Phase. Im Vergleich zu anderen Ländern geht es uns wirtschaftlich sehr gut. Die Ereignisse der letzten Zeit bedeuten auch keineswegs den Untergang für unser Bankenwesen. Die Dienstleistungen der Schweizer Banken sind immer noch begehrt. Eine Swissness-Analyse der Hochschule St. Gallen vom letzten Sommer zeigte, dass das Image der Schweiz sich in den letzten zwei Jahren sogar noch verbessert hat. An verschiedenen Fronten gibt es Anzeichen dafür, dass wir dabei sind, die Schwächephase zu überwinden.

War es überhaupt eine richtige Schwächephase? Und gibt es Zahlen, die den Aufschwung belegen?

Auch während der Schwächephase haben wir uns wirtschaftlich gut behauptet. Das reale, zu konstanten Preisen gemessene Bruttoinlandsprodukt der EU wird dieses Jahr auf dem Niveau von 2007 sein. Die letzten fünf Jahre sind wirtschaftlich betrachtet in der EU sozusagen verlorene Jahre, weil es kein Wachstum gab. In der Schweiz hat die Wirtschaft in dieser Zeit zugenommen, zeitweise nur wenig, aber doch. Selbst die Exporte, obwohl es bei unseren Exportpartnern Einbrüche gab. Wir werden wohl auch dieses Jahr mit einer leichten Exportzunahme rechnen können. Gemäss Prognosen des Seco und der Banken werden die Schweizer Exporte nächstes Jahr vier bis fünf Prozent zunehmen. Wie unser KMU-Exportindikator zeigt, dürften sie für alle Branchen steigen. Es sieht nicht nach einem Boom aus, aber die Exportstimmung ist doch positiv. Wir machen also schon einiges richtig.

Wie denken Sie über die Eurokrise? Deutschland hat sich mit Hunderten von Milliarden für die Schulden anderer Länder verbürgt. Wenn Deutschland pleite ist, wird die Schweiz sicher auch Probleme bekommen.

Und wie. Aber Deutschland wird nicht pleite gehen. Das Land hat eine enorme Wirtschaftskapazität.

Wird der Euro nicht zusammenbrechen?

Das hätte ich vor zwei Jahren auch gedacht. Aber nun sieht man, wie stark das Bestreben der europäischen Politiker ist, den Euro zusammenzuhalten. Die verteidigen den Euro durch Feuer und Flamme. Ich denke, die schwierigsten Zeiten liegen hinter uns. Aber ausgestanden ist die Krise noch nicht. Man muss erreichen, dass es einzelnen Ländern wieder besser geht. Länder wie Spanien und Portugal konnten ihre Produktivität verbessern, und das ohne ihre Währung abzuwerten. Nach Spanien kommen ausländische Investoren und kaufen wieder Firmen. Es dauert auch nicht mehr lange, bis der Grundstücksmarkt anzieht. Wird wieder investiert, dann geht es auch den Leuten wieder besser. Es wird allerdings noch etwas dauern, aber diese Länder werden früher oder später wieder auf einen grünen Zweig kommen.

Ist es nicht problematisch, wenn Europa von Unternehmen aus anderen Kontinenten aufgekauft wird?

Das sehe ich nicht so dramatisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Amerikaner auch in Europa eingekauft. Deswegen wurde Europa auch nicht amerikanisch.

Wie wird sich der Euro entwickeln?

Der Euro wird mittelfristig wieder erstarken und wieder eine Schutzwährung werden. Gegenüber dem Franken wird er nach meiner Einschätzung bis Ende nächstes Jahr gemäss den meisten Prognostikern wieder in die Nähe von 1.30 Franken kommen. Der niedrige Eurokurs war unserer Exportindustrie sehr abträglich, weil sich die Margen verkleinert haben. Bei niedrigen Margen wird weniger investiert. Vor allem im Bereich Innovation können die Unternehmen nicht die notwendigen Investitionen tätigen.

Wir haben ja eine Niedrigzinspolitik. Sparen lohnt sich nicht und dazu will die EU noch auf die Guthaben der Sparer zurückgreifen, um ihre Schulden zu tilgen. Wie beurteilen Sie das?

Das ist letztendlich für unser Bankensystem positiv. Wer in den EU-Ländern Vermögen besitzt, wird dieses mindestens teilweise bei uns anlegen, natürlich muss das versteuertes Vermögen sein. Der Schweizer Bankenplatz ist durch die Angriffe der EU und der USA nicht abgeschrieben, aber er wird sich wandeln müssen.

Wie beurteilen Sie die Entwicklungen im Nahen Osten, z. B. in Syrien oder Ägypten?

In Bezug auf den Nahen Osten denken wir eher an die Chancen als an die Gefahren. Chancen haben wir in Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien oder der Türkei. Diese haben sich in den letzten zwanzig Jahren enorm entwickelt. Dorthin strömen qualifizierte Arbeitskräfte aus Ländern wie Indien, Pakistan und Nordafrika. Auch Katar bietet wegen der Fussball-Weltmeisterschaft im Jahr 2022 interessante Geschäftsmöglichkeiten – auch wenn momentan teilweise negative Meldungen bezüglich Arbeitssituation im Bauwesen zu hören sind. Hingegen würde ich Schweizer KMU momentan nicht raten, sich in Ländern anzusiedeln, die schwierige politische Veränderungen durchlaufen, wie Ägypten, Iran und Irak. Diese Märkte wären zwar potenziell interessant, sind im Moment aber problematisch.

Wie wirken sich die hohen Löhne in der Schweiz aus?

Zwischen der Schweiz und sogar europäischen Ländern kann der Lohnunterschied hoch sein. Kürzlich hat mir der Chef einer Schweizer Niederlassung von einer amerikanischen Firma erklärt, dass er in München drei Ingenieure beschäftigen könnte für dasselbe Salär, wie er in der Schweiz für zwei Ingenieure bezahlt. Seine spezialisierten Mitarbeitenden aus der ganzen Welt wollen sich aber nicht in München ansiedeln, sondern in Zürich. Die Niederlassung würde bei diesem Standortwechsel einen Teil ihrer Mitarbeitenden verlieren. Der Schweizer Standort ist zwar teuer, aber qualifiziert und vor allem begehrt. Die Infrastruktur funktioniert, man ist international, es gibt qualifizierte Ausbildungsmöglichkeiten. Unsere Stabilität, Verlässlichkeit und Planbarkeit werden in der Welt geschätzt. Dafür sind viele Unternehmen bereit zu bezahlen.

Aber in der Schweiz haben viele Unternehmen ihre Produktion aufgegeben. Setzt sich dieser Trend fort?

Tätigkeiten mit tiefer Wertschöpfung werden immer mehr ins Ausland verlagert. Die Unternehmen sollen auch nahe bei den Kunden sein. Man kann heute kaum mehr Waren in die wachstumsstarken Schwellenländer, z. B. China, verkaufen, ohne dort auch irgendwie verankert zu sein. Einige Unternehmen wachsen in Asien weit mehr als in Europa. Andererseits gründen gros­se ausländische Firmen Technologiestandorte in der Schweiz und innovieren hier. Wenn ein Unternehmen Talente und Weiterbildungsmöglichkeiten benötigt, kommt es in die Schweiz. Die Schweiz ist auch ein beliebter Standort für Professoren und Studenten. Es ist ein Geben und Nehmen. Man muss Standorte dort errichten, wo komparative Vorteile herrschen und wo die Leute hinwollen.

Wie geht man vor, wenn man in einem Land aktiv werden will?

Zunächst benötigt man eine gesunde Heimbasis, so dass man sich diese Expansion leisten kann. Sehr wichtig ist eine realistische Einschätzung der notwendigen Ressourcen. Bis eine Niederlassung sich wirklich rentiert, geht es meistens länger, als man denkt und es ist oft teurer, als man geplant hat. Rechnet man mit zwei Jahren bis zur Gewinnphase, muss man Reserven für vier Jahre bereithalten, damit man auch die Durststrecke schafft.

Wie bereitet man sich am besten auf die Expansion vor?

Expansionen sind Chefsache. Die Vorbereitung und Durchführung müssen möglichst hoch im Unternehmen angesiedelt werden. Die Geschäftsleitung kann diese Aufgaben nicht delegieren, z. B. an Berater oder Abteilungsleiter. Die Geschäftsleitung muss gezielt Netzwerke aufbauen in diesen Ländern. Man muss sich mit der Kultur auseinandersetzen.

Wie hoch ist die Erfolgsquote Schweizer Unternehmen im Ausland?

Etwa 90 Prozent unserer Kunden arbeiten erfolgreich im Ausland. Bei etwa zehn Prozent geht es schief, dann liegt es aber oftmals an der mangelhaften Vorbereitung. Immer wieder wird so ein Entscheid spontan getroffen, z. B. nach einem Urlaub, wenn man Einheimische kennenlernt. Dann fehlt es an der strategischen Verankerung. Etwa sieben Prozent der Kunden, die sich im Ausland engagieren wollen, raten wir zum vornherein davon ab, weil die Heimbasis nicht stabil genug oder das Produkt nicht exportfähig ist. Andererseits verlangen manchmal auch die Kunden einer Schweizer Firma, dass diese in ein bestimmtes Land expandiert.

Und wie verhält man sich dann am besten?

Es kommt darauf an, ob das Unternehmen es sich leisten kann, den Kunden zu verlieren. Wir hatten einmal eine Firma, deren Aktivitäten sich auf den Kanton beschränkten. Dann gründete ihr 80-Prozent-Kunde eine Niederlassung in China und verlangte, dass nicht nur dorthin geliefert wurde, sondern dass die Schweizer Firma auch in China präsent ist. In dem spezifischen Fall hat das Unternehmen die Chance wahrgenommen und war in China erfolgreich. Die Firma musste das machen, um zu überleben. In weniger krassen Fällen muss man Gewinn, Chancen und Verluste gegeneinander abwägen.

Welches sind die interessantesten Märkte für KMU?

Schweizer KMU sind typische Nischenproduzenten. Die Chancen hängen von der Branche und dem Produkt ab, z. B. ob sich dieses für den Massenmarkt eignet. Handelt es sich um ein Massenprodukt mit tiefen Fertigungskosten, dann kommen Märkte wie China, Indonesien, Philippinen infrage. Für Produkte mit hochstehendem Design und Qualität muss man Märkte anpeilen, wo man bereit ist, höhere Preise zu bezahlen wie Japan, Hongkong, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Deutschland.

«Swissness» ist für exportorientierte Unternehmen ein wichtiger Erfolgsfaktor. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die neuen «Swissness»-Gesetze?

Ich finde es schade, dass die «Swissness» so eng mit der Zusammensetzung bzw. der Produktion der Waren in der Schweiz verbunden wird und nicht andere Kriterien auch Eingang gefunden haben. Ich hätte die Grenze anders gezogen. Bekannte Schweizer Produkte können nicht mehr unter Schweizer Flagge segeln, wegen der neuen Gesetze. Andererseits muss man die Marke Schweiz schützen. Diese hat einen Mehrwert, von dem alle profitieren wollen.

Herr Küng, eine letzte Frage: Sie haben vor einiger Zeit einmal geäussert, dass die Schweiz unter dem Druck von immer grösseren Zusammenschlüssen anderer Staaten an Einfluss verliert. Sehen Sie das auch heute noch so?

Ich habe nach wie vor den Eindruck, dass es für die Schweiz schwierig ist, sich im Umfeld von grossen Blöcken zu behaupten. Ein kleiner Fisch hat es schwer in einem Teich mit Haien. Es gibt aber durchaus Abwehrstrategien, z. B. dass man sich in Nischen bewegt, wohin gefrässige Haie aufgrund ihrer Grösse gar nicht vordringen können.

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