Interviews

Interview mit Professor Bodo W. Lambertz

«Die Schweiz muss selbstbewusster werden»

Professor Bodo W. Lambertz, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens X-Technology Swiss Research & Development AG, über Bionik und Nanotechnik in der Sportfunk­tionsbekleidung, die Organisation von Ideenmanagement und Patenschutz sowie das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU.
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Herr Professor Lambertz, wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf Grundlage bionischer Forschung Sportkleidung herzustellen?

Bei einem Abendessen lernte ich Marco Redini kennen, einen jungen Italiener, der mit seinem Vater eine kleine Sockenfabrik führte. Er beklagte sich über die Dumpingpreise von anderen Anbietern und fragte mich, was man dagegen unternehmen könne. Er ging davon aus, dass sich das Problem mit einer geschickten Werbekampagne lösen liesse. Ich erkannte gleich, dass das so nicht funktionieren würde. Ich beriet damals internationale Grossunternehmen, mit Socken hatte ich überhaupt nichts am Hut. Trotzdem liess ich mich überreden, den kleinen Betrieb südlich des Gardasees zu besichtigen. Nach einigen Diskussionen bat mich Marco Redini, ein Konzept für eine neue Socke zu entwickeln. Ich beschäftigte mich also das erste Mal mit dem Sockenmarkt, der damals kaum differenziert war. Das Ergebnis meiner Arbeit war die erste «X-Socks». Ich ging dabei von folgender Überlegung aus: Der menschliche Fuss ist zum Barfussgehen konzipiert. Anders als beim Körper muss man die Feuchtigkeit am Fuss von der Haut und aus dem Schuh transportieren. Bleibt die Haut nass, erhöht sich das Risiko der Blasenbildung.

Sie entwickelten später Sportkleidung. Was unterscheidet diese von anderen Produkten?

Das Konzept der bisherigen Sportkleidung bestand darin, Schweiss vom Körper wegzutransportieren. Dabei dient das Schwitzen zur Temperaturregulierung im Körper, das heisst dazu, dass der Körper die optimale Temperatur von 37 Grad beibehält, die ideal für Höchstleistungen ist. Laut Studien der Universität Dortmund verbrauchen Ausdauersportler in Extremsituationen bis zu 97 Prozent ihrer Energie für die Kühlung. Wir haben Technologien entwickelt, die den Schweiss nutzen, anstatt ihn einfach zu entsorgen. Dreidimensionale Strukturen an Brust und Rücken, unser «3D Bionic Sphere-System», hält einen dünnen Schweissfilm auf der Haut, der kühlt. Bleibt Schweiss aus, speichern die dreidimensionalen Strukturen warme Luft. Die Bekleidung wärmt somit, wenn man friert. Und kühlt, wenn man schwitzt. Natürlich entstand darauf eine intensive Diskussion mit Herstellern von konventioneller Sportkleidung, beinahe ein Glaubenskrieg.

Ihre Anzüge verschaffen also Sportlern einen Vorteil gegenüber denen, die etwas anderes tragen. Könnte das am Ende als Doping betrachtet werden?

Es bestehen noch keine Dopingvorschriften in Bezug auf Bekleidung, die den natürlichen Kühlmechanismus des Körpers unterstützt, aber solche sind zu erwarten.

Sie arbeiten mit der teils hochgelobten, teils kritisierten Nanotechnik. Wie beurteilen Sie deren Chancen und Gefahren?

Die Nanotechnik bietet mehr Chancen als Gefahren. Das bestätigt auch ein Gutachten von Professor Krug von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA; er zählt zu den renommiertesten Wissenschaftlern in diesem Segment. In schwedischen und niederländischen Medien wurden beispielsweise schon Tests zum Thema Nanosilber durchgeführt, wobei bei unseren Produkten im Vergleich mit anderen am
wenigsten Silber ausgewaschen wurde.

Welche Schwierigkeiten hatten Sie beim Aufbau des Unternehmens zu überwinden?

Das Problem Nummer eins ist, dass es schwierig ist, genügend qualifizierte Leute hier nach Wollerau zu holen. Wir brauchen Leute mit entsprechenden Fähigkeiten und Ausbildung, und sie müssen mit den steigenden Anforderungen zurechtkommen. Das Problem Nummer zwei ist, dass man im Kanton Schwyz nur schwer ein Grundstück bekommt, um dort eine repräsentative Firmenzentrale aufzubauen. Es gibt kaum freie Grundstücke und wenn, dann sind sie übertrieben teuer. Dazu sind Baurechte in dieser Gegend noch sehr stark verbreitet. Im Moment müssen wir hier in Wollerau mehr durch innere als äussere Werte überzeugen. Unser Hauptquartier in Italien ist schon eine andere Welt.

Sie produzieren in Europa, das ist positiv. Welche Vorteile für Ihr Unternehmen hat das konkret?

Alles, was wir verkaufen, wird in Italien produziert. Unsere Vorteile sind kurze Distanzen und schnelle Kommunikation. Wir benötigen nur vier Stunden Autofahrt von der Schweiz bis in unsere Produktionsstätte in Italien. Das ist ein grosser Vorteil, nicht zuletzt für die Produktentwicklung.

Wie organisieren Sie Ihr Ideenmanagement?

Wir haben kein organisiertes Vorschlagswesen, Organisation erstickt die Kreativität. Wir haben eine sehr flache Hierarchie. Jeder Angestellte von uns bekommt alles mit, was ein breites Wissensmanagement ergibt. Ideen werden von den Mitarbeitenden eingefordert. Sie entstehen durch Handlungen und Herausforderungen, nicht durch Theorie.

Was unternehmen Sie, um Ihre Innovationen vor Nachahmung zu schützen?

Patentverletzungen kommen auch bei uns häufig vor und die Gerichtskosten betragen Millionen. Um dies einzudämmen, haben wir den Entstehungsprozess von Produkten in drei Segmente gegliedert: Entwicklung und Innovation, Übersetzung der Entwicklung in die Maschinensprache und Fertigung. Diese Trennung der Abteilungen trägt einiges zum Schutz unserer Produkte bei. So können wir uns weitgehend vor Übernahmen von Ideen schützen.

Wie organisieren Sie Ihren Vertrieb im Ausland?

Wir sind in 44 Ländern vertreten. In vielen Ländern haben wir Vertriebspartner mit eigenen Leuten für PR und Marketing. Die zentrale Kommunikationsstrategie und der Markenauftritt werden aber von uns vorgegeben. Wir achten sehr genau darauf, wie die Marke nach aussen tritt. Die Betreuung der Endverbraucher und die direkte Kommunikation mit ihnen sind massgebend für unseren Erfolg.

Sie statten die Schweizer Ski-Nationalmannschaft aus? Wie kommt man zu Aufträgen dieser Art?

Viele Sportler kommen auf uns zu, weil sie wissen, dass wir Funktionsbekleidung machen, die funktioniert. Auf Facebook kann man Prominente sehen wie Robbie Williams, Jessica Biel, die sich gerne mit unseren Produkten zeigen. Sogar Putin.

Hat Putin als Kunde eine Werbewirkung?

Kürzlich führte ich ein Gespräch mit einem russischen Sportausstatter. Dieser meint, das Volk sei stolz auf Putin. Durch die Krimkrise bekam das russische Volk Auftrieb, auch wenn das nur ein Gefühl sei. Der Westen hätte das russische Volk gedemütigt. Das ist ähnlich wie in Deutschland nach den Versailler Verträgen, die das deutsche Volk geknebelt hatten. Dies bereitete den Boden für den Nationalsozialismus. Hätte die westliche Welt mehr Verständnis für ein Volk gehabt, das von Nato-Partnern eingekesselt wurde, wäre die Situation wohl anders ausgegangen. Die Amerikaner haben damals als Weltpolizei fungiert und den Nationalismus besiegt. Das ist aber ein Problem: Wenn die Nation nichts mehr gilt, raubt man einem Volk die Identität.

Wie beurteilen Sie das Verhältnis der Schweiz zu der Europäischen Union?

Es gibt zwei theoretische Modelle. Die einen sagen, der Markt braucht die EU, die Schweiz ist ein Exportland. Ich bin der Meinung, dass die Schweizer Produkte auch ohne die bilateralen Verträge verkauft würden – denn die Produkte sind gut! Die Schweiz hat eine funktionierende Finanzstruktur aufgebaut. Sie muss eine Dienstleistung erbringen, um interessant zu bleiben – denn sie hat ja keine Rohstoffe. Heute ist sie so attraktiv, dass die Leute aus der EU in die Schweiz kommen. Die EU geht mit der Schweiz nicht fair um. Auch Luxemburg lebt vom Steuersparmodell und Geldwäscherei. Die Schweiz ist seit vielen Jahren bereits unter Beschuss, Luxemburg nicht. Die Politiker der Schweiz sollten sagen: Leute kehrt vor eurer eigenen Haustür. Die Schweiz muss den Spiess umdrehen und beispielsweise den Luxemburgern ihr Steuermodell vorhalten. Sie muss selbstbewusster werden und kann das auch.

Wie denken Sie als in der Schweiz lebender Deutscher von der deutschen Regierung?

Es ist unverständlich, dass ein Land wie Thüringen, das vor 25 Jahren wegen des Sozialismus pleite ging, heute wieder von einer Linkspartei regiert wird. Man muss akzeptieren, dass es eine natürliche Ungerechtigkeit gibt. Der Beitrag der Menschen für die Gemeinschaft ist nun mal unterschiedlich. Als wir noch Höhlenmenschen waren, konnte man in der Sippe nur eine bestimmte Anzahl Leute ernähren und man hat Strategien entwickelt, um zu überleben. Wenn der Höhlenmensch ohne Jagdbeute nach Hause kam, konnte er nicht sagen, er hätte Burnout. In der heutigen Zeit werden immer mehr Begriffe erfunden, mit denen man Märkte eröffnet, zum Beispiel für Medikamente. Solche Sachen werden erst existent, indem man sie benennt.

Was halten Sie von Freihandelsabkommen wie TTIP und TISA?

Freihandel ist eine absolute Notwendigkeit, darüber gibt es keine Diskussion. Es erschliesst sich uns damit ein grosser Markt. Der Zoll in die USA beträgt für uns 35 Prozent, der muss sich reduzieren. Kritisch sehe ich allerdings den rechtlichen Aspekt. Amerikanische Rechtsverhältnisse sind für mich ein absolutes No Go. Im angelsächsischen Rechtssystem ist die Rechtsunsicherheit sehr hoch, weil es sich auf Präzedenzfälle bezieht. Wer nicht vermögend ist, verliert die Prozesse. Es besteht die Gefahr, dass grosse Unternehmen Staaten verklagen und der Steuerzahler zahlen muss.

Wäre es nicht sinnvoller, einheitliche Normen zu vereinbaren, zum Beispiel für Computernetzteile? Wie ist das in Ihrer Branche?

Man darf Technik nicht vereinheitlichen. Das würde verhindern, dass ein Unternehmen ein besseres Produkt entwickelt als ein anderes. Wir müssen unsere Kreativität nutzen, um gegen Massenprodukte anzutreten. Wir Europäer haben zu wenig Masse, wir werden wirtschaftlich irgendwann nicht mehr relevant sein. Wir müssen mit den Ländern, die westliche Werte haben, unter anderem mit den USA und Russland, eine gemeinsame wirtschaftliche Basis haben und diese Werte ausbauen, zum Beispiel Kreativität, Wissensstand. Wenn wir in Kleinstaaterei verbleiben, wird uns der asiatische Wirtschaftsraum eines Tages total übernehmen. China ist momentan noch der Absatzmarkt Nummer eins, aber irgendwann produzieren sie alles selber. Die Masse Mensch wird immer dominanter, weil sie aus Konsumenten besteht.

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