Interviews

Interview mit Pascal Jaussi

Der schwerelose Weg in die mobile Zukunft

Pascal Jaussi, Gründer und CEO des noch jungen Schweizer Unternehmens für Weltalltechnologie S3, über die Realisierung kühner unternehmerischer Träume, Effizienz und Nachhaltigkeit im All, das Knüpfen internationaler Partnerschaften auf höchstem Niveau sowie über offene Karten in heiklen Verhandlungen.
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Herr Jaussi, mit Ihrem Auftritt am diesjährigen Swiss Economic Forum haben Sie ein grosses Echo ausgelöst. Sie wollen mit Ihrer Geschäftsidee «den Weltraum demokratisieren». Ist das ein Traum, eine Vision oder ein Ziel von Ihnen?

Wir wollen einen grossen Traum wahr machen! Mit der Vision «Space for All» werden wir nicht bloss weiter träumen, sondern, dank unserem speziellen Satellitenlancierungs-System, ein konkretes Ziel ansteuern. Ab 2018 werden auch Länder, Gesellschaften und Forschungsinstitute, deren finanzielle Mittel für die bis heute bekannten Technologien nicht ausreichten, Satelliten in die Umlaufbahn schicken können. Unser System hat damit nicht nur einen technologischen und wirtschaftlichen, sondern auch einen gesellschaftspolitisch positiven Effekt. In einem zweiten Schritt, in der nächsten Dekade, kann ein erschwingliches Hochgeschwindigkeitstransportmittel geschaffen werden. Um den Weg zum «Raumfahrtsgefühl für alle» zu ebnen, werden wir bereits 2015 Schwerelosigkeitsflüge für jedermann anbieten.

Wer wird von dieser «Demokratisierung» profitieren?

Vorerst sind es, wie erwähnt, die Passagiere für Schwerelosigkeitsflüge. Danach werden es die Kunden sein, welche dank unserem System Kleinsatelliten lancieren können. In einer langfristigen Perspektive schliesslich werden zahlreiche Interkontinentalpassagiere von der Demokratisierung profitieren.

«Space for All» heisst Ihr ambitiöses Projekt. Was sind da die Besonderheiten?

Sicher, das Projekt ist wirklich ambitiös. Allein wäre das nicht zu schaffen. S3 hat deshalb ein internationales Netzwerk geschaffen. Industrielle und akademische Partner unterstützen uns in der Erreichung unserer grossen Ziele. Weil wir bestehende und bewährte Technologien in unser System integrieren, können wir das Projekt schneller und besser konkretisieren.

Auch der britische Milliardär Richard Branson will das Weltall mit seinem «Space Ship Two» öffnen und für reiche Touristen erlebbar machen. Worin unterscheiden Sie sich?

Es gibt drei wichtige Unterschiede. Erstens: Die Entwicklung des S3-Shuttle für die Satelliten-Lancierung im Jahr 2018 hat oberste Priorität. Deshalb wurde S3 ja gegründet. Danach werden wir den Shuttle modifizieren, um auch Passagiere transportieren zu können. Zweitens werden wir diese suborbitalen Flüge einer breiteren Öffentlichkeit anbieten, denn der Ticketpreis wird nur auf der Basis der Modifikationskosten für den Shuttle berechnet, nicht auf der Basis der Entwicklung und Produktion des gesamten Systems. Da wir, drittens, viele bestehende Technologien integrieren, sind unsere Gesamtkosten für Forschung und Entwicklung viel tiefer. Übrigens: der suborbitale Transport wird sich nicht an «Weltraumtouristen» richten, sondern an Passagiere, die von Punkt A nach B fliegen wollen.

Stichwort «suborbitale Passagierflüge». Eine Reise von London nach Hongkong soll dann nur 90 Minuten dauern. Welche Konsequenzen wird das für die globalisierte Wirtschaftswelt einerseits, für die Umwelt andererseits haben?

Wir sind überzeugt, dass suborbitale Flüge die Zukunft der Luftfahrt sind, da sie Menschen viel schneller verbinden. Unsere Partner sehen das auch so. Unser System ist deshalb sehr effizient, weil Treibstoffe nur in der Aufstiegsphase bis zu einer Höhe von 100 km verbraucht werden. Danach gleitet der Shuttle quasi ohne Energieverbrauch zur Erde zurück.

Sie betonen im S-3-Projekt die Wiederverwendbarkeit als schlagenden Vorteil. Was genau kann recycliert werden?

Die Hauptkomponenten unseres Systems, der Airbus und der Shuttle, sind wiederverwendbar. Nur das kleinste Element des Satellitenlancierungs-Systems, die dritte Stufe, ist es nicht; sie verbrennt jedoch in der Atmosphäre ohne Rückstände. Wir «recyclieren» auch bestehende Technologien, welche wir benutzen, etwa Elemente der Innenarchitektur und Drohnen-Technologien des Neurons von unserem Partner Dassault Aviation oder Raketentriebwerke von unserem russischen Partner RKK und Kuznetsov.

Und Ihr Team arbeitet an einem Projekt, welches das All «aufräumen» soll. Wie wollen Sie das bewerkstelligen, und wer wird das bezahlen?

«Clean Space One (CS1)» ist ein Projekt der ETH Lausanne (EPFL), an dem wir als Partner mitwirken. CS1 wird diese Technologie mit einem Satelliten unseres Launchs 2018 praktisch demonstrieren. Wir selber werden damit kein Geschäft machen. Aber als Satellitenlancierungsunternehmen sind wir vom Nutzen des Lausanner Projekts überzeugt. Das Problem Weltraummüll muss gelöst werden, nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch wegen der Sicherheit der vielen kreisenden Satelliten.

Vor erst zwei Jahren, im November 2012, haben Sie Ihr Unternehmen gegründet. Was hatten Sie damals an Erfahrungen im Aktenkoffer, um potenzielle Partner vom Projekt zu überzeugen?

Seit 2009, also schon vor unserer Gründung, war ich damit beschäftigt, industrielle und akademische Partner für das S3-Projekt zu gewinnen und zusammenzubringen. Das war gewiss nicht einfach. Zuerst ging es darum, die bestehenden Technologien kennenzulernen, um die besten Elemente für unser System zu identifizieren. Mit dem entsprechenden Wissen konnte ich die technischen Fachleute überzeugen. Danach musste ich mit den Finanzfachleuten der Partnerfirmen die optimale Win-win-Situation finden, um abschliessend die Verträge für die CEO unterschriftsreif zu machen. All diese Arbeiten und Verhandlungen waren sehr aufwendig und heikel, denn alles hatte parallel zu erfolgen. Und potenzielle Partner wollten auch stets wissen, welche weiteren Partnerfirmen schon im Boot sind. Also musste man die Karten offen auf den Tisch legen. Das ist gut so.

Am Swiss Economic Forum nannten Sie ein Budget von 250 Millionen Franken. Für welchen Zeithorizont gilt das?

Das ist unser Gesamtbudget bis zum Jahr 2018.

Ihr Unternehmen ist jetzt zwei Jahre im Projekt beschäftigt. Was geschah bis heute in Payerne?

Wir haben das Unternehmen von Grund auf aufgebaut und inzwischen gute Fortschritte in der Entwicklung unseres Systems gemacht. Neue Partnerschaften wurden unterzeichnet, unter anderem mit Thales, Bauman Universität, Sener, Kuznetsov, Energia und Space Florida. In Spanien und in den USA konnten die ersten Tochtergesellschaften gegründet werden.

Welche Schritte im Sektor Forschung & Entwicklung stehen jetzt an?

Um die verschiedenen Flugsteuerungssysteme und die Aerodynamik des SOAR-Shuttle zu testen, sind wir jetzt an der Vorbereitung der Testflüge eines verkleinerten Shuttle-Modells in Kanada. Ende 2014 und im Frühling 2015 werden diese Flüge mit einem sogenannten Drohnensystem ausgeführt. Vorgesehen ist ein Abwurf des Kleinmodells ab Helikopter aus etwa 5000 m Höhe. Diese Tests erfolgen parallel zu der in den USA und in Belgien durchzuführenden Validierung im Windkanal. Einen weiteren F+E-Meilenstein, die «Preliminary Design Review», werden unsere Ingenieure bereits im Herbst 2014 erreichen.

In vier Jahren wollen Sie bereits den ersten Satelliten starten. Was sind die nächsten Meilensteine?

Nach der «Preliminary Design Review» werden unsere Ingenieure Ende 2015 die F+E mit dem «Critical Design Review»-Meilenstein abschliessen. Danach ist das ganze Design fix definiert. 2016 bis 2017 findet die sogenannte «MAIT-Phase» statt (Manufacturing, Assembly, Integration & Tests). Die Elemente unseres Systems werden im Ausland durch unsere Partner hergestellt. Der Zusammenbau, die Integration und die Tests am Boden erfolgen in Payerne. Dann sind wir so weit: 2017 starten wir zu Testflügen und bemühen uns gleichzeitig um die Zertifizierung des Systems.

Die grössten Hürden bis zum Start des Shuttle?

Unser Zeitplan ist sehr eng. Bis jetzt sind wir im Plan, dank dem ausserordentlichen Engagement unserer Mitarbeitenden und der massgeblichen Unterstützung unserer Partner. Aber klar, wir wissen, dass die Einhaltung des Zeitplans die grösste Herausforderung darstellt.

Worin genau bestehen die Stärken Ihres Systems?

Effizienz, Sicherheit, Flexibilität und Preis: Das sind die vier Kernvorteile. Unser Lancierungssystem ist sehr effizient, weil die Hauptkomponenten – der Airbus als Träger und der Shuttle – wiederverwendbar sind und weniger Treibstoff verbrauchen als die bis heute angewandten Launch-Methoden. Das System ist sicher, denn die Mission ist jederzeit abbrechbar, die Elemente sind wiederbeschaffbar. Das System ist flexibel, denn es benötigt dezentral lediglich einen «Airbus-tauglichen»-Flughafen, von welchem aus operiert werden kann. Und schliesslich ist das Lancierungssystem S3 bis zu viermal günstiger als die gängigen Marktpreise. S3 wird so zu einem Treiber für die innovative Nutzung von Kleinsatelliten-Technologien.

Sie wollen S3 zertifizieren lassen. Was heisst das?

Zertifizieren bedeutet, die Fluggenehmigungen zu erhalten. Bis jetzt gibt es jedoch noch keine Regulierung über 10 000 Meter Flughöhe. Wir kooperieren deshalb mit den Zertifizierungsstellen in der Schweiz, in Europa und in Amerika, um solche Regulierungen festzulegen und dadurch hohe Sicherheitsstandards zu schaffen.

Am Tag der Schweizer Qualität in Bern haben Sie überdies gesagt, in der Luftfahrt sei es längst zwingend und üblich, strikt nach Effizienzkriterien zu wirtschaften, in der Raumfahrt dagegen noch nicht. Dieses Statement überrascht…

Wenn wir auf die Geschichte der Raumfahrt zurückblicken, stellen wir fest, dass mit dem sogenannten «Space Race» («Wir wollen die Ersten sein») Geschwindigkeit stets oberste Priorität hatte. Effizienz war kein Thema. Im Aviatik-Bereich verlief die Entwicklung anders. Dort wurden früh Privatunternehmen gegründet, die kommerziellen Zwecken dienen. Fliegen ist heute demokratisiert. Stete Steigerung der Effizienz hat dies ermöglicht.

«Effizienz und Nachhaltigkeit in der Raumfahrt dank einem schweizerischen Unternehmen» heisst ein Slogan von Ihnen. Inwiefern kann denn die kleine Schweiz den grossen, mächtigen und sehr erfahrenen Raumfahrtnationen hier Lektionen erteilen?

Wir wollen und können niemandem Lektionen erteilen. Wie gesagt, unser System ist sehr effizient und nachhaltig, weil wir keinen Weltraummüll produzieren. Als Schweizer Unternehmen haben wir zudem gewisse Vorteile, zum Beispiel die Neutralität unseres Landes; wir können dadurch den Lead übernehmen. Wir realisieren das Projekt ja nicht alleine. S3 ist ein Schweizer Unternehmen, aber fest eingebunden in ein internationales Netzwerk. Wir dürfen stolz sein, so bedeutende internationale Partner im Projekt miteinander verknüpft zu haben.

Ihr Projekt vereint bestehende Schlüsseltechnologien zu einem neuen Ganzen. Wer sind Ihre Zulieferer und was liefern sie Ihnen?

Diese Unternehmen sind nicht nur Zulieferer, sie sind Partner. Wir arbeiten in einer echten Win-win-Partnerschaft zusammen.

Sind diese Technologien auf dem Markt feil? Falls nein: Entstehen da nicht Probleme des Technologietransfers?

Nein, diese Technologien sind auf dem Markt nicht einfach erhältlich. Deshalb haben wir Partnerschaftsverträge unterzeichnet. Bei S3 sind wir System-Architekt; wir tragen die Vision und das gesamte Know-how unseres Systems. Die Partner sind die verantwortlichen Know-how-Träger in ihrem spezifischen Bereich. Diese Aufteilung ist richtig und wichtig in einem so komplexen Projekt.

Wie setzt sich Ihr Partner-Netzwerk zusammen?

Wir haben industrielle Partner, Universitäten, die ESA (europäische Weltraumagentur), Forschungsinstitute und Sponsoren in unserem Netzwerk. An Orten, wo wir in Zukunft starten werden, verfügen wir über sogenannte «Operational Partners» wie zum Beispiel das Kennedy Space Center in Cape Canaveral oder Spaceport Malaysia.

Herr Jaussi, zum Schluss noch ein wenig Science Fiction. Immer schneller, immer weiter, immer höher – die Triebfeder des Menschen ist auf Unendlichkeit ausgerichtet. Wie würden Sie Ihr Szenario 2030 für die Menschheit beschreiben, wenn es um die Bereiche Mobilität und Kommunikation geht?

Was Sie mich da fragen! 2030 übermittle ich Ihnen die Antwort dazu vielleicht aus dem Weltall... Jetzt aber ernsthaft: Mein Projekt hat nichts mit Science Fiction zu tun, es ist ganz bodenständig. Unser Team und unsere Partner arbeiten mit Hochdruck daran. Trotz engstem Zeitplan steht der Realisierungshorizont fest – das Jahr 2018. Traum, Vision und Zielsetzung werden dann in Erfüllung gehen – ganz real und Schritt für Schritt. Wir sind optimistisch.

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