Interviews

Interview mit Philipp Wyser

«Der Schweizer Standortvorteil sind die gut ausgebildeten Leute»

Philipp Wyser, CEO der Wyon AG, spricht über die Entwicklung eines Garagen-Start-ups zum Weltmarktführer, Mitarbeiterentwicklung über den zweiten Bildungsweg und über die Vorteile der Teilzeitarbeit.
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Als Start-up im Jahr 1999 gegründet, damals noch zu Hause in der Garage, ist die Wyon AG bis heute zum Weltmarktführer in Sachen Klein-Akkus für medizinische Geräte gewachsen. Herr Wyser, was hat Ihre Familie dazu motiviert, das Unternehmen zu gründen?

Die Idee hatte mein Vater Paul J. Wyser. Er war in den 1970er-Jahren in der erweiterten Geschäftsleitung der Firma Renata tätig, einer Tochtergesellschaft der Swatch-Gruppe. Diese war damals und ist heute immer noch führend in der Technik der Knopfzellenherstellung. Renata wollte in den 1990er-Jahren wiederaufladbare Li-Ion-Batterien für den Mobile-Markt produzieren. Mein Vater erhielt den Auftrag, dieses Projekt genauer anzuschauen, da er die Renata als früherer technischer Leiter sehr gut kannte. Mein Vater vertrat die Meinung, dass man dieses Produkt nicht für den Mobile Markt, der schon seit fünf Jahren erfolgreich bestand, sondern für den Medizinalmarkt entwickeln sollte. Die Swatch-Gruppe lehnte den Vorschlag meines Vaters ab. Das war sozusagen die Initialzündung für die Idee der Gründung der Wyon.

Wer hatte die Idee, die Familie zu beteiligen?

Mein Vater, er wollte sich nicht alleine selbstständig machen. Daher fragte er mich in seiner ersten E-Mail, die er je geschrieben hatte, ob ich mit ihm eine Firma gründen wolle. Ich habe mir das nicht allzu lange überlegen müssen, da ich überzeugt war, dass dies eine sehr gute Idee ist, und habe zugesagt. So haben wir die Firma im August 1999 gegründet.

Welche Schwierigkeiten waren denn beim Aufbau der Firma zu bewältigen?

Zuerst einmal hat uns niemand geglaubt, dass wir es fertigbringen, eine Batterie in einem reinen Kunststoffgehäuse zu entwickeln. Deshalb haben wir auch die ersten drei bis vier Jahre gebraucht, um zu beweisen, dass unsere Idee funktioniert. Da wir eine unbekannte, kleine Nummer waren, war es nicht ganz so einfach, die finanziellen Mittel aufzubringen. Wir haben in der Garage auf der Voralp in Appenzell angefangen und hatten da natürlich nicht die Einrichtungen, unsere Produkte selber herzustellen. Deshalb dauerte es sehr lange, bis einzelne Batterien zusammengebaut waren. Mein Vater konnte sein gutes Netzwerk nutzen, das er während seiner Berufslaufbahn aufgebaut hatte. Dadurch erhielten wir die Möglichkeit, die Infrastrukturen verschiedener externer Firmen zu benutzen. Ich bin dann jeweils von Appenzell nach Bronschhofen, wieder nach Appenzell und anschliessend nach Basel gereist, um dann zum Schluss in Zürich die Batterien laden zu können.

Wie haben Sie die finanziellen Mittel für Ihre Entwicklungen erhalten?

Es war von Anfang an unser Ziel, unabhängig zu bleiben. Dadurch, dass Paul J. Wyser weiterhin als externer Berater bei der Swatch-Gruppe arbeitete – dies musste er bei der Kündigung Herrn Hayek Senior versprechen – konnten wir das erreichen. Auch mithilfe von Vaters Netzwerk bekamen wir die nötigen finanziellen Mittel. Wir fingen aber wie gesagt sehr einfach an.

Wann haben Sie die Stellung des CEO übernommen?

Es war von Anfang an klar, dass ich die Firma übernehmen sollte. Bis Ende 2017 war ich zusammen mit meinem Vater in der Geschäftsleitung. Ende 2017 ist er altershalber aus der Geschäftsleitung ausgetreten. Seit dem 1. Januar 2018 bin ich nun CEO. Natürlich habe ich neben mir mit Peter Wyser und Marcel Inauen zwei sehr gute Mitstreiter in der Geschäftsleitung. Auch mein Vater ist noch beratend tätig und wir sind sehr froh, dass seine Erfahrung und sein Wissen immer noch dem Geschäft zugutekommen.

Was machen Sie für Erfahrungen als neuer Geschäftsleiter der Wyon AG?

Ich habe mit meinem Vater das Unternehmen aufgebaut, deshalb hat sich für mich gar nicht so viel geändert. Ich hatte schon vorher operative Aufgaben. Eine neue Erfahrung ist die Geschäftsleitung als Dreiergruppe. Wir arbeiten gut zusammen, nicht zuletzt auch, weil wir eine gesunde Diskussionskultur haben. Ein wichtiger Punkt ist die Entwicklung neuer Produkte, da gibt es oft verschiedene Möglichkeiten und man weiss nicht im Voraus, welche die Beste ist. Darüber sind immer wieder Diskussionen nötig, um die richtigen Wege zu finden.

Wodurch unterscheiden sich Ihre Produkte von denen der Konkurrenz?

Wir produzieren keine Standardbatterien, sondern kundenspezifische Produkte für Unternehmen. Unsere Klein- und Kleinstbatterien lassen sich dank unserer Technologien an beliebige Formen anpassen, was bei Metallgehäusen nicht möglich ist. Diese kleinen Batterien müssen in bestimmte Geräte hineinpassen, die der Kunde produziert, das erfordert innovative Arbeit. Man muss erst prüfen, was möglich ist, welche Kosten sich ergeben und so weiter. Wenn man das ausgehandelt hat, dauert es ein bis zwei Jahre, bis man die spezifische Batterie und die zusätzlich speziellen Produktionsanlagen entwickelt hat. Wir hatten mit dieser Strategie und unseren Kunststoffgehäusen ziemlich rasch Erfolg.

Wie setzt die Wyon AG sich gegenüber der internationalen Konkurrenz durch?

Wenn man in der Schweiz etwas produzieren will, das im Ausland schon erhältlich ist, so muss man es besser machen und immer einen Schritt voraus sein. Beim Preis kann man meistens nicht mithalten, denn wir liefern keine Standard-Batterien. Unsere Produkte sind so einzigartig, dass wir momentan keine wirkliche direkte Konkurrenz haben. Das heisst, es gibt niemanden, der solche Batterien anbietet, wie wir sie entwickeln und produzieren. Wir betrachten uns als einen Lösungsbringer. Der Mehrwert unserer Produkte liegt darin, dass mit unserer Technologie das verfügbare Volumen im Gerät optimal genutzt werden kann, das heisst, wir erzielen höhere Energiedichten als mit Standard-Batterieformen. Deswegen ist für uns die Entwicklung existenziell wichtig. Ein Drittel der ganzen Belegschaft arbeitet deshalb in diesem Bereich. Total sind dies zurzeit 35 Mitarbeiter.

Wie viele Angestellte haben Sie insgesamt?

Wir haben im Moment 110 Mitarbeitende, die für uns tätig sind, wobei der Grossteil davon in unserer Produktion arbeitet. Die Verwaltung ist zwar notwendig, aber wir organisieren sie so effizient wie möglich.

Wozu verwendet man Wyon-Produkte, zum Beispiel Kunststoff-Technik in Verbindung mit Stacking, beziehungsweise welche Unternehmen kaufen Sie?

Unsere Produkte werden momentan ausschliesslich im Medizinalmarkt eingesetzt. Einen Grossteil unserer jetzigen Produkte finden Sie in Cochlea-Implantaten; dies sind Hörimplantate für Gehörlose. In diesem Feld decken wir zurzeit etwa 70 Prozent des Weltmarktes ab. Alle grossen Hersteller dieser Geräte kaufen bei uns Batterien. Die neu entwickelte Wyon-Technologie-Plattform erlaubt uns, neue kundenspezifische Batterien in kürzester Zeit auf den Markt bringen zu können. Deshalb ist das Interesse an diesen Produkten sehr breit und reicht von Medizinal- bis hin zu High-End-Consumer-Produkten. Auch kommt uns der Trend, dass die medizinischen Geräte tendenziell immer kleiner werden, entgegen.  

In welchen Branchen kann man Ihre Batterien sonst verwenden?

Bisher liefern wir nur an die Medizinalbranche, damit sind wir gross geworden. Dies ist aber keine Limitierung. Sämtliche Geräte werden kleiner. Von daher gibt es grundsätzlich keine Marktlimitierung und es ist durchaus denkbar, dass wir eines Tages auch Batterien für andere Bereiche produzieren.

In welche Länder werden die Produkte hauptsächlich geliefert?

Wir verkaufen momentan direkt nach Europa, USA und Australien. Jedoch vertreiben unsere Kunden ihre Geräte zusammen mit unseren Batterien weltweit.

Wo werden die Wyon-Produkte hergestellt?

Ausschliesslich in der Schweiz. Wir produzieren all unsere Batterien in Appenzell.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der künstlichen Intelligenz? Kann man Ihre Produkte auch dafür einsetzen, wenn ja, in welchen Bereichen?

Ich denke, das Vorantreiben der künstlichen Intelligenz, wie das auch immer definiert wird, ist nicht aufzuhalten. Jedoch sollten wir damit sehr vorsichtig umgehen. Unsere Produkte haben direkt damit nichts zu tun. Wir sind auf kleine und Micro-Batterien fokussiert, welche momentan im Bereich künstliche Intelligenz nicht eingesetzt werden, sondern eher im Bereich von aktiven Implantaten, welche eine unterstützende Aufgabe beim Menschen haben.

Worauf muss man in Bezug auf Umweltmanagement in Ihrer Branche besonderen Wert legen?

Ich denke nicht, dass wir hier ein Spezial-Fall sind. Wir führen sämtliche Batterien, welche nach Erfüllung der Lebensdauer an uns zurückgesandt werden, dem Recycling zu. Dabei arbeiten wir mit Partnern zusammen. Dazu legen wir Wert auf Arbeitsplätze, die wenig Energie verbrauchen und an denen sich die Mitarbeitenden wohlfühlen. Unsere Produkte sind umweltfreundlich, sie halten mehrere Jahre und werden mehrmals aufgeladen. Normale Batterien müssen häufiger ausgewechselt und recycelt werden.

Welche Entwicklungen sind in Bezug auf Energiespeicherung in nächster Zeit möglich und notwendig?

Für uns ist der Markt für implantierbare Batterien wichtig. Deshalb müssen wir dafür geeignete Technologien wie Deep-Dis­charge oder Glas-/Keramikdurchführungen entwickeln. Für Grundlagenforschung sind wir zu klein. Wir werden aber wie bis anhin die bereits bestehenden und neu erscheinenden marktreifen Technologien für uns weiterentwickeln und geschickt kombinieren.

Die Stiftung Wyon setzt sich für den zweiten Bildungsweg ein. Welche Weiterbildungsmassnahmen sind Ihrer Meinung nach für mittelständische Unternehmen sonst noch notwendig?

Der einzige Schweizer Standortvorteil sind die gut ausgebildeten Leute. Wir vertreten die Meinung, dass Weiterbildung über Fachhochschulen ebenso wichtig ist wie Studien an der ETH oder an der Universität. Die Stiftung fördert Leute, die aus Innerrhoden kommen oder da eine Lehre gemacht haben. Ausgezeichnet werden jährlich fünf bis sieben Lehrlinge mit den besten Abschlüssen, insgesamt zirka 15 000 Franken, die sie aber frei verwenden können.

Welche Ausbildung haben Ihre Angestellten?

In unserem Betrieb arbeiten Leute, die mindestens eine Lehre absolviert haben. Leider gibt es keine spezifische Lehre im Batterienbau, sodass wir Personal aus verschiedenen Berufen engagieren. Da wir in einem sehr speziellen Feld arbeiten, ist die interne Weiterbildung sehr wichtig. Wir müssen unsere Fachkräfte selber auf den neuesten Stand der Technik bringen und für unsere speziellen Tätigkeiten ausbilden. Ich denke aber auch, dass es wichtig ist, die Mitarbeitenden nicht nur intern zu fördern, wir legen auch Wert auf externe Weiterbildung. Dabei unterstützen wir unsere Angestellten finanziell. Hingegen erwarten wir auch für höhere Positionen nicht unbedingt eine Universitätsausbildung. Bei uns arbeiten zwar Leute mit Universitäts- oder ETH-Ausbildung, aber wichtig ist technisches Flair und Freude an der Arbeit. Ohne das kann ein Vorgesetzter schlecht führen.

Welchen Führungsstil praktizieren Sie?

Wir versuchen, unsere Hierarchie so flach wie möglich zu halten. Ich lege Wert darauf, regelmässigen direkten Kontakt mit den Mitarbeitenden zu pflegen, und diese können sich bei Fragen jederzeit an mich wenden. Wir sind auf allen Ebenen «per Du» und haben ein gutes Arbeitsklima. Das schätzen die Leute, die Fluktuation bei uns ist gering.

Können Ihre Angestellten noch nach ihrer Pensionierung in der Firma aktiv sein?

Wenn jemand nach der Pensionierung noch weiterarbeiten will, Freude daran hat und auch die Leistung bringt, so ist dies nur zum Vorteil unseres Unternehmens. Es ist ein Fehler unseres Systems, dass die älteren Leute die teuersten sind, und das kann man nicht immer mit Erfahrung kompensieren. Man muss darüber nachdenken, das Lohnsystem zu ändern.

Wie steht es um Teilzeitarbeit für Eltern?

Wir haben viele Mütter, die einige Jahre bei uns arbeiten und dann eine Familie gründen. Diese erhalten nach der Kinderpause eine Teilzeitstelle bei uns. Die Einarbeitungszeit ist dann kürzer als bei neuen Angestellten, weil sie den Betrieb schon kennen und wir sie. Gerade weil wir so spezifisch im Batteriebereich tätig sind, ist das für uns vorteilhaft. Auch Väter nutzen diese Möglichkeit, ich selber habe eine 90-Prozent-Stelle, damit ich mich um meine Kinder kümmern kann.

Wie sollte sich Ihrer Ansicht nach die Schweiz zur Europäischen Union stellen?

Ich bin prinzipiell gegen einen Beitritt zur EU. Die ganze Zentralisierung hilft nicht wirklich weiter, ich bin allgemein gegen zentralistisches Denken. Jedoch finde ich es sehr wichtig, dass die einzelnen europäischen Länder zusammenarbeiten und somit insgesamt stärker werden. Daran muss sich die Schweiz auch beteiligen, denn die Schweizer Industrie ist stark abhängig von Europa. Die bilateralen Verträge sind vielleicht nicht die beste Lösung, aber wir können auch nicht allen Forderungen der EU-Politiker nachgeben.

Wie haben Sie den Frankenschock erlebt?

Den haben wir gespürt, wir sind ja prinzipiell schon teurer als andere Anbieter. So wurden unsere Produkte in den Euro-Staaten noch 20 Prozent teurer. Wir mussten Wege finden, unsere Produktivität zu erhöhen, um weiterhin attraktiv zu bleiben. Die starke Kundenbindung hat uns sicher auch geholfen, diese schwierige Zeit zu überbrücken.

Sind Sie der Meinung, dass sich Unternehmer in der Politik engagieren sollten?

Theoretisch finde ich es wichtig, wenn Wirtschaftsleute die Interessen der Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer auf der Polit-Bühne vertreten. Doch leider fehlt vielen Unternehmern die Zeit dazu. Mein Vater war in der Appenzeller Regierung und hat sich politisch sehr stark engagiert. Dadurch habe ich gesehen, wie viel Aufwand dazu nötig ist.

Die Wyon AG hat die Auszeichnung «Entrepreneur Of The Year» 2017 und andere Preise erhalten. Was bedeutet das für Sie und Ihre Mitarbeitenden?

Solche Auszeichnungen sind nur möglich, wenn wir als Team erfolgreich funktionieren. Deswegen betrachten wir sie als Anerkennung für alle unsere Mitarbeiter, welche Tag für Tag mit guter Leistung und grosser Motivation mithelfen, dass die Wyon erfolgreich ist.

Zum Schluss noch eine Frage zur Zukunft. Ist es geplant, dass das Unternehmen auch in der nächsten Generation in der Familie bleibt?

Natürlich wäre das schön. Wir haben das auch schon öfters diskutiert. Wenn jemand aus der nächsten Generation die Fähigkeiten hat, das Unternehmen zu führen, stehen alle Türen offen. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so werden wir eine andere Lösung finden müssen, um die Nachhaltigkeit des Unternehmens zu sichern. Das Wichtigste ist, dass fähige Personen das Unternehmen operativ führen, und diese sollten auch Mehrheitsaktionäre sein. Somit ist gewährleistet, dass alles nötige Geld im Unternehmen bleibt, und die nachhaltige und erfolgreiche Weiterentwicklung der Unternehmung sichergestellt ist.

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