Interviews

Im Gespräch mit Ralph Heinisch

«Balance von Ökonomie, Ökologie und Sozialem ist entscheidend»

Ralph Heinisch, Geschäftsführer der Weleda-Gruppe, über die Erfolgsfaktoren des Turn­arounds, die Bedeutung einer anthroposophisch inspirierten Unternehmenskultur und die Herausforderungen der Zukunft.
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Herr Heinisch, Weleda schrieb 2011 noch zehn Millionen Franken Verlust. Das Unternehmen war unter der damaligen Führung in eine Schieflage geraten. Die Eigentümerschaft setzte daraufhin den kompletten Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung ab. Was hat Sie damals besonders an der Aufgabe gereizt, die Geschäftsführung und die Sanierung zu übernehmen?

Die unternehmerischen Gestaltungsspielräume. Mir war Weleda als eine aussergewöhnlich starke Marke bekannt, die mit den Geschäftsbereichen Naturkosmetik und Naturarzneimittel voll im Trend liegt und damit über ein aussergewöhnliches Potenzial verfügt. Ausserdem passte die Unternehmensphilosophie hervorragend zu meinen eigenen Wertvorstellungen.

Das ist fünf Jahre her. Können Sie zusammenfassen, was in dieser Zeit passiert ist? Welche waren die Ursachen für die Schieflage und welche die Erfolgsfaktoren des Turnarounds?

Zu dem Verlust im Jahr 2011 kam es, weil die Umsätze in der Naturkosmetik nach vielen Jahren dynamischen Wachstums rückläufig waren. Die hohen einkalkulierten Verluste im Arzneimittelbereich konnten deshalb nicht wie in den Vorjahren vollständig kompensiert werden. In einer konzertierten Aktion von Mitarbeitenden, Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ist es gelungen, die Umsätze um mehr als 30 Prozent zu steigern, die Produktivität um mehr als 25 Prozent zu verbessern und die Finanzschulden von netto mehr als 100 Millionen Franken vollständig abzubauen, ohne Abstriche bei der Werteorientierung zu machen. In relativ kurzer Zeit ist es so gelungen, die drei Dimensionen für nachhaltiges Wirtschaften – Ökonomie, Ökologie, Soziales – in eine gesunde Balance zu bringen. Dafür wurde Weleda 2014 mit dem Preis der Jubiläumsstiftung der Basellandschaftlichen Kantonalbank in der Kategorie Wirtschaft ausgezeichnet.

Wenn Sie die Situation heute mit der vor fünf Jahren vergleichen: Was ist die grösste Veränderung?

Es ist das Bewusstsein, dass für ein nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften die gesunde Balance von Ökonomie, Ökologie und Sozialem entscheidend ist. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass für Investitionen Gewinne erwirtschaftet werden müssen und die Versorgung der anthroposophischen Therapierichtung mit Arzneimitteln langfristig nur möglich ist, wenn diese auch rentabel sind.

Wie steht Weleda heute da?

Weleda ist heute ein gesundes Unternehmen. Mit dem kompletten Abbau der Nettoverschuldung, einer stabilen Ertragslage, einer starken Marktstellung im Bereich zertifizierter Naturkosmetik und einem aussergewöhnlich positiven Markenimage ist Weleda gut auf die nächsten Herausforderungen vorbereitet.

Und an welchen Stellen gibt es noch Veränderungsbedarf beziehungsweise muss noch nachjustiert werden?

Alles fliesst – wie bereits Heraklit festgestellt hat. Das erfordert noch grössere Agilität. Zusätzlich sind Globalisierung und Digitalisierung dabei, unsere Welt zu verändern. Und wir haben auch noch «Hausaufgaben» zu machen: Die Profitabilität der Arzneimittel zu erreichen, die Internationalisierung voranzutreiben sowie Forschung und Entwicklung auszubauen.

Wie ist Ihr Produktportfolio aktuell gestaltet, nach Segmenten und gewinnbezogen?

Wir veröffentlichen jährlich einen umfassenden Geschäfts- und Nachhaltigkeitsbericht, in dem alle für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen enthalten sind. Etwa zwei Drittel unseres Umsatzes machen wir mit Naturkosmetik und rund ein Drittel mit Arzneimitteln. Mit der Naturkosmetik verdienen wir Geld, mit den Arzneimitteln leider noch nicht.

Welche Produkte wären zusätzlich denkbar?

In der Naturkosmetik hat das Sortiment noch reichlich Potenzial. Dieses Jahr werden vermehrt Produkte in Kategorien gelauncht, die bisher noch nicht im Sortiment sind.

Wie definieren Sie Ihre Zielgruppe, heute und morgen?

Weleda ist sehr stark bei jungen Familien und in der Altersgruppe ab 40 plus. Unsere Kunden sind zum grössten Teil Frauen. Das heisst aber nicht, dass dies immer so bleiben muss.

Bio und Nachhaltigkeit haben sich zu einem lukrativen Markt entwickelt. Ist das eher positiv auch für Weleda oder negativ im Sinne wachsender Konkurrenz?

Wir begrüssen es sehr, dass auch andere die Notwendigkeit erkannt haben, nachhaltig zu wirtschaften – für eine bessere Zukunft. Ein Ideenwettbewerb auf diesem Gebiet ist das Beste, was passieren kann. Dem stellen wir uns gerne.

In Geschäftsjahr 2015 konnte Weleda den Umsatz erneut steigern. In absoluten Zahlen leisteten die Märkte Deutschland und Frankreich den Hauptbeitrag. Der Schweizer Markt ist um vier Prozent gewachsen. Welches sind Ihre Hauptabsatzmärkte, aus welchen Ländern kommen die grössten Zuwächse, und in welchen Märkten sehen Sie besonderes Potenzial?

Die Märkte Deutschland, Frankreich und Schweiz – in dieser Reihenfolge – tragen rund 70 Prozent zum Umsatz bei. Die grössten absoluten Zuwächse haben wir in Frankreich und die grösste Dynamik in Russland. Gute Zukunftschancen sehen wir auch in den USA und Brasilien.

Es war zu lesen, dass Sie die grössten Herausforderungen der Zukunft in dem Dreiklang aus Globalisierung, Digitalisierung, Volatilität sehen. Können Sie dies konkretisieren?

Diese drei Megatrends beschäftigen derzeit fast alle Unternehmen. Für Weleda bedeutet Globalisierung zunehmender Wettbewerb in den Heimatmärkten, aber auch neue Marktchancen, worauf wir mit einer Internationalisierungsstrategie reagieren. Die Digitalisierung ist dabei, unsere gesamte Unternehmenswelt zu verändern. Betroffen sind beispielsweise Marketing (soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Blogging), Vertrieb (Onlinehandel), Herstellung (Industrie 4.0), Kommunikation (Intranet, Messengerdienste, Neue Medien), aber auch die Büroarbeitswelt wird sich radikal verändern (Automatisierung, Virtualisierung). Die zunehmende Volatilität führt dazu, dass die klassischen Instrumente der lang- und mittelfristigen Unternehmenssteuerung sowie des Risikomanagements versagen. Statt mit langfristigen Strategien oder Budgets steuern wir jetzt mit neuen Instrumenten wie einem dynamischen System von strategischen Initiativen, Futuremaster und Rolling Forecast.

Und wie begegnen Sie diesen Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Wertschöpfungskette?

Die grösste Herausforderung in der Wertschöpfungskette ist die Sicherung unserer Rohstoffbasis. Die weltweite Zunahme von Gentechnik und Agrochemie sowie eine aggressive Agrarindustrie machen den Ökolandbau zunehmend schwieriger und aufwendiger – bei gleichzeitig steigender Nachfrage. In Verbindung mit zunehmenden Wetterphänomenen und Spekulationen führt dies vermehrt zu Beschaffungsengpässen und unkalkulierbaren Preisen auf den Weltmärkten. Weil diese Entwicklung absehbar war, hat Weleda bereits vor vielen Jahren damit begonnen, in mehreren Ländern eigene Heilpflanzengärten anzulegen und ein Netz von Partnerschaften mit Heil- und Kosmetikpflanzenbauern aufzubauen. Für Weleda ist der strategische Rohstoff­einkauf eine ganz wichtige Säule des Geschäfts.

In welchem Rahmen ist Weleda von wirtschafts- beziehungsweise finanzpolitischen Entscheidungen betroffen? Konkret: Wie gehen Sie mit der Frankenstärke um?

Weleda hat Betriebsstätten in 20 Ländern. Von den wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen, die täglich irgendwo auf der Welt getroffen werden, ist auch Weleda betroffen. So auch von dem Entscheid der Schweizer Nationalbank zur Aufhebung des Mindestkurses vom 15. Januar 2015, der uns jährlich bisher rund zwei Millionen Franken gekostet hat. Wir unterscheiden zwischen Auswirkungen, die langfristiger Natur sind und deshalb Einfluss auf Investitionsentscheidungen haben, und solchen, die vorrübergehend sind. Und Währungsparitäten gehören zu Letzterem. Gleichwohl sind wir bemüht, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Arlesheim durch Automatisierung und Effizienzsteigerung zu verbessern.

Wie ist Ihre Meinung zu Freihandelsabkommen generell und konkret zu TTIP?

Weleda ist seit 90 Jahren in vielen Kontinenten zu Hause und begrüsst den freien Welthandel daher sehr. Bei TTIP besteht die Gefahr, dass die in Europa zum Schutz der Menschen und der Natur bestehenden Qualitätsstandards aufgeweicht werden. Konkret: Durch Ausbreitung von Gentechnik und Agrochemie gerät unsere Rohstoffbasis in grosse Gefahr. Generell besteht die Sorge, dass die Staaten und damit die Gesellschaften durch TTIP die Kontrolle über die wichtigsten Lebensgrundlagen verlieren.

Wie stark ist oder wäre Weleda von einer Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative betroffen?

Aktuell sind 51 Prozent der Weleda-Mitarbeitenden am Standort Arlesheim Nichtschweizer aus 20 Nationen. Sollte es tatsächlich zu einer Einschränkung der Zuwanderung aus dem EU-Raum kommen, würde das die Unternehmensentwicklung gefährden. Wir gehen aber nicht davon aus, dass es dazu kommt. Die Politik weiss, dass der Wohlstand der Schweiz von qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig ist.

Welche Rolle spielt Swissness für Weleda?

Swissness spielt für Weleda eine untergeordnete Rolle. Wir sind eine Schweizer Aktiengesellschaft mit schweizerischen und deutschen Wurzeln. Für die Verbraucher in Deutschland, unserem grössten Markt, ist Weleda eine deutsche Marke, für die Schweizer ist Weleda eine schweizerische Marke. Frankreich ist der wichtigste Arzneimittelmarkt und aus Sicht der Patienten dort ist Weleda eine französische Marke.

Weleda ist Mitglied bei der UEBT, der Union for Ethical Biotrade. Als erstes und bisher einziges Schweizer Unternehmen verpflichtet sich Weleda, die sozialen und ökologischen Kriterien des UEBT-Standards umzusetzen. Was heisst das genau?

Die wichtigsten Ziele der UEBT sind Biodiversität und fairer Handel. Durch den Beitritt zur UEBT hat sich Weleda verpflichtet, bei der Beschaffung der Rohstoffe auf den Erhalt der Pflanzenvielfalt zu achten, die Pflanzen ausschliesslich nachhaltig zu nutzen und alle Partner in der Lieferkette fair zu entlohnen. Insgesamt nutzt Weleda rund 350 Pflanzenarten, von denen 90 Prozent wild wachsen und kontrolliert geerntet oder nach ökologischen Grundsätzen angebaut werden. Langfristige Partnerschaften und eine faire Entlohnung geben den Bauern und Wildsammlern vor allem in den ärmeren Regionen der Welt eine existenzielle Perspektive.

Weleda hat den Swiss Ethics Award 2016 «gewonnen». Was bedeutet Ihnen eine solche Auszeichnung?

Dieser Award ist in zweifacher Hinsicht für Weleda bedeutsam: Es ist die erste Auszeichnung für unser ethisches Engagement und es ist unser erster Preis in der Schweiz von überregionaler Bedeutung. Weleda gehört zu den Pionieren des sozialen und ökologischen Wirtschaftens und wurde dafür in anderen Ländern vielfach ausgezeichnet – zuletzt mit dem bedeutenden Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie nachhaltigste Marke. Umso mehr freuen wir uns jetzt über die Aufmerksamkeit in der Heimat.

Eine letzte Frage: Wie lautet Ihr Rezept, Betriebswirtschaft und Anthroposophie zu vereinbaren?

Weleda ist ein anthroposophisch inspiriertes Unternehmen. Dies bildet sich in unserem Leitbild ab. Konkret bedeutet das: fairer Umgang mit Kunden, Partnern und Lieferanten, partnerschaftliches Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften, hohe Qualitätsansprüche, ethisches Wirtschaften und kulturelle Vielfalt als Bereicherung erleben. Es ist allen Mitarbeitenden klar, dass auch ein solches Unternehmen Geld verdienen muss. Unsere Unternehmenskultur ist die Grundlage dafür, dass unsere Mitarbeitenden besonders motiviert sind und mit Freude zur Arbeit gehen. Ich bin überzeugt davon, dass Unternehmen, in denen das gegeben ist, auf Dauer erfolgreich sind. Wir liefern den Beweis.

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