Interviews

Interview mit Heiko Nüssel

«Am Standort Schweiz gedeiht unsere Innovationskraft»

Heiko Nüssel, Partner, Executive Vice President Compliance & Certification von Lantal Textiles AG, Langenthal, über Innovation und Qualität in stark regulierten Märkten, Trends zu leichten Materialien sowie Pflege der Loyalität in Geschäftspartnerschaften.
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Herr Nüssel, Lantal ist im laufenden Projekt «Solar Impulse» der Schweizer Bertrand Piccard und André Borschberg involviert. Worin besteht da eigentlich Ihre Challenge?

Das Luftkissen-System ist unser Beitrag. Es wurde schon vor dem Projekt entwickelt und ist bereits bei der Swiss im Einsatz. Die Technologie unterstützt wirksam auf dem Flug, bietet den beiden Piloten mehr Komfort als herkömmliche Sitzauflagen. Gelingt die Solar-Impulse-Mission mit einer maximalen Sitzzeit von fünf bis sechs Tagen auf dem längsten Flugabschnitt, so gibt das sicher auch Lantal Schub.

Ein Schub, der auch auf Ihr gesamtes Geschäft ausstrahlen soll?

Indirekt schon, denn unser USP basiert auf einem vielschichtigen Tätigkeitsspektrum. Wir stellen Teppiche her, Gewebe, Vorhangstoffe, Sitzbezüge, Plüsch und Bodenbeläge. Das ist das eine. Und wir machen aus Rohmaterialien in Rollenform sogenannte «Parts», also Teile, die wir den Kunden mit den entsprechenden Dokumenten und Zertifizierungen fertig zum Einbau ins Flugzeug oder in die Bahn zur Verfügung stellen. Hinzu kommt unsere ausgeprägte Innovationskraft, welche in die Branche ausstrahlt. Zeichen dafür ist, dass wir von Mitbewerbern kopiert werden. Gerade weil wir in der Schweiz im Kostennachteil stehen, müssen wir das mit neuen Ideen, mit Innovationen und anderem mehr kompensieren.

Was ist in Ihren Märkten das Besondere?

Das Erfreuliche: Lantal ist in einem Wachstumsmarkt tätig. Der Reiseverkehr nimmt zu. Geflogen wird auf der ganzen Welt, und auch der Verkehr am Boden ist global verteilt. Wachstum ist prognostiziert, weil die Bevölkerung wächst, immer älter und mobiler wird. Das Schwierige: Einschneidend ist, dass die Luftfahrtbranche sehr stark reglementiert ist und sich eher konservativ verhält. Wir müssen uns deshalb mit vielen Gesetzesauflagen auseinandersetzen, sei es punkto Brandschutz, Sicherheit oder Zertifizierung. Wir sind SQS-zertifiziert nach EN 9100. Notabene: An einem Flugzeug als Monteur tätig sein zu können, bedingt nicht nur intensive Schulung, sondern auch eine Lizenz.

Ihr Unternehmen lanciert jedes Jahr eine zukunftsweisende Innovation im Markt. Welche war die bisher erfolgreichste?

Das ist sicher unser pneumatisches Komfortsystem (PCS). Dieses System brauchte seine Zeit bis zur Akzeptanz, denn die Branche konnte sich vorerst nicht vorstellen, den herkömmlichen Polsterschaum durch Luft zu ersetzen. Aber das System hat sich durchgesetzt. Es ist eine schöne Erfolgsgeschichte. Heute fliegen, neben Swiss und Lufthansa, auch andere Gesellschaften (Austrian, British Midland, Edelweiss, MS Brussels, Air Canada) mit dem System. In Arbeit ist ein grosses Projekt für die Ausrüstung der Boeing B787, dem «Dreamliner», und des Airbus A-380 in der First und Business Class von Etihad Airways.

Und die jüngste Innovation?

Unser Deckensegel. Würde beispielsweise der Entscheid beim A-320 auf dieses Lantal-Produkt fallen, so könnte man das Flugzeug um 45 Kilogramm entlasten. Die Ersparnis wäre 300 bis 500 Franken pro Kilogramm pro Flugzeug und Jahr, also eine erhebliche Summe. Was für Airbus und den Installateur noch interessanter wäre: Das Deckensegel weist markant kürzere Montagezeiten auf. Diese neuartige Problemlösung bringt auch gewichtige Sicherheitsvorteile, denn sie ermöglicht im Brandfall den leichten und schnellen Zugriff zu Deckenleitungen und Anlagen. Im Vergleich zu heute hätte man ein Feuer viel schneller unter Kontrolle. Und, natürlich, das Deckensegel schafft durch die variable Lichtsteuerung in der Kabine eine Ambiance nach Wunsch. Weil die Homologierung solch spektakulärer Neuerungen sehr viel Geld kostet, hält sich die Branche indes noch zurück und bleibt einstweilen beim Bewährten.

Kann Lantal auch Trends setzen?

Ja, absolut – ganz unbescheiden. Wir verfügen über ein eigenes Trendsetter-Buch. Unser Design-Department sammelt, was als «trendy» gilt. Das versuchen die Designer in Farben, Formen und Strukturen von Stoffen und Teppichen umzusetzen. Daraus entsteht ein Lantal Trend Letter, der von Airlines als Ideenköcher für die Realisierung ihres Corporate Design genutzt wird.

Woher kommt diese Innovationskraft?

In erster Linie braucht man hoch qualifiziertes Personal. Und man muss mit offenen Augen durch die Welt gehen. Wichtig ist auch, dass man mit Hochschulen, Instituten, Beratern in Kontakt ist, Fachmessen besucht und recherchiert, was es Neues gibt auf dem Markt der Technologie, der Textilien, der Maschinen, der Kundenerwartungen und anderem mehr. Man muss Bedürfnisse des Marktes absaugen, abhören und Schlüsse daraus ziehen. So entstehen Innovationen. Selbstverständlich befinden wir uns zudem mit den Designabteilungen der Fluggesellschaften in engstem Kontakt.

Hochwertigkeit im Design und im Material ist Ihr Anspruch: Worin besteht Ihr Investment, um dem gerecht zu werden?

Unser Grundmaterial ist das Garn. Jedes Garn hat seine eigene Spezifikation. Diese Spezifikation wird bei der Eingangskontrolle kontrolliert oder der Lieferant belegt sie mit seinem Zertifikat. Dieser Prozess verlangt von den Mitarbeitenden eine hohe Qualifikation. Und da wird investiert – Zeit und Geld. Lantal muss das Heft selber in die Hand nehmen, weil die Textilbranche in den letzten Jahrzehnten dramatische Strukturänderungen erlebte und sich die Ausbildung in der Textilindustrie nicht mehr auf dem einst hohen Stand bewegt. Deshalb bilden wir jedes Jahr rund 19 Lehrlinge aus, um das Know-how zusammenzuhalten. Nach Spezialisten wie Textilingenieure und Flugzeugingenieure suchen wir auch im Ausland. Im Bereich Design profitieren wir vom hohen fachlichen Standard an den Schweizer Fachhochschulen. Neben dem Investment in das Human Capital investieren wir in neue Technologien. In neue Maschinen und Gebäude investieren wir jährlich rund drei Millionen Franken.

Sicherheitsstandards sind ein Schlüsselfaktor im Reiseverkehr. Was muss Lantal dafür tun?

In der Tat: Strenge Regularien und Gesetze definieren die Sicherheitsstandards. Im Luftfahrtbereich werden sie von der amerikanischen Behörde FAA, in Europa von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit EASA erlassen. Auch im Eisenbahnsektor sind Normen vorgegeben – europäische Normen, aber auch nationale Normen und zwar unterschiedliche in Frankreich, Deutschland und England. Deshalb ist es sehr schwierig und kostspielig, Materialien so zu zertifizieren, dass sie in allen Ländern einsetzbar sind. Seit 15 Jahren versucht man, einen einheitlichen europäischen Standard zu schaffen. Um die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, unterzieht Lantal die Materialien im eigenen Testlabor ausgedehnten Flammtests und Normbrand-Prüfungen. In «brutalen» Seat-Burn-Tests wird dafür gesorgt, dass sich der Passagier später auf seinem Sitz sicher fühlt und den Komfort geniessen kann.

Unser Labor hat in der Branche eine hervorragende Reputation. Hoch gesetzt ist auch die Messlatte mit der Design und Production Organization. Die Approvals dafür müssen wir uns teilweise in Vier-Augen-Interviews mit dem BAZL erarbeiten. Jeder in einem bestimmten Tätigkeitsgebiet nominierte Mitarbeitende wird auf seine Kompetenz hin evaluiert. Beim jährlichen Audit durch die Behörde werden die absolvierten Kurse für Luftfahrt und Luftfahrtsicherheit in den Personalakten kontrolliert. Sogar das Auswechseln von Sitzbezügen im Flugzeug ist lizenzierten Spezialisten vorbehalten, damit die sogenannte Lufttüchtigkeit nach dem Umbau wieder gewährleistet ist. Restriktive Sicherheitsanforderungen bedeuten für uns: Wir führen ein hochprofessionelles eigenes Testlabor, und wir müssen laufend in die Schulung investieren. Wenn man von der reinen Weberei in den Dienstleistungsbereich hineinwächst und den Kunden mehr als nur Rohmaterial anbieten möchte, dann ist das der Preis dafür. Und der Schlüssel zum Markt.

Lantal will «Vorbild bei der Nachhaltigkeit von Produkten und Unternehmen» sein. Gibt es dafür konkrete Beispiele?

Wie am Beispiel des neuen Deckensegels zu erkennen ist, streben wir mit innovativen Lösungen Nachhaltigkeit an. Wir wollen weniger Gewicht im Flugzeug oder in der Bahn, ohne die Eigenschaften unserer Textilien und Parts negativ zu beeinflussen. Weniger Gewicht heisst weniger Brandlast. Das ist ein Sicherheitsaspekt. Hinzu kommen Kerosineinsparungen und ein geringerer CO2-Ausstoss.Grosse Anstrengungen unternehmen wir bei der Überwachung von Lieferanten. Ein grosser Teil der Wertschöpfung hat Lantal in der Schweiz. Wir kennen unsere Vorlieferanten deshalb sehr genau. Wir verarbeiten überwiegend das Naturprodukt Wolle. Bis auf das Waschen haben wir den ganzen Prozess der Aufbereitung der Wolle bis zum fertigen Textil in der eigenen Hand. Wir wissen also genau, wie wir färben, was wir an Abwässern produzieren.

Lantal geniesst weltweit eine hohe Reputation. Was macht sie aus?

Unser Ruf basiert auf einem Bündel von Eigenheiten. Lantal ist seit 60 Jahren im Aircraft-Geschäft und setzt ultimativ auf Spitzenqualität und Innovation. Wir arbeiten ständig an der Gewichtsreduktion von Materialien und bieten den Kunden entlastende Serviceleistungen. Wir liefern langlebige Produkte mit hohem Qualitäts- und Sicherheitsstandard. Wir verfügen über ein filigranes Netzwerk und ein qualifiziertes Team. Dadurch können wir Kunden und Lieferanten zusammenbringen, um bestmögliche Lösungen zu schaffen. Und wir spüren am Erfolg, dass man das schätzt.

Wie kommt das Unternehmen mit der aktuellen Währungssituation zurande?

Wir sind Qualitätsführer, und haben einen Exportanteil von 96 Prozent. Die meisten Kunden kaufen in US-Dollar oder in Euro ein. Das macht die Sache nicht einfach. Wir stellen uns darauf ein, indem wir ein stringentes KVP- Denken fahren, an unseren Prozessen arbeiten, auch an Kosten- und Zeiteffizienz in kleinen Schritten. Einmal eingegangene Partnerschaften sind uns viel wert. Deshalb überlegen wir mit unseren Partnern, wo wir noch günstiger einkaufen können. Aber sicher, es braucht den Ausgleich zwischen dem Einkauf und unserer Kundenfaktura. Das führt dazu, dass wir unsere Zuliefermöglichkeiten im Ausland überprüfen.

Der Standort Schweiz ist unbestritten. Hier gedeiht unsere Innovationskraft. Wir erkennen gleichzeitig, dass in der Flugbranche wie auch der Eisenbahnbranche China der eigentliche Wachstumsmarkt ist. Wiewohl wir in diesem Gebiet bei der Erstausstattung von Flugzeugen fast alles liefern können, ist es für Folgelieferungen entscheidend, in China einen Stützpunkt zu haben. Vorteile daraus sind die Nähe zum Kunden und das leichtere Erfüllen der regional scharfen Liefer-Regulierungen der Regierung. Seit Jahrzehnten schon pflegen wir das Hub-System mit dem Standort in den USA. 2014 wurde ein Sales Hub in Singapur eröffnet, im Land unseres grössten Kunden, der Singapore Airlines. Präsenz in Asien ist wichtig, um am Wachstums- und After-Sales-Markt partizipieren zu können.