Interviews

Im Gespräch mit Dr. Christoph Blocher

«Alte Führungsgrundsätze ändern sich nicht durch die Digitalisierung»

Dr. Christoph Blocher, Präsident und Eigentümer der Robinvest AG sowie Verwaltungsratsmitglied verschiedener Schweizer Industrieunternehmen, über die Wirtschaftspolitik Donald Trumps, die Beziehungen zur EU und die Gefahr der Mittelmässigkeit.
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Herr Dr. Blocher, beginnen wir aus aktuellem Anlass mit einem Abstecher ins Ausland. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und die ersten Monate seiner Amtszeit kommentieren die meisten Leitmedien als Schock; Stimmen aus Wirtschaft und Politik prophezeien negative Konsequenzen auch für die Schweiz. Wie ist Ihre Meinung?

Amerika hat eine gute Verfassung, dort verträgt man auch Präsidenten, die problematisch sind. Der Kongress ist ziemlich stark und schafft einen Ausgleich. Ähnlich wie in der Schweiz, wo das Volk als Korrektiv gilt. Wir gehen da noch weiter; wir wollen gar keinen so mächtigen Präsidenten. Es ist für uns hier in der Schweiz schwierig, Herrn Trump zu beurteilen. Wenn man nach der Presse urteilt, wäre er ja ein Trottel, ein Rüpel, ein Weiberheld und was sonst noch alles Böses.

Ich beobachte – ohne Vorurteil –, was er bisher getan hat. Er hat Leute für sein Kabinett ernannt, die hochqualifiziert sind und eine starke eigene Meinung haben. Weil es so viele Leute gibt, die Trump kritisch auf die Finger schauen, bin ich auch zuversichtlich, dass er gar nicht so viel falsch machen kann. Das war anders bei Obama, dem man schon den Friedensnobelpreis überreichte, bevor er richtig angefangen hat zu arbeiten. Doch so viel Krieg wie unter seiner Amtszeit hat kaum ein anderer
Präsident hinterlassen.

Was halten Sie als Unternehmer von Präsident Trumps Wirtschaftspolitik?

Wirtschaftspolitisch hat er in wenigen Tagen mehr gemacht als der Vorgänger in einem Jahr. Er stoppte das transpazifische Abkommen TTP. Ob dies gut kommt oder nicht, wird man sehen. Auch die Schweiz war damals vorsichtig. Als ich im Amt war, wollte die Schweizer Regierung einen Freihandelsvertrag mit den USA ausarbeiten, was aber dann unter anderem deshalb gescheitert ist, weil die Amerikaner unseren Patentschutz nicht anerkennen wollten. Dazu kamen ungelöste Probleme bezüglich Landwirtschaft. Trumps angekündigte Steuersenkung für die Unternehmen dürfte die Wirtschaft in Schwung bringen. Skeptisch bin ich über seine Pläne, die Produkte, welche die USA an China verloren haben, zurückzuholen.

In China produziert man nun einmal billiger als in den USA. Und ich glaube kaum, dass die Amerikaner ein Mehrfaches bezahlen wollen und können. Er will Zölle von 30 Prozent erheben. Das gibt zunächst teurere Massenprodukte, was für die USA sehr nachteilig sein wird. Da könnte Präsident Trump vielleicht für einmal von der Schweiz lernen. Auch unser Land hat billige Massenprodukte an China verloren, weil sie dort zu viel tieferen Preisen hergestellt werden. Darum musste die Schweiz hochstehende Produkte entwickeln, die man in China nicht herstellen kann. Trump müsste dasselbe in der amerikanischen Wirtschaft anstreben; dann aber müsste er das Bildungssystem ändern.

Apropos China: Als eines der innovativsten Länder der Welt steht die Schweiz auch im Fokus chinesischer Unternehmen. Wie lässt sich ein Ausverkauf der Innovationen verhindern?

Ich bin der Meinung, dass es ein Gesetz geben muss, nach dem für das Land entscheidende Firmen und kritische Infrastrukturen nicht ins Ausland verkauft werden dürfen, zum Beispiel Flughäfen oder entscheidende Elektrizitätsversorger. Sonst besteht die Gefahr, dass man uns beispielsweise den Strom abstellt oder sonst erpresst. Es gibt einen entsprechenden Vorstoss im Parlament, den ich unterstütze. Hingegen habe ich bei vielen privaten Firmen, zum Beispiel bei Syngenta, nichts dagegen, wenn die Chinesen sie übernehmen.

Und welche Geschäfte haben Sie selber schon in China gemacht?

Zwischen 1983 und 2003 haben wir 117 grosse Fabriken in China für die Synthesefasern gebaut. Also für Produkte, die man in der Schweiz, ja in ganz Europa nicht mehr konkurrenzfähig produzieren konnte.

Es gibt die Auffassung, dass die Schweiz beim Freihandelsabkommen mit China den Kürzeren gezogen habe, weil die Chinesen an unsere Landwirtschaftsprodukte unerfüllbare Anforderungen stellen. Wie beurteilen Sie das?

Dieses Abkommen ist ein Anfang und unvollständig. Man hat vor allem Zollerleichterungen von Massenprodukten erreicht. Das ist aber noch kein Nutzen für die Schweiz, sondern vorab für China. Es muss nun das Gewicht auf anspruchsvolle Produkte gelegt werden, für die man in China noch nicht über die geeignete Technik verfügt. Wenn man mit den Chinesen verhandelt, muss man sich allerdings auf die Hinterbeine stellen.

Die Schweizer Regierung zeigt aber auch gegenüber der EU wenig Selbstbewusstsein. Wie könnte sich das ändern?

Unsere Politiker stehen nicht mehr zu den schweizerischen Grundsätzen. Letztlich wollen sie, dass sich die Schweiz an die EU anbindet. Das ist schon seit 30 Jahren so. Sie haben immer Angst, sie könnten die EU-Politiker verärgern. Über die Masseneinwanderungsinitiative hat Bern in den letzten drei Jahren gar nie richtig verhandelt. Sie gingen nach Brüssel, um wie kleine Kinder das Mami zu fragen, ob sie etwas richtig gemacht hätten. Etwas mehr Selbstbewusstsein wäre angezeigt. Denn wir sind ein wichtiger Kunde der EU.

Stichwort Masseneinwanderungsinitiative: Halten Sie es für die richtige Massnahme, ein Referendum zu ergreifen?

Das Volk hat beschlossen, dass wir die Zuwanderung eigenständig steuern wollen, und zwar mit jährlichen Höchstzahlen, mit jährlichen Kontingenten und einem Inländervorrang, so wie dies die Schweiz zwischen 1971 und 2007 mit grossem Erfolg praktiziert hat. Das war die Folge, weil die unkontrollierte Zuwanderung in den 1960er-Jahren zu einer Masseneinwanderung geführt hatte, so dass die Schwarzenbach-Initiative ergriffen wurde. Sie verlangte, dass 300 000 Ausländer hätten ausgewiesen werden müssen.

Ohne neue Beschränkungsregeln wäre diese Initiative damals angenommen worden. Diese kontrollierte Zuwanderung wollte in der Schweiz niemand ändern – auch die Wirtschaft nicht. Die Arbeitskräfte, die man benötigte, aber in der Schweiz nicht fand, bekam man immer. Es gab auch Kurzzeit-Bewilligungen ohne Sozialleistungen, aber auch ohne Sozialbeiträge. Das Volk hat ursprünglich das Freizügigkeitsabkommen mit der EU akzeptiert, weil der Bundesrat dargelegt hat, es kämen jährlich nur acht- bis zehntausend Einwanderer.

Es kamen aber über 70 000 pro Jahr, so dass wir heute etwa 25 Prozent Ausländer im Land haben. Darum stimmten Volk und Stände 2014 der Masseneinwanderungsinitiative zu. Das Gesetz, das die Verfassung endlich durchsetzen müsste und welches das Parlament verabschiedet hat, bringt keine Kontrolle der Zuwanderung. Trotzdem: Ein Referendum bringt auch keine Lösung. Würde man dieses «Nicht-Umsetzungsgesetz» ablehnen, gälte das heutige Gesetz, also auch keine kontrollierte Einwanderung, was ja die Verfassung ändern will.

Geplant ist nun eine Initiative, welche die freie Einwanderung verfassungsmäs­sig verbietet. Der grosse Ökonom Milton Friedman, der ganze Länder zum Wohlstand geführt hat, war stets für den Freihandel, aber gegen die Personenfreizügigkeit, denn diese würde höchstens dann funktionieren, wenn man den Sozialstaat abschafft. In allen Ländern ist die Personenfreizügigkeit das ganz grosse Problem.

Plädieren Sie dafür, dass Freihandelsabkommen in erster Linie bilateral abgeschlossen werden sollten, weil man jedes Land für sich betrachten muss?

Gewisse Grundsätze kann man multilateral vereinbaren, zum Beispiel die Abschaffung oder Senkung der Zölle. Mächtige Länder machen allerdings auch in diesem Bereich, was sie wollen. Deswegen müssen kleinere Länder vorsichtig sein. Generell bin ich für den bilateralen Weg, wobei man aber nicht jeden Vertrag abschliessen muss, der vorgeschlagen wird. Im Kampf gegen den EWR-Beitritt 1992 erklärte ich: Wenn wir ein Problem mit einem EU-Land haben, erarbeiten wir einen zweiseitigen – eben bilateralen – Vertrag.

Aber nicht jeder Vertrag ist gut. Wir haben beispielsweise diesen katastrophalen Vertrag über die Personenfreizügigkeit abgeschlossen. Das funktioniert so nie. Aber man kann beispielsweise Verträge über einheitliche Strassenbeschilderungen abschliessen, das macht Sinn. Wir haben etwa 150 Verträge mit den EU-Ländern, und viele davon sind sinnvoll. Mit solchen Verträgen dürfen wir aber die Unabhängigkeit und die Handlungsfreiheit der Schweiz nicht beeinträchtigen.

Was halten Sie von dem geplanten Rahmenvertrag?

Dieser Rahmenvertrag mit institutioneller Bindung, der eine zwingende Übernahme von EU-Gesetzen und fremden Richtern bringt, kommt nicht in Frage. Wir brauchen unsere Unabhängigkeit, und wir dürfen keine «ewigen» Verträge abschlies­sen, die man nicht mehr kündigen kann. Es schadet der Wirtschaft, wenn dieses Prinzip nicht mehr beachtet wird. Die Wahrung der Unabhängigkeit hat die Schweiz auch wirtschaftlich erfolgreich gemacht. Wir dürfen auch nicht Mitglied des EU-Binnenmarktes sein und sind es auch nicht.

England hat nun das Problem, dass die Bevölkerung aus dem Binnenmarkt hinaus will. Die Schweiz sollte erst gar nicht hinein. 2015 hat unser Parlament einen Beschluss gefasst: Die Schweiz hat der EU mitzuteilen: Wir sind nicht Mitglied des europäischen Binnenmarktes und wollen das auch nicht sein. Wir können Verträge abschliessen, die den Handel erleichtern, aber: Wir bleiben ein unabhängiges Land.

Kommen wir zu einem anderen Thema: Wie ist Ihre Meinung zur Energiewende 2050?

Bis 2050 können wir nicht planen, das ist überheblich und lebensfremd. Wir wissen nicht, wie die Verhältnisse dann aussehen. Ob mit oder ohne Verbot, es werden keine neuen Kernkraftwerke gebaut. Ob im Jahr 2050 ein anderer Typ zur Verfügung steht, ist ungewiss. Das Volk hat beschlossen, die bestehenden Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, solange sie sicher und wirtschaftlich sind. Aber die ganze Energieversorgung – Elektrizität, Öl, Benzin, Gas, alternative Energien – einer staatlichen Wirtschaft zu unterstellen, ist Gift für die Energiekonsumenten. Man muss es dem freien Markt überlassen. Die Anbieter achten schon darauf, dass kostengünstige, genügende und sichere Energie produziert wird.

Der Beste setzt sich durch. Das neue Energiegesetz sieht vor, dass die Schweizer bis 2035 43 Prozent der Energie einsparen müssen. Das führt zu exorbitanten Kosten. Pro Jahr fallen 3200 Franken mehr Energiekosten pro vierköpfige Durchschnittsfamilie an. Das trifft den Mittelstand, sämtliche Bürgerinnen und Bürger. Profitieren werden einzig linke Energietheoretiker mit ihren Pseudofirmen und subventionierte Wirtschaftszweige. Das Volk, die Familien, die KMU, die Konsumenten bezahlen. Der Bundesrat will dies durch eine neue Lenkungsabgabe erreichen. Er schlägt vor, 26 Rappen mehr pro Liter Benzin, 67 Rappen mehr für Heizöl und vieles mehr vor. Dieser bürokratische Unsinn ist zu stoppen.

Bei der Abstimmung im vergangenen Februar ist die Unternehmenssteuerreform III relativ deutlich abgelehnt worden. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus und wie könnte ein alternatives Modell aussehen, das vom Volk akzeptiert wird? Denn eine Reform muss es ja geben, oder?

Zunächst: Jetzt bleibt das Steuerregime, wie es bisher war. Das wollte ja eigentlich auch niemand ändern. OECD und EU zwangen uns diese Reform auf. Wenn sie ihre Drohung wahr machen und ausländische Gesellschaften, die in der steuergünstigen Schweiz Unternehmen haben, mit höheren Abgaben abstrafen, dann wird die Schweiz Steuereinnahmen verlieren. Das wollte die USR III verhindern. Nun bleibt es, wie es ist. Allfällige Steuerverluste müssen dann wohl durch Sparmassnahmen kompensiert werden. Eine neue Steuerordnung des Bundes dürfte erneut scheitern, ausser alle Kantone würden zuerst festlegen, wie sie ihre Steuergesetze ändern wollen, damit die Steuerzahler wissen, was sie bezahlen müssen.

Wirtschaft insgesamt hat einen grossen Einfluss auf die Politik. Warum jedoch sind die Unternehmer des Mittelstandes in der Politik so untervertreten?

Nicht jeder Unternehmer ist auch ein guter Politiker. Kommt hinzu, dass die Politik eine grosse zeitliche Belastung bedeutet. Der Unternehmer fehlt in seinem Betrieb, wenn er im Parlament sitzt. Das ist bei den meisten Parlamentariern – den Berufspo­litikern – anders. Sie fehlen nirgends, wenn sie im Parlament weilen. Zudem: Die Politiker werden heute von der Verwaltung geführt, statt umgekehrt.

Was wünschen Sie sich als Unternehmer für die Schweizer Politik?

Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass das Land unabhängig bleibt und wir selber entscheiden können. Insbesondere ist die Anbindung an die EU zu verhindern. Der Euro kann nicht funktionieren. Die Schweiz als wirtschaftlich armes Land wurde dank einer besseren Staatsform eines der innovativsten und wohlhabendsten Länder, obwohl wir keine Rohstoffe haben. Das sollten wir nicht für eine Nivellierung nach unten aufs Spiel setzen. Und im Interesse der Schweiz müssen wir für weniger Staat und mehr Freiheit, für weniger Staatseingriffe und weniger Steuern, Abgaben und Gebühren kämpfen.

Eines der grössten Probleme für viele Unternehmen ist die ungebrochene Frankenstärke. Wie leben Sie damit?

Warum sollten wir keinen starken Franken haben? Sollen wir uns den Schwachen anpassen? Mit dem starken Franken lebe ich als Exporteur, seit ich in der Wirtschaft tätig bin. Die grossen Kurssprünge sind zwar sehr hart, der letzte war vor zwei Jahren. Aber das hat sich inzwischen ausgeglichen.

Die Schweizer haben einen starken Franken. Damit haben die Leute gutes Geld in der Hand, nämlich teures. Das ist ein Zeichen des Vertrauens und einer starken Volkswirtschaft. Schauen Sie die Welt an: Schwachwährungsländer sind die wirtschaftlich Schwachen! Die beliebige Geldschwemme der Europäischen Zentralbank, um faule Anleihen aufzukaufen, wird kein gutes Ende nehmen.

Und wie passt hierzu die Negativzinspolitik? Ist es richtig, dass die SNB da mitmacht?

Ich bin gegen die Negativzinsen, doch die Nationalbank befürchtet ohne diese Negativzinsen einen noch stärkeren Franken zum Nachteil von Export, Tourismus und Detailhandel.

Ein Blick in die Zukunft: Was sind aus Ihrer Sicht die besonderen Herausforderungen der nächsten Jahre?

In der Industrie muss man dafür sorgen, dass man in den hochentwickelten Ländern besonders hochstehende Produkte produziert. Wir können keine billigen Waren herstellen, beispielsweise keine Massentextilien. Für hochstehende Produkte brauchen wir sehr qualifizierte Leute. Wir dürfen das Bildungswesen nicht kopflos mit dem Ausland harmonisieren, denn so entsteht Mittelmässigkeit. Im Mittelpunkt muss die Berufsbildung stehen. Universitäten gibt es auf der ganzen Welt, die Meisterlehre fast nur in der Schweiz.

Ich bin dagegen, dass möglichst viele studieren sollen. Ich rate vielen, eine Lehre zu machen. Das führt zu Berufen, die wir brauchen, und weiterbilden kann man sich immer. Die USA haben ein problematisches Bildungswesen, etwas drastisch ausgedrückt: Man hat dort hervorragende Forscher, viele Nobelpreisträger, aber als nächste Stufe fast nur Hilfsarbeiter, keine guten Berufsleute. Ich habe das in unseren Fabriken in den USA selber erlebt. Wir mussten unsere Elektriker aus der Schweiz hinschicken, weil die Stromversorgung nicht funktionierte. Einfachste Installationen waren falsch. Das ist aber für die Qualität eines Betriebes massgebend.

Kommen wir zu Christoph Blocher als Unternehmerpersönlichkeit. Sie traten 1969 in die Ems Chemie AG ein, zunächst als Werkstudent in die Rechtsabteilung. Bereits drei Jahre später waren Sie Delegierter des VR, und 1983 übernahmen Sie das Aktienpaket der Gründerfamilien und damit die Stimmenmehrheit. Was war Ihre Triebfeder für diese Entwicklung?

Ich bin als Pfarrerssohn das siebte von elf Kindern, bin ausgebildeter Landwirt und ich studierte dann auf dem zweiten Bildungsweg Jurisprudenz. Das habe ich als Werkstudent getan, damals gab es noch keine Stipendien. Nachdem ich das Lizenziat absolviert hatte, merkte ich, dass ich von der Wirtschaft nichts verstand, denn ich konnte nicht einmal eine Bilanz lesen. Dann bot man mir eine Halbtagsstelle im Rechtsdienst der Ems-Chemie – damals noch Emser Werke – an. Und zwar bloss halbtags, weil ich noch meine Dissertation schreiben musste.

Das Unternehmen hat mich fasziniert, und als meine Doktorarbeit fertig war, hatte ich schon die Position eines Vizedirektors. Ich stieg dann rasch auf und übernahm 1983 die Firma. Wir haben Synthesefasern für die Textilindustrie produziert. 1974 – im Jahr der Erdölkrise – kam Ems in Schwierigkeiten. Der Billigkonkurrenz der ostasiatischen Länder, vor allem Thailand, Taiwan, Vietnam – China war noch verschlossen – war nicht beizukommen. Unter meiner Leitung haben wir das Know-how für diese Faserproduktionen verkauft.

Das war kein Produkt mehr für europäische Firmen. Beispielsweise produzierte Hoechst – die grösste Chemiefirma der Welt – die wunderbare Faser Trevira. Deren Textilteil ging an die Philippinen, weil die europäische Produktion nicht mehr rentierte. Ems-Chemie musste eine Durststrecke durchmachen, aber wir haben neue Produkte entwickelt. Als der Eigentümer starb, standen wir beinahe vor dem Untergang. Ich kaufte das Unternehmen als Management-Buy-out.

Wie steht Ems heute da?

Heute ist die Ems-Chemie eine der bestrentierenden Chemiegruppen in Europa. Ems produziert aber keine textilen Synthesefasern mehr, sondern hochwertige polymere Werkstoffe, die zum Beispiel hitze- und säurebeständig sind. Ems weiss aus Erfahrung: Nach einigen Jahren werden diese Produkte auch wieder Massenwaren, werden von den Grossfirmen imitiert. Sie sind schwerfälliger. Sie haben eine grosse Marktmacht und können Produkte in grossem Stil verkaufen. Sie sind aber weniger innovativ.

Diesen Unternehmen muss man immer einen Schritt voraus sein, dafür hatten wir gute Mitarbeiter. Wir waren zum Beispiel die Ersten, die einen Kunststoff für Autostossstangen entwickelt haben. Heute ist dies Massenware. Ems will weiterhin voran sein. Das ist die Zukunft von Ems-Chemie, die heute mehrheitlich unseren Kindern gehört und durch die älteste Tochter geführt wird.

Wie haben Sie die Unternehmensübernahme geregelt, als Sie Bundesrat wurden?

Ich habe vier Kinder, alle sind tüchtige Unternehmer. Vieles machen sie besser als ich. Sie sind auch besser ausgebildet, als ich es war. Nachdem ich überraschend in den Bundesrat gewählt worden war, musste ich innerhalb von drei Wochen eine Lösung finden. Ich überliess ihnen 30 Prozent des Kapitals, und für den Rest mussten sie Kredite aufnehmen, um die Firma zu kaufen. Ich wollte, dass sie auch die Kapitalkosten bezahlen, das ist Erziehung und Motivation. Als ich nach zwei Jahren gesehen habe, dass alles klappt, verteilte ich mein Vermögen gleichmässig auf meine Kinder und meine Frau und mich. Über unseren Anteil haben wir die freie Verfügung. Alle sind zufrieden.

Ihr Sohn Markus führt erfolgreich das Chemieunternehmen «Dottikon Exclusive Synthesis», Ihre Töchter Miriam, Rahel und Magdalena sind ebenfalls erfolgreich unternehmerisch tätig. Gibt es so etwas wie ein Unternehmer-Gen?

Das weiss ich nicht, aber meine Kinder führen grundsätzlich gleich wie ich. Ob dies genetisch bedingt ist, weiss ich nicht.

In der Schweiz gibt es tausende von Unternehmern, die keine Nachfolger haben. Zu welcher Lösung raten Sie?

Dann muss man das Unternehmen verkaufen. Ich habe immer gesagt, dass man die Kinder nicht zu einer Nachfolge zwingen darf. Man darf sich nicht so verheiraten mit dem Unternehmen, dass man nicht mehr hinauskommt. Es macht mir mehr Sorge, dass es immer weniger echte Unternehmer gibt. Angestellte Führungskräfte haben zu hohe Boni, so dass es für sie nicht mehr attraktiv ist, Unternehmer zu werden und das Risiko selber zu tragen.

Wenn sie so gut sind, sollen sie selbstständig werden und auch das Risiko übernehmen. Eine Firma, die so teure Leute braucht, hat eine zu komplizierte Strategie. Bei einfacheren Strategien braucht es dann nicht so hochqualifizierte, teure Leute, die oft auch nicht mehr fertigbringen als einfacher gestrickte Leute.

Herr Blocher, Ihr Herz gehört dem Unternehmertum wie auch der Politik. Welche Seite wiegt schwerer?

Ich bin und war Unternehmer. Politik ist meine Nebenbeschäftigung. Meine Gegner haben mir stets vorgeworfen, dass ich Politik betreibe wie ein Unternehmer. Aber selbstverständlich: Führen ist Führen. Ich führe auch Unternehmensschulungen in der Partei durch.

Wie viel Verstand und Bauchgefühl liegen in Ihren Entscheidungen?

Ich entscheide viel intuitiv – nach Bauchgefühl. Aber man muss trotzdem über die Dinge nachdenken, die Intuition allein tut es nicht. Man muss sich mit den Themen auseinandersetzen.

Noch eine Frage zum Führen im digitalen Zeitalter: Ergeben sich durch die Digitalisierung neue Führungsmethoden und eine Demokratisierung der Unternehmen?

Ich persönlich hatte nie einen Computer, ich bin kein Vorbild für Digitalisierung, obwohl ich mein Leben lang mit Zahlen zu tun hatte. Aber selbstverständlich hatten wir dies alles von Anfang an im Unternehmen. Die Digitalisierung bewältigt die routinemässigen Abläufe, aber nicht die Unternehmensführung im Gros­sen. Ich denke, dass die Führungsgrundsätze die gleichen bleiben. Der Mensch, der ein Unternehmen führt und den Ist-Zustand und die Probleme erkennt, ist entscheidend.

Wenn man den ganzen Tag am Computer sitzt, verliert man den Überblick und erkennt nicht mehr, was wirklich wichtig ist. Meine Kinder haben natürlich die modernste Technik und führen beispielsweise Videokonferenzen weltweit durch. Aber das ersetzt nicht den Kontakt mit den Leuten unter vier Augen. Demokratisierung im Geschäftsleben ist gut für die Entscheidungsfindung. Aber entscheiden, die Verantwortung tragen und durchsetzen muss immer eine Person. Die Tausende von Jahren
alten Grundsätze der Führung ändern sich nicht durch die Digitalisierung.

Sie haben ein Buch geschrieben, über das Blocher-Prinzip. Wie hat das Publikum darauf reagiert?

Ich versuche damit, meine Erfahrungen weiterzugeben. Es wurden bisher 45 000 Exemplare verkauft. Unternehmer und sogar Hausfrauen schreiben mir, dass sie mehr Zeit und weniger Stress haben, wenn sie meine Tipps befolgen. Das ist doch schön.

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