ICT & Technik

Industrie 4.0

Wie kleine digitale Schritte Nutzen schaffen können

Für den Weg zur Industrie 4.0 taugen allgemeine Konzepte wenig, vielmehr ist speziell in Technologiefirmen auf Nischenmärkten ein schrittweises, firmenspezifisches und techno­logieoffenes Vorgehen sinnvoll. Zielführend dabei ist, zunächst sowohl technische als auch ökonomische Vorteile auszuloten und die Mitarbeiter mitzunehmen.
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Schlagwörter verfehlen oft ihre Wirkung, weil sie Leute «erschlagen». Gemäss Next Industries, einer nationalen Initiative mit dem Ziel, die digitale Transfor­mation auf dem Werkplatz Schweiz ­voranzutreiben, geistern alleine für Industrie 4.0 mehr als 200 Definitionen ­herum. 

Davon abgeleitet liefert die Initiative von Swissmem, swissT.net, eine allgemeine Kurzdefinition: «Industrie 4.0 ist die nutzenbringende Vernetzung von Menschen, Maschinen, Produkten, Systemen und Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette und über den Produkt­lebenszyklus. Diese hat zum Ziel, effizienter oder produktiver zu produzieren und mehr Kundennutzen zu generieren.» 

Next Industries hält gleichzeitig fest, dass «... aufgrund der Heterogenität der produzierenden Industrie und der vielen verschiedenen Märkte jedes Unternehmen für sich eine Definition von Industrie 4.0 erarbeiten sollte». Speziell für kleine und mittlere Fertigungsunternehmen stellt sich daher die Frage, ob, wo, wann und wie sie mit diesem grossen Vorhaben anfangen sollen.

Kein Gewinn ohne Sinn

Industrie 4.0 beziehungsweise Digita­lisierungsprojekte machen auch in pro­duzierenden Firmen nur dann Sinn, wenn es wirklich einen solchen gibt – und die Mitarbeiter ihn erkennen. Beispielsweise kann es mehr Aufwand als Ertrag bringen, die Herstellung von ­kleinen Stückzahlen mittels digitalen Tools zu standardisieren. Das gilt umso mehr, wenn die Mitarbeiter eingespielte, im ­Resultat effiziente Abläufe aufgeben müssen.

Die Sinnermittlung spielt also noch vor der Zieldefinition eine zentrale Rolle. ­Darum gilt es, vorab es eine Vielzahl von Fragen zu beantworten. 

Dazu zählen:

  • In welchem Bereich beziehungsweise bei welchen Abläufen überwiegt der Nutzen von Digitalisierungsanstrengungen?
  • Sind die betroffenen Mitarbeiter willens, die Veränderung mitzugestalten, oder stemmen sie sich dagegen? 
  • Lassen sich die Vorteile in absehbarer Zeit praktisch umsetzen, einfach messen und klar kommunizieren?   

Erst wenn ein breit abgestützter Konsens über die Notwendigkeit von Digitalisierungsanstrengungen vorliegt, drängt sich die Definition der Ziele auf. Für Unternehmen mit technisch hochstehenden Produkten, die typischerweise Nischenmärkte bedienen, hat sich dabei ein gezieltes, etappenweises Vorgehen als sinnvoll erwiesen.

Kleine Schritte, grosse Ziele

Zwei Beispiele aus der Schweizer KMU-Industrie belegen, dass schon kleine di­gitale Fortschritte grossen Nutzen stiften und sowohl Bereitschaft als auch Geschwindigkeit für weitere Projekte ankurbeln können.

Beispiel 1: Im ersten Fall ging es um die Nachrüstung des Maschinenparks zur ­Erkennung der Maschinenbediener auf Basis bereits verwendeter Technologie für das Gebäudezutrittsmanagement. Die Entwicklung einer kundenspezifischen Edge-Lösung samt RFID-Leser in Kom­bination mit einer SQL-Datenbank ermöglichte nicht nur die beabsichtigte ­Gewinnung neuer Informationen, sondern auch die Berechnung weiterer Kennzahlen aus der Produktion für die Herstellkosten-Kalkulation.

Beispiel 2: Mittels einer massgeschneiderten Software-Brücke erhalten die Mitarbeiter an den Produktionsmaschinen im zweiten Fall dezentralen Datenzugriff auf das ERP. Die bidirektionale Kommunikation zwischen den Systemen auf Basis des Microservices-Framework Dapr und unter Verwendung des MQTT-Pro­tokolls hat zu geschätzten jährlichen sechsstelligen Kosteneinsparungen durch beschleunigte Prozesse geführt. 

Dank der Systemoffenheit sind die Einführung an weiteren Produktionsstätten sowie die flexible Weiterentwicklung für neue Anwendungsfälle geplant.

Fortschritt mit Unabhängigkeit

Bei den oben umrissenen Beispielen lies­sen sich Sinn und Nutzen der Digitali­sierungsprojekte rasch bejahen beziehungsweise umsetzen und messen. Ein profundes Verständnis der bestehenden Prozesse sowie eine schlanke, offene Lösung war beiden Projekten ebenfalls gemeinsam. 

Neben technischen Gründen sprechen häufig auch finanzielle Aspekte für die Entwicklung von firmenspezifischen Lösungen. Kleine und mittlere Firmen können sich teure und oft auch aufgeblasene Standardlösungen mit teuren Lizenzgebühren in der Regel schlicht nicht leisten. Für sie macht ein schrittweises Vorgehen doppelt Sinn.

Harmonie zwischen dem Vorgehen in Richtung «Industrie 4.0» und dem Unter-nehmensrhythmus verbessert die Erfolgsaussichten von Digitalisierungsprojekten. 

Dann werden aus Schlagwörtern verständliche, greifbare Vorteile:

  • umfassende Messung relevanter Produktionsprozesse und -daten
  • Identifikation und Realisierung von ­Optimierungspozentialen
  • datengestützte Verbesserung von Abläufen und Ressourcenverbrauch
  • Kostensenkungen, Effizienz- und Qualitätssteigerungen
  • digitale Transformation für regulato­rische Compliance und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit

Fazit

Für das Gelingen von Digitalisierungsprojekten in KMU sind neben technischen Faktoren auch organisatorische und finanzielle Aspekte entscheidend. Speziell Technologiefirmen in Nischenmärkten müssen ihren Weg mit dem Ziel Industrie 4.0 in Einklang mit der Unternehmenskultur meistern. 

Unabhängig davon, ob Unternehmen die Projekte in Eigenregie oder mit externem Support durchführen, sollten schlanke, technologieoffene Lösungen etappenweise zur Anwendung gelangen. Dann liegen gleichzeitige Kostensenkungen und Akzeptanzsteigerungen drin. So können Unternehmen ihre Produktionsprozesse von «Black Boxes» zu «Glass Boxes» verwandeln und bessere, datengestützte Entscheidungen treffen, um ihre Prozesse zu verbessern.

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